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DIE DRITTE GESCHICHTE

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Wie und weshalb ich in der Neujahrsnacht 1947/48 abermals über die grüne Grenze ging, diesmal aber in west-östlicher Richtung.

Um mich einer unbefristeten Arbeitsverpflichtung in den Uranbergbau zu entziehen, hatte ich im Juli 1947, nicht ganz freiwillig, die sowjetische Besatzungszone verlassen und war in die britische Besatzungszone über gewechselt. Dort erreichte mich, von meinen Eltern nachgesandt, ein Schreiben mit folgendem Wortlaut:

„Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Sie für den III. Vorbereitungslehrgang zum Hochschulstudium im Herbst 1947 nicht zugelassen werden konnten. Grund: Sie scheinen sich am Neuaufbau nicht aktiv zu beteiligen, da Sie weder der FDJ noch einer der antifaschistischen Parteien angehören.“5

Bereits im Frühjahr, lange bevor an die Arbeitsverpflichtung zu denken war, hatte ich mich an der Universität Leipzig um Teilnahme an diesem Lehrgang beworben. Das war nun die Reaktion darauf. Mir blieb damals nichts weiter übrig, als der Stelle, die mich nicht für würdig befunden hatte, meine Verwunderung wegen dieser eigenartigen Auswahlkriterien zur Kenntnis zu geben. Statt einer Antwort erhielt ich eine Aufforderung, mich Anfang Januar 1948 in Leipzig zum Unterricht einzufinden.

Trotz der Möglichkeit, daß die angedrohten Strafen wegen Nichtbefolgens der Arbeitsverpflichtung jederzeit noch wirksam werden könnten, entschied ich mich, das Risiko auf mich zu nehmen und in die SBZ6 zurückzukehren. In den letzten Monaten hatte ich meinen Lebensunterhalt als Waldarbeiter bei einer britischen Firma verdient, deren Anliegen es war, den deutschen Wald zu dezimieren und die ihren Sitz in Ringelstein, Kreis Büren in Westfalen hatte. Von dort aus machte ich mich also in den Abendstunden des 31. Dezembers 1947 auf den Weg, um in der Neujahrsnacht zwischen Eichenberg und Arenshausen im Eichsfeld über die Grenze zu gehen. Zweifellos war das ein Zeitpunkt, der das Unternehmen außerordentlich begünstigte. Das neue Jahr wurde eingeläutet, als der Zug in Hedemünden an der Werra einlief, und kurz nach Mitternacht stand ich, zunächst ziemlich einsam, in der Schalterhalle des Bahnhofes Eichenberg, mit den besten Vorsätzen für das neue Jahr und in der Hoffnung auf einen glücklichen Grenzübergang. Offenbar war nicht schwer zu erkennen, welches Vorhaben mich zu so außergewöhnlicher Stunde an diesen Ort verschlagen hatte, denn es dauerte nicht lange, da hatten sich ein paar Schicksalsgenossen zusammengefunden, die wie ich, die Gunst der Neujahrsnacht für ihre Zwecke nutzen wollten.

Es war eine ruhige, mondhelle Nacht, der Boden war hart gefroren, stellenweise lag noch etwas Schnee, und wir schienen tatsächlich weit und breit die einzigen Menschen zu sein. Bis Hohengandern, bereits in der Ostzone, marschierten wir an einem Bahndamm entlang, der keine Gleise mehr trug, unbehelligt von Grenzwächtern beider Seiten.

Von Arenshausen, der ersten Bahnstation jenseits der Grenze, hofften wir, im Laufe des Tages mit der Eisenbahn weiterzukommen. Aber der Fahrplan besagte, daß an Sonn- und Feiertagen der Zugverkehr ruhe, daß wir demzufolge noch über 26 Stunden warten müßten. Am Neujahrsmorgen gegen 3 Uhr mußten wir diese herbe Enttäuschung hinnehmen. Zum Glück war der Schalterraum des kleinen Bahnhofes nicht abgeschlossen. Es gab dort ein paar Bänke, die zur Nachtruhe einluden, in meinem Gepäck hatte ich eine Wolldecke, und ein Gefährte dieser Nacht fand in den Zäunen benachbarter Grundstücke geeignetes Brennmaterial für den eisernen Ofen, der offenbar gemäß Eisenbahnbau- und Betriebsordnung hier zu stehen hatte. Diese gebündelten Maßnahmen brachten nicht das erhoffte Ergebnis. Ich fror jämmerlich. Deshalb packten wir, als der Morgen graute, unser Gepäck zusammen und machten uns auf den Weg in Richtung Heiligenstadt.

Bis dahin waren es immerhin zwölf Kilometer, die wegen meiner umfangreichen Habe mit Schweiß aufgewogen werden mußten.


Diese Karte stammt vom 28. Dezember 1942, also fast dasselbe Datum fünf Jahre zuvor, bevor mein Vater im Bahnhof nächtigte

Natürlich gab es an diesem Neujahrstag von Heiligenstadt aus keinen Zugverkehr, weshalb es, uns ausgenommen, auch keine weiteren Fahrgäste und damit auch keine Veranlassung gab, den Warteraum zu heizen. Für ein paar Stunden fanden wir etwas Wärme im Kino. Dort wurde in der Kindervorstellung ein Russenfilm gezeigt: „Admiral Nachimow besiegt die Türken“. Wir ließen es über uns ergehen. Anschließend rückten wir in einer Kneipe ein paar Stühle an den Ofen und tranken dazu, weil es nichts anderes gab, heißen Kinderkaffee.

Für die Nacht fanden wir in einem Durchgangslager für Kriegsgefangene eine Bleibe. Hier war gerade ein Transport aus Russland eingetroffen, der in die britische Zone weitergeleitet werden sollte. Ihre Entlassung aus der Gefangenschaft hatten sie offensichtlich ihrem miserablen Gesundheitszustand zu verdanken. Es waren ausnahmslos bleiche, abgemagerte Gestalten in verschlissenen Uniformen, darunter junge Burschen, nicht älter als wir, mit greisenhaften Gesichtszügen, mit dick angeschwollenen Beinen.

Relativ gut genährt und gekleidet, deshalb mit zwiespältigen Gefühlen, stand ich diesem Elend gegenüber. Im Überschwang des Sieges hatten mich die Russen im Mai 1945 nach Hause geschickt und nicht nach Sibirien. Hier hatte ich vor Augen, was mir dadurch erspart geblieben ist.

Am 2. Januar 1948 früh 4 Uhr fuhr der erste Zug ab Heiligenstadt in Richtung Sangerhausen. Dort mußten wir bis zur Weiterfahrt wieder neun Stunden warten. Wartezeit war Zeit für Gespräche. Die Warteräume in den Bahnhöfen waren überfüllt mit Reisenden. Es waren keine Vergnügungsreisenden und viele von ihnen hätten Abenteuerliches erzählen können.

Neben mir saß ein ehemaliger Landser. Er kam direkt aus Italien, war dort aus amerikanischer Gefangenschaft geflohen und wollte nun nach Hause. Ich mußte wieder an die Gefangenen denken, die aus Russland kamen, mit denen ich gestern in Heiligenstadt gesprochen hatte. Ein junger Mann borgte sich bei mir 20 Mark, um eine Fahrkarte für die Heimfahrt bezahlen zu können. Ich wußte, daß ich das Geld nie wieder sehen würde.

In Halle wieder Warten auf den Anschluß, dann in dreistündiger Fahrt in einem hoffnungslos überfüllten Zug nach Leipzig. Etwa 60 Stunden war ich unterwegs, als ich in den Morgenstunden des 3. Januar 1948 wieder zu Hause war.

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