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1. Drans Hallen

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Während Trywfyns Abwesenheit war der Palast weiter gründlich nach mysteriösen Tunneln untersucht worden, aber es konnten keine entdeckt werden. Das musste nicht beruhigen, war aber unter Umständen ein Zeichen dafür, das zumindest vorläufig die Angriffe auf den ogmarischen König und seine menschlichen Freunde aufgegeben worden waren. Vielleicht wusste der Orden von Enkhór-mûl auch davon, dass die Gruppe um Meneas und Tjerulf den Palast wieder verlassen hatte.

Auch bei seiner Rückkehr vom »Eisernen Wächter« warteten keine schlechten Nachrichten auf Trywfyn und für einige Zeit konnte er sich seinen Geschäften als Edoral Ogmatuums widmen.

Eine seiner ersten Maßnahmen war gewesen, eine größere Schar Landwachen zum »Eisernen Wächter« zu schicken, um zu verhindern, dass die Priester des Enkhór-mûl zurückkehrten und sich der brauchbaren Reste in dem zerstörten Stützpunkt bemächtigten. Trywfyn war sicher, dass Tjerulf und Meneas sie später noch würden untersuchen wollen. Und wenn er den Orden auf diese Weise ein wenig schwächen konnte, war es umso besser. Der Edoral wollte mit allen Mitteln verhindern, dass er ein weiteres Mal in seinem Land auf solche Weise Fuß fasste. Deshalb hatte er die Landwachen angewiesen, besonders nach Anzeichen außergewöhnlicher Geschäftigkeiten Ausschau zu halten, die nichts mit denen von Ogmari zu tun hatten. Allerdings war er sicher, dass sie es ihm bereits gemeldet hätten, wenn ihnen etwas in dieser Richtung aufgefallen wäre. So bestand die Hoffnung, dass der Stützpunkt im »Eisernen Wächter« der einzige in seinem Land war, den der Orden kannte. Ob die Ax´lán noch weitere hinterlassen hatten, musste Trywfyn erst noch herausfinden.

Obwohl alles in Ordnung zu sein schien, erfüllte ihn seit seiner Rückkehr nach Elgen Damoth eine unerklärliche Ruhelosigkeit. Vielleicht, dachte er zunächst, lag es an der Reise der Menschen, eine Art Vorahnung von Schwierigkeiten, die ihnen begegneten. Sie waren am gleichen Tag von Elgen Damoth aufgebrochen wie er zu den Drachenbergen und bisher hatte er nichts von ihnen gehört. Das war zunächst nicht beunruhigend, denn sie hatten eine zwischenzeitliche Benachrichtigung nicht vorgesehen, aber das bedeutete nicht, dass bei ihnen alles gut verlaufen war. Doch die Ruhelosigkeit blieb auch noch, als sie alle wohlbehalten zurückkehrten. Daraus schloss Trywfyn, dass seine Unruhe in Wirklichkeit eine andere Ursache hatte. Und die war, wie er schließlich erkannte, seine Absicht, eine Expedition zu Drans Hallen durchzuführen, bei der feststand, dass er sie allein unternehmen musste. Dran hatte Begleiter gehabt, das wusste Trywfyn, aber der Zweck seines Unternehmens erlaubte ihm keine, denn es ging darum, die beiden Kristallfragmente zu verstecken, und das duldete keine Zeugen.

Nachdem ihm das alles klar geworden war, verschwand die Unruhe und wich der erwartungsvollen Spannung seines Forschergeistes.

Früh am Morgen des Tages nach der Abreise der Gruppe von Meneas und Tjerulf holte Trywfyn die beiden Kristallfragmente aus der geheimen Kammer. Für einen kurzen Moment hielt er sie zögernd in seinen Händen und schwankte in seinem Willen, sie in Drans Hallen zu bringen. Nicht, weil er plötzlich den Wunsch verspürte, sie für sich zu behalten, sondern weil er kurz daran zweifelte, ob ihr Plan wirklich so gut war, wie er glaubte. Doch dann obsiegte die ursprüngliche Absicht. Nicht nur, weil er sein Wort gegeben hatte, sondern weil über die Jahre hindurch sein Wunsch gewachsen war, diesen geheimnisvollen Ort selbst kennenzulernen.

In diesem Augenblick wunderte sich Trywfyn, dass er noch niemals zuvor ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, Drans Hallen einen Besuch abzustatten. Dass er vielleicht ein wenig Furcht davor hatte, wollte er sich nicht eingestehen. Was auch immer der Grund dafür war, jetzt war dieser Ausflug unausweichlich geworden. Mit seinem Vorschlag und der Zustimmung von Tjerulf und Meneas blieb ihm nichts anderes übrig, als seine langgehegte Absicht endlich in die Tat umzusetzen. Außerdem wollte er vor sich selbst sein Gesicht wahren.

Es wäre sicher leichter gewesen, sich Drans Hallen durch das Erdreich zu nähern. Aus den Überlieferungen wusste Trywfyn ungefähr, wo sie lagen, aber Dran war auch durch den Tunnel gegangen, den er kurz zuvor entdeckt hatte, und Trywfyn reizte es, diesen Weg kennenzulernen. So wickelte er die beiden Kristallfragmente schließlich in ein Tuch und verstaute sie in einer Tasche. Dann machte er sich auf den Weg.

Trywfyn ging nicht über den »Platz der Kristalle«. Irgendwer würde ihn sehen und sich vielleicht Gedanken machen, warum der Edoral zu dieser Stunde ausgerechnet an diesem Ort ins Erdreich versank. Möglicherweise folgte ihm jemand. Stattdessen begab er sich in das unterste Stockwerk seines Palastes. Hier befanden sich die Lagerräume, und nur selten kamen Bedienstete dorthin. Er suchte den Raum auf, von dem er wusste, dass er fast genau über dem Tunnel lag, der zu Drans Hallen führte.

Nach kurzer Zeit in der grauen Formlosigkeit des Felsens kam er in dem Gang wieder heraus. Für kurze Zeit hüllte ihn eine undurchdringliche Dunkelheit ein und eine vollkommene Stille, aber er hatte nichts anderes erwartet. Nur das Rascheln seiner Bewegungen und der dumpfe Klang seiner Schritte waren zu hören. Wieder einmal bediente er sich seines Leuchtkristalles. Er hatte ursprünglich vorgehabt, einen der Leuchtstäbe mitzunehmen, aber aus Drans Bericht ging hervor, dass manche Abschnitte des Ganges unter Wasser lagen, und dort würde er seinen Dienst einstellen. Leuchtkristalle funktionierten immer, sofern sie von einem Ogmari in den Händen gehalten und von seinen Kräften durchdrungen wurden. Dafür hatten sie den Nachteil, dass sie keinen Gang sehr weit ausleuchteten.

In die eine Richtung stieg der Tunnel an. Von seinem Standort konnte Trywfyn es nicht sehen, aber nicht allzu weit entfernt endete er vor einer Felswand. Genau darüber befand sich der »Platz der Kristalle«. Zur anderen Richtung hin fiel er ab und dorthin musste er gehen. Dass dieser Tunnel in Vergessenheit geraten war, lag daran, dass es bei den Ogmari ein uraltes Gesetz gab, das verbot, unter einer Stadt nach Bergschätzen zu suchen. So war nach der Gründung von Elgen Damoth kein Erdmensch mehr unmittelbar im Gebirge unter der Stadt gewesen.

Die Luft war unangenehm, kühl, feucht und muffig. Trywfyn wunderte sich, dass es in dem Gang, der, soweit er wusste, keine Verbindung zur Erdoberfläche oder in die Höhlenwelt der Ogmari hatte, überhaupt eine ausreichend atembare Luft gab. Aber sollte sie in irgendeinem Abschnitt tatsächlich knapp werden, konnte er zur Not für einige Zeit ins anstehende Gebirge zurückkehren und in diesem Zustand von der Luft zehren, die immer in den kleinen Poren und Klüften vorhanden und meistens von ausreichender Güte war. Von dort, ahnte Trywfyn, sickerte die Luft in die Hohlräume und mithin auch in diesen Tunnel. Solange sie aus reinem Gestein kam, war alles in Ordnung, aber es gab auch Ursprünge wie Kohlenflöze, die gefährliche Gase freisetzten. Die konnte Trywfyn aber rechtzeitig erkennen.

Es war nicht zu übersehen, dass der Tunnel einen natürlichen Ursprung hatte. Es gab keine gerade Wand, zumindest keine, die so bearbeitet worden war. Die rechte Seite fiel zwar gerade ab, sie musste aber durch eine Rutschung im Gebirge entstanden sein. Die Decke hing schräg und die linke Seite war uneben und rissig. Den Boden prägten Wölbungen und wie der gekrümmte Rücken einer Schlange führte er in die Tiefe.

Aus manch schmalem Riss rann Wasser von den Wänden. Ohne Zweifel wurden die Wasseransammlungen, die irgendwo weiter unten auf ihn warteten, aus diesen Quellen gespeist. Die einzigen Geräusche, die Trywfyn hörte, waren die Wassertropfen und sein Atem. Er kam ihm fremdartig vor, seltsam hohl. Und er war beschlagen. Der Gang jedoch war nicht seltsamer als andere, die Trywfyn kennengelernt hatte.

Trywfyn fühlte sich im ersten Augenblick überhaupt nicht wohl und er dachte kurz daran, wieder in die Stadt zurückzukehren. Ein Ogmari verspürte keine Platzangst, aber ausgerechnet dieser Tunnel forderte auch ihm ein ungewohntes Maß an Selbstüberwindung ab. Dann dachte er wieder an Dran und wenn sein Ahne den Mut hatte weiterzugehen, dann musste er, Trywfyn, ihn auch haben, nicht zuletzt, weil er der Edoral Ogmatuums war und der Herrscher über die Erdmenschen. Das verpflichtete zu besonderen Eigenschaften, zu denen auch ein gewisser Mut gehörte.

