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Bundeswehr

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Für mich stellte sich die Frage, wie es weiter gehen sollte: mir stand der Wehrdienst bevor. Verweigert hatte ich nicht, fast meine komplette Abschlussklasse hatte sich freiwillig zur Bundeswehr gemeldet. Wir wollten die Offizierslaufbahn einschlagen, wenngleich unsere Verpflichtungszeit nur zwei Jahre betrug. Zum Leutnant hätte es gereicht. Die Freiwilligen mussten nach Hannover zu einer Art Einstellungstest. Der verlief über drei Tage. Im Anschluss flatterte irgendwann die normale Einberufung ins Haus, das bedeutete für mich, dass ich mich am ersten Oktober zur Grundausbildung in Goslar einzufinden hatte. Im Nachhinein fragte man sich natürlich: „Warum hattest Du nicht verweigert?“

Der Verweigerungsprozeß wurde zu meiner Zeit rigider gehandhabt, als das heute der Fall ist. Man musste zunächst einmal den schriftlichen Verweigerungsantrag einreichen und wurde dann später zu einer Verweigerungsverhandlung geladen. Man erschien dazu vor einer Art Kammer, die mit Militärangehörigen und Zivilisten besetzt war, sogar Hausfrauen saßen da. Diese Kammer stellte dem Probanden Fragen, mit denen sie dessen Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst überprüfen wollte. Es passierte relativ oft, dass man als Verweigerer vor dieser Kammer nicht bestand. Scheiterte man in letzter Instanz vor dem Oberlandesgericht, bei dem man dann auch die Verhandlung bezahlen musste, musste man zum Bund. Für diese Leute war die Zeit bei der Bundeswehr besonders hart, zumal ja die dann Vorgesetzten wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Manche hatten, nachdem sie ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, noch verweigert, um nicht zu Wehrübungen einberufen zu werden. Über all diese Dinge hatten wir uns als Schüler überhaupt keine Gedanken gemacht.

Bei der Bundeswehr hatte es mir von Anfang an nicht gefallen. Das lag weniger an dem Drill, dem man unterworfen war. Vielmehr waren es die zu menschlicher Führung völlig unqualifizierten Vorgesetzten, die einem nach Gusto Befehle erteilen konnten. Auch war das, was sich während der Grundausbildung Unterricht schimpfte, es nicht wert, so genannt zu werden. Ganz schlimm wurde es, wenn so genannter politischer Unterricht stattfand. Da wurde ein Zeugs gefaselt, dass einem die Haare zu Berge standen. Apropos Haare: Natürlich trugen wir alle unsere langen Haare, als wir zur Bundeswehr gingen. Für eine Übergangszeit mussten wir ein Haarnetz tragen, das den ordnungsgemäßen Sitz von Schiffchen und Stahlhelm garantierte. Dann kam jedoch sehr bald der Haarbefehl, nach dem die Haare kurz zu tragen waren, das hieß, dass die Ohren frei waren und kein Haar den Hemdkragen berühren durfte. Jeden Morgen wurde von da an die Haarlänge beim Appell kontrolliert, das übernahm der Kompaniechef persönlich. Wer seinen Maßstäben nicht genügte, musste den kaserneneigenen Frisör aufsuchen.

Wir waren zu sechst auf einer Stube. Es gab drei Etagenbetten und sechs Spinde. Nach dem Dienst, so gegen vier Uhr dreißig, hielten wir uns auf dem Zimmer auf und erledigten in aller Regel Reinigungsarbeiten, meistens putzten wir unsere Stiefel. Wenn die Tür aufging, kam oft ein Gefreiter mit irgendwelchen Anordnungen. Dann mussten alle aufspringen und stramm stehen, der Stubenälteste meldete dann, mit wie viel Leuten man sich in der Stube aufhielt, und mit welcher Tätigkeit man gerade beschäftigt war.

