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Kapitel 2

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Das Sterben hat immer den Tod zum Erben

Der schwarze Reiserucksack war gepackt und im Wagen verstaut. Ebenso seine Ovation Gitarre mit den brandneuen Saiten. Auf keinen Fall wollte er während der Reise auf das Instrument verzichten. Es war ihm Meditation und Ausgleich, gelegentlich darauf zu spielen und die sanften Klänge zu geniessen.

Mit dem gewohnten, smarten Trommelschlag, startete er das GPS. Das Startbild, Meer und blauer Himmel wechselte zur Karte - Deutschland, Zielort Fährhafenstr. 2, 25899 Dagebüll, Deutschland – Fahrzeit: 10 Stunden 4 Minuten, Distanz 1051 Kilometer. Aufgeregt warf Julian einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Zeitabgleich mit dem GPS; Dienstag, 10. Juni, 20.10h. Früher als geplant. Voraussichtliche Ankunft - Dagebüll 6.14h. Mit gewohntem Griff optimierte er die Sitzposition, kontrollierte die Rückspiegel und legte den Sicherheitsgurt an. Das Sakko, der Ausweis und das Handy lagen griffbereit auf dem Beifahrersitz. Bluetooth Freisprechanlage. Eine ordentliche Auswahl Musik-CDs, steckte im Ablagefach der Autotür, mehr als 300 Scheiben davon auf dem USB Stick. Die Nacht wird lang und einsam werden. Zeit genug sich Gedanken zu machen über das Leben, Freundschaften und über die Liebe, das Werden und Vergehen und darüber, wie sich das Leben von einem Tag auf den anderen Tag verändern konnte.

"Pojechali, dann gehen wir die Sache an." Juri Gagarins Startsignal hatte ihm seit jeher imponiert. Am 12. April 1961 soll der russische Kosmonaut mit diesem Wort den ersten Flug eines Menschen ins All begonnen und eine neue Perspektive begründet haben. Der Mensch entdeckte den Himmel und blickte auf die Erde. Julian fühlte sich ähnlich, in diesem Augenblick, nahm einen langen Atemzug und drehte den Zündschlüssel. Die Scheinwerfer des Wagens blendeten an der hellen Mauer. Kenwood, 2-DIN. Das blaue Display erhellte. DAB Radio, 'The Church' rockten ihr 'Under The Milky Way Tonight'.

"Genau das Richtige zum Start." Julian war beflügelt, folgte den schnellen Rhythmen. Position R. Umsichtig setzte er den Wagen langsam aus dem Parkfeld auf die Strasse. Das gleichmässige, leise Schnurren des Motors sowie der sanfte aber kräftige Anzug des SUV gefielen Julian bei jeder Fahrt. Seine Faszination für Autos hielt sich in Grenzen. Dennoch liess er sich durchaus begeistern von einem gewissen Fahrkomfort und technischen Annehmlichkeiten. Vor allem bei langen Autofahrten. Er schätzte die Klimaanlage im Sommer und den Allrad im Winter. Eine ordentliche Anzahl Pferde unter der Haube waren ganz in seinem Sinn. Ebenfalls die ‚freie Fahrt für freie Bürger‘ auf deutschen Autobahnen. Er plante die tausend Kilometer ohne grosse Unterbrüche in einem Aufwasch hinter sich zu bringen. Kleinere Tankstellen-Pausen waren unumgänglich. Vielleicht auf halber Strecke einen kurzen Halt von einer Viertelstunde. Empfohlene Fahrpausen aus dem GPS nicht eingerechnet. Vorsorglich hatte er zur Verbesserung der Konzentration ein reines Guaranapulver eingenommen. Dies hatte sich bereits in der Vergangenheit auf langen Fahrten stets bewährt. Eine einsame Nacht lag vor ihm, er freute sich darauf und gab Gas.

"Gleich mal was Deftiges zum Beginn der Tour." Abenteuerlustig steckte er die silberne Scheibe ‚Making Movies‘ in den Spieler. Unverkennbar rockte Dire Straits auf den Gitarren los und begleitete den Anfang seiner Reise, mit ihrem rhythmischen Sound in die hereinbrechende Nacht – Nr. 6 - ‚Solid Rock‘.

