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Die Regentropfen fielen schwer auf den mit Kieselsteinen gefütterten Weg und färbten sein gesundes Beige in ein aufmunterndes Grau. Sanft ergoss sich das Himmelsnass in sein neues Flussbett und ertränkte beiläufig einen Zigarillostummel, der achtlos in ihm ruhte. Auch das rissige Eichenholz der Parkbank blieb vom Regenschauer nicht verschont, ebenso wenig wie die hochgewachsene Frau, die auf ihr Platz genommen hatte. Mit einer anmutigen Bewegung zündete sie sich den nächsten Zigarillo an. Mit Schrecken beobachteten die übrig gebliebenen Streichhölzer, wie dem in der Schachtel lieb gewonnenen Kameraden ein Drittel seines Kopfes weggerissen wurde, während der Rest seines Hauptes fröhlich entflammte. Knisternd wehklagte er sein Leid, dem ein besonders großer Regentropfen, der sich an der Hutkrempe der eleganten Gestalt gesammelt hatte, ein jähes Ende bereitete. Ein Ereignis, das die junge Frau aus unerklärlichen Gründen dazu verleitete, ihren Gedanken nachzuhängen, während sie erwartungsvoll ihre Streichholzschachtel musterte. Aufgeregt berieten sich die beiden letzten Streichhölzer, wer als nächstes gehen sollte. Um Verwirrungen zu vermeiden, nannten sich die Streichhölzer alle Herr Holzi und waren untereinander stets per Sie. „Gehen am besten Sie doch voran“, schlug ein besonders stämmiges Streichholz vor. „Sie mit ihrem dünnen Hals haben bestimmt das Glück, sich bloß das Genick zu brechen. Knack, Feierabend. Das Glück haben nur Wenige. Ich mit meiner stämmigeren Figur gehöre bestimmt nicht dazu.“

„Nun, Herr Holzi, so einfach ist es ja nun wirklich nicht“, verteidigte sich das schmächtige Zündholz. „Es soll Leute geben, die sind so ungeschickt, denen brechen ständig die Hölzer weg. Ja, ja, da kann selbst so ein Kaventsmann, wie Sie einer sind, mal Glück haben.“

„Nun, das halte ich doch für sehr unwahrscheinlich. Haben Sie sie gesehen? Ich meine, haben Sie die Finger der Frau gesehen? Lange, dünne geschickte Finger waren das! Wir haben es hier nicht mit plumpen Wurstpfoten zu tun, die irgendeinem Trottel gehören, der noch dämlicher ist als das Holz, aus dem wir bestehen!“, gab der hölzerne Kaventsmann zu bedenken.

„Ach, das konnten sie also alles erkennen? So lange war die Schachtel doch gar nicht auf! Und außerdem könnten Sie ihr ja auch aus den ach so dünnen Fingern entgleiten. Das heißt, wenn Sie nicht derart beleibt wären!“

„Wollen Sie damit sagen, ich wäre fett?“, empörte sich Herr Holzi.

„Nun, Offensichtliches bedarf keiner Erklärung. Außerdem würde ich vorschlagen, dass wir unseren Disput beilegen und das Schicksal entscheiden lassen. Schließlich sind wir auch nur Streichhölzer.“

„Da haben Sie wohl recht. Auch, wenn ich, wie gesagt, eher stämmig als fett bin.“

Als Eleonora das stämmige Streichholz beim Versuch, es zu entzünden, abbrach und das dünnere ihr durch die nervösen Finger glitt, um sich in einer Pfütze unterhalb der Parkbank zu suhlen, beschloss sie sich in Zukunft vielleicht weniger Gedanken zu machen. Nachdem sie unnötig lange ins Nichts lächelte, um der Situation souverän zu trotzen, hob sie rasch das nasse Streichholz auf und verstaute es in seinem alten Domizil. Ein Blick auf ihre zierliche Armbanduhr verriet ihr, dass es mittlerweile fast genau vierzehn Uhr war, und so machte sie sich langsam auf den Weg, den sie bereits kannte. Sie hatte ihn vor ungefähr zwei Stunden bereits in beide Richtungen kennen gelernt und wusste, wie viel Zeit er in Anspruch nehmen würde. Und diesmal würde sie ihn nicht umsonst gehen. Vorsichtshalber warf sie nochmals einen Blick auf die Visitenkarte, um einen eventuellen Irrtum auszuschließen. „Pinguinstraße 5, Appartement 2.10“, las sie auf der Rückseite der kleinen rechteckigen Karte. Genau dort war sie auch gewesen, doch fehlte an der Bürotür mit dem Milchglaseinsatz im oberen Drittel jegliche Beschriftung und auch der auffällige Name, der sich auf der Visitenkarte befand, ließ sich nicht ausfindig machen. Nirgends stand „Jimmy Risiko, Privatdetektiv“. Auch wenn sie sich lange grämte, denn es war ihr durchweg unangenehm, wenn andere davon erführen, dass sie einen Privatdetektiv aufsuchte, rang sie sich dazu durch, die anderen Bewohner des Hauses um Rat zu fragen. Sie verdrängte ihren Stolz und versuchte ihr Glück an der nächsten Tür, rechts von Jimmys Büro. „Vincent Nachtigall“, las sie auf dem schlichten Türschild und klopfte höflich an, womit sie im Folgenden unfreiwillig Verwirrung stiftete.