Außerdem wusste Trywfyn, wohin der Tunnel führte und er hatte eine ungefähre Vorstellung über die Gefahren, die dort lauerten, im Gegensatz zu Dran. Aber sein Bericht erwähnte keine besonderen Gefahren, dafür viele Unbequemlichkeiten. Also gehörte nur wenig Mut dazu, diesem Weg zu folgen.

Trywfyn ging los und stellte fest, dass nicht nur sein Atem merkwürdig klang. Auch seine Schritte hörten sich hohl und sonderbar dumpf an, fast so, als wären es nicht seine eigenen.

Die Tunneldecke erwies sich als sehr unregelmäßig. An der Stelle, an der er herabgekommen war, hatte er sie nicht einmal mit erhobenen Armen erreichen können. Nur wenig später hing sie so tief, dass er auf allen Vieren durch die Engstelle kriechen musste. Dahinter ging es für einige Zeit wieder besser.

Plötzlich blieb Trywfyn stehen und horchte. Er hatte nichts gehört und wollte sichergehen, dass es auch nichts zu hören gab. Und so war es auch, bis er ein Bein zum nächsten Schritt anhob. Unerwartet drang ein leises, gleichmäßiges Klopfen an seine Ohren. Es hörte wieder auf, fing wieder an. Es kam ihm bekannt vor, aber es dauerte eine Weile, bis er darauf kam, was es war. Ja, sicher. Das waren die Schläge von Hammer und Meißel auf Gestein. Elgen Damoth wurde nie fertig, und das Geräusch war das eines Ogmari, der gerade seine Arbeit aufgenommen hatte. Gleich darauf fielen noch zwei oder drei weitere ein. Trywfyn atmete auf. Die Nähe von anderen Ogmari war beruhigend, auch wenn sie nichts von seinem Ausflug und dem Ort, an dem er sich befand, ahnten.

Der Kristall leuchte den Gang vor ihm auf zehn bis fünfzehn Schritte aus. Das war nicht sehr weit, aber es reichte aus, um Hindernisse rechtzeitig zu erkennen. Unbewusst begann Trywfyn ein Lied zu summen. Es war ein altes Bergmannslied. Trywfyn hatte nie in einem Bergwerk gearbeitet. Als Spross einer höheren Familie brauchte er das nicht, aber er hatte einpaar traditionsreiche Lieder gelernt. Er unterbrach sein Summen nur, wenn er sich ächzend durch weitere Engstellen quälen musste.

So bewegte er sich einige Zeit immer tiefer in die Erdkruste Elverans hinein und allmählich gewöhnte er sich an die bedrückende Umgebung - bis er hinter sich plötzlich ein leises Schleifen hörte. Er blieb stehen und das Gefühl der Gewöhnung war wieder verschwunden, genauso wie das Geräusch.

Trywfyn leuchtete den Gang hinauf, aber außer den feuchten, zerfurchten Felswänden war nichts zu sehen. Er ging weiter. Dieses Mal, ohne zu summen, aber mit einem geschärften Gehör.

Für eine Weile, in der er zwei weitere Engstellen überwinden musste, blieb es still und er glaubte schon, dass er sich das Geräusch nur eingebildet hatte. Dann wiederholte sich das Schleifen, aber es war nicht lauter als beim ersten Mal. Trywfyn machte auf dem Absatz kehrt, aber das Licht seines Kristalles reichte einfach nicht weit genug, um etwas erkennen zu können. Und vielleicht gab es ja auch gar nichts zu erkennen. Vielleicht war es ein ganz gewöhnliches Geräusch, das aus dem Gebirge kam.

Trywfyn hatte selbst schon einige merkwürdige Erfahrungen gemacht und von Bergleuten gab es unzählige Berichte über solche Erscheinungen. Sie kannten auch Ausdrücke dafür, wie »der Berg singt«, »der Berg schreit« oder »der Berg weint«. Genauso waren knirschende und knackende Geräusche nichts Außergewöhnliches. Aber ein Berg, der »schleift«, war ihm unbekannt. Trywfyns Aufmerksamkeit nahm zu, denn er wusste, dass manche Geräusche unangenehme Ereignisse ankündigten.

Er ging weiter, und obwohl das Schleifen wieder aufgehört hatte, war Trywfyn bereit, sich jederzeit in den Felsen hinein in Sicherheit zu bringen. Vielleicht war es nur auf dieser Strecke zu hören und so beschleunigte er seinen Schritt, soweit es der an manchen Stellen rutschige Untergrund zuließ. Wieder setzte das Geräusch ein und dieses Mal schien es aufgeholt zu haben. Von einer solchen Erscheinung jedenfalls hatten Drans Erzählungen nicht gesprochen.

In diesem Augenblick kam vor ihm das erste größere Hindernis zum Vorschein. Eine glatte Felswand versperrte den Gang vollständig. Solange keine Gefahr erkennbar war, wollte Trywfyn nicht ins Gebirge ausweichen, aber jetzt hatte er gleich zwei Gründe dafür. Anders würde er dem Gang nicht weiter folgen können und das Schleifen bewegte sich offensichtlich in seine Richtung und deutlich schneller als er.

Allmählich wuchs in Trywfyn die Befürchtung, dass ihm irgendetwas folgte und das war zumindest unheimlich, solange er es nicht kannte. Und es konnte sich als Gefahr herausstellen, wenn er es kennengelernt hatte. Deshalb gab es nur einen Weg: durch den Felsen hindurch. Es war zweifelhaft, ob ihm die Ursache des Schleifens dann noch folgen konnte.

Seine Untersuchung der Felswand war nur kurz. Mit einem Blick stellte er fest, dass der Gang durch die herabgebrochene Decke versperrt wurde. Er konnte sich also geradeaus halten. Trywfyn machte einen kurzen Schritt und war im Felsen verschwunden. Nur wenig später erreichte die Ursache für das schleifende Geräusch ebenfalls die Felswand.

Trywfyn hatte sich nicht getäuscht. Als er aus dem Felsen herauskam, führte der Gang genauso weiter, wie er geendet hatte. Er machte einpaar Schritte und drehte sich um. Die Decke neigte sich steil gegen den Boden, aber das war nicht der Grund, warum er sich umsah. Er wollte sich vergewissern, dass ihm niemand folgte. Und solange er abwartend stehenblieb, tauchte weder jemand auf noch geschah etwas anderes. Unsinn, dachte er, wer sollte mir schon durch den Felsen folgen? Das Geräusch kam natürlich aus dem Berg. Trywfyn straffte sich und ging weiter. Es dauerte nicht lange, da war es wieder auf seiner Fährte.

Nach einiger Zeit legte sich seine Anspannung und ihm fiel ein neues Lied ein. Doch es blieb ihm im Hals stecken, als ihn hinter einer Biegung eine Begegnung erwartete, die es nach dem Wissen der Ogmari gar nicht geben durfte. Und sie zeigte ihm, dass es zumindest auf seinem Weg zu Drans Hallen nicht ganz so einsam war, wie er vermutet hatte.

Aus der Dunkelheit näherten sich ihm fünf Krieger. Der Erste hielt einen Leuchtkristall in der Hand. Zufällig geschah es an einer Stelle, die ihnen genug Platz ließ, bequem aneinander vorbeigehen zu können. Trywfyn drückte sich an die Wand. Es waren Ogmari-Krieger und zuerst kam ihm der Verdacht, dass es sich um einige seiner Landwachen handelte, die zufällig den Gang entdeckt hatten. Vielleicht gab es ja doch noch einen bis dahin unbekannten Eingang. Aber Trywfyn merkte schnell, dass es mit diesen Kriegern etwas Besonderes auf sich hatte. Im Gegensatz zu ihm blieben sie nicht stehen und zeigten auch keinerlei Überraschung, einen Volksgenossen zu treffen. Ja, es schien, als nahmen sie ihn noch nicht einmal wahr, denn sie würdigten ihn keines Blickes. Mit grimmigen Mienen und Streitäxten in ihren Händen gingen sie an ihm vorbei.

Trywfyn war bereit, sie wegen ihres ungebührlichen Verhaltens zu rügen. Dabei störte ihn weniger, dass sie ihn nicht erkannten. Nicht alle Ogmari hatten ihren Herrscher je zu Gesicht bekommen und er hatte nichts an sich, was ihn als Edoral auswies. Aber es war unüblich bei den Erdmenschen, sich nicht wenigstens zu grüßen. Er zögerte. Ihre Erscheinung war so - gespenstisch, dass Trywfyn es nicht wagte, sie anzusprechen. Und dann wurde ihm klar, was an den drei Kriegern so ungewöhnlich war. Sie kamen nicht aus seiner Zeit.

Erst als die Krieger schon fast an ihm vorüber und von der Dunkelheit verschluckt worden waren, bemerkte er ihren andersartigen Aufzug. Sie trugen erkennbar altertümliche Rüstungen, die bei den Ogmari schon lange nicht mehr in Gebrauch waren. Außerdem hatte er von ihnen nichts gehört, keine Schritte, kein Klirren der Kettenhemden und kein Knirschen ihres Lederzeugs. Nicht einmal ein Schnaufen ihrer Atmung war vernehmbar. Es war eine geradezu geisterhafte Begegnung.

Und dann fiel ihm auf, was ihn an dem Leuchtkristall gestört hatte. Er leuchtete gar nicht. Trywfyn hatte ihn zwar deutlich in der Hand des Anführers gesehen, aber er war ihm ungewöhnlich blass vorgekommen. Aber erst, als die Krieger in der Dunkelheit verschwanden, ohne dass ein Lichtschein von ihnen ausging, wurde ihm klar, dass es mit dem Kristall anscheinend eine besondere Bewandtnis hatte.