Mittlerweile wanderte an diesem kühlen Juniabend die untergehende Sonne über die Silhouette am gebirgigen Horizont. Wie ein loderndes Feuer erstrahlte sie über den sommerlichen Abendhimmel. Bald lagen die altvertrauten Dörfer seiner Heimat hinter ihm. Bei Kriessern passierte er die Grenze nach Österreich. Über die Rheintal Autobahn gewann die Reise endlich an Geschwindigkeit. Dornbirn und Bregenz, waren die Beschilderungen bald darauf an ihm vorbei gerast. Das schöne Allgäu hatte sich angekündigt – weisse Schrift auf blauem Hintergrund. Trockene Fahrbahn und ein sternenklarer Himmel versprachen Erleichterung für die bevorstehende und lange Fahrt gen Norden. Nichts hätte seine Euphorie und Abenteuerlust mehr getrübt als die Aussicht bei Regen und nasser Fahrbahn diese Reise anzutreten. Die Fahrgeräusche änderten sich mit jedem neuen Strassenbelag. Dröhnende Lastwagen schlängelten sich in Reihen über die Autobahn. Allmählich wurde die Fahrt von einer nächtlichen Monotonie erfasst. Zahllos unterquerten die weissen Mittelstreifen aus der Ferne kommend seinen Wagen, um in der Dunkelheit des Rückspiegels in die Vergangenheit zu entschwinden. Das blaue Leuchten der Armaturen schimmerte in der Finsternis. Der Motor summte leise spürbar im Hintergrund. Der Tacho zeigte konstante 160km/h. Die Sicht war klar. Die Gedanken hatten freies Spiel und nutzten die Gelegenheit zur Kreativität. Die nächtliche Fahrt erforderte höchste Konzentration. Der Gegenverkehr blendete unaufhörlich die Augen. Süsser Traubenzucker war ihm eine treue und weckende Begleitung. Ganz langsam wanderte das blaue Symbol seines Wagens über das Display an seinem GPS. Mit jedem Kilometer zählte die Digitalanzeige die Distanz der verbleibenden Strecke rückwärts. Während Stunden war das Alleinsein auf der endlosen Autobahn zu einer eindrücklichen Erfahrung geworden. Die rauschende Stille der rollenden Reifen und des leisen Motors, standen in einem permanenten Wechselspiel mit rockigen Balladen oder mit den sanften Klängen von Loreena McKennitt. Viele schöne Eindrücke erwachten bei ihrem wundervollen irisch-kanadischen Gesang. Prägende Erinnerungen an jene lieben Menschen wurden gegenwärtig, die längst verstorben waren oder die ihn zeitlebens nur für kurze Zeit begleitet hatten. Städtische Lichterketten und Verkehrsschilder zogen an ihm vorbei. Stunde um Stunde und Minute um Minute veränderten sich die Werte auf der Tankanzeige. Kaum hatte die Benzinanzeige die 200 Kilometermarke erreicht, wurde die nächste Möglichkeit genutzt um aufzutanken. Ebenfalls eine gute Möglichkeit sich jeweils kurz die Beine zu vertreten. Memmingen, Rothenburg ob der Tauber, Würzburg. Kassel, Göttingen, Hannover und noch immer monotone 150 lange Kilometer bis nach Hamburg. Das nächtliche Treiben auf den Rastplätzen stimmte ihn nachdenklich. Fernfahrerromantik wie sie wirklich ist. Kaum zuhause verbrachten die Fahrer ihre Nächte in den Kabinen ihrer PS trotzenden Kolosse - auf Rastplätzen oder ständig in Bewegung und fern ab ihrer Lieben. In den Ohren das rhythmische Dröhnen der unweit dahin rasenden Autos oder die beständig aufblitzenden Scheinwerfer an der Kabinenwand vor Augen.

Bereits hatte er an Tankstellen drei kurze Pausen hinter sich gebracht. Allmählich erhellte sich in der Ferne der wolkenverhangene Horizont mit einem sanften Schimmer. Hamburg, in grossen weissen Lettern auf blauem Untergrund und in zweistelliger Kilometerzahl. Im Radio donnerten Bono und Mike Jagger ihr Duett in den noch jungen Morgen, 'Gimme Shelter'. Seine Finger tanzten am Steuer zu den mitreissenden Rhythmen dieser einzigartigen Hymne an seine eigene revolutionäre Jugendzeit. Wie oft hatte er mit Annemarie diese fünf Minuten unbeschreiblicher Freiheit und Ausgelassenheit genossen.

Freie Fahrt durch den Elbtunnel. 3325Meter modernste Baukunst der Verkehrstechnik. Noch einmal weitere 190 Kilometer oder 2 Stunden und 27 Minuten bis zum Ziel - Dagebüll. Im Anschluss U2 und Bruce Springsteen - I Still Haven't Found What I'm Looking for. Mit feuchten Augen der Lebensfreude und der Euphorie für den unbeschreiblich befreienden Sound, fuhr Julian die Lautstärke hoch. Es konnte gegenwärtig keinen besseren Augenblick geben in seinem Leben.

