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2. Ritt zum Sommersee

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Von Trywfyns ganz besonderem Abenteuer in Drans Hallen ahnte keiner von den Menschen etwas. Und selbst, wenn sie es getan hätten, wären sie nicht auf die Möglichkeit gekommen, dass das, was er herausgefunden hatte, vielleicht auch für sie noch einmal von Bedeutung werden konnte. Tjerulf und Meneas wähnten die beiden Kristallfragmente in der Sicherheit der unterirdischen Höhle, die anderen waren davon überzeugt, dass sie sich irgendwo im Palast des Königs der Ogmari befanden. Die beiden Anführer hätten kaum für möglich gehalten, dass die anderen Recht haben könnten. Aber eigentlich machte sich in diesem Augenblick keiner von ihnen Gedanken darüber. Sie waren nur froh, dass sie diese Last einstweilen abwerfen konnten.

Ihre Reise durch den unterirdischen Bereich der Ogmari nahm noch geraume Zeit in Anspruch. Auf den Straßen herrschte mancherorts reger Verkehr, der einen zügigen Ritt nicht zuließ. An einer der Hauptkreuzungen, wo sich Abzweigungen von und zu den Städten Elgen Damoth, Silberheim und Tel Beren trafen, kam es sogar für kurze Zeit zu einem Stau, da sich eine größere Gruppe von Landwachen auf ihrem Weg in die Hauptstadt genau in dem Augenblick dort einfand, als zwei Handelskarawanen die Kreuzung erreichten. Das plötzliche Auftauchen des Trupps menschlicher Reiter trug ihren Teil dazu bei, dass die Züge der Ogmari ins Stocken gerieten. Zum ersten Mal, seit ihres Aufbruchs von Elgen Damoth, wurden sie von Kriegern der Wache angehalten. Doch ihre Ausweisdokumente, die von König Trywfyn ausgestellt worden waren, zerstreuten das Misstrauen der Anführer rasch. Und bald darauf löste sich das Knäuel der Reisenden wieder auf.

Nach dieser Unterbrechung ging es für sie wieder schneller voran, denn die Straße nach Tel Beren, der sie nun folgten, war weniger bevölkert. Bis in diese Stadt kamen sie jedoch nicht. Kurz davor zweigte ein weiterer, engerer Tunnel ab, der sie schließlich an die Oberfläche führte. Nach einer letzten Überprüfung durch die Wachen am Ausgang des Tunnels verließen sie schließlich das unterirdische Reich der Ogmari.

Es war jetzt früher Nachmittag und blendendes Sonnenlicht empfing sie. Auch dort hatte es in den Tagen zuvor geschneit, aber es war kaum mehr als ein dünner Schleier über der Landschaft, gerade genug, um das Licht von Nephys unangenehm grell für ihre Augen werden zu lassen. Die Luft war kalt, aber es wehte kein Wind und in den Strahlen der Sonne wurde ihnen schnell warm.

„Endlich!“, meinte Erest.

Meneas sah ihn fragend an.

„Endlich wieder draußen“, erklärte er. „Die Welt der Ogmari ist ja ganz interessant, aber was mich angeht, habe ich mich zum Schluss doch ein wenig beengt gefühlt.“

Meneas lachte.

„Das geht uns wohl allen so. Wir sind eben mehr für die Weite des Landes unter dem Himmel geschaffen, oder?“

Tjerulf hatte eine Hand schützend über seine Augen gelegt und blickte sich um.

„Suchst du etwas Bestimmtes?“, fragte Durhad.

Er schüttelte mit dem Kopf, blickte den Morain aber nicht an.

„Nein, eigentlich nicht. Ich versuche nur, die Richtung zu finden.“

Das war an diesem Tag nicht schwer. Der Himmel war wolkenlos und die Luft nicht diesig. Vor ihnen erstreckte sich eine weite Ebene. Es gab nichts, was eine besondere Aufmerksamkeit verdiente, außer vielleicht ein fernes Rudel Hirsche. Aber zum Jagen hatten sie keinen Anlass.

Genau im Osten von ihnen, aber in weiter Ferne, erhoben sich die Gipfel der Drachenberge. Und wie es schien, hatte auch dort der Winter bereits Einzug gehalten, denn einige von ihnen glitzerten weiß in der Sonne. Ihr Ziel lag aber im Nordosten und noch ein Stück weiter entfernt. Es waren die Regenberge und dort ein ganz bestimmter Ort. Sie vermuteten das nächste Kristallfragment im Quellgebiet der Droswern und das lag ziemlich hoch in den Bergen, denn der Fluss wurde dort zunächst aus dem Wasser abschmelzender Gletscher gespeist. Erst später mündeten weitere Flüsse in ihn hinein. Aus diesem Grund fiel die Droswern aber während der Wintermonate, wenn die Berge trotz ihrer Nähe zum Äquator im Dauerfrost lagen, in ihrem oberen Abschnitt oft trocken.