Nachdem sie endgültig aus seiner Sicht verschwunden waren, spürte Trywfyn, dass er leicht zitterte. Jetzt war er froh, dass diese Begegnung an dieser Stelle stattgefunden hatte. So kraftvoll, wie sie an ihm vorübergegangen waren, ohne ihn zu beachten, war er jetzt sicher, dass sie ihn an einer engeren Stelle des Stollens umgelaufen hätten.

Ihr unerwartetes Auftauchen und ihr Verhalten ließ zwei Möglichkeiten vermuten, und beide hielt Trywfyn für so unwahrscheinlich, ja unglaublich, dass er sie sofort verworfen hätte, wenn er nicht selbst Zeuge dieser Begegnung geworden und mit ähnlich merkwürdigen Erscheinungen an anderen Orten vertraut gewesen wäre. Entweder waren sie Geister von längst verstorbenen Ogmari oder aber ihre Zeit hatte sich mit seiner überschnitten. Aber Geister gab es bei Ogmari nicht. Dass sie bei menschlichen Wesen vorkamen, das wusste er. Er hatte schon selbst welche gesehen. Geister von Ogmari waren aus verschiedenen Gründen undenkbar. Blieb nur die Zeit. Trywfyn schüttelte mit dem Kopf. Vielleicht hatte er einen kurzen Ausschnitt aus ihrer Geschichte erlebt, in der tatsächlich ein kleiner Trupp Krieger diesen Tunnel erforscht hatte und der nie bekannt wurde. Was immer die Ursache für diese Begegnung war, sie war auf jeden Fall eine denkwürdige Begebenheit. Dran selbst schien eine solche Begegnung nicht - Dran? Konnte es sein, dass er es war? Trywfyn schüttelte abermals mit dem Kopf. Er konnte die Frage nicht beantworten. Und er musste weiter.

Trywfyn war tatsächlich einer früheren Wirklichkeit begegnet und er hatte sie mit seinem letzten Gedanken erfasst. Die Krieger, die ihm begegnet waren, waren Dran und seine vier Begleiter. Ihre Begegnung wurde möglich durch die Besonderheiten Elverans und dazu kam, dass ihn dieser Tunnel einem Ziel entgegenführte, in der Zeit eine andere Rolle spielte.

Das nächste Hindernis war ein überfluteter Teil des Tunnels. Das hatte Trywfyn erwartet, denn davon hatte Dran gesprochen. Er hatte zwar gehofft, dass das Wasser in der Zwischenzeit abgelaufen war, aber es sollte ihn nicht aufhalten. Er hätte in den Felsen ausweichen können, aber er hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, Drans Weg nachzugehen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als gründlich nass zu werden und zu hoffen, dass es das einzige Mal blieb. Trywfyn vergewisserte sich, dass alle seine Taschen geschlossen waren, dann ließ er sich ins Wasser gleiten.

Ogmari konnten unter Wasser genauso schlecht sehen wie Menschen. Und so musste er Einzelheiten erahnen und erfühlen. Immerhin leuchtete sein Kristall unter Wasser so gut, dass er den Verlauf des Ganges erkennen konnte. Das Wasser war kalt. Eisig drang es durch Trywfyns Kleider und schnitt wie tausend feine Klingen in seine Haut. Nur mit Mühe konnte er verhindern, unwillkürlich einzuatmen. Mit kräftigen Bewegungen schob er sich vorwärts. Er war noch nie in einer Höhle getaucht und stellte fest, dass das Wasser seltsame Geräusche übertrug. Es knackte und klopfte in seinen Ohren. Das waren Geräusche, die aus dem Gebirge kamen. Andere hatten ihm davon erzählt.

Bald, nachdem Trywfyn eingetaucht war, kam er wieder an eine Engstelle und nur mit Mühe konnte er sich hindurchzwängen. Als der Gang sich wieder weitete, musste er lächeln. Das, was er tat, konnte nur ein Ogmari. Ein Mensch hätte ihm niemals auf diesem Weg folgen können. Was immer sich am Ende dieses Tunnels befand, es war das sicherste Versteck auf Elveran. Trywfyn kam allerdings auch nicht auf den Gedanken, dass kein Mensch so verrückt gewesen wäre, diesem Tunnel zu folgen, selbst wenn er ihn durchgehend hätte begehen können.

Plötzlich mischte sich ein anderes Geräusch unter die, die ihn umgaben und es erschreckte Trywfyn. Es war das Geräusch eines schweren Körpers, der ins Wasser fiel. Es platschte, rauschte und gurgelte. Dann ebbte es ab und verschwand. Trywfyn drehte sich um, aber im Licht seines Kristalles war kein Schatten zu erkennen, der sich auf ihn zubewegte. Vielleicht nur ein Stück Felsen, das aus dem Gebirge herausgefallen war. So etwas kam vor.

Kurz darauf kam Trywfyn wieder an die Luft. Er prustete und atmete tief durch. Um ihn herum spiegelte sich die aufgewirbelte Oberfläche des Wassers blutrot im Schein seines Kristalles. Nur langsam beruhigte sie sich wieder. War doch gar nicht so schwer, sagte er sich zufrieden und setzte seinen Weg fort.

Als der rötliche Schein in der Ferne verblasste, sprudelte das Wasser plötzlich und wallte wie eine große Blase auf. Ein grauer, rissiger Kopf, haarlos, mit einem breiten Mund und zwei blassen, ungewöhnlich großen Augen kam zum Vorschein. Zwei ebenso graue und rissige Hände schoben sich aus dem Wasser, krallten sich in den Felsen und zogen den unförmigen Körper heraus, bis er triefend auf zwei kurzen Beinen stand. Langsam folgte das Wesen Trywfyn, einen langen Schwanz hinter sich her ziehend, der ein bekanntes Geräusch erzeugte.

Das Wesen hätte dem Ogmari auch ohne dessen Licht folgen können, denn seine Augen waren für die Dunkelheit unter der Erde geschaffen und sie benötigten kein sichtbares Licht. Die erste Zeit hatte es ihn sogar geblendet. Aber es gewöhnte sich bald daran und dann war es ihm sogar eine Hilfe. Noch hielt es sich in der Dunkelheit, wo der Schein des Leuchtkristalles ihn nicht erreichte, verborgen. Es war neugierig, was der Eindringling vorhatte. Wenn er den Weg weiterging, konnte er bis zur Zeitkammer kommen, vorausgesetzt, er überlebte den Wasserfall.

Für eine Weile konnte Trywfyn ungestört weitergehen. Er stieß auf keine weiteren Hindernisse und auch unheimliche Begegnungen blieben ihm erspart. An einigen Stellen senkte sich die Decke so weit herab, dass er gebückt darunter hindurchgehen musste. Aber diese blieben die einzigen Unbequemlichkeiten, wären da nicht seine feuchten Kleider und die Kälte gewesen. Beides war unangenehm, minderten aber nicht Trywfyns Eifer, mit dem er diesen Tunnel erforschte. Das rätselhafte, schleifende Geräusch hatte er fast schon wieder vergessen.

Unvermittelt weitete sich der Gang vor ihm und das Licht seines Kristalles strahlte ins Leere, bis es von einer undurchdringlichen Schwärze verschluckt wurde. Trywfyn blieb stehen und hielt ihn einmal in diese, einmal in jene Richtung. Kein Zweifel, er hatte die erste der Höhlen erreicht, die der Gang miteinander verband.

Dort hatten seine Schritte nur hohl geklungen, jetzt verursachten sie ein Echo. Daraus schloss er, dass er in einer Höhle von beachtlichen Ausmaßen angekommen war. Er rief laut seinen Namen und er kam in tausendfacher Wiederholung zurück. Dazwischen erklang immer wieder ein Platschen. Wenn er diesem Echo vertraute, dann mussten irgendwo riesige Wassertropfen von der Decke herabfallen und auf dem Boden zerplatzen. Das war natürlich Täuschung, hörte sich aber gewaltig an.

Das Klopfen der Handwerker in Elgen Damoth war schon lange hinter ihm zurückgeblieben und alles, was er jetzt hörte, kam tatsächlich aus der Nähe. Trywfyn bedauerte, keinen stärkeren Leuchtkristall mitgenommen zu haben. In seiner Vorstellung konnte er deutlich sehen, wie sich vor ihm die in endlosen Zeiten gewachsenen Stalagmiten, vom Boden aufsteigend, und Stalaktiten, von der Decke herabhängend, erstreckten. Nach den Tropfgeräuschen mussten es unzählige sein.

Kurz darauf bestätigte sich seine Vermutung. Vor ihm traten die ersten Säulen fahl und unbeweglich aus der Finsternis, versteinerten Berggeistern gleich. Dahinter wurden es immer mehr. Trywfyn kehrte wieder um und ging zur Höhlenwand zurück. Mit seinem kleinen Licht konnte er sich leicht zwischen den Tropfsteinsäulen verlaufen. Wenn er sich recht an Drans Erzählungen erinnerte, dann gab es keine Seitenabzweigungen, weder aus den Höhlen heraus, von denen noch zwei weitere folgen sollten, noch aus dem Gang. Wenn er also wieder zu einem Ausgang kam, dann konnte es nur die Fortsetzung des Ganges sein. Also war es besser, sich an der Höhlenwand entlang zu bewegen.

Sie glitzerte vor Feuchtigkeit im Schein des Lichtes. Ein wunderschön gewachsener Bergkristall kam in Sicht. Das erfreute Trywfyns Herz und gleichzeitig bedauerte er, dass ihn nach ihm kaum jemals ein Ogmari wieder zu Gesicht bekommen würde. Keinen Augenblick dachte er daran, dieses Schmuckstück aus der Wand zu brechen. Edelsteine ab einer bestimmten Tiefe gehörten Elveran und wurden von den Ogmari nicht mehr dem Erdreich beraubt.

Schließlich kam er bei dem Ausgang an. Er blickte sich noch einmal um und verschwand dann in dem Tunnel.

