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3. Gesang: Excerpt from a preteenage opera. Denkt auch an morgen. Denkt auch an mich.

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"Tun Sie das nicht! Der Junge ist doch intelligent. Schicken Sie ihn aufs Gymnasium und lassen Sie das Ganze auf sich beruhen. Das sind doch nur Jungs." – Das aber hat ja keiner gesagt. Und auch der Älteste hatte geraten, mich weiter zur Volksschule gehen zu lassen, gingen doch die Übeltäter nun allesamt aufs Gymnasium, was letztlich nur den Hochmut nährt, zumal doch zu unseren Lebzeiten noch diese Welt zum Paradies wieder wird. – Menschenfreundliche Gesellschaft, Frankfurt am Main, Paradiesgasse. Ich stellte mir diese als Sackgasse vor, am Ende ein kleiner, paradiesischer Park, obgleich Parks in ihrer erzwungenen Ordnung eher Friedhöfen glichen als der freien Natur. Wälder, wie ich sie aus Norddeutschland kannte, fehlten ja nun mal im Ruhrgebiet, und wenn man zudem kein Auto hatte, so war dann selbst im Ruhrgebiet der Bewegungsraum drastisch eingeschränkt; zwar gab es bereits in den sechziger Jahren eine hochentwickelte Infrastruktur, doch ließ gerade diese jeden "richtigen" Wald in unerreichbare Ferne rücken. Und so führte der Sonntagsfamilienspaziergang vorzugsweise durch Grünanlagen, zum Trampelpfad etwa beim Bahndammgebüsch und zum alten jüdischen Friedhof. Die "richtigen" Friedhöfe waren mir zuwider; überall roch's nach Zersetzungsprozeß, ein Geruch, den ich eher dem Menschenfleisch als dem welkenden Grabschmuck zuordnen wollte. Im Sommer auf der Ruhr eine Schiffchenfahrt.


- Ein Knopfdruck, und schon öffnen sich die Pforten zu den Tagen der Kindheit, genauer gesagt, zum Bandmagazin, einer klimatisierten Lagerhalle mit Dutzenden von Schieberegalen für mehrere tausend Sendemitschnitte. Kein Ort, der jetzt im üblichen Sinne irgendwie "atmosphärisch" wäre, kein Ort für konkrete Erinnerungen, ach, eine Sendung vom März '64, ja, da war ich doch... es ist dann eben März '64, und nur selten über 1970 hinaus, und wenn, dann ohne diese Zäsur. – "Zäsur"? Längst eine rein geographische Sache. Sonst würde ich dieses Bandmagazin ja voraussichtlich gar nicht kennen. Und falls man sich im Jenseits was wünschen darf, so werde ich mir ein Privatkino wünschen, ein Kino für alle Sinne, und möchte dort wieder und wieder und wieder nichts als diesen Lebensfilm sehen mit der Möglichkeit, alles, was verkehrt war, in Ordnung zu bringen, und freilich, je näher der Gegenwart, desto häufiger nur noch Sequenzen.


Ruhrstadt, vier Bahnstunden, Rheintrasse. Ruhrstadt, die Stadt ohne "Soundtrack". Bertelsmann-Lesering-Langspielplatten. Die Singles meiner Schwester, ihre LP von Esther und Abi Ofarim; mein Lieblingstitel auf dieser Platte – natürlich – "Dirty old town". – Ihr Philips-Mono-Kofferplattenspieler, ans Röhrenradio anzuschließen: "Duft" wäre übertrieben, "Geruch" klingt ordinär; sagen wir, eine Komposition aus Hartplastik, Weichplastik, Kupferdraht, vielleicht noch eine Prise Korund, vor allem bei scheppernden E-Gitarren bzw. Beatgruppen-Chorgesang, "I want to hold your hand" von den Beatles, "I wanna be your man" von den Stones.


- Tonarm zum Ausklicken ganz nach vorn, zurück auf den Halter, Platte runter; alte Platte in Hülle stecken, neue Platte aus Hülle ziehen und vorsichtig auf den Teller legen; Tonarm zum Anklicken ganz nach hinten, Tonarm zum Abspielen wieder nach vorn und behutsam auf den Tonträger setzen.

Ein Ausschnitt aus einem Beatles-Konzert, ich wurde aus dem Bett geholt, mir dieses Spektakel anzusehen; es wurde nicht verdammt, es wurde nicht gelobt, ich wurde niemals zuvor und niemals danach wegen irgendeiner Fernsehsendung oder irgendwelcher sonstigen Gründe aus dem Bett geholt, vielleicht gab es damals die noch üblichen Sprüche von wegen "entarteter Kunst", das aber galt auch den "schönen Stimmen" kurz nach eins beim Nachtisch des Sonntagsbratens, WDR, erstes Hörfunkprogramm, und allein der Ouvertüren wegen, im Koffergerät mit Rundlaufsucher und Batterien mit Auslauf. Das hielt bis weit in die Achtziger; ein Jammer, daß ich's dann weggeworfen, ja, eigentlich eine Schande.


Nach wochenlanger lustloser Rumquälerei lernte ich eines Frühsommerabends auf dem Weg mit dem eher leichten Gefälle zwischen Schule und Schrebergartenanlage, mein Klapprad nun doch noch zum Fahrrad zu machen, unbehelligt von skeptischen Blicken und gutgemeintem Rat. Und dann ging es los, im Sommer '70, und das durch den dicksten Stadtverkehr, und ohne nun gleich den Mut zu verlieren, geriet man mal in die Straßenbahnschiene, so daß man über den Lenker ging, voll mit dem Schädel aufs Pflaster schlug und sich eigentlich nur noch wundern konnte, an Leib und Rad nur verschrammt zu sein. Einmal auf den Ruhrschnellweg geraten, und das im dicksten Abendverkehr, gewendet dort und ganz rechts gehalten, wenn auch freilich aus meiner Sicht. Ein freundlicher Ford-Mustang-Fahrer erkannte die Gefahr, hielt an und lotste mich zum Seitenstreifen und hievte mich samt Klapprad dann auf den Acker neben der Stadtautobahn.


Im August ein Volksradfahren quer durch die Stadt und längs der Ruhr. Zwei Strecken standen zur Wahl, 30 oder 40 Kilometer, ich wählte mutig die 40 und erhielt meine einzige Sportmedaille und das bis auf den heutigen Tag, für die Teilnahme nur und was denn auch sonst, doch immerhin die Goldene, und trotzdem kein Vergleich zur Siegerurkunde meiner Schwester; ein Leichtathletik- oder Schwimmwettbewerb im Rahmen der Bundesjugendspiele. – Als ob man das je so gesagt hätte. Und für meine bevorzugten Jugendspiele gab es und gibt es nun mal keine Medaillen...


- Die Begrenzungsmauer zu den Bahnanlagen in der Vorderen Bahnhofstraße, genauer gesagt, eine Futtermauer, und kurz vor der Unterführung, dort, wo heute der Eingang ist, damals ein Pissoir, ein Pissoir mit Kondomautomat; zwei ältere, hagere Südländer, und ich denke noch heute, die machten da was. Sie drehten sich um wie auf frischer Tat ertappt und redeten was, wem immer das galt, und falls mir, dann zwar freilich als Aufforderung, doch wohl nur, mich schleunigst davonzumachen, oder derber gesagt, zu verpissen. – Nun, ich hab auf dem Absatz kehrtgemacht und bin weiter, und das ohne jegliche Eile, nach Haus oder Richtung Stadt geradelt.


Mir war's ja erlaubt, im Jugendzimmer meines späteren Schwagers nach Sachen zu stöbern, die Jungs meines Alters interessieren könnten. Das war so um '65 rum, als ich dann dieses Quartett entdeckte zwischen "Schatzinsel", Lexika und Michel-Katalogen, ein Quartett mit halbnackten Frauen drauf, und selbst die Frau auf der Jokerkarte trug untenherum einen Pelz, was freilich eine Enttäuschung war; egal, mein Bauch wurde dennoch – durchwoben? durchflutet? - , wie immer man's nennen soll, und so, wie ich's bis auf den heutigen Tag so heftig nicht mehr erlebt haben dürfte.

- "Hans-Georg ist sehr fleißig": so steht es im Versetzungszeugnis von der Siebten in die Achte. Schon möglich, aber: was nutzt uns das, wenn alle Zukunft in Eden liegt, aber Ruhrstadt nun wahrlich jenseits davon? – Hochöfen. Abgase. Ruß und Rauch. Gingen wir zur Mangel am Lessingplatz, gab's als Trägerlohn meist ein Comic-Heft; ging's zur Mangel gleich hinter der Eisenbahnbrücke, stand ich meist draußen im Wäschedampf und sah den schnaufenden Dampfloks nach und mit etwas Glück dem "Rheingold", der einen Wagen mit gläserner Kuppel führte. Der letzte Schnellzug mit Dampflokbespannung war der von Hannover ins Ruhrgebiet im Sommer '66.


Im Sommer '98 standen in Frankfurt ab und an Sonderzüge bereit, mit Dampflokbespannung und Museumswaggons mit breiten Faltenbalgübergängen, im Grunde wie beim ICE, doch löchrig und zugig und laut; ich hatte stets ein wenig Angst, die Waggons könnten auseinanderreißen, und freilich eben gerade dann, wenn ich über diesen Übergang ging. Auch bei den neueren Zuggarnituren war der Gepäckwagen meist in der Mitte und stets für den Durchgang freigegeben. Auf der Eisenbahnbrücke beim Mangelweg ergriff mich bisweilen ein wenig die Angst, ich könnte womöglich den Drang verspüren, übers Geländer rüberzuklettern, vom Vorsprung auf die Gleise zu springen oder auf offene Güterwaggons.


Von Comic-Heften und Kaugummikugeln, 10 Pfennig das Stück, einmal abgesehen, sparte ich jeden Taschengeldgroschen für Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke. – Verbeulte mattrote Doppelautomaten, rechts die Überraschungskugeln, schon möglich, daß ich mir irgendwann dann doch mal eine gezogen hab; 50 Pfennig, das war viel Geld für diesen – und so auch erwarteten – Plastiktand. – Dieser ganz bestimmte – Duft, Geruch – beim Zeitschriftenhändler am Lessingplatz; das konnte ich geradezu riechen schon, wenn freitags das neue Mickymausheft in den Comicregalen beim Schaufenster lag.


Die Jugendstilvillen am Lessingplatz: Stuck und Schnörkel und Teufelsfratzen; ein einziges Pandämonium, Tod und Wahnsinn und Leichenwagen, Alptraumstoff für viel zu schwere, viel zu warme Federbetten, Tagtraumstoff für viel zu hohe Doppelfenster mit Kondenswasserrinne.


- Ein Gedanke vom Sommer '71: Ich werde wach – und stehe unvermittelt wieder vor der Ruhrstädter Wohnungstür. Dritte Etage, Dachgeschoß, ein Durchschnittsmietshaus jener Tage, keine Arme-Leute-Wohnung, zumal im Vergleich mit der Badischen. Erst Kohleöfen, dann Öl, und auch dort das Schlafzimmer unbeheizt. '76 auf etlichen Lessingplatzhäusern geometrische Formen in poppigen Farben, davor die neuen, modernen Autos, Golf, Passat, Audi 80, Ford Taunus ohne irgendein M hintendran. Und wenn ich als Kind mit dem Mut des Beschützten unter das Bett meiner Schwester schaute, sobald ich im Hausflur hören konnte, daß meine Mutter vom Einkauf zurück, so wurde '76, wie zum Zeichen des Sieges, alles mit Fotos dokumentiert, die Innenstadt, die Stadtbücherei, das alte Finanzamt, das neue Finanzamt, und vor allem natürlich die Schule und das Viertel rund um den Lessingplatz.


Der erste mir noch bekannte Traum: Ich stand vor unserem grauen Haus, wo eine altertümelnde Sonnenfratze sich in Dachhöhe hin und her bewegte, mich rief und mich irgendwie packen wollte, mir sicherlich nichts Gutes zu tun. – Sicherlich ein Fernsehtrauma, die Psychokrimis, die Serienkrimis, der Spätfilm am Samstag so gegen halb elf, und Spätfilme höchstens zwei oder drei, mir fällt jetzt nur ein französischer ein und Alfred Hitchcocks "Marnie". – Wie leicht ich doch zu verängstigen war; da reichte schon die Traumsequenz mit der Säge aus dem "Doppelten Lottchen", obgleich doch bloß das Bett zersägt und die Kinder gerade nicht.


- Ruhrstadt 2001: die weißgetünchten Jugendstilhäuser ausnahmslos von Architekten bewohnt und ausnahmslos unter Denkmalsschutz. – Die dunkelgraue katholische Kirche in der Innenstadt aus den zwanziger Jahren, heute vielgerühmtes Beispiel eines jetzt wirklich geglückten Sakralbaus dieses an allem Sakralen nicht gerade üppigen Jahrzehnts. Am Lessingplatz das Gemeindehaus, uniert, wie im Rheinland so üblich; meine Schwester wurde dort konfirmiert, und ich wurde dort getauft, geboren am Tage Calvins.


Das Kirchengebäude weit außerhalb, in Nähe von Schule und Schrebergärten; ein Neubau (ein Altbau wohl gar nicht vorhanden), Glas und Beton, markanter Turm. Mit dem Neubau kamen die Schulandachten. Einige in den hinteren Reihen waren statt mit Andacht mit Sachen beschäftigt, die selbst für unierte Neubaukirchen, sagen wir, eher untypisch sind.


- Goldene Alukappe: A-Milch; silberne Alukappe: B-Milch, zum Kochen und Backen und fast immer mit Rahm, mitunter nicht wenig, im Flaschenhals, welchen ich dann ablöffeln durfte. Milchfett war das einzige Fett, das ich damals mochte, und das ist ja auch noch heute so, im Gegensatz zur Servicegesellschaft. Wo gibt es denn heute Milchmänner noch, die einem frühmorgens die Flaschen bringen? Wo, bitte, bringt denn noch heute ein Bäcker frühmorgens die frischen Brötchen ins Haus? Vielleicht lohnt es nicht mehr, weil keiner mehr wagt, die Ware auf Kredit zu liefern oder das Geld vor die Haustür zu legen. Weil der Nachbar womöglich die Flaschen klaut und auf die Brötchentüte milcht.