„Kannst du sie erkennen?“, fragte Solvyn.

„Schwach, aber sie sind noch da“, erwiderte Tjerulf schmunzelnd.

„Genau daran hatte ich gezweifelt“, meinte sie trocken.

„Was denn?“, fragte Anuim.

„Die Regenberge“, erklärte Solvyn.

„Aha, und warum sollten sie –“, er unterbrach sich selbst. Jetzt hatte er verstanden, worum es ging.

Solvyn lachte.

„Schon gut“, sagte er verdrossen. „Es war ein Witz.“

Der Regenberge waren tatsächlich kaum zu erkennen, und erst nach einiger Zeit des Beobachtens hatten sich ihre Augen so weit an die Entfernung gewöhnt, dass sie die schwachen Umrisse der Berge am Horizont wahrnahmen.

„Ein weiter Weg“, meinte Erest.

„Sehr weit“, erklärte Durhad. „Sie sind doppelt so hoch wie die Drachenberge. Nur deshalb können wir sie hier schon sehen. Ich rechne mit anderthalb Wochen.“

„Dann sind sie sehr hoch.“

„Sage ich doch.“

„Wie wäre es, wenn wir erst einmal eine Pause einlegen würden?“, fragte Anuim. „Allmählich bekomme ich Hunger.“

Meneas sah sich in der Nähe um und entschied sich für einen geschützten Platz zwischen zwei Bodenerhebungen, nicht weit von ihnen. Ihre Lage erforderte eigentliche keinen besonderen Lagerplatz. Dass sie eine geschützte Stelle aufsuchten, war mehr eine alte Gewohnheit aus ihrer Zeit außerhalb Ogmatuums, wohin sie bald wieder kommen würden.

„Dort“, meinte er.

Die Reiter machten sich auf den Weg.

Bis zur Grenze Ogmatuums waren es noch gut zwei Tage. Dann erwartete sie das Land Tetker. Allerdings würden sie den Wechsel nicht sogleich feststellen können, denn es gab keine Grenzmarkierungen und nur Einheimische oder Eingeweihte wussten, wo die Grenze verlief. Doch das spielte keine Rolle, denn im Grenzverlauf war das Land auf beiden Seiten nur sehr dünn besiedelt und es gab keine Streitigkeiten. Die Ogmari störten sich nicht daran, wenn ein tetkerischer Bauer sein Vieh auch einmal auf ihrem Gebiet grasen ließ. Und umgekehrt kam das nicht vor.

Aber auch jetzt gab es noch keine Wege, die sie benutzen konnten. Daher blieb ihnen nichts anderes übrig, als querfeldein zu reiten. Immerhin stand das Gras nicht sehr hoch und so fiel den Pferden das Laufen leicht.

„Eigentlich ist es gar nicht schwer, den Weg zu finden, solange man die Berge am Horizont wachsen sieht“, fand Meneas.

Tjerulf lächelte.

„Das wird sich ändern, aber solange wir uns in Ogmatuum befinden, hast du Recht. Bis zur Grenze werden wie aber wieder in bewaldetes Gebiet kommen und dann wird die Fernsicht natürlich schlechter.“

Meneas nickte.

„Wie gut kennst du dich hier eigentlich aus?“

„Wie meinst du das?“

„Na ja, sagtest du nicht, dass du schon in Ogmatuum warst?“

„Das stimmt. Es waren schon einige Male. Oben recht gut. Vielleicht hätten wir noch nicht einmal Caladh zum Tarin-See mitnehmen müssen.“

„Hättest du den Eingang zur Höhle unter dem See gefunden?“

„Vielleicht - nein, wahrscheinlich nicht. So genau hatte ich mich dort nicht umgesehen.“

„Wie kamst du überhaupt dazu, Ogmatuum zu erforschen? Hier ist doch nichts.“

Tjerulf lachte.

„Das sagst du, weil es dir jemand so erzählt hat. Im Allgemeinen findet man so etwas aber erst heraus, wenn man es erforscht hat. Es war Neugierde.“

„Und was hast du entdeckt?“

„Nichts.“

Meneas sah seinen Freund von der Seite an. Er brauchte nicht lange darüber nachzudenken, um herauszufinden, dass er ihm etwas verschwieg. Und Tjerulf schien das zu spüren.

„Jedenfalls nichts, was uns in unserer Sache weiterhelfen könnte.“

„Aha.“

„Wieso »Aha«?“

„Also gab es doch etwas.“

„Das ist eine andere Geschichte. Aber wenn du unerhörte Entdeckungen vermutest, muss ich dich enttäuschen.“

„Das ist nicht nötig. Vielleicht ein anderes Mal. Warst du auch unter der Erde?“

Tjerulf blickte Meneas rätselhaft und fast ein wenig unwillig, wie er fand, an.

„Nein, lass. Vergiss die Frage.“

Tjerulf wandte seinen Blick wieder nach vorne.