Die morgendliche Sonne stand noch tief am Horizont. Bereits erstrahlte sie in ihrem schönsten Licht. Endlich hatte er die Nacht hinter sich gelassen und steuerte unablässig der neuen Welt entgegen. Die Gegend wurde flacher. Endlos frass sich die Autobahn durch die Landschaft. Unablässig zählte das GPS die Kilometer zurück. Noch immer im dreistelligen Bereich. Zumindest mit einer Eins als erste Ziffer. Weit und breit war kein einziger Hügel mehr zu sehen. Nicht die kleinste Erhebung. Der Gegenverkehr wurde merklich spärlicher. Seit Hamburg war wieder einige Zeit vergangen. Norddeutsche Sender gaben sich im Radio die Klinke in die Hand. Für 4 Minuten und 57 Sekunden, setzte sich Amanda Marshall mit ihrem melodiösen I'll be okay neben ihn. Fasziniert von diesem wundervollen Anblick einer ungewohnten Ausdehnung und Weite fuhr er unbeirrt dem unbekannten Ziel entgegen. Gigantische Propeller von zahlreichen Windturbinen säumten unerwartet den weiten Horizont. Reihenweise drehten sich die weissen Wunderwerke in den Wind. Bunte Büsche und Sträucher säumten die Autobahn. Entgegen aller anfänglichen Bedenken, waren die nächtlichen und einsamen Stunden problemlos überwunden - fast schon unbemerkt an ihm vorbei geflogen. Hauptsache der Sound war in Ordnung, der Autositz bequem und der Wagen zuverlässig. Die Landschaft flog vorbei, 160 km/h - permanent - 'freie Fahrt für freie Bürger'. Die nächtliche Fahrt war eine eindrückliche philosophische Erfahrung. Mit wachem Bewusstsein während Stunden auf den Schwingen des zeitlichen Werdens und Vergehens dahin zu schweben, waren ihm an diesem Morgen eine unbeschreibliche und befreiende Entdeckung. Gleichsam einem gefühlten Sprung durch Raum und Zeit. Das leise Summen des Motors lag unaufhörlich und seit Stunden in seinen Ohren. Einzig unterbrochen vom Geräusch des Fahrtwindes und dem wechselnden Dröhnen der Reifen auf dem Asphalt. Längst hatte er die Müdigkeit erfolgreich besiegt. Allmählich machten sich der Hunger und der Durst bemerkbar. Die kleine Raststätte mit Tankstelle kam wie gerufen.

"Aha, eine Schweizer Maestro Karte!" Die Verkäuferin lächelte.

Erholt und frisch gestärkt, lenkte Julian den Wagen zurück auf die Autobahn. Hyundai ix35. Er war nach wie vor begeistert von diesem technischen Wunderwerk der Fortbewegung. Erneut offenbarte sich die ungewohnte Weite des Landes. Dieser Teil Deutschlands war ihm bis anhin fremd geblieben. Weit und breit kein einziger Hügel, nicht die kleinste Erhebung. Dennoch war die Gegend von einer beeindruckenden und unerwarteten Erhabenheit und Schönheit, wie er sie nicht erwartet hätte. Das Land war grün. Landwirtschaftliche Betriebe und riesige Felder prägten das Aussehen, doch das Meer war noch immer nicht zu sehen.

"Kaum zu glauben, aber ein faszinierender Gedanke", folgten seine Augen den Gebäuden in der Ferne.

"Für mich ist das alles hier die Fremde. Für diese Menschen, eine vertraute Heimat." Das Ziel kam allmählich näher, die Kilometerzahl im GPS war mittlerweile auf eine zweistellige Zahl geschrumpft.

"Jeder Ort auf dieser Welt ist für irgendjemanden 'Heimat'. Unaufhörlich sinnierte er vor sich hin, folgte vertrauensvoll und gedankenversunken der blauen Linie im GPS.

"Alles im Leben ist Verbindung. Selbst der Asphalt unter meinen Rädern ist dafür eine gute Metapher. Ein steinernes Netzwerk führt über tausend Kilometer bis nach Appenzell. Beiläufig las er die Strassenschilder. Begleitet vom sanften Brummen des Motors zogen sie an ihm vorbei, mit Namen die ihm noch nie zuvor begegnet waren. Elmshorn, Hohenfelde, Rethwisch, Itzehoe. Vorbei an Tönning führte ihn die Strecke mit jedem Kilometer durch den Norden Deutschlands. Journey rockte ganz nach seinem Geschmack und im digitalen Sound 'Only the Young'. Kurz nach Albersdorf ein Markstein der Erleichterung. Husum, noch 45 Kilometer bis Dagebüll. Mit Struckum und Ockholm zeigte sich der Norden in einer lieblichen und ungewohnt flachen Landschaft. Fasziniert erblickte er in der Ferne die kilometerlangen Deiche. Jene jahrhundertealten Bollwerke gegen Flut und Untergang. Hunderte weisse Schafe ästen friedlich auf den mit Gras bewachsenen Befestigungen. U2 begleiteten seine Gedanken und Eindrücke mit ihrem stürmischen 'Where the Streets have no Name'.

‚Wie konnten die Menschen diese Arbeit auf sich nehmen? Hunderte von Kilometern von Hand die Deiche aufzuschütten – seit Jahrhunderten!‘ Fassungslos bewunderte er die menschlichen Bollwerke gegen die Gewalten der maritimen Natur der Nordsee. Jene trotzenden Befestigungen die er bisweilen nur aus den Medien kannte.

"Unglaublich! Noch ein paar wenige Kilometer und ich habe es geschafft." Kurz darauf passierte er das Strassenschild ‚Dagebüll-Hafen, Doogebüll-Huuven‘.