- Ich weiß es nicht, und ebensowenig, ob man das alles bedenken muß. Und dann diese Fahrt nach Norddeutschland, das hätte ich so nicht absagen dürfen, was immer am Sonntag da los war mit mir. Und dann dieses physische Unwohlsein, seit Tagen nun schon Dauerschwindel, ich schätze mal, das rechte Ohr, defekt schon seit '64; da hat mich ein Trottel nicht aufgefangen, unten an der Rutsche im Nichtschwimmerbecken, Anfang September, noch 30 Grad, im Freibad von Kirchheim, den meisten bekannt als Nadelöhrdreieck der Nord-Süd-Autobahn.


Hessen war Zufall und hatte nichts mit den Frankfurter Menschenfreunden zu tun, und auch die Schwarzwälder Ferienwohnung von 1969 nicht aus vorrangig religiösen Gründen. Im Radio Herb Alpert, dessen Sound meine Mutter wohl schätzte, doch keinesfalls sein Statement (und womöglich nur kolportiert), der beste Trompeter der Welt zu sein; wer so etwas von sich selbst behauptet, zählt fraglos nicht zu den Menschenfreunden. Sie besuchte eine Versammlung in Lörrach; da spielte neulich Neil Young auf dem Stadtfest, soweit ich weiß, sogar kostenlos; damals Ausflugsfahrten nach Basel, nach Zürich und an den Vierwaldstätter See. – Die Sekte mit deutschem Hauptsitz in Frankfurt duldete wohlwollend Sympathisanten, was für Sekten eher untypisch ist.


- The Summer of '69: nein, in Bryan Adams' Sinn gab's das freilich erst in Wenden, und die 60er ja nun wirklich nicht die "best years of my life". – Immerhin eine poppig-runde Plastiksonnenbrille, Desinteresse am Unaussprechlichen und ausgesprochen großes Interesse am Mordfall Sharon Tate. Nicht, daß ich Mansons "Family" irgendwie mit den Menschenfreunden, doch Sondergruppe ist Sondergruppe und folglich als solche schon interessant, zumindest interessanter doch als evangelische Landeskirchen. Ein Klassenbuch wurde eingeführt, und Briefe verschickt bei entsprechendem Eintrag; einmal traf es dann sogar mich, und zu Hause nun fast schon ein "endlich!" – Die Bahnfahrt wie üblich im D-Zug nur und nicht, wie erhofft, im "Rheingold".


- Die Bahnhofsfassade: viel mehr ist nicht übrig von diesem Teil der Innenstadt, und das, was heute noch vorhanden, das haben sie nicht mal im Ansatz saniert. Das Drumherum ist neu und fremd, so auch der Friedrich-Noske-Platz, Friedrich Noske, Rektor der evangelischen und später dann: "Gemeinschaftshauptschule" am Gartenweg. Friedrich Noske war Sozialdemokrat und hat mir nichts getan. Noch heute besitze ich die Münzalbenblätter, die er, der passionierte Numismatiker, mir an einem Samstagmittag für meine kleine Sammlung geschenkt. – Hat er mir auch seine Sammlung gezeigt? Selbst wenn: Friedrich Noske, das will ich ihm lassen, ging es einzig um die Münzen. Friedrich Noske war nur ein prügelnder Lehrer, und die Prügelstrafe, wie schon gesagt, erlaubt; ich schätze, er hat sich über das Prügeln genausowenig Gedanken gemacht wie über das, was die Leute wohl reden könnten, wenn er in seinem Büro einem Schüler nach Unterrichtsschluß seine Münzsammlung zeigt.


- Ein paar Silbertaler, Groschen, Scheidemünzen, Pfennigstücke, das älteste von 1765, noch dazu eine Handvoll Münzen aus Europa und Südamerika sowie ein "Maria hilf"-Medaillon, das mich gleichermaßen irritierte wie faszinierte, aus dem Nachlaß meines Großvaters, alles in einem Leinensäckchen mit dem kunstgestickten Schriftzug "Bleibe voll!". Sonst hätte ich wohl kaum jemals Münzen gesammelt. Briefmarken, gut, das mochte noch angehn, aber Geld, das war nun wirklich nicht im altruistischen Sinne der Menschenfreunde, genauer, des "Menschenfreundlichen Werks", der "Kirche des Reiches Gottes e. V.", "l'Eglise du Royaume de Dieu", "Verlag 'Der Engel des Herrn'", "Menschenfreundliche" bzw. "Philanthropische Gesellschaft" und so weiter und so fort. "Menschenfreunde", "les Amis de l'Homme" ist auch, genauer, der frühere Name der sozial engagierten "Amis sans Frontières", für Hutten der Menschenfreunde "edelster Zweig", deren Glieder vor allem in Frankreich wirken, religiös inzwischen so neutral, daß sie die Ursprünge ihrer Bewegung auf ihrer Website nicht mal mehr erwähnen. So ganz geklärt ist das bis heute nicht, wer da nun eigentlich abtrünnig wurde, wer nun die "wahren" Menschenfreunde, die legitimen geistigen Erben des "Sendboten" Alexandre Freytag sind.


Freytags Lehre hat ihre Wurzeln in der Lehre der Zeugen Jehovas, denen er bis Anfang der zwanziger Jahre in leitender Stellung angehörte. Im Mittelpunkt steht das "Weltallgesetz" mit dem sogenannten "Gleichwert": Alles, was mir widerfährt, ist die ganz natürliche, irdische Folge meines Denkens, Trachtens und Handelns (und Gott demzufolge kein strafender Gott im kirchlich-traditionellen Sinn), und der einzige Weg, den "Gleichwert" zum Guten zu wenden, ein Leben nach den Regeln des Altruismus, genauer, wie Freytags "Botschaft an die Menschheit" diesen versteht: Wer nicht meckert, sich nicht aufregt, nicht rumkritisiert, nicht neidisch und nicht gierig, sondern freundlich, bescheiden, zurückhaltend ist, sich nicht wehrt und sich fleischlos und fettarm ernährt und auf Wollust und Ehe und Kinder verzichtet, der wird mit dem Fleisch auch den Tod nicht schmecken, der bleibt gesund bis zum Ende der Welt (das Freytag, wenn auch ohne ein Datum zu nennen, noch für seine Generation erhoffte), den Anbruch des Reiches Gottes auf Erden und der Schaffung eines neuen paradiesischen Gartens.

- Schlechte Karten für diesen Garten bei meiner Freude an Kartenspielen, Fleisch und Krimis und Widerworten; schon das Einspeicheln war ein gewisses Problem aufgrund des damit verbundenen Verzichts auf Getränke während des Essens. Zum Funkessen nehme ich meistens Salat, und falls ich dann doch mal was trinken sollte, dann plagt mich nach Stunden noch Völlegefühl, vom Sodbrennen ganz zu schweigen.


- Und nochmals: Gleichwert, nicht etwa Zorn; Gott schickt weder Magen- noch Höllenbrand, und wenn nach den ersten tausend Jahren, der Zeit, in der die gesamte Menschheit mit leichter, von Gott geführter Hand das Paradies auf Erden schafft, der Teufel noch einmal losziehen darf, die Welt zum Bösen zu verführen, dann müßt ich mich halt zusammenreißen, während dieser paar Tage stets freundlich zu bleiben, nicht gar noch am Ende dem "zweiten Tod" – als Gleichwert? als Strafe? – anheimzufallen, dem ewigen, traumlosen Schlaf.


- Wären sie wenigstens so bekannt und präsent wie die Zeugen Jehovas gewesen... Wie aber soll man einer Sekte entkommen, die letzten Weltendes keiner kennt, ja, die letztlich wohl nicht mal selber ihren richtigen, amtlichen Namen kennt, die keinem etwas Böses will, einer Sekte ohne Beitrittszwang, ohne Riten, Zeichen, Gewänder, einer Sekte, die weder verlockend ist, geschweige denn eine Bedrohung?...


Vielleicht haben sie sich längst aufgelöst, ist ja nun auch schon drei Jahre her, daß ich vor ihrer Zentrale stand, einem weiß verputzten Zweifamilienhaus mit relativ großem Garten drumrum. Dort auch ein größerer Anbau; das war wohl die Druckerei. – "Der Anzeiger des Reiches der Gerechtigkeit": eine monatlich publizierte Sammlung diverser Artikel aus der Tagespresse, vom "Anzeiger" religiös kommentiert, und freilich, wie bei Sekten so üblich, im Lichte der Wahrheit und grad nicht "religiös". – Das also ist es. Und wärst du fromm, so könntest du frei den Blick erheben. Ist's denn nicht also?...


Läge die Sauna ein paar Stockwerke höher und könnte man dort aus dem Fenster schauen, dann schaute ich triumphierend herab auf die deutsche Zentrale der Menschenfreunde. – Unsinn, da hätte ich Hemmungen, und letzten Endes, warum denn auch? Wo, bitte, war denn die Kirche damals, als eben nicht nur der "Anzeiger" kam, sondern auch die Wechseljahre und mit diesen zugleich die Depression, die Sinnkrise einer Heimatvertriebenen mit wesentlich älterem Ehemann, Finanzbeamter im Mittleren Dienst, und "Heimat" drei Zimmer im Dachgeschoß und ansonsten ja bloß noch der Garten? Und selbst der Urlaub ein "Arbeitsurlaub", drei Wochen Haushalt im Ferienhaus, weder Auto noch Pelz, kaum Schmuck und kein Erbe, ja, nicht der geringste Eigennutz, das kleinste "sündige" Vergnügen...


- Da freut man sich über jeden doch, der unverhofft an der Haustür klingelt, in der alten – ledernen? – Aktentasche nicht weniger als das Heil der Welt, die Botschaft Gottes an die Menschheit, die Hoffnung auf eine erfüllte Zukunft, die weder den Tod noch das Ruhrgebiet kennt. Herr Schmitz, ein Witwer, der mir zum Ende der wohl wöchentlichen Besinnungsstunde zwei Pullmoll in die Kinderhand kullern ließ, schon damals aus der Dosieröffnungsbox, und mit menschenfreundlich frischem Atem im Abschlußgebet vom "Erlöser" sprach. Da wurde Erlösung existentiell, da löste sich was auf der Kinderbrust, da spürte man Gottes Atemhauch, und wohl trotzdem mehr Zufall als Marketing. Später hat er wieder geheiratet, was zwar biblisch erlaubt, aber trotzdem nicht im Sinne seiner Gemeinschaft war; da wohnte er außerdem schon in Neuwied, so daß es sich meiner Kenntnis entzieht, ob ihm das Recht zum Predigtdienst nach diesem Fauxpas entzogen ward.


Seine Nachfolgerin war mir ein wenig suspekt, vertrat sie doch allen Ernstes die These, daß nur die Menschen auferstünden. Das war zwar nur von prinzipiellem Interesse, ich hatte kein Haustier und wollte auch keins (in Norddeutschland 2, 3 Katzen; die wurden allesamt überfahren). – Und: wer gab mir das Recht zu dieser Kritik, mir, der ich gerade die Masern hatte, und diese, was sonst, als Gleichwert doch?...


- Nicht, daß sie solchen Sachverhalt auch nur angedeutet hätte; auch gab es kein einziges kritisches Wort zu meiner Mineraliensammlung (und je wertvoller, desto begehrenswerter), und auch der Herr Schmitz kritisierte sie nicht, und statt mir die Leviten zu lesen, zitierte er lieber den biblischen Text zu den Mauern des Neuen Jerusalem, die Tore geschmückt mit Edelsteinen. Mein erster Ansatz von Bibelkritik: Wie konnte der biblisch wertvollste Stein denn ausgerechnet ein Jaspis sein, ein Halbedelstein aus der Gruppe der Quarze und sicherlich auch schon zu biblischen Zeiten ein Schmuckstein, ein Rohstoff für Kunsthandwerk, und nicht der edle Smaragd, das Symbol für das ewige Leben? War das ein Übersetzungsfehler, oder war hier der Autor für einen Moment mal nicht so vom Heiligen Geist inspiriert, obgleich das laut Menschenfreundlichem Werk doch nur das Alte Testament betraf?...


In meiner kleinen Sammlung hatte ich zwar freilich keinen Smaragd, aber immerhin ein Tigerauge, einen Rosenquarz, einen Lapisstein, zudem diverse Feuersteine, die meisten aus der ehemaligen Kiesgrube hinter den Heidetaler Ferienhäusern. Die Halbedelsteine waren aus einem Kunstgewerbeladen gleich neben der evangelischen Stadtkirche; da waren wir einmal vor Weihnachten drin, mir war das zu voll und zu laut und zu hell. Mein mir wertvollstes Stück, schon in den ersten Jahren bei den Ferienhäusern gefunden, ging später leider verloren, vermutlich auf dem Grundstück eines Klassenkameraden; womöglich liegt er da heute noch, und die gläsernen Splitter eben wirklich nur Glas, die mein Klassenkamerad dort beim Rasenmähen gefunden hatte, Glas, Härte fünf nach der Mohs'schen Skala. In Ruhrstadt legte ich meinen Stein einem Juwelier zur Begutachtung vor, einem freundlichen älteren Herrn; der klemmte sich die Lupe ins Auge und bestimmte ihn als Bergkristall, was zwar prinzipiell schon in Ordnung ging, aber trotzdem ein wenig enttäuschend war, hoffte ich doch auf Wertvolleres denn bloß auf einen Halbedelstein, zudem aus der Gruppe der Quarze, den Täublingen unter den Steinfamilien, doch alle Versuche, was Beßres zu sein, schlugen ja eben schon damals fehl; mein Lieblingsstein war härter als Glas, doch gegen den Industrieberyll (hier und dort schon grün wie Smaragd, dennoch aber kein Edelstein, trotz Härtestufe acht), da war er beim Ritztest chancenlos, so oft ich's auch wiederholte.


- "Freude am Schmuck", ein Bertelsmann-Buch, ein Wunsch, den meine Mutter etwas seltsam fand, doch es ging mir ja nur um die Steine, und freilich: allein um die echten Steine; alles, was synthetisch war, von den Kunstfaserhemden mal abgesehen, war mir zutiefst zuwider; neben synthetischen Edelsteinen auch Filme, die angeblich draußen spielten, die Landschaft aber Kulisse war.