Die nächste Höhle erreichte er früher als er erwartete und sie musste kleiner sein, denn die Echos waren weniger beeindruckend und kamen schneller zurück. Trotzdem war sie zu groß, als dass er sie ausleuchten konnte. Die Luft war trockener und er konnte keine Tropfsteine entdecken. Auch an den Wänden fühlte er weniger Feuchtigkeit.

Von der Tropfsteinhöhle bis dorthin hatte er einpaar hundert Meter Tiefe gewonnen und allmählich konnte er eine Veränderung feststellen. Es wurde wärmer. Je länger er durch den Tunnel gegangen war, desto mehr hatte ihn das Gefühl dafür verlassen, wie tief er sich schon in das Erdreich vorgewagt hatte. Trywfyn wusste zwar, dass es so war, aber darüber hatte er sich keine Gedanken gemacht. Nicht zuletzt deswegen, weil der Gang ständig auf- und abführte. Aber die Wärme war ein Anzeichen dafür, dass er bereits ziemlich tief gekommen war. Trywfyns Kleidung war immer noch nicht ganz getrocknet, aber es fühlte sich nicht mehr so unangenehm an.

Den Ausgang hatte er bald erreicht, aber hier stellte sich ihm ein neues Hindernis in den Weg. Nach wenigen Schritten war der Gang verschüttet. Vermutlich hatte sich irgendwann in einem Erdbeben ein Teil der Decke gelöst und war herabgestürzt. Der Gang fiel die ersten Meter ziemlich steil ab und verschwand dann unter den Felstrümmern. Trywfyn war deshalb aber nicht beunruhigt. Er tauchte einfach wieder ins Gebirge ein - und war gleich darauf wieder da, triefend nass und nach Luft japsend.

Dass hinter dem Hindernis wieder ein wassergefüllter Hohlraum war, konnte er nicht wissen. Der Schutt auf dieser Seite war trocken. Er musste so dicht sein, dass ihn das Wasser nicht durchdringen konnte. So war er in einem gefluteten Teil des Ganges herausgekommen, ohne seine Lunge ausreichend mit Luft gefüllt zu haben.

Vor Schreck hatte er ohne zu überlegen den Rückzug angetreten. Tief holte Trywfyn Luft und ärgerte sich darüber, dass seine Kleidung schon wieder durchnässt war. Immerhin war das Wasser nicht mehr ganz so schaurig kalt gewesen wie weiter oben. Er räusperte sich und machte den nächsten Versuch. Die Lungen gut mit Luft gefüllt, drang er wieder in den Felsen vor. Dieses Mal war er vorbereitet auf das, was ihn erwartete - glaubte er.

Aus einiger Entfernung starrten zwei blasse Augen auf die Stelle, wo der Ogmari verschwunden war. Das Wesen hatte ihn die ganze Zeit beobachtet. Jetzt setzte es sich auch in Bewegung und schneller als vorher.

Trywfyn ahnte nichts von der Gefahr. Voller Zuversicht tauchte er in das Wasser, den Leuchtkristall vor sich ausgestreckt. Er konnte lange die Luft anhalten und bei seinem letzten Tauchgang war sie ihm nicht knapp geworden. Was also sollte ihm jetzt passieren? Immerhin hatte er noch die Möglichkeit, in den umliegenden Felsen auszuweichen, wenn er in Not geriet. Doch es dauerte nicht mehr lange, da musste Trywfyn auf erschreckende Weise feststellen, dass er sich verrechnet hatte.

Bei seinem ersten Vorstoß war er sofort zurückgewichen. Mitten im Wasser aufzutauchen war ein äußerst seltener Unfall, deshalb hatte es ihn so überrascht. Dabei hatte er das Rauschen und Gurgeln überhört, das ihn umgab. Jetzt stürzte es förmlich auf ihn ein. Und als er merkte, wie er vorwärtstrieb und immer schneller wurde, konnte er nicht mehr umkehren. Doch es kam noch schlimmer. Er befand sich überhaupt nicht in der Fortsetzung des Ganges, sondern wieder in einer Höhle, die sich der vorherigen unmittelbar anschloss, nur durch eine Felswand getrennt. Eine unwiderstehliche Gewalt drückte ihn nach unten, ohne dass er den Boden erreichte. Verzweifelt hielt er seinen Kristall in der Hand, aber wo er auch hinschaute, der Schatten einer Felswand, in die hinein er sich hätte flüchten können, blieb außer Reichweite.

Dann fing er an zu trudeln, denn um ihn herum gab es verschiedenen Strömungen. Er überschlug sich, Blasen umgaben ihn und das anfängliche Rauschen wurde zu einem beängstigenden Tosen. Kein Wunder also, dass er nach wenigen Augenblicken die Orientierung verlor. Jetzt bekam er Angst. Das erste Mal in seinem Leben spürte er Todesangst und nirgends war Rettung in Sicht. In seiner Verzweiflung verfluchte er seinen Entschluss, zu Drans Hallen aufzubrechen. Danach konnte er kaum noch einen klaren Gedanken fassen.

Seine Luft ging ihm allmählich aus, und gnadenlos rollte und taumelte er immer weiter, ohne ein Ende des Wassers erreichen zu können. Oben und unten, rechts und links gab es nicht mehr. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, schloss er mit seinem Leben ab. Auch so etwas hatte es für ihn noch nie gegeben und wäre er noch im Stande gewesen, zu überlegen, hätte er sich dafür geschämt. Dann schwanden ihm die Sinne.

Kräftige Arme packten ihn, beendeten seine Bewegungen und brachten ihn aus der Gefahr. Nicht mehr weit entfernt lag das Ufer des unterirdischen Sees. Dort legte ihn sein Retter ab. Weit unter ihnen auf dem Grund schimmerte im letzten matten Rot der Leuchtkristall und würde bald erlöschen. Trywfyn hatte ihn in seinem Todeskampf verloren. Das Wesen ließ sich in die Tiefe gleiten und brachte auch ihn wieder an die Oberfläche. Dann verstaute es den Edelstein in der Tasche des Ogmari bei den anderen beiden Kristallen. Ohne sie sich anzusehen, verschloss es die Tasche wieder.

„Er kommt wieder zu sich“, hörte Trywfyn durch ein lautes Rauschen in seinen Ohren. Wie konnte er im Wasser so klar hören? Und warum konnte er unter Wasser überhaupt atmen? Zwei tiefe Atemzüge bewiesen ihm, dass er Luft bekam.

Noch fehlte ihm die Kraft, seine Augen zu öffnen, aber die Bewegungen seines Brustkorbes und die leichten Zuckungen seiner Arme und Beine zeigten, dass noch Leben in ihm steckte. Hinter seinen Augenlidern nahm Trywfyn eine schwache Helligkeit wahr. Das musste es sein. Er war in der Halle der Ahnen angekommen. Dann war er also doch ertrunken. Eine schreckliche Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein Blitz. Niemand, der noch lebte, würde je herausfinden, was mit ihm geschehen war. Und jene, die wussten, wohin er gegangen war, hatten keine Möglichkeit, ihn zu suchen. Doch am schlimmsten, die beiden Kristallfragmente waren endgültig und für immer verloren. Nein! Das durfte nicht sein! Mit aller Kraft, die er wieder besaß, schlug er seine Augen auf.

Das sollten die Hallen seiner Ahnen sein? Wo waren die Ahnen denn? Er konnte niemanden sehen oder hören. Stattdessen blickte er in ein gestaltloses Grün. Das Rauschen in seinen Ohren ließ nach und er spürte die vollkommene Stille um sich herum. Aber die Stimme? Oder war es seine eigene gewesen, die festgestellt hatte, dass er noch lebte? Unsinn. Außerdem hörte sie sich ganz anders an.

Trywfyns Augen wanderten hin und her, aber es gelang ihnen nicht, mehr Klarheit in seine Umgebung zu bringen. Er war umgeben von einem grenzenlosen, gestaltlosen Hellgrün, ohne Formen und Muster. Er konnte nicht einmal feststellen, ob es durchsichtig war oder jeden Blick auf andere Dinge, die vielleicht noch da sein mochten, verhinderte. Aber er lag auf festem Grund. Seine Hände tasteten hin und her. Es fühlte sich an wie Stein, aber es gab keinen Staub oder feines Geröll. Irgendjemand musste dort sorgfältig ausgefegt haben. Welch ein absurder Gedanke, dachte er.

Mühsam richtete sich Trywfyn auf und stützte sich auf seine Arme. Dabei schob er seine Tasche zur Seite. Sie war wenigstens noch da. Aber seinen Leuchtkristall hatte er verloren. Vielleicht brauche ich ihn ja auch nicht mehr, tröstete er sich über den Verlust hinweg.

Schon beim ersten Versuch, sich umzuschauen, stutzte er. Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand in hockender Stellung eine Skulptur, eine Gestalt aus Stein. Sie war grau und rissig und musste schon seit ewigen Zeiten an dieser Stelle stehen. Offensichtlich hatte ihr Schöpfer sich nicht die Mühe gemacht, irgendwelche Kleidung anzudeuten. Der dicke, runde Kopf saß ohne Hals auf einem viel zu kleinen Körper. Die kurzen, stämmigen Beine waren angewinkelt und wurden von den Armen umschlungen. Ein langer Schwanz verließ sein verlängertes Rückgrat und hatte sich am Boden um die Füße gerollt. Der schmallippige, breite Mund war geschlossen.

Welchem fremdartigen Wesen diese Figur auch immer nachempfunden war, sie war nur wenig größer als Trywfyn selbst und er hatte ein solches noch nie zuvor gesehen. Und was sollte es hier? Was sollte er hier? In dieser grenzenlosen Halle, wenn es denn überhaupt eine war, befand er sich anscheinend mit der Bildhauerei allein.