Es hieß später immer, das sei es, was den Dienst bei der Bundeswehr so wertvoll machte, man musste sich in einem bunt zusammengewürfelten Haufen von Menschen aus allen Gegenden Deutschlands zurechtfinden. In Wirklichkeit war es doch so, dass derjenige, der etwas weicher war als andere oder der verschlossener oder einfach stiller war, gnadenlos zum Opfer derber Sprüche und übelster Anmache wurde. Ich wurde sogar Zeuge von Schlägereien, die wegen solcher Animosiäten ausgetragen wurden, und die wir schlichten mussten. Jeden Tag begab man sich in die Kantine und soff Bier in zum Teil beträchtlichen Mengen. Manche mussten wir zurück in die Kaserne schleifen, wenn der Zapfenstreich bevorstand. Die Kantine war der einzige Aufenthaltsort, der für Wehrpflichtige an den kurzen Abenden erreichbar und wegen des geringen Soldes finanzierbar war. Das Essen in der Kantine war durchaus genießbar, wenngleich gerade da immer gemeckert wurde. Manchmal nahm ich Berge von Wurst mit nach Hause, wo man sich darüber sehr freute. Wenn man auf dem Weg zur Kantine einen Vorgesetzten traf, musste man ihn grüßen, das bedeutete nicht, dass man ihm einen guten Tag wünschte, sondern ganz vorschriftsmäßig die Hand an das Schiffchen legte, dabei war ein ganz bestimmter Winkel zur Körperachse einzuhalten. Vergaß man das Grüßen, wurde gerufen: “Können Sie nicht grüßen?“ oder „Wir müssen wohl das Grüßen üben!“.

In der Regel kam man dann am frühen Freitagnachmittag raus und fuhr in der sogenannten NATO-Rallye nach Hause oder zur Freundin. Hatte man aber etwas verbockt, zum Beispiel seinen Spind nicht richtig eingeräumt oder sein Bett falsch gemacht, seine Stiefel schlecht geputzt oder eine sonstige Verfehlung begangen, musste man noch den Freitagnachmittag dableiben. Für viele, die von weit herkamen, lohnte sich dann der Nachhauseweg gar nicht mehr. Nach Frankfurt war man von Goslar aus vier Stunden unterwegs! Die NATO-Rallye war eine gefährliche Angelegenheit, man fuhr viel zu schnell und achtete kaum auf den Verkehr. Es gab regelmäßig Unfälle mit Todesfolge. Ich fuhr immer mit Zimmernachbarn nach Bremen, ich nahm dann den Zug zu meiner Freundin. Die anderen mussten noch weiter bis nach Hamburg und zum Teil sogar bis nach Schleswig-Holstein. So ein Wochenende war immer viel zu kurz, ehe man sich versah, war Sonntag und man musste sich wieder auf den Rückweg machen.

Meine Grundausbildung dauerte bis in den Winter hinein. Im Dezember machten wir eine so genannte Sechsunddreißig-Stunden-Übung. Das bedeutete, dass man sich sechsunddreißig Stunden im Gelände tummelte, da militärische Übungen abhielt, vom Verpflegungswagen aus zu essen bekam und im Freien übernachtete. Das, was da so einen Pfadfinderanschein hatte, erwies sich aber bald als harte Probe: wir hatte nachts zwanzig Grad minus, einige waren mit ihrem Schlafsack an den Wänden vorher ausgehobener Gruben festgefroren, manche hatten sogar angefrorene Gliedmaßen. Zum Glück hatte ich die Sache schadlos überstanden. Als es gegen Ende der dreimonatigen Grundausbildung darum ging, die weiteren Verwendungsorte zu bestimmen, konnte man vorher Wünsche äußern. Ich wünschte mir Delmenhorst als weiteren Verwendungsort, weil ich da nahe bei meiner Freundin war. Dem Wunsch wurde entsprochen. So wurden wir alle vor Weihnachten aus Goslar verabschiedet und setzten uns in Richtung Bremen in Bewegung.

Es wurde eigens ein Zug für uns bereit gestellt. Jeder hatte zum Abschied eine Flasche „Jägermeister“ mit einem halben Liter Inhalt geschenkt bekommen! Die war bei der Ankunft in Bremen leer. Entsprechend angeheitert kam ich in der Kaserne in Delmenhorst an. Immerhin war ich noch in der Lage, meine Ankunft vorschriftsmäßig mitzuteilen, ansonsten nahm niemand Notiz von mir. Ich war dort bei einer „Nike-Hercules“-Batterie gelandet, das bedeutete bei einer Batterie, die über Boden-Luft-Raketen verfügte und diese einsatzbereit hielt. Draußen in Adelheide war die Stellung, in der man Dienst versah. Dort waren die Raketen und der dazugehörige Leitbereich.

Die Raketen standen in so genannten „Launchers“, in der Entfernung von einer Meile befand sich der Leitbereich, dessen Aufgabe es war, das Ziel zu erfassen und die Rakete dahin zu lenken. Dazu gab es verschiedene Radargeräte und einen Computer. Letzterer hatte die Größe eines LKW-Anhängers und war ein Röhren-Computer, absolut alte Technik. Ich saß am „Missile-Tracking-Radar“ und machte am Display verschiedene Tests, wie alle anderen auch. Wir versahen unseren Dienst, indem wir die Geräte testeten. Dazu blieben wir drei Schichten lang in der Stellung, um dann eine Woche lang Tagesdienst zu machen. Während meiner Zeit in Delmenhorst hatte ich mit meiner Freundin eine Wohnung im Ostertorviertel in Bremen (Alwinenstraße 49). Das war im Grunde eine schöne Zeit, ich fuhr abends immer nach Hause und hatte während des Schichtdienstes drei freie Tage.