Hingegen war's mir zutiefst egal, ob "Freude am Schmuck" nicht zu mädchenhaft; diesen Vorteil hatten sie ja, die selbsternannten Menschenfreunde, auch wenn ich in ihren Schriften kein einziges Wort zu diesem Thema fand: Ob Homo nun oder Hetero – beides war letztlich egoistische Sünde, beides führte letztendlich zum Tod. – Und: entsprachen ihre Kupferstiche etwa nicht exakt den bekannten Visionen der Propheten Jesaja und Micha? Gründerzeitvillen, hingetupft in einen endlosen Park mit nicht enden wollenden Höhenzügen am nicht enden wollenden Horizont.


- Stuhlgang? Soweit ich noch weiß, noch immer, aber wenigstens ohne Geruch. Keinesfalls Autos, eventuell Züge, und so oder so eine Langeweile, die den Ruhrstädter Sonntag noch weit übertraf.


Das neue Leben im Paradies übten beide Menschenfreunde unter Verzicht auf Privatbesitz auf ehemaligen Gutshöfen ein; bei "meinen" hießen diese Güter, die es neben der Schweiz und Frankreich auch in Mexiko und in Deutschland gab, soweit ich noch weiß, "Versuchsstationen". Dort lebten auch ehemalige Kleinfamilien und demzufolge auch Kinder, so daß es nur allzu verständlich ist, daß hin und wieder Ordnungsbeamte auf diesen Stationen nach dem Rechten sahen. Und so konnte der "Anzeiger" – stolz? – verkünden, wie einem dieser Ordnungsbeamten sogleich die Tränen in die Augen schossen, als die Kinder ihm Lieder des "Sendboten" sangen, und, so man dem "Anzeiger" glauben darf, selbstverständlich vor Freude. – Und so galt dann auch die "Familienversammlung" – die wohl monatliche Hauptversammlung – nicht der Klein- , sondern einzig der Glaubensfamilie, auch wenn, soweit mir das bekannt, meiner Mutter, die ja eh kein Mitglied, sondern nur Sympathisantin war, niemand je einen Vorwurf machte, daß ich sie einmal (und wirklich nur einmal) zu einer solchen begleiten durfte, und freilich noch "Kleinfamilie" genug, diese im Ruhrstädter Saal zu versammeln, einem Schuppen auf Brachland am Rande zur Bahn, ein kleiner Garten drumherum, und festlich, fröhlich, familiär war diese Versammlung nun wirklich nicht.


Der neue Leiter der Ruhrstädter Gruppe, auch dieser nicht gerade jugendlich, kam aus dem Schwarzwald und liebte die Pilze und schwärmte oft vom Parasol, der, paniert gebraten, wie ein Kalbsschnitzel munde, wie ja auch unser Pilzbuch schrieb, und beklagte das Schicksal des Menschengeschlechts, da dieses doch stets "in Wollust gezeugt", ein Wort, das meine Mutter zitierte (und durchaus mit kritischem Unterton), als ich zwar Wollust, doch weder das Wort und schon gar nicht dessen Bedeutung kannte. Das war der Bruder Mayen; Herren und Damen, Männer und Frauen gab es nicht bei den Menschenfreunden, und auch das einzige Ehepaar in der Ruhrstädter Versammlung lebte nicht mehr als Mann und Frau zusammen, sondern wie Bruder und Schwester; wenigstens trug der Mann einen Bart und fuhr einen Citroen Ami 6. Bruder Mayen liebte Käsekuchen, und diesen sogar mit Sahne. – Sagte er "Quark" oder "Käse"? – "Käsekuchen", ein ekliges Wort, damals wie noch heute.


Auf der besagten "Familienversammlung" war ich, wie erwartet, das einzige Kind, und lachte, als Bruder Mayen sagte, daß uns der Teufel doch immer wieder einen Knüppel vor die Beine werfe, mit diesem uns zu Fall zu bringen; zwar verursachte dieses Mißgeschick tatsächlich ein leises Schmunzeln im Saal, mir aber war es nun doppelt peinlich, und ist's auch im Paradies so still, so mottenkugelig und dielenknarrend, dann lieber wohl doch in den kirchlichen Himmel und hier jetzt nun erst mal die Erde.


- Und überhaupt, Menschenfreunde und Mottenkugeln, Menschenfreunde, die doch auch Tierfreunde sind, und weiterhin sah ich Fernsehkrimis und regte mich unangemessen auf, wenn der Täter am Ende erschossen wurde und so der gerechten Strafe entging; und da das fast immer Mörder waren, Todesstrafe, Rübe ab, Galgen, elektrischer Stuhl. Das gibt Krebs, wenn man sich schon als Kind so aufregt, und dann noch ob solcher Nichtigkeiten, das glaubte ja selbst mein Vater schon, obgleich der ansonsten, genau wie meine Schwester, herzlich wenig mit den Menschenfreunden anfangen konnte. Und immer noch hoffte ich insgeheim, das Jahr 2000 erleben zu dürfen, so, wie im Jahrbuch "Das neue Universum" auf der vorderen Klapptafel dargestellt, mit Magnetschwebebahnen und Wohnraumglocken und allem, was sonst noch als Fortschritt galt. – Noch schädlicher als der nichtige Zorn war ein blauer Fleck in der Seitengegend, ein "Bluterguß", und üblicherweise verursacht durch die Faust eines Klassenkameraden; kam beides zusammen, war die Aufregung groß, 1969 gar so groß, daß mein Vater den fast schon versprochenen Jugoslawien-Urlaub kurzerhand für gestrichen erklärte. Fräulein Hertz soll meiner Mutter gesagt haben, daß die anderen mich nicht leiden können, weil ich ihnen "geistig haushoch überlegen" sei, doch selbst wenn es so gewesen wäre – ich hätte mich hier so zurückhalten können wie etwa im ungeliebten Sportunterricht. – Und überhaupt, "haushoch überlegen"... sie hätte mich nicht so loben sollen, als ich bei der Frage nach Wörtern mit "äu" das Wort "Täufe" nannte, einen Begriff aus der Bergmannssprache, und ich, um die Situation abzumildern, einen Klassenkameraden, dessen Kommunikation mit mir sich vorzugsweise darauf beschränkte, mir auf die Oberarme zu boxen, ansprach und sagte, daß sein Vater als Bergmann diesen Begriff sicher kennen würde; er sah mich so verächtlich wie immer an und boxte mich auch weiterhin.


Im Juli '69 der Bundeskongreß der Menschenfreunde auf dem Stuttgarter Killesberg. Die hatten sogar einen Sonderzug. Das Oberhaupt der deutschen Gemeinde fuhr in einem Mercedes vor, wie meine Mutter erzählte, sogar mit Chauffeur; vielleicht war's ja auch bloß ein Taxi.


Ein Ferientag, mein Vater im Amt. Nicht, daß beim Eis geknausert wurde, doch die Sorten wiederholten sich. Ich begehrte die große und nie gekaufte (und eigentlich eher fade) Fürst-Pückler-Packung aus der offenen, vereisten Langnesetruhe der Bäckerei am Lessingplatz, und nun endlich die Gelegenheit. Doch war es mir freilich unmöglich, die ganze Packung auf einmal zu essen; zum einen war ich – trotz Bauch – kein Fresser, zum anderen hatte ich Angst vor dem Gleichwert, und sei es profane Übelkeit. Also steckte ich das, was übrig war, in das offene Kühlschrank-Eiswürfelfach und drehte die Regulierung auf sechs. Das hielt aber kaum bis zum Abend, und der Rest der begehrten Köstlichkeit ging halbgetaut ins Klo.


Tags darauf kam meine Mutter heim, im Gepäck die versprochenen Mickymaus-Bücher, nur währte die Freude kürzer noch als die Vortagsfreude am Pücklereis; die ganze Familie war anwesend wohl, und der Kühlschrank nun so eisverkrustet wie die Bäckertruhe am Lessingplatz, zumindest rund ums Eiswürfelfach. Die Fragen wollten und wollten nicht enden, und hätte meine Mutter auf dem Treffen in Stuttgart ernstlich den guten Vorsatz gefaßt, fortan sich nicht mehr aufzuregen, so hätte sie diese Prüfung jetzt sogleich an ihre Grenzen geführt, log ich so überzeugend doch, wie ja die andern nur sagen konnten, daß sie das Drehrad nicht verstellt. Zudem war während der Rückfahrt im Zug eine Glaubensschwester gestorben, ein Vorfall, der selbst einen Menschenfreund nun wohl doch ein wenig unruhig macht. – Kam auch im Zug eine Unruhe auf? War für die deutschen Menschenfreunde wirklich ein ganzer Sonderzug nötig? Wo hatte ich das Geld für die Eispackung her? Hatte ich Zugang zum Haushaltsgeld, und wenn ja, mit welchen Vorgaben dann? Warum und wieso schmolz das Speiseeis, während der Kühlschrank völlig vereiste? Wie und wo hab ich die Pappe entsorgt? War Dagobert Duck eine Alternative? Der schwimmt im Geld und lebt trotzdem ewig, und gewiß in einer besseren Welt als die Menschenfreunde in Gründerzeitvillen im Langweilpark vor Mittelgebirgen.


Auch wenn wir bis 1968 nur das erste Programm empfangen konnten, so war ich doch ein Fernsehkind. Samstags nach dem Wochenbad, wenn ich im Wohnzimmer eingecremt wurde, auf daß diese scheußliche Waschhaut verschwinde, lenkte ich mich von eben dieser mit Mahalia Jackson ab. Da gab es auch keine Vorurteile, im Gegensatz zu den Gastarbeitern; Hundertfünfundsiebziger und Messerstecher. Das mußte ja nicht gleich bis zur Mischehe gehen, so niedlich die Kinder auch anzuschaun; und überhaupt, wer kannte schon einen persönlich, gleichsam den Neger vom Lessingplatz?...


Am Karfreitag mußte man traurig sein. Meist kroch ich zu meiner Mutter ins Bett, die gleichermaßen Martin Luther und Martin Luther King verehrte und mir den Sinn dieses Tages erklärte, wie das halt damals so üblich war. Die Neger hätten den armen Jesus nun ganz gewiß nicht ans Kreuz geschlagen, die priesen ihn doch mit Leib und mit Seele wie eben Mahalia Jackson. Fräulein Hertz, meine Klassen- und Sportlehrerin, beklagte schon lange vor '68, daß es stets eine Weiße sei, die zur schönsten Frau der Welt gekürt, wo eigentlich jeder doch wissen müßte, daß tief im afrikanischen Busch noch eine viel Schönere leben könne; sie erzählte uns auch die Schöpfungslegende der, wie man noch sagte, Zigeuner; die ersten zu dunkel, die zweiten zu hell, und die dritten genau mit der richtigen Bräune – im Gegensatz zur inneren "Bräune" der Mehrzahl ihrer Lehramtskollegen, ja, letztlich des halben Landes noch.


Ins Bett ging es während der Woche um neun, freitags, wenn auch nicht jeden Freitag, erst nach dem 9-Uhr-Serienkrimi; der lief bis Viertel vor zehn. – Wiederhole ich mich hier? Egal; wie gesagt, ein Fernsehkind.


Die Zeit der weißen Perlonhemden; '67 eins mit Rüschenleiste. Netzunterhosen mochte ich damals so wenig wie heute Boxershorts; da lob ich mir Feinripp von C & A. Scheußlich die lange Unterhose aus der DDR, allen Ernstes mit Eingriff hinten. Die trug ich aber ganz selten nur, und den Eingriff benutzte ich nie. Ein Mitschüler stieg schon '69 wieder auf Baumwollhemden um, kein Freund, eher freundlich-distanziert, was damals gewiß nicht das schlechteste war.


Meine Schwester sah sich im Fernsehen eine Sendung über Marilyn Monroe an. Ein warmer, heller Sommerabend, die Eltern noch im Garten. Aus diesem heiteren Sommerhimmel überkam mich nun die Zwangsvorstellung, auch ich hätte mich jetzt umzubringen, auf dem düsteren Dachboden aufzuhängen, und gleich, womit ich mich ablenken wollte, es ging und ging und ging nicht weg, und dann kamen sie auch schon nach Hause, und ich wußte nicht, was ich sagen sollte und heulte statt dessen nur rum. Die mir freilich genehmste Lösung, nämlich wie üblich meiner Schwester nun die Schuld in die Stöckelschuhe zu schieben, war in diesem Fall ja kaum möglich, und überhaupt, wie sollte ich, zumal in diesem Alter, mit Worten nun diesen meinen Zustand erklären, und so drückte ich lieber mit aller Gewalt ein paar Tropfen in die graue "Grobripp"-Unterhose, wo Flecken gleich viel größer wirkten, obgleich sie das schon etwas stutzig machte, nahm mich doch normalerweise eine eingenäßte Unterhose längst nicht so mit wie an diesem Abend, einfach, weil das zu häufig war, zum Beispiel fast immer, wenn ich lachen mußte, und sicher war der ganze Spuk schon am nächsten Tag vergessen.


Heideurlaub 1966, nicht weit von unserem Ferienhaus. Eine unserer Steinpilzstellen. Meine Mutter findet zwei ausgesprochen schöne Exemplare, ich hingegen keinen einzigen. "Scheiß Gott", fährt es mir durch den Kinderkopf. Es wird rhythmischer, viersilbig, setzt sich fest, und abgesehen von der Vier bei Musik, bei Geburtstagen oder bei Straßenbahnlinien ist mir die Vier noch heute suspekt.


Ich verbot es mir, auf die Fugen zwischen den Gehwegplatten zu treten; tat ich's dennoch, bewirkte der Fehltritt eine Spannung bis hin zur Atemnot. Da sollte doch mal besser der Kinderarzt schaun. – Der schaute sich lieber was anderes an. Nachdem ich dann minutenlang auf seiner Pritsche gelegen hatte, schickte er mich ins Wartezimmer und mußte ja sonstwas gefunden haben, so lang, wie auch das Gespräch dann ging. Was mag er meiner Mutter erzählt haben? Banales Zeug, weil er mit den Gedanken noch freilich ganz woanders war? Ich kann's – und wie sollt ich's? – nicht sagen; es sei ihm folglich vergönnt. Und so blieb ich ausnahmsweise mal still, als meine Mutter meinem Vater das Spektakel erzählte, und was dieser Kerl sich dabei bloß gedacht, so lange an mir da herumzufummeln.