Doch dann kamen ihm Zweifel. Alle seine Beobachtungen waren richtig, und doch störte ihn etwas an der Gestalt. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis er merkte, dass es die Augen waren. Sie passten nicht zu einer Steinfigur. Sie schimmerten in einem hellen Blaugrau und waren ebenso unergründlich wie das alles umgebende grüne Licht. Die Augen waren erstaunlich groß, und wenn es polierte Edelsteine waren, dann hatte sich ihr Schöpfer einige Mühe gegeben, ihnen ein unpassend lebendiges Aussehen zu verleihen.

Eine leichte Bewegung ging durch die Figur. Hatte sich Trywfyn geirrt und es war doch Leben in ihr oder hatten ihn seine Sinne getäuscht? Er hatte sich geirrt, denn der Mund öffnete sich.

„Du warst leichtsinnig. Und du hattest außerordentliches Glück.“ Die Worte waren verständlich, aber in einer ungewöhnlichen Mundart gesprochen. Und der Klang der Stimme war so steinern-knarrend, wie sie nicht besser zu einem solchen Wesen passen konnte. „Wer bist du, dass du den Mut hast, diesen Tunnel entlang zu gehen?“

Trywfyn war so verwirrt, dass ihm zunächst eine Antwort überhaupt nicht einfiel.

„Wo bin ich?“, fragte er stattdessen.

Er stockte. Plötzlich fielen ihm wieder die Kristallfragmente ein. Es wäre furchtbar, wenn er sie verloren hätte. Ungeachtet der Anwesenheit des fremden Wesens suchte er in seiner Tasche danach. Er atmete auf, als er feststellte, dass sie noch da waren. Er fand sogar seinen Leuchtkristall, der jetzt aber erloschen war.

„Keine Sorge, du hast nichts verloren“, sagte der Steinerne.

„Woher weiß du das?“

„Ich habe dich unter Wasser verfolgt und meine Augen sind recht gut, weißt du. Ich habe dir sogar deinen Leuchtkristall gerettet.“

„Wo bin ich da überhaupt hineingeraten?“, fragte Trywfyn. „War es eine geflutete Höhle?“

„Ja, aber es war mehr. Es war ein Wasserfall, der auf dich niederging. Es wird dich sicher nicht überraschen zu hören, dass es ein ziemlich großer war.“

„Hm, davon hat er gar nichts gesagt“, murmelte Trywfyn und dachte dabei an Dran.

Der Steinerne schien es überhört zu haben, denn er erzählte weiter. „Er war nicht immer da. Ein Erdbeben öffnete das Bett des unterirdischen Flusses und seither ergießt er sich in diese Höhle. Er verläuft sich dann in breiten Rissen im Felsen. Nicht mehr lange, und du wärest in einen hineingespült worden. Ich konnte dich im letzten Augenblick retten.“

„Dann habe ich dir mein Leben zu verdanken.“

„In einem gewissen Sinne schon, aber es ist gut. Du bist mir nichts schuldig. Wohin wolltest du? Aber du hast mir noch nicht gesagt, wer du bist.“

„Ja, du hast Recht. Trywfyn ist mein Name. Ich bin der Edoral Ogmatuums.“

„Ogmatuum, sieh an. Das gibt es noch?“

Trywfyn richtete sich noch ein Stück weiter auf und zog seine Beine in den Schneidersitz. Er nahm seinen erloschenen Leuchtkristall in die Hände und betrachtete ihn nachdenklich, als könne er ihm die Antworten auf seine Fragen geben.

„Warum wundert dich das?“, fragte er den Steinernen.

„Weil es lange her ist, dass jemand aus deinem Volk hier unten war. Es hätte in der Zwischenzeit ausgestorben sein können.“

„Wie lange?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe kein Maß für die Zeit. Warum sollte ich mir da die Mühe machen, über sie nachzudenken.“

„Kannst du mir wenigstens sagen, wen aus unserem Volk du meinst?“

Der Steinerne nickte. „Sicher, er nannte sich Dran. Und mit ihm kamen Keril, Togmer, Banli und Fanir.“

Trywfyn horchte auf. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Dann konnte - dann musste ....

„Das hier sind Drans Hallen!?“, entfuhr es ihm.

Im gleichen Augenblick wurde ihm klar, dass es gar nicht anders sein konnte, denn es würde sicher nicht sehr viele Räume unter der Erde geben, die den Beschreibungen Drans nahekamen.

„Drans Hallen? Was ist das?“, fragte der Steinerne.

Natürlich, woher sollte er wissen, wie Drans Entdeckung bei den Ogmari genannt wurde, die von seinem Unternehmen wussten. Also musste er es ihm erst erklären. Trywfyn blickte sich um. Viel war jedoch nicht zu erkennen. Die gewaltige unterirdische Halle war von einem grünen Glimmen erfüllt und außer dem Boden gab es keine erkennbare Begrenzung. Und selbst der, offensichtlich aus ebenmäßigem Felsen, besaß eine graugrüne Färbung. Das einzige, was jetzt noch fehlte, war die körperlose Stimme. Trywfyn erzählte dem Steinernen die Schilderungen seines Vorfahren.

„Wenn das so ist, werden es wohl Drans Hallen sein, wie du sie nennst“, schloss er.

„Und zwischen ihm und mir war niemand hier unten?“

„Doch, aber es waren keine Ogmari.“

„Menschen oder andere Wesen von der Oberfläche?“

„Keine von ihnen, andere Wesen, aber die kennst du nicht und dein Dasein hat nichts mit dem ihren zu tun.“

„Hm, also gut, ich werde nicht weiter nach ihnen fragen“, meinte Trywfyn. „Aber, kennst du ein Wesen, ein körperloses Wesen, dessen Stimme an diesem Ort zu hören sein soll?“

„Du stellst merkwürdige Fragen. Wie kommst du darauf?“

„Nun, Dran sprach davon. Also gut, diesen Teil seiner Erzählungen hatte ich ausgelassen. Als er vor etwa achthundert Jahren unserer Zeitrechnung an der Schwelle zu dieser Höhle stand, sprach eine Stimme zu ihm -.“

„So, was wollte sie denn?“

„Ihn und seine Begleiter daran hindern einzutreten. Ihren Besitzer konnten sie nicht erkennen, aber seine Stimme war umso deutlicher und sie nannte sich die Essenz Elverans, der Urgrund seines Daseins.“

„Interessant, geradezu mystisch. Und das war alles?“ Die Stimme des Steinernen klang eintönig, sonst hätte Trywfyn die unterschwellige Hintergründigkeit verstanden. So hörte er sich eher einfältig an.

„Soweit überliefert wurde, ja.“

„Na schön, und was wolltest du?“

„Den Tunnel kennenlernen und ebenfalls diese Halle erreichen.“ Trywfyn konnte nicht ausschließen, dass der Steinerne mehr wusste, als er zugab, aber wenn es so war, dann war er offenbar nicht bereit, sein Wissen preiszugeben, jedenfalls noch nicht. Also gab es keinen Grund für ihn, sich nicht auch noch ein wenig bedeckt zu halten. Es war auch kaum anzunehmen, dass der Steinerne etwas mit dem körperlosen Wesen zu tun hatte. Eher war er eine dieser geheimnisumwitterten Kreaturen, die sich mehr unter der Erdoberfläche aufhielten als auf ihr und von denen es zahllose Gerüchte gab. Immerhin schien dieses eher gelangweilt und nur wenig an dem Grund für Trywfyns Anwesenheit interessiert als gefährlich zu sein. Immerhin hatte es ihn vor dem Ertrinken bewahrt. „Aber ich wusste weder etwas von dir noch von den Geistern oder dem unterirdischen See.“

„Was für Geister?“

„Unterwegs begegneten mir vier Geister von Ogmari. Es waren Krieger und nach ihrer Kleidung zu urteilen, lebten sie vor ziemlich langer Zeit. Sie beachteten mich nicht und machten keinerlei Geräusche. Es waren bestimmt Geister, obwohl es sie gar nicht geben dürfte.“

„Warum?“

„Weil es keine Ogmari-Geister gibt.“

„Hm, das verstehe ich nicht“, meinte der Steinerne.

„Mach dir nichts draus, ich verstehe es auch nicht.“

Das stimmte zwar nicht, aber Trywfyn hatte keine Lust, dem Steinernen, der wahrscheinlich nichts von diesen Dingen verstand, den Vorgang des Sterbens bei Ogmari zu erklären.

„Na gut, du wolltest also den Tunnel kennenlernen und diese Halle erreichen. Wenn das die einzigen Gründe waren, dann hast du viele Unannehmlichkeiten für eine so unbedeutende Angelegenheit auf dich genommen. Es fällt mir schwer zu glauben, dass du tatsächlich nur von deiner Neugierde angetrieben wurdest.“

Also doch ein wenig scharfsinnig, schloss Trywfyn. Aber er behielt es für sich. Vielleicht fühlte sich der Steinerne herausgefordert, wenn er hörte, was Trywfyn über ihn dachte. Aber er hatte ja Recht. Alleinige Neugierde war tatsächlich kein besonders guter Grund für sein abenteuerliches Unternehmen. Das musste Trywfyn zugeben. Andererseits reichte sie für manch andere gewagte Unterfangen aus. Schließlich hatte er mit Tjerulf und seinen Freunden mehr als eine Reise aus keinem anderen Grund unternommen. Und trotzdem war nicht zu überhören, dass der Steinerne ihm nicht glaubte.

Plötzlich erkannte Trywfyn die Sinnlosigkeit ihres Planes. Wenn er dem Steinernen sagte, dass er dort unten Kristalle verstecken wollte, dann hatte er einen Mitwisser, den er nicht kannte. Vielleicht wich er ihm nicht einmal von der Seite, solange er sich in dieser Höhle aufhielt. Es war ihm schon ein Rätsel, dass er überhaupt eingelassen worden war, wo Dran und seinen Begleitern der Zutritt doch verwehrt wurde. Und der Steinerne konnte offensichtlich auch ein- und ausgehen. Vielleicht gefielen ihm die Fragmente und er nahm sie später an sich. Dann waren sie verloren. Also was sollten seine ganzen Bemühungen? Der Steinerne hatte sich ihm gegenüber zwar nicht als unfreundlich erwiesen, ihm sogar das Leben gerettet, aber Trywfyn hielt es deshalb noch lange nicht für angebracht, ihn zum Wächter über die Kristallfragmente zu machen, wozu der Steinerne vielleicht auch gar keine Lust hatte, wenn er die Steine schon nicht begehrte. Na, dann musste er sie eben wieder mitnehmen.