„Ach Sie sind es Eleonora. Nun, gerade ist es leider schlecht. Wissen Sie, ich arbeite zurzeit nämlich an einem Kultroman.“

„Woher kennen Sie meinen Namen?“, fragte Eleonora sichtlich verunsichert.

„Sie kennen meinen doch auch! Ich habe ihn Sie doch eben lesen lassen. Ich bin der Autor“, sagte der Autor.

„Hä!“, sagte Eleonora gefasst, woraufhin der Autor leise lachte und sich etwas notierte.

„Nein, habe ich nicht gesagt! Könnten Sie den letzten Satz bitte einfach streichen?“

„Könnte ich, mach ich aber nicht.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Aber vielleicht werden sie es verstehen, wenn Sie mich eine Passage meines Werkes, bei dessen Ausführung Sie mich momentan unterbrechen, vorlesen lassen und mir Ihre Meinung mitteilen würden.“

„Und wenn ich keine Lust dazu habe?“

„Dann schreibe ich nur noch Mist. Vergessen Sie bitte nicht, wer hier die Hauptfigur ist. Zugegeben, ich habe mir kurzfristig durchaus überlegt Ihnen eine fast ebenbürtige Rolle anzuvertrauen, aber noch mehr Arbeit schadet meinem Hautbild, Sie verstehen.“

„Hoppla, Sie sind aber blass! Geht es Ihnen gut?“

„Ach, das gehört so“, winkte der Autor ab.

„Sicher?“

„Nein.“

„Dann lese ich Ihnen mal vor“, sagte der Autor und las vor.

„Konrad der Barbär.

Vierzehn Jahre waren seit dem Karlsruher Eis-Edikt (1538) bereits vergangen und Konrad schärfte noch immer seine Klinge. Noch war es nicht vorbei. Noch hatte Piratenführer Admiral Tommy das, was Konrad am meisten begehrte. Der verfluchte Unsterbliche besaß noch immer die Schatulle von Breslau. Legenden zufolge war das unscheinbare schwarze Kästchen eher zufällig in unsere Welt gelangt und ging innerhalb von 400 Jahren durch die Hände zahlreicher Herrscher. Nur einen hatte es währenddessen nicht verschlungen. Man erzählte sich sogar, dass Admiral Tommy der Schatulle nach hundertjährigem Studium zumindest eines ihrer zahlreichen Geheimnisse entlocken konnte. Er stellte fest, dass der Innenraum erstaunlich kühl war und bewahrte seitdem sein Speiseeis darin auf. Große Macht fiel somit in die Hände des Untoten.

Als Konrad erwachte, tastete er reflexartig nach seinem Schwert. Die zweihändige Waffe war alles, was er noch hatte und was er noch brauchte. Einen dunkeln Schemen erahnend drehte er sich um die eigene Achse und ließ sein Schwert folgen. Krachend durchtrennte es einen Kerzenständer, der scheppernd zu Boden ging. Die herabgestürzten Kerzen fluteten rasch den Boden und beleuchteten das Untier, das hinter einer massiven Marmorsäule kauerte. Der zweite Hieb sollte sein Ziel nicht verfehlen. Noch ehe sich das Geschöpf zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, schlug Konrad zu. Sein Schwert zog einen Halbkreis durch den Dunst der Krypta und trennte Unter- und Oberkiefer endgültig voneinander. Krachend schlug es eine Scharte in die Marmorsäule, in der es verharrte. Mühsam balancierte die obere Kopfhälfte auf der Klinge, während der Rest des Untiers langsam nach vorne fiel und Wogen schwarzen Blutes ausspuckte.“

Weise fällte Eleonora wohl überlegt ihr Urteil.

„Das ist ja völliger Schund, minderwertigstes Handwerk, literarischer Dilettantismus!“

„Eben! Verstehen Sie jetzt?“, fragte der Autor.

„Was verstehen?“

„Na, wenn ich Ihre Sätze streichen würde, müsste ich ja gleich alles streichen.“

„Ach so, Methode ist das also.“

„Ja, aber das bleibt bitte unter uns.“

„Klar, seien Sie unbesorgt. Tja, wie Sie als Autor sicher wissen, suche ich eigentlich Herrn Risiko. Wohnt der denn wirklich in diesem Haus?“

„Ja, aber der schläft noch. Kommen Sie am besten in zwei Stunden wieder.“

„Ihnen fällt wohl nichts Vernünftiges ein, was?“

„Sagten Sie vernünftig?“, überging der Autor die Frage.

„Können Sie nicht einfach schreiben, dass er schon wach ist?“, überhörte Eleonora die Antwort.

„Könnte ich. Mach ich aber nicht.“

Mit einem Kopfschütteln beendete Eleonora das verwirrende Gespräch und ging in den Park.

Diese Erinnerung beiseiteschiebend beschleunigte Eleonora ihren Schritt unter dem zunehmenden Regen, jedoch nicht derart, dass ihre elegante, eitle Haltung darunter gelitten hätte. Sie nahm exakt den gleichen Weg wie zuvor und stand nach einer Viertelstunde mittelmäßig durchnässt vor Jimmys Bürotür. Und diesmal bestand kein Zweifel. Sie hatte sich nicht geirrt.

Mokka Noir

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