Räumte mein Vater im Dachbodenvorraum die Regale unter der Dachschräge auf, bestaunte ich stets den Holzhammer dort; ein Werkzeug, das ich sonst nur aus Stummfilmen kannte. Die Fabrik auf der alten Stonsdorfer-Flasche: das wolkenverhangene Stadtpanorama beim Blick aus unserem Küchenfenster; der große Hof mit den Gartenparzellen, die Hinterhofbalkone aus der Gründerzeit, zur Rechten das weitläufige Areal einer ehemaligen Lederfabrik. Am Horizont die katholische Kirche, später dann das Neckermann-Hochhaus und die Kugel des Observatoriums, ich glaube, eines Max-Planck-Instituts. Ein Stilleben, das sich nur dann belebte, zog von der Stadt her ein Wetter auf. Ich mochte es nicht, wenn rund um den Schornstein auf dem Flachdach eines Werkstattschuppens am Rande besagter Lederfabrik der Schnee schon nach Stunden geschmolzen war; keine richtigen Winter, keine richtigen Sommer, im katholischen Ruhrstadt nieselte es, und schon kurz hinter Hamm kam die Sonne hervor. Alles nur Folgen der Schwerindustrie, und überhaupt, das ganze Ruhrgebiet nur Ausdruck der Geldgier der "Schwarzen": CDU = katholisch = reich; SPD = protestantisch = sagen wir, "nichtreich"; so einfach war das damals im Ruhrgebiet.


- "Hideaway" von Dave Dee und Dozy und den anderen mit den komischen Namen: meine erste eigene Single; meine Schwester gab zwei oder drei Mark dazu.


Das frühe Interesse an Politik: Als der Mauerbau noch in den Nachrichten war, fragte ich meine Mutter, warum die Amerikaner nicht einfach Bomben auf diese Mauer werfen, die ich groß und dunkel wie die Giebelseite unserer grauen Mietshäuser wähnte und dünn wie meine wackeligen Legomauern. Vernünftige Frage, vernünftige Antwort: Gefahr eines neuen Weltkriegs.


Im Oktober '63 im Interzonenzug nach Guben. Bis Berlin im Liegewagen; dort stiegen wir um in die S-Bahn nach Erkner, und ich hoffte, die "Schwangere Auster" zu sehen, was "schwanger" auch immer bedeuten mochte.


Die "Deutsche Reichsbahn" war eine Enttäuschung; statt der erhofften Doppelstockwagen Großraumwaggons ohne Übergang, ausgeweidete Vorkriegs-Coupés, im Nichtraucher gar ein Zigarrenraucher; meine Mutter verbot's, ihn zurechtzuweisen.


Mein Großvater stellte Abend für Abend eine Mausefalle in der Speisekammer auf; ich freute mich über jeden Fang wie über ein gelegtes Ei im Hühnerstall meiner Tante bei Oldenburg. In Ruhrstadt rannte ich schon heulend aus dem Zimmer, als im Fernsehen ein Bericht über Tierversuche nur angekündigt wurde.


- Liebesknochen, so ein Windbeutelteil, für meinen Geschmack viel zu fett, doch der klare Beweis, daß Hunger und Not im Osten nur Propaganda war, Propaganda der CDU, Propaganda der Katholiken, Katholiken, die in dunklen katholischen Kirchen auf blutigen Knien zu Heiligen riefen und als Päpste oder als Gastarbeiter vorzugsweise Singvögel fraßen, so daß schon mal wenigstens letzteres nicht das katholische Ehepaar Kraft betraf, bei dem ich fast schon den Eindruck hatte, daß es nicht zuletzt dieses Katholische war, was die beiden mir so sympathisch machte.


Mit dem Liebesknochen in der Hand so weit wie möglich ans Neißeufer, auf jeden Fall bis hinter den Schlagbaum gleich am Anfang der Neißebrücke; konnte ich dann doch immerhin sagen, daß ich fast schon im Ausland war, auch wenn das Land, das hinter der Schranke, noch kein so ganz "richtiges" Ausland war, und das Land davor, nun, ja auch schon fast. Meine Mutter hatte mir eingeschärft, im Osten nur ja keine Scherze zu machen über Ulbrichts "Zickenbart"; als ob das denn je meine Absicht war.


Meine Großmutter, "illegitime" Tochter eines Berliner Dirigenten, war Mitglied im "Biochemischen Verein" und nahm nach dem Krieg sogar mal das Flugzeug, als sie ihre Töchter im Westen besuchte; in Guben nahm sie mich zum Metzgerladen mit, und ich staunte über die Aufschnittmaschine, die nach getaner Arbeit ausging wie von selbst. So was Modernes haben wir nicht im Westen, sagte ich im Metzgerladen, und der ganze Laden lachte. Erst recht aber war der Silberschmuck meiner Tante, alles 835er-Silber, der "glänzende" Beweis, daß es den Menschen im Sozialismus fraglos besser als denen im Westen ging. – Der große, gemütliche Kachelofen in ihrer geräumigen Neubauwohnung. Der Badezimmerboiler mit Holzfeuerung war das einzige, wo ich mir nicht so ganz sicher, ob jetzt auch das ein Fortschritt war gegenüber unserem elektrischen.


Beim Pilze suchen war ich inzwischen meinem Großvater fast schon ebenbürtig. Grünlinge waren mir vom Wochenmarkt vertraut, der war vor dem klobigen, dunklen Rathaus, wo auch das alte Finanzamt war. Und so erntete ich im Herbst '63 neben Grünlingen und auch Pfifferlingen vor allem den Respekt meines Großvaters, überzeugter Sozialdemokrat, der, wie mir meine Mutter erzählte, vor 1933 sogar ein Taxi für die Familie bestellte, um an einer Gedenkfeier für Friedrich Ebert teilzunehmen. Nur einmal zeigte er Strenge, großväterliche Autorität. "Du bist nur mein Großvater, du hast mir gar nichts zu sagen", erwiderte ich.


- Der staunte nun eher, als daß er mich mahnte. Wer weiß, ob man sich je wiedersieht, angesichts der gegebenen Umstände. – Wir sahen uns nicht wieder; schon zwei Jahre später ist er gestorben. Die Eltern meines Vaters hatten mich nur als Kleinkind gesehen; zur Geburt schickten sie ein Glückwunschtelegramm, zur Geburt, wie sie schrieben, des "Stammhalters". – Und was denn auch sonst? Jeder Mann will Nachkommen zeugen; das ist biologisch so vorgegeben und folglich auch bei mir.


Wieder in Ruhrstadt. Meine Schwester spielte mir ihre neue Beatles-Single vor. Für meine Finger waren ihre Platten tabu, erst recht ihr kleines Akkordeon, ebenso ihre Bücher; "Wandern mit offenen Augen" und großem Riß im Schutzumschlag. Mein Heidetaler Stein wurde kleiner und kleiner, ich brach den Stern vom Mercedes 600 ab und blieb zur elektrischen Eisenbahn, dem "Nord-Expreß" von Rokal, vorzugsweise auf Sicherheitsabstand, und wenn nicht, verbog ich sogleich die Schienen oder zumindest deren Steckaufsatz. Das Umland, die Häuschen, die Berge, das alles baute mein Vater zusammen, bis ihm mein fehlendes Engagement den Spaß daran verdarb und Eisenbahn samt Umland in der Abstellkammer verschwanden. Etwas mehr Aktivität beim Metallbaukasten, den ich ja unbedingt haben mußte, weil Jungs nun mal so etwas haben müssen; ich aber schraubte die Bauelemente zumeist zu abstrakten Skulpturen. Eigentlich war mir die Plastikburg, so unverwüstlich wie die kämpfenden Ritter, schon aus diesem Grunde am liebsten. Die hätt ich jetzt fast vergessen.


1965 im Krankenhaus die ambulante Entfernung der Nasenpolypen. Im Winter drauf von Klassenkameraden über eine zugefrorne Pfütze geschubst, einer stellte mir dort ein Bein, und wie immer zuerst mit dem Kopf aufgeschlagen. Eine Mitschülerin half mir auf. Ich jammerte über mein "Zähnchen", die pathetische Form bewußt gewählt, doch in der ersten Person völlig unangemessen mit immerhin achteinhalb Jahren. Meine Mitschülerin bestätigte das; schade, ich mochte sie schon ein wenig. Zählte sie zu denen, die im Sportunterricht, auf daß sich die Jungs, zumindest die frechen, entsprechend revanchierten? Und freilich hätt ich, vom Bauche her, nur allzu gerne mitgemacht. Nur war ich leider auch hier ein Kopfmensch und dementsprechend empört.


- "Das schockt gewaltig", hätte hier mein Cousin wohl gesagt, der Sohn meiner Tante bei Oldenburg. Neben ihrem Wohnhaus eine große alte Eibe, in deren Krone mal eine Schleiereule saß. Auf dem weitläufigen Grundstück zwei große, alte Scheunen; anfangs hielten sie noch zwei Schweine und schickten uns zur Schlachtezeit Pakete mit leckerer Hausmacherwurst und meist auch mit einem Kaninchen. Ein wenig eigen waren sie schon, meine Tante und mein Onkel, der in sich gekehrte Handwerksmeister mit dem mattblauen Goliath-Dreiradwagen und der imposanten Büchersammlung, schon fast eine Bibliothek; eigen wie das ganze Dorf, dessen Friedhof wegen Grundwassereinbruchs Mitte der Sechziger abgetragen wurde; Schädel und Knochen auf freiem Feld, und das wohl über Jahre.


1967 der erste Ansatz einer schulischen Sexualaufklärung. Stolz erzählte ich meiner Mutter die Sache mit den Eierstöcken, und das auf offener Straße. Sie mahnte mich, etwas leiser zu sprechen, und nahm's ansonsten mit Humor. Weniger lustig wurde es, wenn ich mich nach dem Unterrichtsende nicht sofort auf den Heimweg begab, sondern mit einem Klassenkameraden ein Weile noch um den Lessingplatz streunte. Der drückte mich im "Summer of Love" an die Glasbausteine der Turnhallenwand.


Am "Zähnchen" ist seit einigen Jahren eine Kunststoffecke dran, die wird langsam dünn und hat sich vom Tee und vom Nikotin erheblich verfärbt. Würd ich ab jetzt nur noch halb so viel rauchen, hätt ich das Geld für zwei Jacketkronen wohl binnen... – das schaff ich ja eh jetzt nicht.


Neu ist einzig das Korbballgestänge, um welches im Spätsommer Muscleshirts tänzeln. Das Gartengrundstück gleich vorn am Zaun, früher das Gemeinschaftshaus, hat schon seit Jahren mein Schwager gepachtet. Schule, Schulhof, Turnhallenbau: längst wieder ein vertrautes Bild; bleibt lediglich die Frage, ob die Muscleshirt-Jungs nun ohne diese Turnhallensache heute denn so verlockend wären, wie sie's denn heut nun mal sind...


Klaus war ein ganz klein wenig älter als ich und wohnte zwei Straßen weiter. Klaus' Eltern waren wesentlich jünger als meine. Wir spielten mit seiner Carrera-Bahn, die wohl das halbe Zimmer umspannte. Er sagte mir, er habe gelesen, in Holland würden Männer auch Männer heiraten, und daß wir das später ja auch dort könnten.


- Ein Samstagvormittag, irgendwelche Ferien. Mit meiner Mutter zum Wochenendeinkauf, ein Laden so ähnlich wie ein Edeka-Markt, vielleicht noch zur Drogerie; mit etwas Glück eine Tüte Lakritz. Zum Fleischer mit der blonden Verkäuferin, die irgendwas unter der Nase hatte, das bei mir die Befürchtung weckte, sie schnäuze in den Fleischsalat; zum Zeitschriftenhändler mit den duftenden Comics und dem grauen Zweitürer-Kombirekord, bei dem ich mal irgendwas "mit ohne" verlangte; als ich in Englisch "without" gelernt – egal; wir trafen also meinen – Freund? - , und warum und wieso und weshalb nun auch immer schlich ich mit diesem in den – Garten? – des Gemeindehauses am Lessingplatz, lehmig, verwuchert, uniert, in der Einfahrt mitunter ein Autobianchi mit holländisch schwarzem Nummernschild. Wir wollten nach einer Schatztruhe graben, Jungs in diesem Alter tun so was halt, und schon auf dem Rückweg und erst recht dann daheim ein nicht geringes Donnerwetter.


- Nur: sollte ich jetzt vollends zum Stubenhocker werden, also das, was doch sonst stets ein Vorwurf war? Und: wenn nicht rund um den Lessingplatz, wo dann bitte sonst? – Der Hof hinter unserem Mietshaus... schön, das war ein großes Gelände mit Rasen und auch Kletterbäumen, doch da kam man nur durch den Keller rauf, und selbst die helle Waschküche dort mit der großen steinernen Einweichwanne sah eher wie ein Richtplatz aus. Zu den wenigen Jungs aus unserer Zeile hatte ich eh nicht so den Kontakt; da war es schon gut, wenn auch diese mich im Regelfall ignorierten.


- Und außerdem ging ich ja meistens mit, wenn die Eltern in den Garten gingen, und weil man eh nicht helfen konnte, nahm man sich ein Badetuch und legte sich aufs Laubendach, in Gartenbüchern für Rosen und Tulpen Ränge und Werte zu erstellen wie für Halbedelsteine und Edelsteine. Ansonsten war es die spärlichste Laube im ganzen Schrebergartenverein, und das in einem der gepflegtesten Gärten, eine Holzlattenbude mit Teerpappendach und folglich mehr Schuppen als Laube.


- Und freilich vom Vorbesitzer so übernommen. – 1967: eine Bustagesfahrt nach Zandvoort. Ein kühler, windiger Julitag. Ich konnte nur mit den Füßen ins Meer und sammelte ein paar Muscheln. Bei meiner Mutter die ersten Vorboten dort der dann wahrlich nicht leichten Wechseljahre; Panikattacken, Depressionen und sicherlich nicht die Schuld des Kaffees, mit dem sie eine Spalt-Tablette gegen die Kopfschmerzen eingenommen. Die hatte ich auch, und das nicht selten, und eigentlich immer nur links.