„Also?“, fragte der Steinerne.

„Es ist, wie ich sagte“, beharrte Trywfyn. „Es war reine Neugierde. Ich wollte einfach nur den Spuren meines Stammesgenossen folgen und die körperlose Stimme hören. Und vielleicht ihren Besitzer kennenlernen, der sich selbst als Urgrund des Daseins bezeichnete. Kennst du ihn?“

Bevor der Steinerne antworten konnte, erfüllte ein schallendes Gelächter die Halle und Trywfyn schreckte zusammen. Der Steinerne blieb ungerührt sitzen.

„Ist sie es?“, fragte er geradezu gelangweilt.

„Ich vermute, ja“, versuchte Trywfyn ebenso teilnahmslos zu antworten, aber ganz gelang es ihm nicht. Er stand auf und sah sich in allen Richtungen um. Aber da war niemand, nur dieses Lachen, das eine unbändige Heiterkeit ausdrückte.

„Ich glaube, du hast unseren Gast mit deiner vorgetäuschten Unwissenheit lange genug an der Nase herumgeführt, Gründel“, sagte die Stimme. „Jetzt verdrieße ihn nicht noch mehr. Du weißt genau, wer ich bin und was der Ogmari hier will.“

„Wie? Woher?“, fragte Trywfyn und sah Gründel befremdet an.

Also hatte er mit seiner Ahnung doch Recht gehabt. Trotzdem hätte er nicht vermutet, dass Gründel und der Besitzer der Stimme sogar über sein hauptsächliches Anliegen unterrichtet waren. Aber vielleicht waren sie gar nicht, und es hörte sich nur so an.

Gründel blickte unbeteiligt nach oben. Trywfyn kannte die Geste von seinen menschlichen Freunden und war sicher, dass Gründel in diesem Augenblick gepfiffen hätte, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Aber vielleicht überlegte er auch nur. Dann, mit einem Ruck seines Kopfes, sah er Trywfyn wieder an und zeigte auf die Tasche.

„Diese beiden Kristalle wolltest du in unsere Obhut bringen.“

Unwillkürlich legte Trywfyn seine Hand darauf.

„Sei ohne Sorge, ich werde sie dir nicht nehmen. Für uns hätten sie hier unten doch keine Bedeutung. Und besonders schön sind sie auch nicht. Aber welche Bedeutung sie auch immer für dich haben, bist du sicher, dass hier ein guter Ort wäre, sie aufzubewahren? Und warum willst du das überhaupt tun?“

„Nein, nicht mehr. Und nicht erst, seit du gezeigt hast, dass du von ihnen weißt. Es war für Freunde, die besonderen Wert auf die Sicherheit dieser Steine legen. Aber, Gründel, woher kennst du mein Geheimnis?“

Der Steinerne lachte, zumindest gab er Geräusche von sich, die darauf schließen ließen.

„Du hast es mir doch selbst gesagt.“

„Ich? Wann?“

„In deiner Bewusstlosigkeit bist du einmal kurz aufgeschreckt und hast gesagt, dass die Kristalle in Drans Hallen gebracht werden müssen, in Sicherheit. Ich konnte mir keine anderen als diese hier vorstellen, schließlich warst du schon auf dem Weg hierher. Da brachte ich dich eben an diesen Ort. Und es sind wirklich keine hübschen Kristalle. Ich habe sie mir angesehen. Aber warum treibst du ihretwegen solch einen Aufwand? Jetzt sind sie zwar hier, aber wie soll es weitergehen?“

Das wusste Trywfyn selbst nicht. Er war viel zu verblüfft. Dann fasste er sich, schließlich wollte er noch etwas herausfinden.

„Wem gehört diese Stimme?“, fragte Trywfyn. „Wie ich dir schon sagte, berichtete Dran von ihr. Außerdem, welchen Zweck hat diese Halle hier und schließlich, wer bist du? Stehst du in seinen Diensten?“

„Warum fragst du Gründel, wenn du mich meinst, zumindest teilweise“, schallte es durch die Halle.

Keine Frage, sie war mächtig genug, die unsichtbaren Wände erschüttern zu lassen.

„Entschuldigung, ich -.“

„Du brauchst deine Fragen nicht zu wiederholen. Ich habe sie gehört, Trywfyn aus dem Volk der Erdmenschen, die ihr euch selbst Ogmari nennt. Glaubst du an die Götter?“

Wie jede geistig selbstbewusste Lebensform hatten natürlich auch die Ogmari ihre Götter und huldigten ihnen auch. Trywfyn selbst war nicht nur der Herrscher über dieses Volk, er war auch sein höchster Priester, wie alle Edorale vor ihm. Daher konnte er diese Frage mit gutem Gewissen bejahen, obwohl er gleich darauf das Gefühl bekam, die Stimme nahm ihn nicht so ernst, wie er es sich wünschte.

„Das ist gut“, meinte sie. „Ich bin aber kein Gott. Deshalb spreche ich auch mit dir. Aber ich bin ein Geist und kein kleiner. Es gibt viele Geister, und einige hast du schon kennengelernt. Sie alle sind, wenn sie wollen, ungebunden und frei.“

„Was ist mit den toten Ogmari?“, fragte Trywfyn, der die Möglichkeit sah, endlich mehr über die Hallen der Ahnen zu erfahren.

„Weißt du es denn nicht? Sie warten. Sie warten auf, wie ihr es nennt, den Großen Auszug. Ich nenne es die Heimkehr, denn an dem Tag werden sie mich verlassen und wieder zu ihren Ursprüngen zurückkehren. Aber lass dir gesagt sein, dass das kein Ereignis ist, was allein die Ogmari betrifft. Auch die Menschen werden nicht für alle Tage hier bleiben, genauso wenig wie die Tiere und die Essenzen der Pflanzen und Minerale. Es wird eine Zeit kommen, da wird Elveran von allem Leben entblößt werden. Doch wann diese Zeit kommt, das entscheide ich, denn ich bin die Essenz Elverans und ich entscheide über alles Werden und Vergehen. So, wie ich es Dran sagte und nun dir.“

„Und wann ist es soweit?“

Die Stimme lachte.

„Du kannst es wohl nicht erwarten, wie? Welchen Vorteil hättest du, wenn du es wüsstest? Aber in dieser Zeit geschehen Dinge auf Elveran, die darauf einen Einfluss haben. Mehr werde ich dir nicht verraten.“

Trywfyn hatte kaum mehr erwarten können, aber trotzdem hatte er auf Einzelheiten gehofft. Schließlich war ihm die Prophezeiung des Großen Auszugs der Ogmari nicht unbekannt. Aber wahrscheinlich war es wirklich besser, den Zeitpunkt nicht zu kennen.

„Ja, du hast Recht“, sagte er. „Aber kannst du mir etwas über die Hallen der Ahnen verraten? Wo liegen sie?“

„Ich kann sie dir sogar zeigen.“

Trywfyn wurde aufgeregt. An diese Möglichkeit hatte er überhaupt nicht gedacht. „Das wäre großartig.“

„Ich tue es nur, weil du ein Priester des Virdh bist und ich erwarte, dass du darüber schweigst. Schließe deine Augen.“

Die Stimme wartete nicht darauf, dass Trywfyn sein Wort gab. Sie setzte es einfach voraus und sie wusste, dass sie es tun konnte.

Trywfyn tat, was die Stimme von ihm verlangt hatte.

Er erwartete nur ein Bild, aber plötzlich stand er inmitten eines gewaltigen Saales. Und es war vollkommen anders, als Trywfyn es sich immer vorgestellt hatte. Allerdings war vor ihm kein lebender Ogmari an diesem Ort gewesen, soweit er wusste und alle Bilder, die in der Vorstellung der Ogmari über die Hallen der Ahnen vorhanden waren, entsprangen ihrer Phantasie.

Für Trywfyn waren die Hallen der Ahnen stets ein Ort gewesen, an dem die verstorbenen Ogmari an langen Bänken saßen, aßen und tranken. Ein Ort der Freude, wo gelacht und gesungen wurde, erfüllt von schönerer Musik, als sie auf Elveran mit ihren irdischen Instrumenten spielen konnten. Männer und Frauen saßen zusammen und Kinder spielten zwischen den Reihen. Ein Ort also, der sich nicht sehr von ihrer Welt auf Elveran unterschied.

Ogmarische Männer, Frauen und einige Kinder sah er tatsächlich, aber sie saßen in kleinen Gruppen an einzelnen Tischen zusammen und sie beschäftigten sich in einer Weise, wie es zu irdischen Lebzeiten nur ausgesprochene Eigenbrötler taten.

Es war sehr ruhig. Nur ein Murmeln und Raunen lag in der Luft und nur selten stand ein Ogmari auf und ging umher. Es herrschte keine Heiterkeit, aber Trywfyn verspürte auch keine Bedrückung. Andacht war die beste Beschreibung der Stimmung in der Halle. Trotzdem war das Murmeln kein Beten. Die Gesichter der Verstorbenen waren ernst, aber gelassen.

Trywfyn ging langsam durch die Reihen. Keiner seiner verstorbenen Volksgenossen blickte auf oder ließ sich durch seine Gegenwart stören. Sie schienen ihn noch nicht einmal zu bemerken, nicht einmal, als er sich an einen Tisch stellte, um zu schauen, was sie taten. Ein Ogmari kam auf ihn zu und Trywfyn wich ihm ein wenig aus. Ohne ihn zu beachten, ging er an dem Edoral vorbei.