'Das ist irgendwie schon eine unbeschreiblich skurrile Sache, hier oben eine Erbschaft anzutreten. Was tue ich hier eigentlich? Ich war noch nie in dieser Gegend. Habe keine Ahnung. Es fehlt mir jeglicher Bezug‘. dachte er umsichtig und folgte der immer enger werdenden Strasse.

"… aber die Landschaft hat was. Das muss man schon zugeben." Er schmunzelte über seine eigenen Vorurteile. Schafe ästen auf den Deichen. Schwere Landwirtschaftsmaschinen fuhren über die Wiesen und Felder. Möwen folgten schreiend den Traktoren.

"Okay, aber eure Höfe dürften etwas mehr Schmuck vertragen." Patriotisch lobte er den Heimatstil der Appenzeller Bauernhäuser. Unerwartet erschienen in der Ferne die glänzenden Gebäude des Inselparkplatzes - Dagebüll. Blau-weiss schimmerten die Bauten im Grün der umliegenden Magerwiesen und Deiche.

‚Ankunft. Sie haben Ihr Ziel erreicht‘. Nach ein paar letzten Verkehrskreiseln verabschiedete sich 'Lisa'. Mit ihrer freundlich monotonen Stimme war sie ihm eine treue, wenn auch virtuelle, nächtliche Begleiterin. ‚Inselparkplatz‘. Kurz darauf stand Julian vor der Schranke. Zielort Fährhafenstr. 2, 25899 Dagebüll, Deutschland – Fahrzeit: 10 Stunden 34 Minuten, Distanz 1051 Kilometer. Vorsichtig fuhr er vor die gelbe Eingangsschranke, drückte die Taste, entnahm einen gelben Jeton. Mit der Barriere, öffnete sich das Tor in ein unbekanntes und neues Leben. Ahnungslos, was ihn die nächsten drei Wochen erwarten würde, folgte er den Fahrspuren durch das breite Eingangstor und hinein in die geräumige Garagenhalle. Das laute Geschrei von Seemöwen erschallte aus krächzenden Lautsprechern. Nordseetouristik wusste die Reisenden zu überraschen.

"Nicht ganz modern das Gebäude, aber durchaus gemütlich. Dafür ist die Begrüssung originell!" dachte er und hielt Ausschau nach einem freien Parkplatz. Entgegen seinen Befürchtungen war die Halle alles andere als überfüllt. Zudem war sie viel kleiner als in seiner Vorstellung. Auf der Webseite wirkte alles viel grösser. Somit hatte er die Qual der Wahl und steuerte das Fahrzeug in eine offene Parkbucht. Der rote Schein seiner Bremslichter erhellte die Umgebung. Erleichtert schob er den Schaltgriff auf P und drehte den Zündschlüssel zurück. Der Motor verstummte und ebenso das leichte Pfeifen in seinen Ohren. Zehn Stunden leises, monotones Motorengeräusch – die beste Nahrung für Tinnitus und Ohrensausen. 'Icehouse', eine seiner Favoriten hatten ihn auf der letzten Strecke begleitet - Cross the Border. Sie verstummten ebenfalls. Julian lehnte sich abgespannt zurück. Jegliche Müdigkeit war verflogen. Er staunte über sich selber. Locker griff er nach dem Handy und schoss ein Photo durch die Frontscheibe.

"Meine liebe Annemarie, bin soeben in Dagebüll am Hafen angekommen. War 10 Stunden 34 Minuten unterwegs. Bin topfit. Nehme die nächste Fähre nach Föhr. Vermisse und küsse Dich."

Kurz das Bild angehängt und in die Schweiz geschickt. Umgehend tippte Julian weiter:

"Meine liebe Monika, bin soeben in Dagebüll ..." Im Wissen um die Sinnlosigkeit seines Lobes an den koreanischen Wagen mit deutschem Design, lächelte er über seine Reaktion.

"Das hast du wirklich super gemacht." Ein Blick auf die Armbanduhr – 6.37h.

"Wow, rund 30 Minuten länger als geplant. Hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass ich das so problemlos schaffe", blickte er erleichtert in den Rückspiegel und schloss für einen Moment die Augen.

"Die nächste Fähre legt um 7.20h ab." Er öffnete die Wagentür, stieg aus. Die kühle Nordseeluft trat ihm entgegen. Ein Griff nach dem Gepäck im Kofferraum. Ein weiterer Wagen fuhr in die Parkhalle. Das laute Geschrei der Möwen erschallte erneut aus den Lautsprechern über der Einfahrt. Umsichtig überprüfte Julian seine Sachen. Nichts durfte liegen bleiben oder im Wagen vergessen werden. Während den nächsten drei Wochen bleibt das Fahrzeug in dieser Halle stehen. Die Überfahrt nach Föhr dauert rund 50 Minuten. Es stünde in keinerlei Verhältnis, wegen seiner Vergesslichkeit nach Dagebüll zurück zu fahren. Mit einem kräftigen Wurf, schwang er die schwarze Gepäcktasche auf seinen Rücken, nahm die Gitarre, drückte auf den Transponder der Zentralverriegelung und marschierte nach einem letzten und kontrollierenden Blick in Richtung Ausgang. Überrascht streiften seine Blicke weitere Schweizer Autonummern. Ein kühler Nordseewind hiess Julian vor der Einstellhalle willkommen. Geradewegs überquerte er den Vorplatz und trat in die gläserne Eingangshalle. Sie war modern und Licht durchflutet.