'67 kein Ferienhaus, sondern eine Einlieger-Ferienwohnung irgendwo im Hessischen. Abendessen im Dorfgasthaus; Farbfernsehen und Schlachteplatte. Auch das – einzige? – Urlaubsfoto jenes Jahres "in Farbe", wie es dann beim Fernsehen hieß, weißes Hemd auf grauem Balkon vor grauem hessischen Mittelgebirge, bis zum Hals geschlossen. – Und keinesfalls gefordert; ich empfand es als schlichtweg unangenehm, wenn die Kragenecken Hals und Kinn berührten, und Fotolächeln schon damals nicht mein Ding; das Paßbild in diesem Kinderausweis ist da wirklich das einzige, wo das ganz natürlich wirkt und vermutlich ja auch so war.

Wiesenchampignons in Hülle und Fülle, die allesamt auf der Wiese blieben, weil ausgerechnet in diesem Jahr wieder irgendwelche Laiensammler den üblichen Irrtum begangen hatten, und diesen folglich nur einmal. Später siegten dann doch Begehren, Erfahrung und Vernunft. Sammler, die keine Blätterpilze sammeln, sind potentielle Frevler schon und sollten Wald und Wiese gefälligst den Kennern überlassen.


Beim samstäglichen Abendbrot, Tatarbrötchen oder Kartoffelsalat, schlürfte ich vom Bier meines Vaters den Schaum und sonntags auch mal einen Fingerhut Schnaps, bei meinem Schwager sogar einen Scotch. – Mai '68, Polterabend. Hier ein Schluck Bier, da ein Schluck Wein, dort ein Schluck Weinbrand oder auch Korn. "Male nicht den Teufel an die Wand"; ein deutscher Schlager jener Tage. Der Vater meines Schwagers ging relativ früh zu Bett. "Male nicht den Teufel an die Wand": eine Mahnung Gottes? Sollte ich ernstlich davon ausgehen dürfen, daß diese Ehe gottgewollt? – Sie waren gerade vom Standesamt zurück, als der Vater meines Schwagers einen Herzinfarkt erlitt und noch im Treppenhaus verstarb.


1965, zu meinem achten Geburtstag, hatte ich mir für den Nachmittag ein paar Klassenkameraden eingeladen. Da war meine Mutter ein wenig ratlos. Abgesehen von einem Mädchen aus der Familie meines Schwagers hatte ich keine Spielkameraden; ich hätte ja gar nicht gewußt, wie man "Kindergeburtstag" feiert. – Gekommen ist ja eh keiner. War ja auch rasch vergessen dann.


- Und doch, ich war ein normales Kind, ich liebte Spaghetti mit Tomatensoße und viel geriebenem Käse drauf und gekochten Karamel- oder Schokopudding mit kaltgerührter Vanillesoße. Linseneintopf, süß-sauer; wie gut konnte ich den Esau verstehen, der irgendein Recht gab für ein Linsengericht. – Nein, ich war kein normales Kind; abgesehen von der Dompfaff-Familie, die zur Fütterung bis ins Wohnzimmer kam, mochte ich Tiere nur im Zoo und im Fernsehen und ansonsten halt auf dem Mittagstisch. Und trat mal tatsächlich der seltene Fall des Besuchs einer Kneipe oder Gaststätte ein, dann war ich sofort bei den Spielautomaten und machte auch meistens etwas Gewinn; so auch im Lokal nach der kirchlichen Trauung, soweit ein "Feiern" unter den – von Gott gegebenen? – Umständen jetzt denn überhaupt noch möglich war. Dort stand auch eine Musikbox, die ich dann mit den Gewinngroschen füllte, was immer ich auch gedrückt haben mag. Es war mir verboten, "mein Gott!" und "verflucht!" zu sagen, was mir ich beim ersten einleuchtete und beim zweiten ausgesprochen schwerfiel. – Ich war kein normales Kind, denn ich liebte es, zu entbehren. Niemals hätt ich zu fragen gewagt, ob es nicht einmal das Pückler-Eis, ob es nicht einmal, und sei's am Geburtstag, dieser Eisbecher mit der Kirsche drauf zu zwei oder zwei Mark fünfzig statt der ewigen vier gemischten Kugeln mit Sahne für einssechzig... – Hab ich sie jemals daran erinnert, daß die versprochene Fahrt noch ausstand, die Fahrt mit dem Bähnchen mit der kleinen Dampflok und den alten Waggons mit dem offenen Tritt? Der hielt am geheimnisvollen vierten Bahnsteig, abseits der drei Hauptbahnsteige mit Bahnsteigkartenpflicht. Bahnsteigkarten, ein mattes Weiß wie heute noch die Ankunftspläne.


Klaus drückte mich sacht an die Hallenwand. Von hinten wärmten die Glasbausteine, von vorne wärmte mich Klaus; da war und ist und bleibt das Geschwätz von fehlendem Dies und fehlendem Das an sämtlichen Haaren herbeigezogen. Und: hat's Fräulein Hertz vielleicht doch gesehn – und auch das, was die andern so zeigten und taten – und gewußt, was sie tat, als sie nichts getan, dem Entsetzlichen eiligst ein Ende zu setzen?...


- Warum hab ich so oft den Friseur gewechselt? Der vorletzte hatte einen netten Gesellen, der war ebenfalls Mineraliensammler und fragte meine Mutter, ob ich ihn mal begleiten dürfe, auf ein ehemaliges Zechengelände, was nach kurzer Bedenkzeit zwar höflich, doch nicht minder bestimmt dann abgelehnt wurde. – Hat dieses Nein mir das Leben gerettet? Was hätt ich getan, wär ich mitgegangen, und dann hätt er im Schutze der Abraumhalde... vielleicht hätt ich fortan Gefallen an Männern, und zudem dem Friseur ein paar Sternminuten, und wenn schon nicht Stern, so doch wenigstens Schweif, aber gut, das ist Spekulation. Und da sich diese Geschichte mit Sicherheit nach '68 ereignet hat, die Wahrscheinlichkeit eher gleich Null.


- Überall Hundertfünfundsiebziger. Und falsche Achtundsechziger. So wird man gewiß kein Menschenfreund. Da nimmt man sogar einen Rufmord in Kauf. Ein Liebhaber nur der Erze und Quarze, na gut, auch des Nikotins; für eine Schachtel Zigaretten brachte er mir einen Schuhkarton, randvoll mit schwarzem Gestein, ins Haus, schwarzes Gestein mit Pyritadern drin, Katzengold, und Quarzkristalle, klein und eher matt.


Ich durfte mit in die Wahlkabine und sagte meinem Vater, was er ankreuzen soll; so weit ich noch weiß, eine Splitterpartei, die irgendwie für Europa war. Weder kann ich sagen, warum er drauf einging, noch was mich zu diesem Vorschlag getrieben. – Warum nicht die DKP? Nun, diesem Vorschlag wäre er trotz allem doch wohl kaum gefolgt; ich war ja selber noch ein wenig verunsichert damals wegen der Sache mit der CSSR. – Warum nicht Willy Brandt? Eigentlich nur wegen der Reichswehr. Was hatte mein Vater dort alles erlitten, und das unter den Sozialdemokraten ("Damals herrschte das Faustrecht", wie er, fast schon entschuldigend, sagte); kein Wunder also, daß Friedrich Ebert als Gleichwert für das Faustrecht ein so frühes und böses Ende nahm.


Am Montag nach der Wahl dachte Willys Parteifreund wohl nicht mal im Ansatz daran, an seiner Schule mehr Demokratie zu wagen. Statt dessen befahl er der Schülerschaft per Lautsprecher, in die Aula zu kommen, den Wahlsieg seiner Partei zu verkünden. Die wenigen, die nicht zuhören wollten, erhielten noch von der Bühne weg vom Sieger die entsprechende Reaktion, und das freilich nicht mit Worten.


Kam der Schulrat, ein mürrischer Alter mit wer weiß was für einer Vergangenheit, nahm Friedrich Noske den Rohrstock mit. Irgendeine Lappalie wohl, jedenfalls nicht das Weichholzgeländer, wo angeblich eine Rasierklinge steckte und einer Putzfrau das Staubtuch zerschnitt. Hätten sie den, der das war, je erwischt... – Beim Schulratsbesuch: rechts, links, rechts, links, dann der Rohrstock, und freilich nicht bei mir. Vielleicht war der Schulrat ja gar kein Nazi, sondern Glied der "Bekennenden Kirche"; auch CDU-Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier war Glied dieser mythenumrankten Gemeinschaft, seine Unterschrift findet sich auf der Urkunde, die meine Schwester in einer Feierstunde als Landesbeste bei der Abschlußprüfung der Dekorateure, vielleicht sogar von ihm persönlich, überreicht bekam.


Die Fußgänger-Eisenbahnbrücke beim Markt; hin und wieder mit meinem Vater dort rauf, und dampflokbespannte Zuggarnituren schnauften und dampften an uns vorbei, und Schnellzüge nur noch selten. Einer hatte mit weißer Kreide auf die Sandsteinmauer der Wendeltreppe "CDU = NPD" gekritzelt; warum nicht "S..." – egal; die Strecke ist längst stillgelegt, und außerdem hat man die Aufgangstürme vor einigen Jahren zurückgebaut, aufgeschnittene Schneckenhäuser und folglich keine Versuchung mehr für Graffiti- , Sitten- oder Drogenverbrecher.


Ein Werbespot der FDP zu den 69er-Bundestagswahlen pries die sozialliberalen Reformen an den nordrhein-westfälischen Schulen. Da konnte ich bloß noch heulen vor Wut. – Im Sommer '69 – oder '70 erst? – sang ein Schulchor in der Aula zur Entlassung der Neuntkläßler "Blowin' in the wind", allerdings in der deutschen Fassung.


Die Unterführungen nahe der Schrebergärten: nicht selten träumte ich, mich dort nachts und völlig alleine wiederzufinden, und irgend etwas kam auf mich zu, dem ich nicht entrinnen konnte, bedrohlich wie die bleiche Reklamefrau am Gemäuer einer ehemaligen Großwäscherei, bedrohlich wie das Bestattungsinstitut mit dem Sarg in der Auslage, gleich an der Ecke, wo's gradaus zu den Unterführungen und linksrum zu Schule und Gärten geht. Den Sarg haben sie lange schon rausgenommen. Vielleicht läuft da jetzt ein Werbeband, elektronisch und mit Webadresse; bestattungshaus-ruhe-sanft.de, ruhesanft@hotmail.com.


1970. Eine verhärmte Junglehrerin, ich hatte ein wenig mit dem Nachbarn geplaudert, raus in den Vorraum, und nach der Stunde dann mit dem Schulheft rechts und links und rechts und links und rechts und links. Zum Glück war diese Frau so daneben, daß sich die Scham in Grenzen hielt. – Nicht besser unser Zeichenlehrer, der uns technisches Zeichnen lehrte und im hellen, modernen Zeichensaal einem Schüler eine blutige Nase schlug; das war wohl eher Angst als Scham, als er dann ohne ein Wort des Bedauerns seinem Opfer fürs Blut ein Tempo gab.


Mein Klassenlehrer ab der Siebten konnte sich kaum noch bändigen, als er das Wort "Pariser" hörte; ich hatte, allen Kondomen zum Trotz, noch nicht mal eine Vermutung. Die einzige ernstliche Rüge von ihm, an die ich mich erinnern kann, gab's mal in der Straßenbahn nach einem Ausflug in die Gruga; ein Mitschüler hatte sich auf der Drehgelenkscheibe erbrochen, und sicher, wie ich dachte, wegen zuviel Pommes frites, und ich hielt mir vorsorglich die Nase zu.


Fräulein Hertz war womöglich die einzige Lehrkraft mit einem gewissen pädagogischen Anspruch dort, na gut, vielleicht noch der Englischlehrer. Ein einziges Mal nur und eher ein Ansatz, "Schläge" konnte man das wirklich nicht nennen, und sicher noch nicht mal ganz unverdient; ich aber fand das unverschämt und sagte umgehend meinem Vater Bescheid und der vom Amt aus dem Fräulein Hertz, was die sich denn wohl erlaube, und dann hat sie sich auch noch entschuldigt. – Hatte er sich Arbeit aus dem Amt mitgebracht, half ich ihm schon mit vier oder fünf; Pappstreifen, Ordnergrün und -rosa, die ich nach Farben sortieren mußte. Einmal machte ich das nicht sorgsam genug, und er nahm mir die Pappstreifen aus der Hand und warf sie auf die gemaserte Platte aus damals noch weißem Bakelit vom selbstgezimmerten Nachkriegstisch, heute mein Wohnzimmer-Allzwecktisch. Vom Tapezieren abgesehen, da riß ich die alten Tapeten ab, und wirklich mit Begeisterung – half ich ihm später nie wieder? Schon möglich, doch wozu dieses Trauma-Geschwafel; in praktischen Dingen war ich der Fleißigste damals nun wahrlich nicht.


Auf dem Weg zum Schrebergarten kam mir ein älterer Junge dumm. Mein Vater zog sich ein paar Meter weiter eine Schachtel Peter Stuyvesant; als er die Gefahr bemerkte, eilte er herbei und verscheuchte den Jungen mittels einer kräftigen Ohrfeige, das war, zumindest in Nordrhein-Westfalen, so üblich wie völlig legal. Einmal stand er, wie angedroht, am Begrenzungszaun der Schrebergärten, tatsächlich nun zu kontrollieren, ob ich mich auf dem Pausenhof nun endlich mal zur Wehr setzen würde. Ich schlug so tatsächlich wie erstmals zurück und hatte fortan meine Ruhe. Er hatte sogar mit Prügel gedroht für den Fall, daß ich nicht zurückschlagen würde. Manchmal brachte er aus der Kantine ein Täfelchen Cadbury-Schokolade mit; Abend für Abend ließ er mich seine Mappe nach dieser Tafel durchsuchen, auch dann, wenn gar keine Tafel drin, was einer Pfeife rauchenden Psychotherapeutin mit einem weißen Opel Monza, die Praxis vis-a-vis zum FDP-Büro, sehr bedeutsam für alles, was folgte, erschien. – Täglich eine ganze Tafel? Von den handelsüblichen Größen gab es im Regelfall drei Einzelstücke, in Ausnahmefällen vier; bei sechs drohten ernste Gesundheitsschäden, war doch im Viertel eine Frau gestorben, weil sie täglich eine ganze Tafel verschlang. Ihre Leber, so sagten die Leute, sei ganz von Kakao verkrustet gewesen. Ich aß sogar rohe Schweineleber, und das mit größtem Genuß.