Oft kam ich morgens auf den letzten Drücker zum Appell. Ich hatte inzwischen auch ein Auto, einen Ford 17 m („Badewanne“). Eines Tages wurde die Grundwehrdienstzeit von achtzehn auf fünfzehn Monate herabgesetzt. Ich reduzierte sofort meine vierundzwanzig Monate Verpflichtung auf einundzwanzig Monate! Damit war natürlich die Sache mit dem Leutnant gelaufen, ich entschied mich aber irgendwann, einen Unteroffizierslehrgang zu belegen, einfach um der Langeweile des eingefahrenen Dienstes zu entgehen. Dieser Lehrgang fand in Oldenburg statt und dauerte drei Monate. Das Dasein als Unteroffizier eröffnete einem viele Freiheiten: man hatte ein Einzelzimmer und war Vorgesetzter, das hieß, es konnte einem so gut wie niemand mehr etwas sagen. Das Bett in meinem Zimmer hatte ich nie benutzt.

Irgendwann im Juni beendete ich meine Bundeswehrzeit. Ich muss sagen, dass ich während meiner Soldatenzeit viel Glück hatte. Ich hatte von Freunden gehört, die den normalen Grundwehrdienst bei den Panzerpionieren absolvierten und von Anfang bis Ende nur Druck erfahren hatten. Die mussten aufpassen, dass sie bei der Bundeswehr nicht zerbrachen. Ich war während meiner Soldatenzeit nur ganz selten zu Hause, und wenn ich mal da war, freuten sich die Eltern, einen mal wieder zu sehen. Ich wurde vielfach gefragt, ob ich jemandem empfehlen würde, zur Bundeswehr zu gehen. Ich sagte immer, dass ich die Bundeswehr niemandem empfehlen und stattdessen immer zur Verweigerung raten würde.

Man lernte nichts bei der Bundeswehr; die diffusen Vorstellungen von Kameradschaft, die bei den Menschen verbreitet waren, waren falsch. Es war hundertmal sinnvoller, in einer gesellschaftlich wichtigen Einrichtung als Zivildienstleistender zu arbeiten. Es war ein Fehler, dass ich nicht verweigert hatte. Nach der Bundeswehrzeit hatte ich einen Job auf einem Tennisplatz in der Nähe des Weser-Stadions. Meine Aufgabe bestand darin, die Kreidelinien an den Plätzen nachzuziehen, wenn gespielt worden war. Dazu gab es einen Kreidewagen, der natürlich immer gefüllt werden musste. So einen Kreidewagen benutzten die Platzwarte in den Leichtathletikstadien. Dort konnte man die Muttis beobachten, die nichts zu tun hatten und morgens Tennis spielten. Diesen Job machte ich den ganzen Sommer über. Ich dachte auch immer schon bei meinen Schülerjobs, die ja alle nicht so überzeugend waren, so auch dort, bei meinem Tennisjob, dass ich froh war, so etwas nicht mein Leben lang machen zu müssen. Es gab aber natürlich Arbeiter, die nichts anderes gelernt hatten und deshalb solche Jobs verrichteten. Ich glaubte, dass der Straßenbau am ehesten etwas war, was auch ein bisschen Spaß vermitteln konnte.

Zum Herbstsemester wollte ich ein Studium aufnehmen. Das war eine sehr wichtige Entscheidung in meinem Leben. Es war allerdings lange Zeit nicht klar, was ich wo studieren sollte. Ich hatte mich für Landwirtschaft in Bonn interessiert, landete aber dann in Siegen und studierte auf Lehramt für Gymnasien.

Wie kam ich eigentlich auf Siegen, eine Stadt, in der ich nie vorher gewesen war? Es war tatsächlich so, dass ich mir eine Karte ansah und mir die Stadt mit dem meisten Grün aussuchte, das war Siegen. Direkt nach dem Abitur ließ ich mir von der Lufthansa die Unterlagen für die Pilotenausbildung zusenden. Ich ließ davon aber ab und schrieb an die Uni Bonn, um mich nach Agrarwissenschaften zu erkundigen. Auch davon ließ ich ab und ging stattdessen an die Gesamthochschule Siegen.

Paulo wird Studienrat und reist (2)

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