"Wie komme ich jetzt an die Fahrkarten?" Umsichtig orientierte er sich in der Örtlichkeit.

"Aha, das ist ja alles richtig gut beschriftet." Unweit des Eingangs reihte er sich geduldig in die kurze Warteschlange. Aufmerksam blickte er sich um.

"Ist ja alles hier. Sogar ein paar kleine Imbissbuden und ein Café." Julian staunte über das Angebot. Er war positiv überrascht. Eigentlich hatte er einen riesigen und lauten Fährhafen erwartet. Geschäftiges Treiben und Menschenmassen. Stattdessen war er an einem ruhigen und übersichtlichen Ort gelandet. Es herrschte weder eine hektische Geschäftigkeit und das Publikum hielt sich ebenfalls in Grenzen.

"Moin, der Herr!" Schneller als erwartet war er plötzlich an der Reihe.

"Guten Morgen. Entschuldigung. Ich hätte gerne eine Fahrkarte nach Wyk. Das Auto habe ich in der Halle geparkt." Verlegen schaute er der freundlichen Verkäuferin in die Augen. Der Tourist war ihm offensichtlich anzusehen. Er fühlte sich ausgeliefert. Das mit dem Auto war ihr wohl klar. Sie lächelte.

"Wow, sie ist ja richtig hübsch", dachte er und widersprach damit radikal seinen eigenen Vorstellungen. Von wegen einer fluterprobten Seemannsbraut im Friesennerz.

"Kann ich die Parkgebühr gleich hier bezahlen oder wie funktioniert das?" Er fühlte sich ertappt.

"Nein, nein. Die Gebühr bezahlen Sie erst bei Ihrer Rückkehr an diesem Schalter", erwiderte sie lächelnd.

"Sie haben bei der Einfahrt einen gelben Jeton erhalten. Entwerten Sie diesen bei Ihrer Abreise in einem der Automaten in der Halle."

"Aha, danke, ich verstehe. Können Sie mir vielleicht noch sagen wie hoch ist die Gebühr für zwei, drei Wochen, bitte?"

"Gerne. Bei 8 bis 12 Tage sind es 6 Euro pro Tag. Ab dem 13-30 Tag parken Sie kostenlos." Geduldig überreichte sie ihm die Parkhaus-Broschüre.

"Also Hin- und Rückfahrt nach Föhr? Das macht dann 13 Euro 60. Die Karte ist zwei Monate gültig", beantwortete sie ihm umgehend die nächste Frage.

"Besten Dank." Er reichte ihr das Geld und nahm die Karte an sich.

"Der nächste Bus zur Mole fährt zehn Minuten vor Abfahrt der Fähre. Gleich beim hinteren Ausgang." Freundlich überreichte sie ihm das Rückgeld und verwies auf den blauen Shuttlebus zum Hafen.

"Das klappt ja wie am Schnürchen." Am Schalter war keine Minute vergangen und er hatte bereits die Karten und alle nötigen Informationen beisammen. Aufgeregt trat eine ältere Dame an den Nebenschalter. Sie habe vor zwei Wochen vergessen das Innenlicht im Wagen zu löschen. Die Batterie sei leer und der Wagen liesse sich nicht mehr starten. Mit der Bitte einen Pannendienst zu rufen ersuchte sie den Billett Verkäufer um Hilfe.

"Das geht zu lange. Bis der kommt sind Sie bereits in Hamburg." Mit gewohntem Griff zog der Schalterangestellte einen Start Booster hervor. Man war auf alle Eventualitäten gefasst.

"Das kommt oft vor." Ruhig und gelassen erhob er sich vom Stuhl und begleitete die aufgebrachte Dame in die Parkhalle. Gelassen schlenderte Julian durch die Halle. Der kleine Imbiss hatte bereits geöffnet. Er stellte seine Tasche an einen runden Tisch.

"Super! Ein Kaffee ist jetzt genau das Richtige." Interessiert studierte er die Tafeln mit den zahlreichen Angeboten, bestellte einen Cappuccino und schlenderte gemächlich zurück zum Gepäck. Der Stuhl war gemütlich und das warme Gebräu weckte seine Lebensgeister. Mittwoch, 7.00 Uhr. Die Digitalanzeige war unübersehbar. Spielende Kinder stiegen über ihre Koffer und rannten einander hinterher.