- Raus aus der Küche, zurück in den Flur, wo mich abends meine Schwester zu erschrecken pflegte und ich jedesmal wieder aufs neue drauf reinfiel, obgleich ich's doch wußte, daß sie es war, und beim Abbiegen in die sichere Küche nicht selten gegen den Türpfosten lief. Wohl ein einziges Mal nur auf ihrer Seite; ich ging aus Protest sogar mit in die Stadt, als sie dann wütend das Haus verließ; für einen Teenager sicher ein Bärendienst.


1967 die Rachenpolypen, diesmal in der Halsnasenohrenpraxis. Ein weißlackierter hoher Metallstuhl mit viel zu kurzer Rückenlehne. Und wieder eine Äthernarkose, nur diesmal viel zu schwach. Ich spürte den Druck der OP-Werkzeuge und sah Sterne, Monde und Satelliten, die sich mit großer Geschwindigkeit orange durchs tiefschwarze All bewegten. Diesmal war mein Vater mit, der ja nun gar nicht wissen konnte, daß es auch eine erste Klasse, das Wartezimmer für Privatpatienten mit den großen beigen Ledersesseln und einer breiten Magazinpalette. Ein Bericht zur neuesten Herrenmode: Hosen mit aufgesetztem Schlitz, zum Schnüren, über Kreuz. Ich aber trug nicht mal "Nietenhosen"; ich war ja auch schlichtweg zu fett.


Man konnte ja nicht mal ins Kino mit mir, wie der erste und letzte Besuch bewies, "Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten", der wurde von Klaus Havenstein in "Sport, Spiel, Spannung" vorgestellt und fand allgemeinen Zuspruch. – Vorfilme aus dem Erwachsenen-Programm, irgendwas mit Zorro, und einer wurde gehängt. Das ängstigte mich nur mäßig, wußte ich doch von meiner Schwester, daß im Kino nicht selten Grausiges kam, und diese allem Grausigen zugetan, genoß sie doch heimlich am Imbißstand Pommes frites mit Mayonnaise – welche sie sicherlich wieder erbrach, weil man von Pommes mit Mayonnaise sich nun mal erbrechen muß, so jedenfalls die Leute. Und: sah es denn nicht schon so ähnlich aus, und roch es denn wesentlich besser?...


- Schon nach wenigen Minuten naß. In einer Nebenszene ging es um Röcke, und, vieldeutig grinsend, sagte einer der Piloten, er habe auch schon gesehen, was drunter sei. Was ich gesehen, war im Sportunterricht und sah wie eine Miesmuschel aus, und Muscheln war nicht zu trauen, verzehrte doch meine Schwester solche, wie bei den Pommes schlicht ignorierend, wie schnell man durch so etwas krank werden kann.


In Sport ein Neuer und bei dem eine Fünf. 1970 wieder ein Neuer, der drohte mit einer Sechs und brüllte herum in gebrochenem Deutsch, ein Ungarnflüchtling und demzufolge ein Feind des Sozialismus; wir konnten's doch sehen, in der Sechsten wohl schon, im schulischen Pflichtfilm zum Ungarnaufstand, wie gewalttätig dieser Pöbel war. – Ein FWU-Film? Die Filme zu Erd- und Heimatkunde sah ich ausgesprochen gern, da hatte der Westen was Magisches, zumindest was Atmosphärisches.


- Sport, Spiel, Spannung: '69 ein Trainingsanzug mit vier weißen Streifen statt der üblichen drei und ein damals gebräuchliches Trimm-Dich-Rad, eine Liegestützhilfe, wenn man so will, welches man vor- und zurückrollen mußte und hierdurch in sensationell kurzer Zeit sämtlichen Bauchspeck verlieren sollte. Die Werbung versprach freilich viel, die versprach auch den/das Zauberradiergummi, einfach über das Tintenwort ziehen, schon ist es verschwunden wie eben der Speckbauch nach regelmäßigem Rädern. – Kein einziger Millimeter. Hätte ich beizeiten gelernt, was man sonst noch so alles fürs Wohlbefinden vor- und wieder zurückrollen kann...


- Lernte ich aber nicht, obgleich es doch auch auf diesem Gebiet einen vielversprechenden Frühstart gab: Ich stand im Traum am Ruhrstädter Bahnhofsvorplatz und wollte den roten Bahnbus nehmen mit den großen grauen Doppelreifen. Den nahmen wir nie, wohin denn auch, wen hätten wir denn besuchen sollen, mal abgesehen von den Urlaubsbekannten aus Heidetal bzw. Wattenscheid, doch da nahmen wir stets den Zug, diese bahnroten Nahverkehrs-Gliederzüge, ähnlich einem Trans-Europa-Express. Die hatten schmale Kurbelfenster, und einmal, der Zug fuhr gerade an, da kurbelte ich diese Scheibe hoch und hätte mich fast enthauptet. Zum Glück hat's keiner bemerkt.


Die elfenbeinfarbene Innenseite der Wattenscheider Straßenlaternen: ob man das wie Kerzenwachs mit den Fingernägeln herauskratzen kann? Der Hausherr hatte eine umfangreiche und wohl ziemlich wertvolle Briefmarkensammlung, die ich mit großen Kinderaugen und äußerster Vorsicht bewundern durfte; stets schenkte er mir ein paar Exemplare, und einmal hegte ich gar die Hoffnung, er hätte mir jetzt versehentlich den 8-Pfennig-Fehldruck Heuss überlassen, was aber – leider? – ein Irrtum war.


Ein Irrtum auch die Annahme, daß der Vergleich im Urlaubszug gegenüber fremden Mitreisenden – "Sie sehen aus wie Adolf Eichmann" – stets Heiterkeit erzeugt. Der erste Verglichene hatte sich noch ganz köstlich amüsiert, und was immer der zweite auch gesagt haben mag – meinem Vater war die Sache so peinlich, daß er mir diesmal eine Ohrfeige gab, und soweit ich noch weiß, eine kräftige. Schmeichelnd hingegen die Ähnlichkeit, die ich meiner Mutter zur Queen attestierte, und so war es freilich nur angemessen, daß sie irgendwann eine Schleudertrommel der britischen Firma Hoover besaß, mit der, laut aufgestanztem Blech, auch die Queen ihre Wäsche zu schleudern pflegte.


- Zurück zum Traum. Der Bus hielt an und klappte seine Vier-Elemente-Türen auf. Zwar stand ich im Haltestellenbereich, jedoch ein wenig abseits, und mußte mich nun beeilen; der Bus aber schloß seine vier Elemente und fuhr demzufolge ohne mich ab. – Was daran nun erwähnenswert? – Nun, daß ich stets bei der Abfahrt erwachte und hierbei einen Orgasmus hatte, genauer, einen multiplen. Das ist bei Jungs total normal und so häufiger wie angenehmer als die sogenannte "Schlafparalyse", bei der man in der Aufwachphase sich weder bewegen noch atmen kann. Ich war wohl gerade mal fünf oder sechs, als es mit diesen Träumen begann; sie hörten so etwa mit zehn wieder auf und kamen leider nie wieder. Da träumte ich höchstens, nun im eigenen Zimmer, vor dem Einschlafen kurz noch von Doktorspielen. – Zum Abschluß immer ein Niesen, und leider eben: nur.


- "1968": in Ruhrstadt ein bloßes Fernsehereignis; für die eigene rechte linke Gesinnung sorgten die Bücher aus der DDR; erwähnte man die in der Schule, wurde man seltsam angeschaut. Da war meine Mutter doch sehr erstaunt, daß ausgerechnet nun Frau Kraft, die so freundlich wie katholisch war, Bölls harsche Kritik an der Kirche lobte, Frau Kraft, die sogar die Bar einer Frau aus der weiteren Nachbarschaft tolerierte, eine Bar "nur für Herren", wie Frau Kraft meiner Mutter und keineswegs kritisch gesagt haben soll; diese brachte Frau Kraft hin und wieder frische Blumen aus unserem Garten für ihren kleinen Hausaltar. Jedesmal war ich miteingeladen, lud sie zu ihrem Geburtstagskaffee. Da kamen auch Priester und Kapläne, das Zweite Vatikanum in der Hardenbergstraße, gelebte Ökumene.


Als sie uns erstmals in Wenden besuchten, durfte ich sie in ihrem Mercedes zur Heiligen Messe nach Norddorf begleiten. Doch gleich, ob im Norddorfer Kirchenneubau oder früher in ihrer Etagenwohnung: in Gegenwart des Ehepaars Kraft fand immer eine Heilige Messe statt. – Sie gingen zur Aschermittwochsbeichte und empfingen vom Priester das Aschenkreuz. – Nie hätte sie "irgendwas" geschenkt; zum letzten Geburtstag in Ruhrstadt sogar einen echten Rubin aus Ostafrika in schwarzgrünem Zoisitgestein; keiner sollte sich "Menschenfreund" nennen, dem Geburtstagsfeiern Sünde sind. Aus Spanien brachten sie mir ein Steinchen aus den Mauern der Alhambra mit. Ein lapisblau bemaltes Steinchen aus den Mauern der Alhambra: Das war Kunst, Kultur, Kulturgeschichte und so wenig meine Sache wie die Theologie (trotz Schauspiel und Ballett via Fernsehprogramm, zum Beispiel Dürrenmatts "Physiker", der mir nach diesem TV-Bühnenstück – meine Eltern renovierten wohl gerade die Küche – ein Zeitgenosse Shakespeares war, Shakespeare, der, wie meine Mutter erzählte, in geistiger Umnachtung starb, und folglich dessen Würdigung seitens der guten DDR und das sogar mittels Sondermarke mir nun doch ein ziemliches Rätsel). "Biedermann und die Brandstifter" wurde als unrealistischer Quatsch verworfen; lobens- und vorlesenswert hingegen die Weihnachtserzählung Truman Capotes, von dem ich schon in Ruhrstadt wußte, daß er der Autor von "Kaltblütig" ist, dem brutalsten Buch der Welt. – Und hätten sie diesem Sokrates statt Schierling einen Gurkensalat und hinterher ein Glas Wasser gereicht – ich liebe noch heute Gurkensalat - , und auch Fräulein Hertz hatte uns gewarnt, auf Gurkensalat ein Glas Wasser zu trinken, wir tranken zuhause eh nur Sprudel und kein Ruhrstädter Leitungswasser, das wurde nur zum Kochen benutzt; wer wußte denn schon, was im Ruhrgebiet da an Giftstoffen alles so drin war?...


Ein Geburtstagskaffee meiner Mutter. Die Herrennachtbar-Nachbarin hatte ihre Tochter mitgebracht; ein schwieriges Kind, wie die Leute sagten. – Sport, Spiel, Spannung? Wer weiß, was sie alles spielen wollte, als sie mich dann im Kinderzimmer auf die Sitzliegefläche der Schlafcouch warf, sich auf meinen Bauch zu setzen, mir aber freilich nichts Besseres einfiel, als verkrampft auf ein rasches Ende zu hoffen. Irgendwann sahen die Mütter nach dem Rechten und beendeten sogleich das seltsame Spiel, und doch mit gewissem Amüsement.


Einmal kam eine aus meiner Klasse mit zu mir nach Hause, eine aus der "Asozialensiedlung" nicht weit entfernt von den Schrebergärten, arbeitslose Bergarbeiter, und selbst wenn diese noch Arbeit, aber vier oder gar noch mehr Kinder hatten, ein Volk am Rande zum Asozialen, wie man so sagte am Lessingplatz, und dann mußte ausgerechnet Frau Kraft ihre Etagenholztreppe bohnern und mich geradezu, ja, beglückwünschend fragen, ob das meine Freundin sei. Das alles war nicht meine Idee, doch wie konnte es überhaupt so weit und wir uns derart nahe kommen und somit zu dieser "Heimsuchung" jetzt? Und dann zog sie in der Wohnung ihre Schuhe aus, die ist asozial, die baden doch nicht, die waschen sich nicht, die wechseln auch ihre Wäsche nicht; nun, meine Furcht war unbegründet, und doch, allein die Möglichkeit, und dann noch bei einem Mädchen...


In den Heidetaler Ferienhäusern endlich mal ein Junge in meinem Alter; der hatte sich auf der Liegewiese sein kleines Einmannzelt aufgebaut. Da schaute ich ab und an mal vorbei, wenn ich nicht gerade Pilze suchte oder oben in der Kiesgrube Steine. Nun wollte er mit mir Doktor spielen, und freilich, ich ahnte es: Frauenarzt, und legte sich auf die Luftmatratze, meiner Untersuchung harrend. Zum Glück, wie ich damals der Meinung war, schaute just in diesem Moment sein Vater bei diesem Zelt vorbei, dem ich sogleich berichten mußte, und freilich entsprechend moralisch entrüstet, was denn sein Sohn da vorhatte nun. Wie dieser sich dann gerechtfertigt hat, ist mir komplett entfallen. Und sicher, gewiß, der Vater verbot's, aber so, wie man, sagen wir, Süßes verbietet, und selbst das erst nach längerem Zögern.


- War die Ferienfreundschaft damit beendet, sein Einmannzelt tabu? – Nein, so heftig dann auch wieder nicht, doch bleibt die Erinnerung vage. Überall Hundertfünfundsiebziger. Das wußt ich ja nun, was das heißt...


Ebenfalls in diesem Sommer eine seltsame psychosomatische Störung, die auch heute noch auftreten kann: man sieht nur einen Ausschnitt scharf; das Drumherum bleibt schemenhaft. Hängt vielleicht mit der "richtigen", der organischen Fehlsichtigkeit zusammen. In der Karlsruher Sauna sagte mal einer, ich hätt schöne blaue Augen. In Berlin meinte einer, ich hätte schöne... nun, auch das ein Kompliment.