Vor jedem Ogmari lag ein Buch. Das war außergewöhnlich, gehörte Schreiben und Lesen doch nicht gerade zu den bevorzugten Tätigkeiten irdischer Erdmenschen. Sie lernten es zwar, da es einer alten Tradition entsprang, wandten es später aber kaum noch an, was einer neueren Tradition entsprach. Die Bücher waren allesamt aufgeklappt, aber was Trywfyn darin sah, verwirrte ihn, denn er konnte weder Schrift noch Bilder entdecken. Jedes Buch, das er sich näher betrachtete, zeigte ihm nur leere Seiten. Trotzdem schien jedem Ogmari sein Buch etwas zu bedeuten und studierte es in andächtiger Versenkung. Dann hörte Trywfyn wieder die bekannte Stimme.

„Nichts in den Büchern ist für die Augen eines anderen bestimmt“, erklärte sie. „Du wirst darin nichts finden und jeder von ihnen nur etwas in seinem eigenen Buch. Es ist das vertraulichste Eigentum eines jeden Ogmari. Es ist sein Leben, das darin aufgezeichnet wurde. Auch du wirst eines Tages ein solches Buch erhalten. Es ist bereits in dir angelegt. Und nun komm wieder zurück.“

Trywfyn öffnete seine Augen, und das undurchdringliche grüne Licht umgab ihn wieder. Gründel hockte immer noch reglos neben ihm und blickte ihn aufmerksam an.

„Wer schreibt die Lebensgeschichten auf?“, fragte Trywfyn in die Luft.

„Ihr selbst“, erklärte die körperlose Stimme. „Jeder schreibt seine eigene Lebensgeschichte. Das Buch ist das einzige, was ihr mit euch nehmt, wenn ihr Elveran verlasst. In dieser Form wird euch euer Leben noch einmal vorgelegt.“

„Aber was ist der Sinn davon?“

„Es wäre noch zu früh, es dir jetzt schon zu erklären. Du wirst den Sinn erkennen, wenn du einst über dein Leben nachdenken wirst.“

Trywfyn musste glauben, was die Stimme ihm erklärte. Aber verstehen konnte er es nicht und ihm wurde klar, dass es ihn davor grauste, auf ewig, zumindest bis zum großen Auszug, vor einem Buch zu sitzen und fortwährend darin lesen zu müssen. Er hoffte, dass es nicht so lange dauern würde wie sein Leben selbst.

Wieder erscholl das Lachen durch die Halle.

„Oh, du Unwissender“, sagte die Stimme belustigt. „Hattest du denn deine Augen verschlossen? Wo waren denn die Verzweiflung und die Bedrückung, die du jetzt fürchtest?“

Trywfyn konnte es nicht sagen.

„Ich will versuchen, es dir zu erklären, obwohl du es nicht verstehen wirst. Die Hallen der Ahnen, wie du sie nennst, sind ein zeitloser Raum. Minuten zählen nach Tagen und Jahre nach Stunden. Keiner von euch fühlt die Dauer seines Aufenthaltes und der Erste dort wird seine Anwesenheit dort kaum als länger empfinden als derjenige, der als Letzter dort ankommen wird. Eure Heimkehr wird keine Erlösung aus einem ewigen Gefängnis bedeuten, sondern nur das Ende eurer irdischen Reise. Du wirst es einst selbst erfahren und dann feststellen, wie Recht ich hatte.“

Die Stimme hatte jetzt schon Recht. Das verstand Trywfyn aber noch nicht, obwohl er als Priester in mehr geheimnisvolle und verborgene Dinge eingeweiht war als die gewöhnlichen Ogmari.

„Wo liegen die Hallen der Ahnen?“, fragte er und blickte dabei an die unsichtbare Höhlendecke.

„Sie sind kein Ort auf Elveran. Sie sind überhaupt kein Ort. Was du gesehen hast, ist eher ein Zustand, der für irdische Ogmari nicht erreichbar ist. Nur durch meine Hilfe war dir der Anblick möglich.“

Trywfyn wusste nicht recht, ob er über diese Großzügigkeit dankbar sein sollte. Vielleicht wäre es besser gewesen, er wäre ihm verwehrt worden. Aber er argwöhnte, dass die Stimme damit irgendetwas bezweckte. Dass sie auf seine gedachte Vermutung antwortete, wunderte ihn nicht.

„So ist es“, bestätigte sie seine Gedanken. „Aber noch nicht sofort. Meine Absicht liegt in der Zukunft.“

„Sagst du mir wenigstens, wer du bist und was diese Halle hier bedeutet? Warum durfte ich hier hinein und Dran nicht?“

„Deine letzte Frage wird sich eines Tages aus dem Geschauten beantworten. Solange habe Geduld. Und was mich betrifft, so dachte ich, du hättest es bereits erraten.“

Die Stimme schwieg. Trywfyn versuchte vergeblich, in all dem, was er in diesen Stunden erlebt hatte, eine Antwort zu erkennen.

„Also gut, ich werde dir weiterhelfen. Das macht Spaß, wenn es auch ein wenig mühsam ist. Ich bin der Geist Elverans. Ich bin der Schöpfer Elverans. Ich habe diese Welt geschaffen, die euch und mit euch den Menschen und allem, was an ihrer Oberfläche ist, zur Verfügung gestellt wurde. Warum sollte ich mich sonst Herr über alles Werden und Vergehen nennen, zumindest, was Elveran betrifft. Darin liegt kein verborgener Sinn.“

„Und dann willst du kein Gott sein?“, fragte Trywfyn.

Die Stimme lachte.

„Nein. Ich war nie einer und werde nie einer sein. Und ich bin zufrieden mit dem, was ich bin. Nenn mich lieber einen Freund. Wenn ich ein Gott wäre, dann wäre das Universum voll von Göttern. Was würde dann aus all den anderen Wesen? Ich arbeite im Auftrag, und wenn ich hier fertig bin, bekomme ich einen neuen. Diese Halle in ihrer Erscheinung bin ich. Ich habe keinen Körper. Du befindest dich gerade in mir. Ich hoffe, das ist dir nicht unangenehm. Doch lassen wir es dabei bewenden, sonst werden wir hier nie fertig.“

„Dran und ich sind bisher die einzigen Ogmari, die dich gefunden haben?“

„Und Drans Begleiter. Die anderen Wesen sind jetzt nicht von Belang.“

„Menschen?“

„Die Frage kannst du dir selbst beantworten, wenn du den Tunnel, der dich hier herunterführte, als einzigen Zugang für Wesen von der Oberfläche Elverans begreifst. Außerdem hat dir Gründel bereits die Antwort darauf gegeben.“

„Dann werden es keine gewesen sein“, schloss Trywfyn und in seiner Stimme schwang eine gewisse Erleichterung mit, denn nun war er sicher, dass dieses Geheimnis ein weiteres in der Existenz des ogmarischen Volkes war, das zu einem bedeutenden Ereignis führen würde. Es musste einfach so sein.

„Eben. Und sie werden mich nicht finden, solange ich es nicht will. Aber Elveran verändert sich und die Menschheit auch und eines Tages wird eine Begegnung unvermeidbar sein. Aber sie wird erst nach der Heimkehr der Ogmari stattfinden.“

„Warum durfte Dran nicht in diese Halle?“, wiederholte Trywfyn, obwohl er eigentlich keine Antwort erwarten konnte, weil die Stimme sie anscheinend schon beim ersten Mal nicht beantworten wollte. „Und warum hast du ihm nichts über diese Zusammenhänge gesagt?“

Die Stimme lachte wieder.

„Schwätzer waren er und seine Begleiter nicht, wie mir scheint.“

„Ich verstehe nicht.“

„In die Halle konnte er nicht, weil sie zu dieser Zeit noch nicht für Ogmari bereitet war. Aber ich berichtete ihm vieles von dem, was ich dir auch sagte.“

„Davon weiß ich nichts.“

„Vielleicht hätte er nicht gewusst, wie er es eurem jungen Volk mitteilen konnte. Und vielleicht hat er vieles selbst nicht verstanden, weshalb er schwieg. Es hat mir Freude gemacht, mich mit dir zu unterhalten und ich könnte dir noch vieles erzählen, aber auch ich muss arbeiten und habe jetzt keine Zeit mehr. Also lebe wohl. Gründel wird sich weiter um dich kümmern.“

Die Stimme verhallte, aber das grüne Glimmen blieb.

„Lebe wohl und danke“, sagte Trywfyn ein wenig ratlos. Dann wandte er sich an Gründel. „Hat die Stimme einen Namen?“

„Die Stimme oder ihr Besitzer?“

„Ihr Besitzer natürlich.“

„Hier heißt er Elveran, woanders trägt er andere Namen.“

Trywfyn nickte. Allmählich kam ihm das Ungewöhnliche und Überwältigende seiner Lage zu Bewusstsein. Wie viele vor ihm, außer Dran, mochten noch mit Elveran gesprochen haben?

„Wenige, aber es gab sie“, antwortete Gründel auf die unausgesprochene Frage.

„Kannst du etwa auch Gedanken lesen?“

„Nein, aber in Gesichtern. Und diese Frage stand ganz deutlich in deinem Gesicht.“

„Wer bist du eigentlich, außer der Erretter unvorsichtiger Wanderer? Dran hat über dich nichts berichtet.“

Gründel neigte seinen Kopf leicht zur Seite. Es war eine Geste, deren Bedeutung für Trywfyn aber leicht zu durchschauen war, wenn sie der gleichen bei Ogmari oder Menschen entsprach.