"Das ist ja richtig gemütlich. Überhaupt nicht überfüllt." Zufrieden studierte er die Umgebung. Abgesehen von der Imbissbude hatten die Geschäfte noch geschlossen. Kioske und Souvenirs dominierten. Die Sträucher und Büsche vor den grossen Fenstern wurden vom Wind hin und her geworfen. Der Nordseewind wie er ihm angekündigt wurde stellte sich unter Beweis. Eine Angestellte fütterte die Parkautomaten mit den gelben Münzen und eine Reinigungskraft wischte zwischen den Tischen den Boden. Grollend fuhr ein blauer Bus über die Kuppe auf dem Deich heran. Schnell hatte Julian das Geschirr in die Ablage geräumt, das Gepäck schwungvoll auf den Rücken gehoben und nach der Gitarre gegriffen. Gemächlich schritt er mit den anderen Reisenden durch die Drehtür. Niemand war in Eile. Mit einem Zischen öffnete sich die Bustür. Ein paar Personen entstiegen dem Gefährt. In aller Ruhe verliess der Chauffeur seinen Platz, stand an die Imbissbar und trank einen Kaffee. Niemand hatte es eilig und niemand war im Stress. In einer viertel Stunde fuhr die Fähre. Zahlreiche Sitzplätze blieben leer. Julian genoss die Entschleunigung. In zehn Minuten fuhr die Fähre. Schweizerische Gründlichkeit begann zu drängen. Endlich zeigte sich der Fahrer und setzte sich ans Steuer. Sekunden später kam der Bus in Richtung Mole endlich in Bewegung. Pünktlich auf die Minute. Was hatte ihm die Verkäuferin erklärt: "Der nächste Bus zur Mole fährt zehn Minuten vor Abfahrt der Fähre." Der Augenschein auf das Handy zeigte keine SMS der Frauen. Es war noch früh am Morgen. Die Kuppe des Deiches war schnell erreicht. Julian war überwältigt. Erstmals in seinem Leben lag die Nordsee zu seinen Füssen. Aufgewachsen zwischen den Hügeln und Bergen des Appenzeller Landes war ihm diese unglaubliche Weite eine aussergewöhnliche Erfahrung. Nichts, das die Aussicht trübte oder hinderte, weder Wolken noch Nebel, weder Felsen noch Wälder. Der Fährhafen war übersichtlich. In mehreren kurzen Reihen warteten die Autos auf die Einfahrt. Unerwartet berührte ihn bei diesem Anblick ein Gefühl der Freiheit. Das kleine Abenteuer Nordsee wuchs in seiner Brust, beflügelte seine Phantasien. Vertrautheit und ein Wohlbehagen durchflutete seinen Körper. Staunend registrierte er die Reaktion von einem scheinbar fremden Menschen, der bis zum heutigen Tage nicht die geringste Beziehung zur Seefahrt aufzuweisen hatte. Die Faszination der Nordsee hatte ihn berührt. Der Motor heulte auf. Brummend und vibrierend stoppte der Bus am Hafen-Gebäude. ‚Tor zu den Inseln‘ begrüsste es die Besucher in grossen, gelben Lettern. Ruhig lag die Nordsee zu seinen Füssen. Schleierwolken bedeckten den Himmel. Gemächlich schlenderte Julian an die Uferbefestigung. Ein leises Rauschen der Wellen begleitete seine Blicke auf die offene See. Unweit am Horizont war die nahende und leuchtend weisse Fähre zu erkennen. Ein grau-weisser Zug mit roten Streifen fuhr langsam auf die Mole. Pfeifend bremste er die gemächliche Fahrt. Zahlreiche Touristen strömten heraus und bevölkerten den Fähranleger. Mit dem allmählichen Näherkommen der Fähre herrschte schlagartig ein reges und geschäftiges Treiben. Taxis und Busse kamen und gingen. Julian beobachtete interessiert die Gelassenheit der Fährenarbeiter. Unmittelbar neben seinem Standort schützten mächtige Türen die Eingänge des Gebäudes. Sie erinnerten ihn an die Panzerungen, wie er sie von den Bunkern aus der Schweiz kannte.

"Unglaublich, mit welcher Gewalt die stürmische Nordsee bis hier hinauf gelangte. Das müssen doch ein paar Meter Höhenunterschied sein", wunderte er sich beim Anblick der friedlichen See. Kaum vorstellbar mit welcher gewaltigen Kraft sie sich hier zu entladen vermochte. Beeindruckt beobachtete Julian das ruhige Anlegemanöver der Fähre ‚Schleswig Holstein‘. In einer schier endlosen Kolonne verliessen die Fahrzeuge das imposante Schiff. Fussgänger entströmten dem metallenen Koloss über eine gedeckte Rampe.

