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Vorwort von Johannes Gerster

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Leo Trepp: Mainzer – Rabbiner – Wissenschaftler – Brückenbauer – Mensch

Im Alter von über 90 Jahren saß Leo Trepp mit seiner zweiten Frau Gunda auf unserer Terrasse über den Dächern der Mainzer Innenstadt. „Seinen“ geliebten Mainzer Dom voll im Blick, ließ sich Leo den berühmten rheinhessischen Spargel schmecken, dazu ein oder auch mehrere Gläser guten Rotweins und nach den Speisen eine Zigarre oder einen Villiger Kiel. Es war Hochsommer und doch wollten angesichts des hohen Alters unseres Ehrengastes Herbstgefühle aufkommen. Nicht so bei Leo: Plötzlich erklärte der greise Rabbiner, der bereits auf einen Rollstuhl angewiesen war, mit funkelnden Augen und durch energische Handbewegungen unterstrichen, voller Energie und Leidenschaft, er wolle sich mit Gunda eine Eigentumswohnung in Mainz kaufen, möglichst mit Rheinblick, um die Semesterzeit in Mainz künftig dort zu verbringen und die Stadt häufiger besuchen zu können. Zeit zum Zweifel an diesen Plänen blieb nicht, wurden doch sogleich denkbare Alternativen besprochen, durchdacht, verworfen oder als Möglichkeit registriert. Meine Frau Regina und ich waren gerührt über die Anhänglichkeit dieses auf die hundert Jahre zugehenden Altmainzers, den seine Landsleute 1938 nach der Reichspogromnacht erst inhaftiert, dann aus dem Lande verjagt hatten. Über 50 Jahre erfolgreiches Berufsleben in Kalifornien hatten seine Liebe nicht überwuchert: Einmal Mainzer, immer Mainzer!

Leo Trepp war Rabbiner, ein begnadeter Prediger und Lehrender mit einer unverbrüchlichen Bindung an das deutsche Judentum, dessen Zerstörung durch die Nationalsozialisten ihn leiden ließ. Er war über Jahrzehnte der einzige lebende deutsche Landesrabbiner aus der Zeit des NS-Terrors! Im Jahre 2000 lud ich diesen Weltbürger als Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel nach Jerusalem ein. Natürlich standen die jüdischen Stätten, Vorträge und Diskussionen in der Hebräischen Universität und im Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum im Mittelpunkt. Aber Trepp wäre nicht Trepp, wenn er bei seinem Abschied nicht zwei Erlebnisse besonders erwähnt hätte: Er gestand mir, er habe die Gastfreundlichkeit der Araber im Ostjerusalemer Lokal Pasha besonders genossen. Es gebe eben nur einen Gott und der sei der Gott aller Menschen. Die Begegnung mit seinem ultraorthodoxen Bruder sei dagegen traurig gewesen. Dieser habe sich vor allem dafür interessiert, ob er auch immer koscher esse, und habe wenig Interesse am Schicksal seiner Familie gezeigt. Rabbiner Leo Trepp, ein Mann mit festen Grundsätzen, dachte nicht in Schablonen, wie Juden sind gut, Moslems schlecht, sondern bewertete, was er gerade als menschliche Realität erlebte.

Der Wissenschaftler Leo Trepp begann nach erfolgreichen Berufsjahren als Rabbiner und Professor für Philosophie und Geisteswissenschaften in den USA 1983 an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz zu lehren. Der Fachbereich Evangelische Theologie, und insbesondere Universitätspräsident Josef Reiter, sicherten ihm einen Dauerlehrauftrag für die Sommersemester. Als Mitglied des Hochschulkuratoriums durfte ich seine Berufung als Honorarprofessor der Mainzer Universität unterstützen. Trepps Werke Die Juden und Das Vermächtnis der deutschen Juden wurden zur Basis einer lebendigen Auseinandersetzung mit der jüdischen Kultur an der Mainzer Universität. Ebenso eindrucksvoll waren die von Trepp erwünschten zahlreichen Begegnungen mit Schülern der Mainzer Gymnasien. Er verstand es wie kein anderer, die Einzigartigkeit des deutschen Judentums zu vermitteln. Und ohne anzuklagen, führte er bildlich vor Augen, was der Naziterror mit der Vernichtung der Juden an deutscher Kultur unwiederbringlich zerstört hatte.

Leo Trepp war ein Brückenbauer. Bereits in den fünfziger Jahren organisierte er studentische Exkursionen in die Bundesrepublik Deutschland. Seine Verfolgung und Vertreibung durch den NS-Staat hatten bei ihm nicht Hass und Verbitterung gegen die Deutschen begründet, sondern einen unwiderstehlichen Drang zur Versöhnung und Aussöhnung ausgelöst. In den folgenden Jahren hat er in Kirchen, Schulen, Vereinigungen und Universitäten gesprochen. Neben Mainz hielt er Vorlesungen und Seminare an zahlreichen Universitäten und Hochschulen, darunter Tübingen, Münster, Reutlingen, Wuppertal, Oldenburg und Hamburg. Man fragt sich, wo nahm dieser Mann seine Kraft her, in einem Alter, in welchem andere ihren Ruhestand genießen, mehr als mancher Berufstätige zu reisen, zu lehren, zu diskutieren, zu arbeiten? Mir fallen zwei Antworten ein: Er war getrieben, die Inhumanität der NS-Zeit durch die Humanität seiner Worte unwiederholbar zu machen. Und er liebte Deutschland und sein deutsches Judentum, für dessen Wiedererstehen er sich ruh- und rastlos einsetzte.

Wenn man die Summe seiner vielfältigen Aktivitäten betrachtet, müsste Leo Trepp ein Macher, ein Gestalter, ein Kopfmensch gewesen sein. Das Gegenteil von einem in sich gekehrten asketischen Denker und Theoretiker. Beides war er nicht. Oder nicht nur. Leo Trepp war in erster Linie ein Mensch. Er liebte die Geselligkeit, gutes Essen und Trinken und anregende Gespräche, aber bitte mit Tiefgang. Dabei überraschte er seine Gesprächspartner immer wieder durch seinen tiefschürfenden, trockenen Humor. Er liebte die Menschen, er liebte das Leben.

Leo Trepp verkörperte den jüdischen Bildungsbürger, der bis zur Schoah tief in der deutschen Bevölkerung verankert war. Er entstammte einer orthodoxen jüdischen Familie und verband feste Grundsätze mit dem Leben in der modernen Welt. Er war ein Versöhner und Aussöhner, für den der Mensch wichtiger war als das Beschwören inhaltsleerer Vorschriften. Er war ein großer und bedeutender Mann.

Gut, dass Gunda Trepp sein Leben aufzeichnet und für unsere und folgende Generationen festhält. Leo Trepp kennen lernen, heißt, Gläubigkeit, Menschlichkeit, Weitblick und Toleranz zu erlernen. Für mich war Leo Trepp ein väterlicher Freund und ein Vorbild.

Dr. h.c. Johannes Gerster Mainz, am 4. März 2018, am 105. Geburtstag von Leo Trepp

Der letzte Rabbiner

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