Da war es wieder, das Gefühl, dass Tjerulf einiges verbarg. Meneas schüttelte verärgert über sich selbst den Kopf. Natürlich hatte auch er seine Vergangenheit und natürlich gab es überhaupt keinen Grund, ihm alles zu erzählen. Schließlich handelte Meneas nicht anders. Und wenn er ehrlich war, kannte er genauso wenig lückenlos die Vergangenheit seiner eigenen Freunde. Warum nur, versuchte er es ausgerechnet bei Tjerulf herausfinden? Warum nicht bei Durhad, Solvyn, Valea, Idomanê, Freno, Anuim, selbst bei Erest? Tjerulf jedoch wurde für Meneas von dem dichtesten Schleier von Geheimnissen umgeben. Vielleicht war es genau das, was ihn beschäftigte.“

„Du machst dir viele sinnlose Gedanken“, unterbrach Tjerulf seine Überlegungen. „Alles offenbart sich zur rechten Zeit.“

„Wie kommst du jetzt darauf? Kannst du Gedanken lesen?“

„Nein, ich habe keine Ahnung, worüber du nachgedacht hast, aber dein Gesicht sagt mir, dass du gewisse Zweifel hegst.“

„Ich werde mehr auf mein Gesicht achten müssen“, meinte Meneas.

„Das ist immer gut, denn es kann in unglücklichen Augenblicken mehr verraten als Worte.“

„Ich dachte, du kannst keine Gedanken lesen.“

„Das habe ich gesagt. Aber was hat das damit zu tun?“

„Also gut. Wie weit wollen wir heute noch reiten?“

„Nicht mehr weit. Eigentlich gibt es kein bestimmtes Ziel. Wenn ihr nicht mehr wollt, halten wir an. Es gibt keinen besonders geeigneten Lagerplatz. Wir werden kaum umhin können, unsere Zelte aufzustellen. Ich fürchte, es wird kalt heute Nacht. Aber ich schlage vor, dass wir noch das Tageslicht nutzen. Wer weiß, wie das Wetter morgen wird.“

Nach zwei weiteren Stunden erreichten sie eine Stelle in der Steppe, die sich in nichts von der Umgebung unterschied. Tjerulf hatte nicht untertrieben. In weitem Umkreis gab es keine bemerkenswerten Geländemarken. Und der einzige Grund, warum sie nun anhielten, war die Tatsache, dass sie einen kleinen Bach erreicht hatten, der sie wenigstens mit frischem Wasser versorgte.

Es war früher Abend und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dämmerung hereinbrach. Trotz der Eintönigkeit der Landschaft hatte sich im Verlaufe des Tages aber ein Sachverhalt verändert. Sie hatten den Schnee hinter sich gelassen. Schon als sie aus dem Tunnel der Ogmari herausgekommen waren, hatte er nur dünn den Boden bedeckt und bis zum späten Nachmittag war er ganz verschwunden. An der Temperatur konnte es nicht liegen, denn es war kaum zu verkennen, dass sie unter dem Frostpunkt lag. Nicht nur, dass ihr Atem beschlug, das hätte er wohl schon früher getan, aber die Luftfeuchtigkeit, die sich auf das Gras gelegt hatte, war zu Eis gefroren und es brach unter ihren Schritten.

„Und nirgends gibt es Holz für ein Lagerfeuer“, murrte Erest.

„Damit müssen wir uns heute wohl abfinden“, meinte Tjerulf. „Aber ich kann euch für morgen versprechen, dass wir dann genug finden werden. Und ich hoffe, es tröstet euch, wenn ich sage, von nun an werden die Tage wieder wärmer. Diese besondere Gegend steht in dem Ruf, ungewöhnlich kalt zu sein. Die Ogmari nennen sie die »Eissteppe«.“

„Dafür erscheint es mir aber noch ganz erträglich“, fand Valea. „Auch ohne ein Lagerfeuer.“

„Es ist ja auch noch kein richtiger Winter.“

Sie stellten ihre Zelte im Kreis auf mit den Eingängen zueinander. Und in der Mitte war ihr Lagerplatz. Die Umstände waren aber alles andere als gemütlich und kurz nach dem Abendessen, mittlerweile war die Dunkelheit hereingebrochen, verschwanden sie in ihren Zelten. Tjerulf versicherte ihnen, dass sie sich in einer äußerst einsamen Gegend aufhielten und es kaum vonnöten sein würde, Wachen aufzustellen. Das würde sich vom nächsten Tag an wieder ändern.

„Wenn die Erde bebt, sollten wir jedoch aufmerksam werden“, meinte Erest. „Es könnte ein Riese sein.“

Aber es kam keiner. Und sie bekamen auch keinen anderen Besuch. Die Nacht war so ruhig und erholsam, wie sie es sich nur erhoffen konnten und in ihren Decken spürten sie nichts von der Kälte.

Als Nephys über dem Horizont erschien, weckte sie die Helligkeit ihres Lichtes.