"50 Minuten dauert die Fahrt." Er blickte auf die Uhr. Geduldig reihte er sich in die Menschenmenge. Geordnet schlängelten sich die Passagiere kurz darauf über den Aufgang zum Eingang des Schiffes. Seeleute grüssten freundlich und blickten beiläufig auf die Fahrkarten. Umsichtig suchte er im Stimmengewirr nach einem guten Sitzplatz, deponierte das wenige Gepäck. An einem grossen Fenster wurde er fündig und setzte sich an einen Tisch. Gebannt wartete er auf die Abfahrt. Die Menschenmenge hatte sich mittlerweile verteilt. Viele der Plätze blieben leer. Er genoss die Ruhe und Gelassenheit. Es war keinerlei Hektik zu spüren, wie er diese aus Ferienreisen in den Süden kannte. Interessiert verfolgte er die Bewegungen der Segler und Fischkutter auf dem Wasser. Die Wasser der Nordsee waren flach. Sanfte Wellen schlugen an die Ufermauern. Noch immer stand die Fähre bewegungslos an der Mole. Gegen 7.20h legte sie pünktlich los und bekam langsam Fahrt. Gemächlich schob sich das Schiff hinaus auf die Nordsee. Ein schwaches Vibrieren ging durch den Rumpf. Die Sicht war ausgezeichnet. Ein strahlend blauer Himmel liess das Licht über die Wellen tanzen. In der Ferne zeigte sich die Insel Föhr. Er war an der Nordsee angekommen. Die Erbschaft nahm realistische Formen an. Kaum zu glauben, dass die Vorfahren seiner Mutter aus dieser Gegend stammten. Warum hatte sie nie davon gesprochen? Warum war er selber nie auf die Idee gekommen sie auf ihre Herkunft anzusprechen? Diese Fragen würden wohl für immer unbeantwortet bleiben. Schreiende Möwen wurden neben dem Schiff von starken Aufwinden in die Höhe getragen. Gemächlich fuhr die Fähre aus dem Hafen. An langen Stangen ragten Besen als Markierungen aus dem Meer. Bojen zeigten die ideale Fahrrinne an. Umgehend erinnerte sich Julian an einen interessanten Bericht über die gefahrvolle Schifffahrt durch das niedrige Fahrwasser. Oft wurde dabei von einer Handbreit Wasser unter dem Kiel gesprochen. Schiffbare Priele werden regional Baljen oder Balgen genannt. Für die Badenden konnten sie jedoch bei einer einsetzenden Flut zur Lebensgefahr werden. Auf einem Monitor wurde die exakte Position und Fahrtrichtung des Schiffes durch das Wattenmeer angegeben. Hungrig studierte Julian die Menukarte. Die Kellnerinnen schritten gelassen durch die Tisch-Reihen. Ratlos sass Julian über dem vielfältigen Angebot und studierte die fremden und nordländischen Speisenamen. Pinkel, Matjesplatte, Garnelen aus dem Wok, Labskaus, Büsumer Krabben, Old Eeten, Poffertjes, Mehlierte Dorschfilets, Dickmilchterrine mit Nordseekrabben und als krönender Abschluss wurde ein Küstennebel oder das Teesöpke empfohlen.

"Moin. Was darf es denn sein, der Herr?" Unerwartet wurde er plötzlich von einer freundlichen Stimme aus der Konzentration gerissen.

"Ja, Guten Morgen. Eigentlich bin ich im Moment etwas überrumpelt." Verlegen suchte er nach einer Ausrede.

"Klingt alles sehr interessant. Wenn man weiss, was es ist. Was können Sie mir denn empfehlen?" Nicht minder entgeistert mussten sich wohl jene Touristen fühlen in Appenzell, wenn sie, angereist aus der ganzen Welt, mit den einheimischen Traditionen und Bräuchen konfrontiert würden. Sein ratloser Blick muss Bände gesprochen haben.

"Sie sind das erste Mal an der Nordsee?" Sie lächelte verständnisvoll, mitfühlend.

"Sozusagen ja. Aber ich hoffe doch, nicht das letzte Mal." Charmant flirtete er die attraktive Kellnerin an.

"Dann würde ich Ihnen Labskaus vorschlagen. Da ist von allem etwas drauf und schmeckt ausgezeichnet." Sie blieb freundliche resistent. Offensichtlich war sie es gewohnt, von den männlichen Gästen mit Komplimenten eingedeckt zu werden. Ihr Lächeln wurde trockener und ihre Bewegungen schneller.

"Das klingt gut – danke. Dann nehme ich das." Er legte die Speisekarte zurück.

"… und ein alkoholfreies Bier, bitte."

"Sehr gerne." Sie schnappte sich die Mappe, notierte fast schon nebensächlich seinen Wunsch und eilte wieder davon. Angetan blickte er ihr nach. Sie hatte eine schöne, weibliche Figur. Die längeren Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Julian war kein Kostverächter. Bei allem Respekt und gebührender Distanz genoss er den Anblick von schönen und attraktiven Frauen, sofern sie eine gewisse Natürlichkeit verkörperten und nicht übermässig künstlich aufgeplustert waren. Obschon selber durchaus ein stattliches Mannsbild, muskulös und kräftig, waren ihm männliche Kameradschaften suspekt. Er war kein Freund von Stammtischrunden, Fussball oder Bodybuilding Kulten. Männliches Konkurrenzgebaren oder hormongesteuerte Hahnenkämpfe verabscheute er wie der Teufel das Weihwasser. Seit jeher fühlte er sich von der Aura weiblicher Gesellschaft eher angezogen als von den rauen Umgangsformen seiner männlichen Zeitgenossen. Zu seinem Erstaunen entfernte sich das Schiff von der Insel Föhr. Gemächlich zog diese am Schiff vorbei.

