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DIE ZWEITE GESCHICHTE

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Die Zonengrenze zwischen der sowjetischen und der britischen Besatzungszone Deutschlands und die Gründe, welche u. a. manchen Ostzonenbewohner veranlassten, schwarz über die grüne Grenze zu gehen.

Im Potsdamer Abkommen war noch die Rede davon, daß Deutschland politisch, wirtschaftlich und kulturell als Einheit zu betrachten sei. Zwei Jahre später hatten die Sieger von 1945 die gemeinsamen Festlegungen vergessen. Sie standen sich in offener Feindschaft gegenüber. An den Grenzen zwischen den westlichen und den östlichen Besatzungszonen drohte der „Eiserne Vorhang“ niederzugehen, und im allgemeinen Sprachgebrauch bürgerte sich der Begriff vom „Kalten Krieg“ ein.

In der sowjetischen Besatzungszone verhinderten umfangreiche Demontagen und Reparationslieferungen eine normale wirtschaftliche Entwicklung. Ein besonderes Kapitel war der Abbau der Uranvorkommen im Erzgebirge für die sowjetische Atomrüstung. Aue wurde zum Begriff für die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft unter primitivsten Bedingungen. Wilde Gerüchte waren darüber im Umlauf, und es war nicht verwunderlich, daß die benötigten Arbeitskräfte nur durch Zwangsmaßnahmen verpflichtet werden konnten. Weil ich damals Maurer und damit beschäftigt war, Neubauernhöfe zu bauen, meinte ich, gegen derartiges zuverlässig abgesichert zu sein. Das erwies sich als Irrtum. Am 18. Juli 19474 wurde ich aufgefordert, mich noch am gleichen Tage zu einer ärztlichen Untersuchung beim Arbeitsamt einzufinden. Im Ergebnis der Untersuchung bestätigte man mir beste Gesundheit. Außerdem wurde vermerkt, daß ich jung an Jahren und ledig sei. Unter den damaligen Umständen ließ das allerdings eher Befürchtungen als Freude aufkommen.

Bereits einen Tag später erschien zu außergewöhnlicher Stunde, abends gegen 9 Uhr, ein Volkspolizist in der Wohnung meiner Eltern und brachte mir eine Arbeitsverpflichtung, gemäß Befehl des Kontrollrates Nr. 3 u.s.w. Unter Androhung von Zwangsmaßnahmen wurde ich für die Zeit vom 21. Juli 1947 bis auf weiteres als „Hilfsarbeiter beim Arbeitsamt Aue“ verpflichtet. Was das bedeutete, war mir klar, und weil „bis auf weiteres“ im ungünstigsten Falle auch lebenslänglich sein konnte, packte ich ein paar Sachen zusammen und machte mich am 21. Juli 1947 in aller Herrgottsfrühe auf den Weg, nicht nach Aue, sondern in der entgegengesetzten Richtung.

Von Leipzig aus wollte ich zunächst die Zonengrenze erreichen und dann weitersehen. Diese Grenze war damals zwar bewacht, aber noch nicht hermetisch abgesperrt und in beiden Richtungen durch Flüchtlinge, Umsiedler, große und kleine Schieber ziemlich stark frequentiert. Demzufolge war auch der Bahnsteig, von dem der nächste Zug in Richtung Halle abfahren sollte, dicht belegt mit Menschen aller Altersstufen, die danach trachteten, sich eine günstige Ausgangsposition für den zu erwartenden Ansturm auf den einfahrenden Zug zu sichern.


Der Leipziger Hauptbahnhof


Die Bahnhofshalle – hier im März 2014 menschenleer

Als es dann soweit war, verwandelte sich der Bahnsteig in einen brodelnden Hexenkessel. Von beiden Seiten, durch Türen und Fenster, versuchten sie die Waggons zu erstürmen, blieben mit ihrem Gepäck in den engen Türen hängen, die Nachdrängenden fluchten, Kinder heulten, und wer nicht rücksichtslos seine Ellenbogen gebrauchte, blieb draußen. Zweimal gelang es mir, von der dem Bahnsteig abgewandten Seite aus, über die Gleise, hineinzukommen, zweimal wurden wir von der Bahnpolizei wieder hinausgejagt. Auch Puffer und Trittbretter mußten unter Androhung polizeilicher Gewalt wieder geräumt werden. Mit erheblicher Verspätung fuhr der Zug ab, ohne mich.