„Gründel, aber das weißt du doch bereits.“

„Ja, deinen Namen kenne ich. Aber was tust du hier? Was ist deine Aufgabe?“

„Ich bin sozusagen Elverans rechte Hand. Ich führe für ihn - nennen wir es notwendige irdische Arbeiten - aus, ohne jemals in Erscheinung zu treten. Und Dran konnte nichts über mich berichten, weil wir uns nicht begegneten.“

„Weil er und seine Begleiter, oder genauer, das Volk der Ogmari, nicht in Gefahr waren.“

„Oh doch, die fünf Krieger schon, aber sie befreiten sich von selbst aus ihnen. Nein, es hatte andere Gründe, und die sind jetzt nicht mehr wichtig. Aber er hat tatsächlich vieles verschwiegen, wie es aussieht.“

„Weil Elveran es verlangte?“

„Kaum, eher aus Verantwortung. Und auch du musst selbst entscheiden, was du weitergibst. Als Priester wirst du wissen, dass manche Dinge besser verborgen bleiben. Wie Drans ist auch deine Verantwortung groß.“

Das wusste Trywfyn auch vorher schon, aber er verstand den Sinn der Worte Gründels nicht. Bei dem, was er über sich selbst gesagt hatte, kam Trywfyn noch nicht darauf, was es wirklich bedeutete, denn neben ihm hockte nicht nur sein Retter, sondern die Macht, die große Veränderungen auf Elveran hervorrufen konnte und es auch schon getan hatte. Gründel war nicht ganz unbeteiligt am Untergang von Ax´lûm gewesen. Aber jene Ereignisse waren Trywfyn in diesem Augenblick fern und würden es in diesem Zusammenhang auch immer bleiben.

Dieser Ausflug ging seinem Ende entgegen. Von Elveran konnte er nicht mehr erfahren, außerdem hatte Trywfyn eingesehen, dass es wohl doch besser war, die Kristallfragmente in Elgen Damoth zu verbergen. Er glaubte jetzt fest daran, dass sie dort unten sicher gewesen wären. Aber er war auch Priester und nach diesen Offenbarungen betrachtete er Drans Hallen als zu heilig, als dass sie als Versteck für irdische Güter entweiht werden durften. Denn so wichtig und machtvoll die Fragmente eines Tages sein mochten, sie blieben irdischen Ursprungs.

Dann lächelte er.

„Also gut, mein Plan ist fehlgeschlagen, zumindest die zweite Hälfte. Aber ich habe Drans Hallen erreicht und das war tatsächlich die erste Hälfte des Anlasses meines Vorhabens, nämlich diesen Tunnel zu erforschen. Nun kann ich wieder nach Elgen Damoth zurückkehren.“

„Elgen Damoth?“

„Ja, das ist die Hauptstadt von Ogmatuum und von dort herrsche ich über das Land.“

Plötzlich bekamen Gründels Augen einen anderen Ausdruck, wie ihn Trywfyn bei ihm noch nicht gesehen hatte und auch nicht deuten konnte.

„Woher nimmst du die Gewissheit, dass wir dich wieder gehen lassen?“, fragte der Steinerne.

Trywfyn begann zu lachen.

„Warum nicht? Bisher hat mich nichts daran zweifeln lassen.“

Als Gründel ihm jedoch keine Antwort gab und nur reglos anstarrte, erstarb Trywfyns Lachen.

Sollte er es wirklich ernst meinen? Gründel und Elveran hatten ihm bereitwillig alle, zumindest fast alle, Fragen beantwortet und ungeahnte Einblicke gewährt. Beide hatten sie sich wohl etwas über ihn lustig gemacht, aber sich keineswegs als feindselig erwiesen. Außerdem hatte Gründel ihm das Leben gerettet. Welchen Sinn sollte das alles gehabt haben, wenn sie ihn gefangenhalten, oder seinem bisherigen Leben gar ein Ende setzen wollten? Schließlich durften Dran und seine Gefährten ebenfalls wieder davonziehen. Warum also sollte es jetzt anders sein?

Aber vielleicht hatte er Dinge erfahren, die Dran unbekannt geblieben waren. Trotzdem, hätten sie es ihm gezeigt oder erklärt, wenn es ein Geheimnis bleiben musste, wenn sie geglaubt hätten, dass er dieses Geheimnis nicht wahren konnte? Warum also sollten sie ihn dort unten oder an einem anderen unterirdischen Ort festhalten? Andererseits waren die beiden zu rätselhaft, um ihre Ratschlüsse auch nur ahnen zu können. Falls es wirklich ihre Absicht war, ihn festzuhalten, würde er schon einen Weg zur Flucht finden, aber vermutlich war diese Androhung Gründels eher einer seiner Scherze, von denen er schon einige gemacht hatte.

„Ich kann mir kaum vorstellen, was ihr mit mir hier anfangen wollt“, sagte Trywfyn mit fester Stimme. „Welche Gründe sollte es dafür geben, mich an der Rückkehr hindern zu wollen?“

„Nun, vielleicht, weil du uns entdeckt hast und wir nicht wollen, dass du uns verrätst.“

Trywfyn lachte. Also trieb Gründel doch wieder einen seiner Scherze mit ihm.

„Warum hast du mir dann erst das Leben gerettet? Ohne deine Hilfe müsstet ihr nicht fürchten, dass andere von euch hören. Was im Übrigen bereits geschehen ist, sonst wäre ich nicht hier. Und warum hat Elveran mir dann alles so bereitwillig offenbart, wenn ihr Angst habt, andere könnten es durch mich erfahren? Vergiss nicht, ich bin Priester und nicht alles ist für die Ohren der Öffentlichkeit. Ich schätze, dieses Erlebnis gehört dazu. Einverstanden?“

Gründel sah Trywfyn mit seinen großen, blassen Augen regungslos an, dann begann er auf seine ungewöhnliche Art zu lachen.

„Dieses Mal bist du mir nicht auf den Leim gegangen. Du hast gelernt. Geh ruhig, keiner will dich zurückhalten. Wir wollen dich nicht einmal zu völliger Verschwiegenheit auffordern, denn wenn dir zu Ohren kommt, dass jemand diesen Gang betreten will, dann warne ihn vor den Gefahren. Das ist unser Auftrag an dich. Er ist gefährlich, wie du weißt und vielleicht sieht er das nächste Mal wieder anders aus. Es ist nicht sicher, dass ich dann hier bin. Außerdem ist genauso wenig sicher, was ihn am Ende erwartet. Manch einer wird diese Halle gar nicht erreichen, auch ohne umzukommen. Willst du zurückgehen?“

„Nein, ich glaube nicht. Du kennst unsere Fähigkeit, uns durch das Erdreich hindurchzubewegen. Auf diese Weise werde ich an die Oberfläche zurückkehren. Verpasse ich viel im Tunnel?“

„Wie du es sehen willst. Eine letzte Höhle und eine wassergefüllte Senke. Insgesamt eine Wegstunde.“

„Das ist nicht genug, um noch einmal zurückzugehen“, meinte Trywfyn. „Und den ganzen Weg hast du mich hierher getragen?“

„Ich kenne bessere Möglichkeiten.“

Trywfyn lächelte.

„Also gut, ich habe genug gesehen. Und wie komme ich hier heraus?“

„Dort entlang“, sagte Gründel und streckte einen Arm aus. „Ich werde dich begleiten.“

Trywfyns Frage war nicht unberechtigt, denn von dort, wo sie sich befanden, war kein Ende der Höhle zu erkennen, also auch kein Ausgang. Das Einzige, was er sehen konnte, war der felsige Untergrund, der in allen Richtungen im milchigen Licht verschwand. Wie sollte er da die richtige finden?

Gründel bewegte sich erstaunlich geschmeidig, was bei seiner Erscheinung kaum zu erwarten gewesen wäre. Nach kurzem Fußweg tauchte die Höhlenwand vor ihnen wie aus einem Nebel auf und Trywfyn erblickte den Ausgang. Auf der Schwelle blieb er noch einmal stehen.

„Hier also stand Dran vor achthundert Jahren“, sinnierte er.

„Er scheint für dich eine große Bedeutung zu haben“, stellte Gründel fest.

„Ja, wirklich. Und ich kann es nicht erklären. Er war weder ein Edoral noch ein unmittelbarer Vorfahre von mir.“

„Alles hat seinen Grund“, meinte Gründel. „Und nun lebe wohl.“

„Lebe wohl, und noch einmal vielen Dank für meine Rettung und für all die Offenbarungen, wenn ich meinen Dank dafür an dich richten kann.“

Gründel nickte.

„Ich werde es weitergeben.“

Trywfyn verschwand in der Felswand und Gründel ging in den Tunnel hinein.

Die Schwierigkeiten des Stollens hatten darüber hinweggetäuscht, dass Trywfyn sich gar nicht weit von Elgen Damoth entfernt hatte. Als er an die Oberfläche kam, um sich zurechtzufinden, stellte er fest, dass der waldbewachsene Hügel mit dem kleinen Flusslauf, unter dem sich die Hauptstadt befand, kaum mehr als drei Meilen von ihm entfernt lag.

Nach dieser Zeit in der Enge eines Stollens und der Undurchdringlichkeit des Lichtes in einer rätselhaften Höhle entschloss er sich, den Weg bis zu diesem Hügel unter der Sonne zurückzulegen. Es war kalt, aber das störte ihn nicht. Seine Kleider waren wieder trocken. Und der Schnee lag nicht hoch. Es war jetzt später Nachmittag und es gab nichts, das drängte.

Von dem Gipfel des Hügels ließ er sich geradewegs in seinen Palast hinabsinken und erreichte kurz darauf den geheimen Raum mit der noch geheimeren Schatzkammer. Nachdem er die beiden Kristallfragmente darin verwahrt hatte und wieder herausgekommen war, lehnte er sich an eine Wand der Kammer und dachte einige Zeit über seine Erlebnisse nach. Und je länger er es tat, desto zufriedener wurde er. Was für ein unvergesslicher Tag. Er begann zu lachen, lange und befreit und niemand konnte ihn hören.

Das Erbe der Ax´lán

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