„Schade, dass es nicht immer so sein kann“, fand Idomanê.

„Wie?“, fragte Erest.

„Na ja, ruhig und friedlich. Ich habe geschlafen wie in meinem eigenen Bett.“

„Dann behalte es in guter Erinnerung“, meinte Meneas. „Tjerulf wird mir sicher nicht widersprechen, wenn ich vorhersage, dass es bald wieder unruhiger wird.“

„Gut, dass du es erwähnst. Einpaar Tage in Frieden lassen einen das schnell vergessen.“

„Wann stoßen wir eigentlich wieder auf Menschen?“, fragte Freno.

„Wenn es so weit ist, sind wir in Tetker“, erklärte Tjerulf. „Diesseits der Grenze leben keine. Und Streuner sind selten. Wahrscheinlich schon morgen. Aber bis zu den Regenbergen gibt es keine Städte, wenn du das meinst.“

Als sie ihre Pferde sattelten, blickte Durhad prüfend in den Himmel.

„Suchst du etwas Bestimmtes?“, fragte Valea.

Der Morain nickte, antwortete aber nicht sofort. So weit sie sehen konnte, gab es nichts, was ihr besonders auffiel.

„Spürst du den warmen Luftzug?“, fragte er schließlich.

Sie schüttelte den Kopf. Wenn es so war, musste Durhad ein sehr empfindliches Gespür haben.

„Achtet auf eng begrenzte Wolkenbildungen“, sagte er.

„Was würden sie bedeuten?“

Jetzt bemerkte es Tjerulf auch. „Wirbelstürme“, sagte er nur.

„Hier?“, fragte Meneas.

„Tjerulf hat Recht“, meinte Anuim. „Es ist lange her, dass ich davon hörte, aber der Norden Ogmatuums ist bekannt dafür, dass in dieser Jahreszeit leicht solche Wirbelstürme entstehen können. Ich selbst habe zwar noch nie einen erlebt, aber es wird erzählt, sie können sehr heftig und vor allem plötzlich auftreten.“

„Und heute scheint so ein Tag zu sein, an dem sie entstehen können“, meinte Durhad.

Aber fast keiner von ihnen konnte sich vorstellen, dass von dieser Möglichkeit tatsächlich eine Gefahr für sie ausging. Aber dann ging alles so schnell, dass sie sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.

Tatsächlich zeigte sich bald nach ihrem Aufbruch ein merkwürdiges Wolkengebilde, das sich bald bedrohlich vor ihnen auftürmte und langsam zu drehen begann. Die Reiter hielten staunend ihre Pferde an und beobachteten das Schauspiel, das keiner von ihnen, noch nicht einmal Tjerulf und Durhad, je mit eigenen Augen gesehen hatte. Es dehnte sich erstaunlich schnell aus und mit ihm brach ein heftiger Wind los, der sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Sturm verstärkte. Durhad kam als erster in den Sinn, dass es jetzt höchste Zeit wurde, sich in Sicherheit zu bringen.

„Das habe ich gemeint!“, rief er ihnen zu. „Schnell, wendet die Pferde und reitet zurück!“

Sie taten, was er gesagt hatte, aber Pferde laufen nur ungern gegen einen starken Wind an und so setzten sie sich nur widerwillig in Bewegung. Die Wolkenspindel dehnte sich schneller aus, als sie vorankamen. Und der Sturm, der die Luft genau in ihre Richtung bewegt, wurde stärker. Die Reiter konnten die Pferde nur mit Mühe in die rettende Richtung lenken, dann war auch das nicht mehr möglich. Die Pferde scheuten und versuchten einmal hierhin und einmal dorthin zu laufen. Über ihnen breiteten sich die Wolken rasend schnell aus und verdunkelten kurz darauf die Sonne. Anuim wurde als erster abgeworfen, dann erlitten Solvyn und Idomanê das gleiche Schicksal.

„Es geht nicht!“, rief Tjerulf und sprang vom Pferd. „Steigt ab und legt euch flach auf den Boden! Lasst die Pferde laufen!“

Nicht alle verstanden seine Stimme, obwohl Meneas, der sich in seiner Nähe befand, mit Befremden feststellte, dass er unnatürlich laut und mit einem unbekannten Tonfall gerufen hatte. Er erwartete fast, in Tjerulf Ughel-do´bec zu sehen, aber Tjerulf behielt seine Gestalt.

Er ließ sich vom Pferd fallen, Meneas folgte seinem Beispiel und auch Durhad und Valea. Erest und Freno waren ein Stück entfernt und hatten nicht verstanden, was Tjerulf gesagt hatte, aber sie sahen, was ihre Freunde taten und ließen sich ebenfalls zu Boden. Die Pferde versuchten sich in wilder Flucht zu retten.