- Nadelbänder um die Oberarme. Die sollten ihre Lektion schon lernen, die Strolche, wie meine Mutter sagte, daß man sich nicht an Schwächeren vergreift. Ein Vertreter konnte meine Eltern überreden, mich für einen Judo-Kurs anzumelden, damit ich mich endlich wehren kann. Ich wurde in letzter Minute zur Bodenturn-Gruppe umgemeldet, ich kann mich an die Kerzenübung erinnern und an einen Mitturner, der Roger hieß und deutsch ausgesprochen wurde und daß ich mit ihm nicht sonderlich klarkam und er wohl auch nicht mit mir.


- Februar/März '68; für eine Woche nach Kamp-Lintfort ins Schullandheim auf dem Dachsberg. Mit dem Herbergsvater hämmerten wir Aschenbecher aus einer kleinen Aluminiumscheibe. Nicht wenige Jungen nutzten die Tage, im Schnellkurs das Verliebtsein zu üben. Einige waren schon älter, "Sitzenbleiber", wie man sagte; die rochen unangenehm erwachsen, hatten schon Haare untenrum und wußten bestimmt, was "Ficken" bedeutet, das Wort, das man immer häufiger jetzt, etwa an Bushäuschen, finden konnte. Ich verguckte mich, wenn auch nicht allzu heftig, in eine mit Haaren so kurz wie ein Bub und fragte, ob sie nicht meine Freundin... – Nicht wegen mangelnder Sympathie; ich war ihr einfach "zu dick".


Am Bahndamm ein Discountgeschäft, ein "Großhandel", wie man sagte; ein ehemaliger Luftschutzbunker, steile Treppen, schmale Geländer, fahles Neonröhrenlicht, das leckere Lakritzkonfekt und die nicht minder leckeren "Katzenpfötchen", vielleicht sogar ein "Mars" oder "Nuts" oder wenigstens doch ein "Milky Way". Und zitierte ich bei Tisch Tick, Trick und Track – "Lobe immer den Koch, ganz gleich, wie's geschmeckt hat" - , so war's freilich nur ein Scherz.


Im Schullandheim Etagenbetten. Einmal fand ich tatsächlich den Mut, auf ein freies Bett nach oben zu klettern, mit diesem Klaus aus der Nachbarschaft zu tun, was wir abends in meinem Bett dann nur allzugern wiederholten; keine Ahnung, was die anderen...


- Waren die alle vom Lessingplatz? Mag sein, aber was hieß das schon groß, höchstens, daß man nicht verprügelt wurde. Mit einem von denen hatte ich trotzdem mitunter nicht geringe Probleme, der wohnte da, wo die Heißmangel war, seine Mutter litt an Tetanus; die Leute sagten, sie habe sich beim Kartoffelschälen infiziert, ein winziger Schnitt, noch nicht mal geblutet, und gerade ja das ihr Verhängnis. Ich war mal mit meiner Mutter bei ihr wegen irgend so einer Rauferei und bewunderte ihren Palisanderschrank, obgleich Palisander doch eher Protz als wirklich Stil verkörpern tat, im Gegensatz zu unserem praktischen und damals modernen Wohnkleiderschrank von '67 mit Sapeli-Furnier, das sieht so wie Mahagoni aus und muß, wenn ich's so von der Seite betrachte, dringend mal wieder gereinigt werden, vor allem vom Nikotin, das gute, treue Stück, das im Gegensatz zu seinem heutigen Besitzer... – Eines Nachmittags fielen sie über mich her und drückten mich auf mein Bett, zogen mir die Hosen runter und fummelten dann da rum. Das war unangenehm und ungehörig, doch längst nicht so schlimm wie die Sache mit dem Zahn. Warum nun aber auch dieser Klaus, der doch eigentlich mein Freund sein wollte... – und trotzdem, das war nun nicht etwa das Ende unsrer erotischen Zweisamkeit, jedenfalls nicht im Schullandheim. Außerdem wußte ich nur zu gut, daß ich hier nicht so ganz unschuldig war, daß es zu diesem Übergriff kam. Wer vor Unbeteiligten Dinge tut, die vor solchen eher unüblich sind, der sollte sich nicht wundern, wenn diese das dann mißverstehn; in der Sauna sind die Regeln weit klarer. Doch solange nur alle die Klappe halten... – und nochmals: es gab Schlimmeres.


Auf der Ruhr, vielleicht war's auch bloß ein Kanal, trieben Industrieabwässer wie der Fichtennadelschaum im Samstagsbad. Der Alltag hätte also wieder beginnen können, wenn nicht... ja, wenn nicht einer vom Zimmer, einer der "Täter" noch zudem, der Wahnidee verfallen wäre, die ganze Geschichte seinen Eltern zu beichten, ohne nun freilich sich selbst zu belasten.


- Die ganze, also samt Vorgeschichte? Darüber wurde nie ein Wort verloren. Leute aus der weiteren Nachbarschaft; seine Mutter erzählte es meiner Mutter beim Samstagseinkauf am Lessingplatz. Schon im Flur wurde ich zur Rede gestellt. Ich senkte den Blick und fühlte mich... schuldig? Mein Vater schwieg bis zum Mittagessen, dann wurde er, wie ich's nicht kannte, laut, und schlug mit der Faust auf den Küchentisch, als wollte er sagen, nun ist's aber gut, das sind doch schließlich nur Jungs. Ich aber spielte das Opfer jetzt und zitierte und mit gebotener Abscheu einen Witz, den dieser Verräter erzählte, mit Stock und Wischmop irgendwas, und sie lachten, bevor dann auch sie sich empörten, meiner Empörung recht zu geben. Dieser Klaus aber, das war der Schlimmste von allen, doch hatten sie's mir ja schon immer gesagt, halte dich besser fern von dem, das ist kein guter Umgang für dich, schon gar nicht in den Tagen von Kolle und Dutschke und Bartsch und wie sie alle heißen mochten...


- Keine Schulprügel, keine Sanktionen. Episödchen, Anekdötchen, und ich stand dumm in der Gegend herum mitsamt meiner Mineraliensammlung, wenn einer fragte, was willst du mal werden. Nun... wäre das Corpus delicti so groß wie mein Gedächtnis – ich hätte die besten Chancen auf einen Dauerplatz im Guiness-Buch. Träfe hingegen die Umkehrung zu... – das wäre ja fast schon Alzheimer dann...


- Egal, verwirrt war ich so oder so; ich glaubte dem Opel Kadett meines Schwagers die angezeigten 160 Stundenkilometer. Ich mochte die Schweiz, und weil ich sie mochte, mußte sie sozialistisch sein. Die Kurzwellenspalte in der "Hör Zu" wies auf einen Wettbewerb der kubanischen Regierung hin; ein Aufsatz mit maximal 500 Wörtern zur Bedeutung der kubanischen Revolution für die Völker Lateinamerikas. Erster Preis war eine Reise nach Kuba. Ich schrieb mit annähernd 500 Wörtern, daß die kubanische Revolution den Völkern Lateinamerikas das Glück des Sozialismus gebracht. Wie konnte ich nur den mir wohlbekannten brasilianischen Faschismus vergessen? Die folterten, wie ich inzwischen wußte, ihre Opfer sogar an den Geschlechtsorganen.


- "Der weiß doch gar nicht, wo die Glocken hängen": eine dort übliche Redensart, die meine Mutter übernommen hatte, wenn sie in meiner Gegenwart mit meiner Schwester über intime Dinge sprach. Erst als deren wachsende Rundung nicht mehr zu übersehen war, klärten sie mich über diese auf (und freilich nur über den Sachverhalt), und waren erleichtert, daß sie's nicht mußten, weil ich's natürlich längst wußte.


Die Endstufe der schulischen Sexualaufklärung ein paar Tage vor Kamp-Lintfort: Zündschlüssel rein, doch nicht rum. Warten, bis es rieselt? – Noch '70 ging ich davon aus, daß Sperma etwas Körniges sei, so ähnlich wie Gemüsesamen; da wollte ich am Anfang der schulischen Aufklärung meinem Vater bei einer Gemüseaussaat mein Schulwissen nicht verschweigen, daß auch die Tiere Samen haben. Er ging nicht weiter darauf ein, nur: welcher Vater wäre in den 60ern in einer solchen Situation nicht in Verlegenheit geraten? Im Bertelsmann-Gesundheitslexikon stand auch nicht mehr, als daß das Glied herumkreisen müsse, bis aus der Scheide ein Gleitmittel flösse; das sogenannte "Vorspiel". Die Tafeln des Bertelsmann-Volkslexikons, ein Geschenk meines Schwagers zum achten Geburtstag, legten die Vermutung nahe, Männchen und Weibchen würden sich, vielleicht den Sammelbild-Seepferdchen ähnlich, mit den Rücken berühren oder verhakeln, und dann würde da irgendwas überspringen; zudem ließ dieses "Wunschkind"-Gerede die Möglichkeit einer Schwangerschaft auch ohne diese Vereinigung offen, und das sogar noch in Wenden.


Mein kinnbarttragender Englischlehrer engagierte sich öffentlich für die schulische Sexualaufklärung. Als er mal für einen Tag Urlaub nahm, dachte ich, um abends den Geschlechtsakt zu vollziehen, und freilich mit seiner Ehefrau; sagte doch das Bertelsmann-Gesundheitslexikon, Ausgabe '65 wohl, daß man sich den ganzen Tag darauf vorbereiten müsse, und daß schon ein einziges grobes Wort die Sache am Abend mißlingen ließe, was irgendwie freilich schon menschenfreundlich, bezogen jedoch auf Geschlechtsverkehr dann doch, ja, ein bisserl absurd. Auch in der Bücherei nichts zu finden, was mich hier wirklich nun weitergebracht. Sex als chirurgischer Eingriff: die Standardansicht noch heute.


Ab und an zum Finanzamt geradelt, nicht, um meinen Vater bei der Arbeit zu stören, sondern wegen der Amtskantine, und diese in der obersten Amtsetage, mich dort bei einer Tasse Bohnenkaffee, ungesund schwarz und mit Zucker drin, nun doch schon ein wenig erwachsen zu fühlen, und wegen des Panoramablicks; Ruhrstadt, endlich mal überschaubar, fast schon wie bei Neckermann im Restaurant in der 10. Kaufhausetage. Neckermann führte im Sommer '70 einige Sonderaktionen durch, zum Beispiel die mit dem großen Safe, und es galt, die Kombination zu finden, oder die große Rauschgiftschau, Haschisch hinter Panzerglas. In Holland hätten sie beide Aktionen getrost miteinander verbinden können; Haschischplatten im Glückstresor. – Im Finanzamtsautomaten Astor-Zigaretten, die hatten einen Filter aus echtem Kork und angeblich irgendwie irgendwas mit dem Waldorfsalat zu tun. Vielleicht waren diese Astor-Zigaretten dann weniger schädlich als andere Marken, teurer waren sie ohnehin, und durften vielleicht auch von Menschenfreunden ab und an genossen werden, ohne gleich den Gleichwert heraufzubeschwören. Irgendwann wurde das Rumgeschreibsel am Kuba-Aufsatz eingestellt. Das Neckermann-Hochhaus wurde schon Ende der Siebziger wieder abgerissen.


Beim Radeln die Stadtbücherei entdeckt und dann an fast jedem Nachmittag dort, manchmal mit Nils, einem Klassenkameraden. Sein Vater war in der Computerbranche, soweit ich noch weiß, ein englisches Wort. Vier oder fünf Geschwister, und überhaupt, "Computer"...


Die Musikabteilung so opulent wie die gesamte Stadtbücherei; Einzeltische mit Kopfhörern drauf, schalldichte Lautsprecher-Einzelkabinen sowie diverse Gruppenräume, abwechselnd "My Fair Lady" und "Hair", vorzugsweise die deutsche Version. "Ging vor rund 2000 Jahren Jesus nicht mit langen Haaren?" – Das aber war ja noch gar nicht die Frage, und folglich erschien mir das Musical "Hair", wenn auch vom "Anzeiger" ignoriert, durchaus schon ein wenig menschenfreundlich. – Ich deutete mal auf dem Pausenhof die 68er-Sache an und sprach von "Homosexualität", doch das war ihm wohl eher peinlich. Dabei brachte doch selbst das erste Programm schon am Nachmittag eine Diskussion zu homosexuellen – Praktiken? Neigungen? – bei Kindern und bei Jugendlichen, und ich sagte meiner Mutter, daß da im Fernsehen gleich was kommt über Sittenstrolche, so, wie der ... ich nannte ihn nicht mehr beim Vornamen; sie ging aber gar nicht erst weiter drauf ein, und ich schaute die Sendung dann doch nicht.


"Schonzeit für Füchse", ein Jungfilmer-Streifen, meine Eltern weckten wohl irgendwas ein, und ich meldete ihnen mit echter Empörung die gezeigten "abscheulichen Liebesszenen", obgleich ich doch wußte, daß Sex und Liebe ganz gewiß nicht das gleiche sind, und Liebe, so der Älteste, "das am meisten mißbrauchte Wort" überhaupt. Im Film wurde eine – lebende? – Ente von Willy Birgel zu Tode gewürgt, der einen – faschistischen? – Jäger mimte, und das noch weit schlimmer als das Bettgewälze.


- "Abscheulich"? – Sobald ich mal "sturmfreie Bude" hatte, zog ich mich bis auf den Schlüpfer aus und legte mich auf den "sonnenwarmen Teppich", auch wenn das eine Formulierung Kunzes ist und es überdies mehr als fraglich erscheint, schon damals den Topos "sturmfreie Bude" – egal, ich kannte so manches noch nicht. – Und ohne Frage besser, als mir hin und wieder den Bimsstein zu greifen, ein helles, schaumig-trockenes Stück, diesen mit einer Rasierklinge dann von Schmutz und von Ungeraden zu befreien und mir regelmäßig in die Finger zu schneiden, eine Verletzung mir zuzufügen, die mir mit Abstand die unangenehmste. – An einem dieser Sommertage setzte ich mich in die halbvoll mit kaltem Wasser gefüllte Badewanne und behielt dabei den Schlüpfer an. Wie und wo hab ich den später getrocknet? Ein Rätsel wie im Sommer zuvor der Verbleib der Pappe vom Pücklereis.