Beim nächsten Anlauf gehörte ich zu den Glücklichen, die in letzter Minute noch einen Stehplatz erkämpfen konnten. Die kurze Fahrt bis nach Halle war qualvoll: Auf einem Bein stehend, die Fenster mit Brettern vernagelt, die Luft zum Ersticken. Erst am Abend ging es von Halle aus unter ähnlichen Bedingungen weiter in Richtung Nordhausen. Unterwegs schloss ich mich zwei Grenzgängern an, die in Leipzig zu Hause waren. Der eine war ein gebürtiger Sachse, der andere Franzose. Der Franzose war nach dem Kriege hier hängengeblieben. Er sprach perfekt Deutsch, und so erfuhr ich, daß er in Leipzig eine Frau hätte. Die Russen wären aber verrückt, meinte er, denn sie hätten schon mehrere Male versucht, ihn abzuschieben. Jetzt wolle er nach Hamburg, um seinen Schnaps gegen Heringe einzutauschen. Dieser Zug nach Nordhausen war kein gewöhnlicher Zug, denn unzählige Menschen unterschiedlicher Herkunft und Nationalität hofften jenseits der Grenze auf ein besseres Leben. Mit einem Berliner kam ich ins Gespräch. Er berichtete, dass sein Beruf Friseur wäre, aber er hätte schon als Koch, Maler, Kellner, Tischler, Maurer, Bergmann und Heizer gearbeitet. Er war drei Jahre in russischer Gefangenschaft, jetzt mußte er aus Berlin türmen, da er einen Russen niedergeschlagen hat, der sich an seiner Frau vergreifen wollte.

Trotz nächtlicher Stunde war der Bahnhof von Nordhausen überfüllt mit Menschen, die aus den unterschiedlichsten Motiven von drüben kamen oder nach drüben wollten. Im Warteraum waren nicht nur Tische und Stühle, sondern auch die Fußböden belegt. Dort hatte sich, wer noch ein freies Fleckchen gefunden hatte, ausgestreckt, um ein paar Stunden zu ruhen. Die meisten wollten am Morgen mit der Bahn weiter nach Ellrich, um dort über die Grenze zu gehen. Angesichts der vielen Menschen, die mit uns die gleiche Absicht und das gleiche Ziel hatten, überkamen uns doch einige Zweifel, ob das der richtige Weg mit den besten Erfolgsaussichten sein würde. Im Gespräch mit Ortskundigen wurden wir auf eine andere, offenbar günstigere Möglichkeit hingewiesen.

Noch in der Nacht fuhren wir deshalb mit der Bimmelbahn von Nordhausen aus in Richtung Zwinge bis zum Bahnhof Stöckey, ganze 40 Kilometer in vier Stunden. Dort verließen mit uns noch etwa 30 weitere Personen den Zug, die sich alle in einer bestimmten Richtung in Bewegung setzten. Wir waren noch zu dritt und folgten in angemessenem Abstand, um schnell untertauchen zu können, falls das erforderlich werden sollte. Die Sonne war gerade aufgegangen. Zunächst führte der Weg an einem Waldrand entlang, dann ein Stück über freies Feld, hinter dem Weiler Weilrode, ständig ansteigend wieder durch den Wald. Überall tiefster Frieden, trotzdem waren die Sinne angespannt und darauf vorbereitet, daß irgendetwas passieren könnte. Auf dem Kamm des Höhenzuges erreichten wir den jenseitigen Waldrand und damit die Zonengrenze. Der Grenzverlauf war nicht markiert, ich konnte ihn aber auf meiner Reichskarte eindeutig ausmachen und verfolgen.

Seit dem Abmarsch vom Bahnhof Stöckey vor zwei Stunden, waren wir keinem Menschen begegnet. Ungesehen und unbehelligt wechselten wir aus der sowjetischen in die britische Besatzungszone hinüber. Aber erst in Osterhagen, eine halbe Stunde jenseits der Grenze, fühlte ich mich sicher vor übereifrigen Grenzwächtern und vor den mit der Übergabe der Arbeitsverpflichtung angedrohten Strafen für den Fall des „Nichterscheinens“. In Osterhagen kamen wir mit einem Grenzgänger ins Gespräch. Von Ellrich kommend hatte er es erst beim zweiten Versuch geschafft, die Grenze zu überwinden. Das erste Mal hatten ihn die Russen ergriffen. Zur Strafe mußte er zwölf Stunden im Gipswerk Ellrich arbeiten. Auch beim zweiten Versuch fiel er wieder den Russen in die Hände. Mit einer Flasche Schnaps konnte er sich schließlich freikaufen.

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