Wenn einer von ihnen gehofft hatte, dass es am Boden erträglicher sein würde, dann hatte er sich getäuscht. Der Sturm zerrte zwar nicht mehr so stark an ihren Körpern, aber er trieb eine Menge Staub und Pflanzenteile vor sich her und sie mussten Augen und Mund geschlossen halten. Dabei konnten sie sich noch nicht einmal Tücher vor das Gesicht halten, weil sie sich im Boden festkrallen mussten. Zu allem Überfluss fing es ebenso plötzlich, wie der Wirbelsturm losgebrochen war, an zu regnen, und der Regen stand dem Sturm an Heftigkeit in nichts nach. Immerhin hielt er den Staub nieder.

Als Erest kurz aufblickte, sah er, wie Valea an ihm vorbeirollte. Er hörte ihre Schreie, aber als er seine Hände aus dem Boden löste, um sie an sich zu ziehen, griff er daneben und rollte stattdessen von ihr fort. Erst nach einiger Zeit fand er wieder Halt.

Sie hatten jedoch Glück im Unglück, dann es gab nirgends höhere Pflanzen oder Felsbrocken, an denen sie sich verletzen konnten und der Sog in die Luft war dort, wo sie sich befanden, nicht so stark, dass sie angehoben werden konnten.

Natürlich dachte keiner von ihnen daran, sich die Wolken am Himmel näher zu betrachten, sonst hätten sie bemerkt, wie der Wirbelsturm sich langsam von ihnen abwandte und nicht mit seinem Mittelpunkt über sie hinwegzog.

Dann, genauso plötzlich, wie alles begonnen hatte, ließen Sturm und Regen nach, und als sie aufblickten, sehen sie, dass sich die Wolken mit fast unnatürlicher Geschwindigkeit auflösten. Das ganze Spektakel hatte keine halbe Stunde gedauert.

Mühsam standen sie auf. Erest hustete und versuchte, den Staub, den er eingeatmet hatte, wieder loszuwerden. Dann fiel ihm Valea ein. Unruhig blickte er sich um und rief ihren Namen. In einer Senke entdeckte er sie. Sie war gerade dabei, sich aus dem Schlamm zu befreien, der um sie herum zusammengeflossen war. Erest half ihr auf.

„Hast du dich verletzt?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf und hustete ebenfalls.

„Nein, es geht mir prächtig. Jedenfalls den Umständen entsprechend.“

„Ich habe versucht, dich vorhin festzuhalten, aber der Sturm hat mich von dir weggetrieben.“

„Sei froh, sonst wären wir beide in dem Dreck gelandet. Trotzdem, lieb von dir.“

Erest kannte Valea recht gut und er wusste, dass ihr Schrecken größer war, als ihre beherrschten Worte vermuten ließen.

„Was war das?“, fragte Meneas. „Einen solchen Sturm habe ich noch nie erlebt, weder in der Stärke noch in seinem unvermittelten Auftreten und Vergehen. Ich wusste nicht einmal, dass es so etwas überhaupt gibt.“

„Wir wissen es auch nicht“, meinte Tjerulf. „Diese Art ist völlig ungewöhnlich und auch nur in diesem Landstrich bekannt. Er entsteht, wenn sich warme Luft aus dem Norden in die Kaltluft aus dem Süden mischt. Aber warum solche Wirbelstürme überhaupt entstehen, kann ich dir nicht sagen, schließlich mischt sich anderswo die Luft genauso. Aber du siehst, unsere Warnung kam nicht ohne Grund, wenn auch etwas zu spät.“

„Kommt so etwas hier öfter vor?“, fragte Valea, die immer noch dabei war, ihre Kleidung zu reinigen, obwohl das ziemlich sinnlos war.

„Unregelmäßig, aber nicht selten. Und eben nur hier.“

„Dann war es aber auch wirklich Pech, dass ausgerechnet wir heute in so einen Sturm hineingeraten mussten“, fand Freno mit leichtem Spott in der Stimme.

„Trywfyn hätte uns warnen können“, meinte Erest ernster.

„Er wird es vergessen haben“, vermutete Meneas. „Außerdem taten es doch Tjerulf und Durhad. Jetzt müssen wir erst einmal zusehen, die Pferde wiederzufinden. Könnt ihr sie entdecken?“

Keiner von ihnen war ernsthaft verletzt worden. Einpaar eingerissene Fingernägel und einpaar leichte Prellungen waren alles. Der Schrecken war größer gewesen und der Zustand ihrer Kleidung beklagenswert. Sie konnten nur noch hoffen, dass sie ihre Pferde unversehrt zurückbekamen und dass kein Gepäck verlorengegangen war. Und natürlich hofften alle, dass sich kein neuer Wirbelsturm entwickelte, solange sie sich noch in dieser Gegend befanden.

Ihre Pferde hatten sich ein ganzes Stück von ihnen entfernt, standen aber wenigstens zusammen, als die Reiter sie fanden, denn glücklicherweise waren sie in nur eine Richtung gelaufen. Dabei hatten sie einen beträchtlichen Teil ihres Gepäcks verloren und diese Spur führte sie schließlich wieder zu den Tieren. Wie es aussah, waren sie alle heil aus dem Sturm herausgekommen, aber an ihrer Unruhe war ihre immer noch anhaltende Aufregung zu erkennen und es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatten.