Teenager mit Jimi-Hendrix-Shirts. Meine Mutter erklärte es mir; ein Beatmusiker, so sagte sie wohl, der vor kurzem an Rauschgift gestorben sei.


Kurzzeitig leere Flaschen gesammelt, Weinflaschen, für 10 Pfennig das Stück im Komplex der früheren Lederfabrik einer Händlerin gebracht. Die wälzte sich dort mit einem Mann – bekleidet! – auf einem Matratzenlager, als wär's ein französisch-italienischer Film. Das war denen kein bißchen peinlich, und selbst meine Mutter und auch meine Schwester amüsierte diese Geschichte jetzt – und mich womöglich auch? War ich hier etwa so tolerant wie zwei, drei Jahre früher schon, als ich daheim meine Schwester ertappte beim Kuscheln mit ihrem künftigen Mann?


- Und beide freilich nicht minder bekleidet als das Pärchen beim Bacchanal. – Und freilich nur dann, wenn – einmal im Monat? – die Schrebergärtner Kegeln hatten. – Federball, da spielt sich alles im Bett ab: so meine übliche Redewendung an eben diesen Abenden, abgeleitet von der – Fernsehwerbung? – für den James-Bond-Film "Feuerball", James Bond, den ich freilich schon damals nicht mochte, wurden die Schurken doch immer erschossen oder gar in die Luft gesprengt. Woher aber wußte ich das? Wie konnte es mir bei James Bond gelingen, ausgerechnet bei James Bond, ein Minimum an Information zu einem plausiblen Ganzen zu fügen, während ich doch zur gleichen Zeit, allen Bertelsmann-Lexikontafeln zum Trotz, nicht die geringste Ahnung hatte, was sich zwischen Mann und Frau beim Bettgewälze abspielen mochte, und dieses mein Sprüchle dennoch stets vortrug mit der gebotenen Zweideutigkeit? Ein seltsames Kind...


- Wie heißt doch gleich dieser Halbedelstein, dieser Quarz, aus dem ihre Tischplatte war? Sie hatten eine echte Ledergarnitur, sie hatten sogar eine Stereotruhe... – und dann legten sie ausgerechnet Heintje auf, und freilich wollte ich höflich sein und mußte es irgendwie mögen. Ich fand's aber bestenfalls peinlich; das mochten "die Leute", die Leute, die sagten, die Leute, die ich schon längst nicht mehr mochte, die Leute, die alles entschuldigen mochten, was "menschlich-allzumenschlich" war, egal, ob Zigarettenrauch oder gar Kondomgebrauch.


- Zu welchem mich heute meine Nichte ermahnt, wenn sie mir hin und wieder ein Päckchen aus ihrer Apotheke schenkt. Sie neigte als Kleinkind zu Krämpfen; den ersten bekam sie mit knapp einem Jahr, mitten in der Nacht und dann noch bei uns, und ich meine erste Panikattacke. In beiden Fällen nicht lebensbedrohlich; ich hatte mit zwei einen Fieberkrampf und ebenfalls bis zur Bewußtlosigkeit, es gibt familiär eine Anfälligkeit für Spasmen aller Art.


- Ein Angebot auf unsere Wohnungsannonce: Wenden im Landkreis Nordstadt am westlichen Rand vom östlichen Rand der Lüneburger Heide. Ein Einfamilienhaus mit Gartengrundstück, 250 Mark kalt. Brauchten wir ein ganzes Haus? Und 250 kalt... – Und hätte meine Mutter die Absagekarte selber in den Kasten geworfen... – Keine Ahnung, warum nun ich das sollte, vielleicht auf dem Weg zum Bäcker, dieses Buttermilchbrot mit dem Siegelpapier, das man vielleicht sogar mitessen durfte, Hefegebäck oder Brötchen holen... – Egal, ich zerriß die Antwortkarte und gab abends meine Entscheidung bekannt, ohne Anlauf noch Zweifel noch Angst. Dann soll es wohl so sein.


- Realschule Norddorf: man könnte es zumindest versuchen; außerdem hätte ich dann den Ältesten unseres Vermieters als Klassenkameraden, was mir die Integration ins neue norddeutsche Lebensumfeld sicherlich erleichtern würde. Die nordrhein-westfälischen Hauptschulen galten damals, vom Lernstoff her, als mustergültig, und so nahmen sie mich ganz problemlos dort auf, und sogar für das laufende Schuljahr. Ein Altbau, der nach Strenge und nach Bildungsdünkel roch. – Und doch: es konnte nur besser werden, es konnte ja schlichtweg nur besser werden. Täglich mit dem Schulbus fahren. Endlich richtige Freunde finden. Alles wie im Film.


Die Speditionsleute rauchten "Reval", und "Genußraucher" waren das wohl kaum. Der Fahrer fuhr noch kurz beim Krankenhaus vorbei, seine Frau, etwas Ernstes, soweit ich noch weiß; er fand die richtige Ausfahrt nicht und fuhr stundenlang durch ein Sperrgebiet. Er hätte Soltau nehmen müssen, so wie ich in zweieinhalb Wochen. Unsinn, ich nehme wie üblich Südstadt, das ist zum einen der kürzeste Weg, und zum andern, wen interessiert's?...


- "In den Wendbergen": so stand's auf der Wanderkarte; den Wendenern aber war's unbekannt. Die gingen meist auf dem "Platz" in den "Busch", den Wald im militärischen Sperrgebiet auf dem Truppenübungsplatz Munster Nord.

Am 1. Oktober, im Einzugschaos, drohte mir wegen eines Widerworts mein Vater die letzte Ohrfeige an. Das war gegenüber einem Dreizehnjährigen – und somit einem Jugendlichen – schon geradezu beleidigend.


- Zum Schuhwerk: von "Salamander" meist; dort gab's beim Kauf ein "Lurchi"-Heft, und am liebsten Schuhe aus schwarzem Lack, möglichst mit hohem, "richtigem" Absatz und vorne so spitz, wie's nur ging; nicht diese mattbraunen Alltagsschuhe mit diesem fließenden Übergang, obgleich es wegen des hohen Spanns schon damals nicht so einfach war, einen Schuh zu finden, der mir gefiel und dann auch noch paßte und dann noch als Paar. – Die "Stanwell"-Werbung, ein Mann und zwei Frauen, und mir in den frühen sechziger Jahren so legitim wie wenige Jahre später die holländische Homoehe.


- Der Lieferwagen einer Brotfabrik, der in einer Linkskurve nahe der Schule eines Morgens die halbe Ladung verlor, und die Schüler johlend die Brote sammelten; ich warf meines wieder fort und wußte nicht, was nun die größere Sünde war, das Wegwerfen oder der Diebstahl. – Die kinderreiche Familie im Hessischen, '63, '64; die hatten, ich denke, Entenküken, die fütterte ich mit Schafgarbe mal, die kannte aber der Vater nicht, genuschelt kann ich noch gar nicht haben, und dachte, ich hätte den Entenküken irgend etwas Scharfes gegeben und wußte nicht, wie er nun gucken sollte, was er jetzt fragen, sagen sollte; zum Glück stand noch genug herum, ich rupfte ein paar Stengel ab, zeigte sie vor, und dann war das geklärt; er hätte sich trotzdem entschuldigen können, und am besten mit einem Lob. – Ich hatte immer nur Sparschweine aus Plastik, weil man da das Geld wieder rausbekam, ohne das Sparschwein "schlachten" zu müssen. – Der Holländer mit dem Ami-Kombi, der in der Aula eine Indianer- und Tierschau präsentierte und uns seine Boa streicheln ließ. – Der Tischgrill, der eher garte als bräunte und folglich keinen Krebs erzeugte; meistens, nein, eigentlich immer nur Buletten mit Schinken- und Käsescheiben, und diese auch halbwegs kroß; keine Ahnung, wie das beim Parasol, und dann auch noch paniert, geriet, und ob dieser menschenfreundliche Grill der Ratschlag einer Glaubensschwester oder gar Bruder Mayens war.


- Der Jahreswechsel 69/70; mindestens bis Mitternacht mit meiner einzigen Spielkameradin allein in unserer Wohnung. Irgendwann knipste sie das Licht aus, ich befürchtete Arges und knipste es nach ein paar Minuten wieder an, doch ob ich mit meiner Befürchtung... fragen kann ich sie heute leider nicht mehr; wir waren derselbe Jahrgang, und auch diese Frage muß hier und heute ohne eine Antwort bleiben, die Frage, warum sie, die Ehefrau und Mutter, und nicht ihr alter Spielkamerad...


Frühsommer '70, ein Gruga-Ausflug des Ruhrstädter Schrebergartenvereins; nur die Männer, vielleicht eine Vatertagstour. Ein Kalbsschnitzel, groß wie ein Parasol, dazu sechs dicke Spargelstangen; acht Mark, gewiß, das war schon Geld, doch für solch einen Luxus noch preiswert, und ich liebte ja nun mal den Luxus, das, was selten und folglich edel war. Als am frühen Abend dann die Gärtner noch was zu besprechen, vielleicht auch nur zu "begießen" hatten (mein Vater hat in der Gartengemeinschaft vorzugsweise die Beete begossen; ich habe ihn weder dort noch sonst auch nur einmal richtig betrunken erlebt), lief ich die Tramschienen auf und ab, dort schon im Eisenbahn-Schotterbett. Das war nicht die übliche Sonntagsdepression. Das war etwas Fremdes, Undefinierbares, fremd und undefinierbar wie so vieles in diesem Schwellenjahr 1970.


- Und sei es das tägliche Taschengeld von immerhin 50 Pfennigen jetzt. Am Schalter der Ruhrstädter Stadtsparkasse 50 kanadische Silbercent und ein druckfrisches britisches Pfund gekauft; das stand damals bei über neun Mark.


- Dampflokrauch, Drehkrümelseife, 4711: der klassische Sechziger-Schnellzug-Duft, noch heute ab und an zu finden im badischen Regional-Express, vom einstigen Paradepferd, der 110, gezogen. Urlaubsreise für Urlaubsreise zerrte ich im Zug meinen Vater vom vordersten zum hintersten Faltenbalg und hoffte, daß keine Abschlußblende die Sicht auf Lok oder Strecke versperrt. – Immer "vorwärts Fensterplatz" und trotzdem der Blick zurück. Mal erschienen mir Kriminelle ganz grundsätzlich geisteskrank, mal entsetzte ich meine Mutter mit der amoralischen These, man dürfe (nur?) deshalb kein Verbrecher werden, weil man ja schließlich erwischt werden könnte.


- Die Schule des Lebens: Eine Frau aus der weiteren Nachbarschaft mit einem – weißen? – Karmann Ghia, das nur für kurze Zeit produzierte kantige, feminine Modell – , sprach von einer "Elite", was meine Mutter daheim in Rage brachte. "Elite" – das mußte sie mir erst mal erklären, auch wenn ich mich nicht mehr erinnern kann, wie sie es mir erklärte dann, war's doch in diesem meinem Fall problematischer noch als die "Wollust", zumal in diesem meinem Fall das eine doch das andere... – Die Frau aus der weiteren Nachbarschaft meinte freilich die lüsternen Oberschüler. – Was ging die das überhaupt an? Ihr Karmann gefiel mir sehr.


- Panierte Parasolpilze, köstlich wie Kalbsschnitzel... Letztes Jahr fand ich oben am Schafberg, meinem Hausberg quasi direkt vor der Tür, zwei ausgesprochen schöne. Roh waren sie frisch und nussig und fest, paniert gebraten aber waren sie zäh, und es blieb ein bitterer Nachgeschmack. – Zumal beim Parasolpilzschnitzel der eigentliche Wohlgeschmack ja eh nur die Panade ist, ein Wort, das nach Bratfett und Bierhumpen klingt, nach "Ich will das mit dem Adolf nicht schönreden, aber...", nach Frauen, die sämige Sättigungssoßen erst klumpig und dann pampig rührn, nach "das macht man so" und "das darf man nicht", nach Männern, denen "Geschlechtsverkehr" wohl niemals etwas Besseres war als die allgemein übliche Bürgermelange aus Notdurft und Gewalt.


- Als ob nicht auch ich mein Bier aus Humpen, und jetzt zum Kaffee ein Stück Quark mit Sahne... das kam ja erst Ende der Siebziger auf; mir war's anfangs zu bourgeois. Doch längst schon gehört die Sahne zum Quark wie früher nur zum Obstblechkuchen, nur fehlt mir für eine entsprechende Torte hier schlichtweg die passende Form. – C & A hat seine Feinrippslips aus dem Leibwäschesortiment genommen; mein Altbestand ist schon löchrig und mürbe wie ein historischer Faltenbalg, ich brauche jetzt wirklich dringend neue und denke nicht im Traum daran, diese Boxershorts mir zuzulegen; da wollen die Betreiber dieses Modehauses für jedermann praktizierende Katholiken sein, und verkaufen statt Feinripp Lederstrings für die Hauslederfrau und den Hausledermann...


Nach 35 Jahren die erste Wiederholung von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Ich wußte noch die Namen der Hauptdarsteller, und daß Tom ein Mädchen namens Becky liebte und Becky dunkelhaarig war; von der Handlung hingegen fast alles vergessen, und freilich auch Mark Twains Kritik an der US-amerikanischen Frömmigkeit. Und trotzdem, elf hin, Präferenzen her: wieso war mir Huck bei weitem zu männlich – und Tom ganz fraglos mein Favorit, und das nun bei Verhaltensweisen, die mir schon damals gänzlich fremd und auch keinesfalls erstrebenswert?...

Schräg gegenüber das Brahmshaus. "Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt": so spielte es schon die Spieluhr ab im Spielzeugherz meiner Nichte. Was aber, wenn Gott nicht? Gut, ich weiß, daß beides unlogisch ist, der Willkürgott wie die Frage. Und doch, ob nun Baden-Baden, Maximilianstraße 85 oder Baden-Baden, Maximilianstraße 81: "Wir haben hie keine bleibende Statt". Und Kalb ist mir schlichtweg zu teuer.

Dunkler weiter Raum

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