‚Was macht der Kahn, warum fährt der nicht in diese Richtung? Beunruhigt schaute er auf die Positionstafel. Tatsächlich wanderte der kleine Punkt an der Insel vorbei.

"Scheisse, bin ich überhaupt auf dem richtigen Schiff? Erschrocken durchfuhr ihn ein unangenehmes Gefühl.

"Einmal Bier und den Labskaus." Mit geübtem Handgriff stellte die Kellnerin lächelnd seine Bestellung auf den Tisch. Zweifellos hatte sie seine bewundernden Blicke bemerkt und fühlte sich sichtlich geschmeichelt.

"Entschuldigung. Darf ich Sie kurz etwas fragen?" Einerseits war ihm die Frage peinlich, andererseits genoss er den Bonus des unwissenden Touristen.

"Ja sicher." Geduldig blieb sie neben ihm stehen.

"Das ist doch die Fähre nach Wyk auf Föhr? Ich habe den Eindruck, dass wir uns von der Insel entfernen."

"Das ist die Fähre nach Wyk. Keine Panik." Die junge Kellnerin lächelte verständnisvoll.

"Wir können Wyk nicht auf dem direkten Weg ansteuern. Die Nordsee ist hier stellenweise nur ein paar Meter tief. Die Fahrrinne macht hier einen weiten Bogen. So ist das hier im Norden. Das Meer ändert sich ständig."

"Das war mir nicht bewusst, leuchtet aber ein, wenn Sie das so erklären. Besten Dank." Verlegen griff er nach dem Portemonnaie, bezahlte die Bestellung und griff nach dem Besteck. Interessiert musterte er die farbigen Speisen auf dem Teller.

"Du bist also ein Labskaus." Scherzend steckte er die Gabel in den mit Randen durchsetzten kartoffelstockähnlichen Brei. Zwei Spiegeleier verbreiteten einen vertrauten Duft vermischten sich mit dem Aroma von zusammengerollten Heringen. Etwas Salat und mehrere in Streifen geschnittene Essiggurken rundeten das Menü ab.

"Also fein schmeckt das Ganze, das muss man zugeben." Genüsslich schob er eine weitere Portion in den Mund und blickte zufrieden in die Ferne auf die unbekannte Insel.

"Ich bin wirklich gespannt, was mich dort erwartet." Nachdenklich nahm er einen Schluck von dem kühlen Bier und beobachtete das rege Treiben der wenigen Passagiere. Kleine Kinder spielten miteinander oder quengelten beim Essen. Es wurden Fotos geschossen, lachend diskutiert und Prospekte studiert. Mütter tauschten am Nebentisch ihre Erfahrungen.

"Noch knapp 20 Minuten." Julian warf einen Blick auf seine Uhr. Die Zeit schien zu rasen. Gemächlich fuhr die Fähre nun direkt in Richtung Insel. Nachdenklich hatte sich Julian zurück gelehnt und liess seine Blicke über die weiten Wasser schweifen. Lloyd Cole liess ihn mit seinem 'Like Lovers do' in den Ohren in der fernen Vergangenheit schwelgen. Erinnerungen an liebe Menschen wurden wach. Das Gesicht einer längst vergangenen Liebe, wunderbare Tage seiner wilden Jugend. Wie hatte sich doch das Leben geändert. Spurlos waren die wilden Jahre an ihm vorbei gezogen. Wie viele gebrochenen Herzen hatte er zurück gelassen, um dennoch zuversichtlich auf jene grosse Liebe zu warten, die eines Tages auf dem Sterbebett seine alte Hand halten werde. 'Sitting down here', holte ihn Lene Marlin mit ihrer sanften Stimme und den melodiösen Klängen zurück in die Realität.

Die Insel kam näher. Ihre Bausünden, der 1970er Jahre Hochhauskultur, war bereits weithin zu erkennen. Ebenso das blaue Anlegertor am Hafen, welches er lediglich aus dem Internet kannte. Gemächlich dümpelte die Fähre durch das ruhige Wasser der Nordsee. In aller Ruhe strömten die Passagiere allmählich zu den Treppen und Ausgängen des Schiffes. Einmal mehr staunte Julian darüber, mit welcher Entschleunigung hier alles vonstatten lief. In einer langen Kurve steuerte die Fähre kurz darauf in den Hafen von Wyk. Schäumend wurde das Wasser am Bug der Fähre aufgewühlt. Langsam näherte sie sich dem Anleger.

‚Willkommen auf Föhr‘ in grossen weissen Lettern auf blauem Hintergrund. Julian hatte endlich sein Ziel erreicht.

Blutstein

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