„Jetzt aber weg hier“, sagte Erest, als sie wieder reisefertig waren.

„Nichts anderes haben wir vor“, erklärten Tjerulf und Meneas wie aus einem Mund.

Die Befürchtung, in einen weiteren Wirbelsturm zu geraten, beflügelte ihren Ritt. Und immer wieder wanderte ihr Blick über den Himmel, bereit, die kleinste Wolkenbildung zu entdecken. Das Wetter dieses Tages würde es ihnen erleichtern. Nephys stand unbeeindruckt am Himmel und der war so klar, wie er es nur sein konnte. Das Unwetter, durch das sie überrascht worden waren, hatte sich wieder vollständig aufgelöst, und nichts davon zeigte sich noch ihren abschätzenden Blicken.

Die mittägliche Rast fiel ziemlich kurz aus. Erst am späten Nachmittag sahen sie einen zweiten Sturm. Aber er war weit weg und hinter ihnen. Valea machte sie darauf aufmerksam, und da sie sich in sicherem Abstand zu ihm befanden, hielten sie an, um seine Entwicklung zu beobachten. Ob er größer, kleiner oder genauso groß wie »ihr« Sturm war, konnten sie nicht sagen. Dazu tobte er sich zu weit entfernt aus. Und trotzdem war der Anblick gewaltig.

„Ich hätte nicht gedacht, dass sie so oft auftreten“, sagte Durhad zu Tjerulf.

„Ich auch nicht. Aber vielleicht ist es auch nur heute der Fall.“

„Dann hatten wir wirklich Pech“, fand Erest.

Tjerulf zuckte mit den Achseln.

„Jedenfalls glaube ich nicht, dass wir noch einmal in einen hineingeraten. Wir nähern uns der Landesgrenze. Dort hinten beginnt der Wald. Er gehört zwar zunächst noch nach Ogmatuum, aber seine Wuchshöhe verhindert die Entstehung solcher Stürme, soweit ich weiß.“

„Hoffentlich hast du Recht.“

Keine zwei Stunden später erreichten sie den Saum des Waldes. Die Bäume standen nicht sehr dicht und sie hätten leicht durch sie hindurchreiten können. Aber sei es durch Zufall oder die Erinnerung Tjerulfs, jedenfalls kamen sie genau dort an, wo ein Pfad in den Wald hineinführte. Er war zwar nur so schmal, einem Reiter Raum zu geben, aber schien leicht begehbar. Ob er sie schließlich in die richtige Richtung führte, das mussten sie erst noch herausfinden.

„Hat dieser Wald einen Namen?“, fragte Solvyn.

Tjerulf nickte. „Der Grenzwald.“

„Schön. Ich schließe daraus, dass er deswegen so heißt, weil die Grenze zwischen Ogmatuum und Tetker durch ihn hindurchläuft.“

„Wie kommst du darauf?“, erwiderte Tjerulf und grinste sie an.

„Das habe ich mir halt so gedacht. Außerdem gibt es ja auch den Grenzfluss zwischen Ogmatuum und Australis. Welche Erklärung lag da näher?“

„Du hast Recht. Aber es gibt einen Unterschied. Der Fluss zeigt den Verlauf der Grenze an, der Wald tut das nicht.“

„Ich nehme aber an, du kennst sie“, sagte Meneas.

„Ja. Dieser Pfad wird uns zu ihr und darüber hinaus bringen. Es ist zwar ein Wildpfad, aber er zieht sich bis hinüber nach Tetker. Schließlich mündet er in einen breiteren Weg am Waldrand entlang der Biberau, den die Waldbauern angelegt haben.“

„Du kennst dich wahrhaftig gut in der Gegend aus.“

„Ein wenig. Und da es nicht sehr viele Wildpfade gibt, ist es kaum möglich, nicht auf ihn zu stoßen. Allerdings gebe ich zu, dass mich Trywfyns Ortskenntnisse dabei ein wenig unterstützt haben.“

„Das ist einfach.“

„Muss denn immer alles knifflig sein?“

Tjerulf übernahm die Spitze, gefolgt von Durhad, Meneas, Solvyn, Anuim, Idomanê, Valea, Erest und Freno.

Der Anführer einer kleinen Schar Reiter, die sich in einiger Entfernung versteckt hielt, nahm sein Fernglas von den Augen.

„Gut, das werden sie sein. Wir müssen vor ihnen die jenseitige Waldgrenze und das Ufer der Biberau erreichen. Ich glaube kaum, dass sie die Nacht durchreiten werden. Dann müssten sie bald rasten. Das gibt uns einen ordentlichen Vorsprung. Und wenn wir sie ab morgen unauffällig verfolgen, dann seid vorsichtig. Morain-Menschen sagt man gute Augen nach. Und auch diesem Tjerulf traue ich einiges zu. Also gebt Acht.“

Die anderen sechs Reiter nickten zustimmend. Dann setzte sich die kleine Schar in den Wald hinein in Bewegung. Für sie begann eine schlaflose Nacht, aber ihr Auftrag erforderte das.

Tetker war ein schöneres, abwechslungsreicheres Land als Ogmatuum. Nicht ohne Grund hatte sich dort eine ansehnliche Bevölkerung angesiedelt. Es lag genau im Westen von Azuran und damit wurde es ebenfalls vom Äquator durchzogen. Im Gegensatz zu den Azuranern hatten die Tetkerer eine weiße Haut, wenn auch mit unterschiedlich sonnengebräunten Tönungen und überwiegend dunklem Haar. Aber das war der einzige Unterschied und eigentlich keine herausragender im Vergleich mit den anderen menschlichen Völkern Päridons.

Das Land wurde im Osten von den Regenbergen abgeschlossen und im Westen grenzte es an einen Ozean. Im Südwesten drang eine flache Bucht in das Land vor, die zum nördlichen Teil des Sundes von Ogmatuum gehörte. Der Nordwesten Tetkers stieß an die Grenze des Landes Girgen, der Nordosten an das Land Gilgalen.

Tetkers Landschaft wurde beherrscht von den bereits erwähnten Regenbergen und von dem Strom Droswern, an dessen Unterlauf die Stadt Drossen lag, die einzige größere Stadt Tetkers. Zwei weitere, kleinere Flüsse durchzogen das Land. Von Süden her floss die Biberau aus den Drachenbergen kommend in die Droswern und weit östlich davon, fast schon am Fuß der Regenberge, befand sich ein Abfluss in das Schwarze Moor im Süden Gilgalens, die Moorflut, wie sie nach ihrem Mündungsgebiet benannt wurde.

Auf einer Hochebene in den Regenbergen schließlich lag ein See, den die Tetkerer den Sommersee nannten, denn er wurde nur während des Sommers vom Wasser der Regenberge gespeist. Wenn nach dem Herbst der Winter einsetzte und dann die Wasserquellen in den Bergen gefroren, blieb der Nachschub aus und der See verlor bis zum Frühjahr einen großen Teil seines Inhaltes. Aber genauso zuverlässig wurde er im Laufe des Sommers wieder aufgefüllt.

Der größte Teil der Bevölkerung bewohnte ländliche Gegenden, die von fruchtbaren Äckern und ausgedehnten Wäldern geprägt wurden. Es gab viele Dörfer, von denen aber nur wenige durch richtige Straßen miteinander verbunden waren. Die meisten Wege waren Feldwege, zwar einigermaßen befestigt, aber nicht gepflastert. In ganz Tetker gab es lediglich zwei Hauptstraßen. Die eine führte geradewegs im Küstengebiet nach Norden und verband Drossen mit Seestadt, der Hauptstadt des kleinen Landes Girgen. Die zweite Hauptstraße begann - oder endete, wie immer man es sehen wollte, ebenfalls in Drossen, überquerte die Droswern und weiter im Osten die Biberau und dann den Grenzfluss, um schließlich im Süden der Regenberge die Grenze nach Azuran zu überqueren und endlich in die Straße zu münden, die die australischen Städte Tekleren und Sigera verbindet. Das war in Kürze das Land Tetker.

„Hier ist ein guter Platz zum Lagern“, meinte Tjerulf, als der Wildpfad sie zu einer kleinen Lichtung geführt hatte. Der Boden war größtenteils von Moos bedeckt und ohne ihn zu sehen, hörten sie bereits, dass in der Nähe ein Bach verlaufen musste, denn ein deutliches Plätschern drang an ihre Ohren. An der einen Seite der Lichtung wuchs saftiges Gras und es war genug für die Pferde. Die Luft war sehr mild, eine bemerkenswerte Veränderung zu ihrem letzten Lagerplatz.

„Also ich bin damit einverstanden“, sagte Erest.

Das waren die anderen auch. Valea zog ein Bündel Kleidung aus ihrer Satteltasche.

„Wenn keiner etwas dagegen hat, werde ich ein wenig Körperpflege betreiben.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie zwischen den Büschen in Richtung des Baches.

„Sind wir hier eigentlich schon in Tetker?“, fragte Meneas.

„Nein, aber die Grenze ist nicht mehr weit“, erklärte Tjerulf. „Morgen Abend werden wir die Biberau erreichen.“

„Biberau?“, wiederholte Erest, der die früheren Erklärungen Tjerulfs nicht gehört hatte.

„Ja, das ist der Fluss, der östlich von diesem Wald nach Norden fließt. Er kommt aus den Drachenbergen und mündet in die Droswern.“

Obwohl es eine angenehme Nacht - verglichen mit denen zuvor - zu werden versprach, stellten sie doch noch einmal ihre Zelte auf. Erst in den nächsten Tagen würde es so warm werden, dass sie endlich wieder unter freiem Himmel schlafen konnten.

Rings herum im Wald gab es genug Holz für ein Lagerfeuer, genauso, wie es Tjerulf versprochen hatte. Obwohl sie von den Bäumen um sie herum gut geschützt waren, nur ein kleiner Ausschnitt zwischen den Kronen gab einen Blick auf den Himmel frei, entschlossen sie sich dazu, wieder Wachen aufzustellen. Tjerulf und Meneas hielten es für wenig wahrscheinlich, dass der Orden von Enkhór-mûl bereits wusste, wo sie waren, außerdem befanden sie sich noch auf dem Gebiet Ogmatuums, aber es gab Tiere im Wald und darunter befanden sich einige auch für Menschen nicht ganz harmlose Nachträuber. Da waren Wachen durchaus angebracht. Idomanê und Durhad übernahmen die erste.

Die Nacht blieb ruhig. Ab und an war ein leises Rascheln oder Knacken im Wald zu hören, aber sie schlossen aus der Ruhe der Pferde, dass es sich um Nachttiere handelte, die nicht gefährlich waren. Die Pferde hätten Raubtiere wahrgenommen.

In den frühen Morgenstunden ging Freno in den Wald, um nach jagdbarem Wild Ausschau zu halten. Er brauchte sich nicht lange zu gedulden. Kurz darauf kam er mit einem erlegten Reh wieder zurück. Das brachte eine willkommene Abwechslung in den Speiseplan. Erest merkte als letzter, was sich tat und erst angezogen vom Bratenduft steckte er seinen Kopf aus dem Zelt.

„Du musst dich beeilen, wenn du noch etwas abhaben willst“, sagte Valea mit unüberhörbaren Essgeräuschen. Diese Aussicht half ihm umso schneller aus seiner Decke.

Am frühen Vormittag erreichten sie die Landesgrenze. Wie erwartet gab es dafür keine Anzeichen und sie mussten Tjerulfs Worten glauben.

„Woran erkennst du das?“, fragte Meneas.

„Das wirst du nicht wissen“, meinte er. „Diese beiden Bäume und die drei dort bilden eine besondere Baumgruppe, wie du siehst. Aber nur wer darum weiß, wird auch darauf achten.“

„Und was ist, wenn ein Baum umfällt oder abgesägt wird?“, wollte Anuim wissen und fand seine Frage gar nicht dumm.

„Ich halte es für unwahrscheinlich, dass jemand so tief im Wald herumsägt, aber selbst, wenn es einer täte, wird er sich kaum die Mühe machen, anschließend auch noch den Stubben auszugraben. Und ein umgefallener Baum würde wahrscheinlich an Ort und Stelle liegen bleiben, meinst du nicht auch? Also, selbst wenn keiner mehr stehen bliebe, könnte man diesen Ort noch eine lange Zeit wiederfinden. Aber letztlich ist es auch gleichgültig, weil sich keiner um den Grenzverlauf hier kümmert.“

Anuim war plötzlich sicher, dass er früher oder später auch selbst darauf gekommen wäre.

Der Wildpfad war erstaunlich gleichmäßig in seinem Verlauf. Es war kaum zu glauben, dass ein Naturweg so aussehen konnte, aber Tjerulf versicherte ihnen mehrmals, dass er einzig und allein durch wilde Tiere entstanden war und erhalten wurde. Zwar begegnete ihnen keines, vermutlich wurden sie rechtzeitig von dem dumpfen Trommeln der Pferdehufe gewarnt und flüchteten sich dann ins Unterholz, aber die Fährten waren eindeutig. Es gab weder welche von anderen Pferden noch menschliche Stiefelabdrücke. Allerdings mochten von Zeit zu Zeit auch Ogmari diesen Weg benutzen. Aber dafür gab es ebenfalls keine Anzeichen.

Der Tag verlief in wohltuender Eintönigkeit, aber zum Abend hin wurde der Wald lichter und kurz darauf blickten sie auf das ferne silberne Band der Biberau. Dahinter erstreckte sich eine weite Landschaft, nach Nordosten hin hügeliger, nach Westen flach und immer wieder von Wäldchen und Wäldern bewachsen. Jetzt entdeckten sie das erste Haus seit langer Zeit. Es war ein Bauernhof. Und um ihn herum lagen bewirtschaftete Felder und Weiden. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf.

„Den Bauern dort kennst du aber nicht, oder?“, fragte Meneas Tjerulf.

Der lachte.

„Doch, aber ich werde ihn euch nicht vorstellen. Wir werden den Hof umreiten. Vielleicht würde er es mit der Angst zu tun bekommen, wenn er eine so große Reiterschar sich seinem Hof nähern sähe.“

Meneas war nicht sicher, ob Tjerulf es damit ernst gemeint hatte, aber auch er sah keinen Grund, bei irgendwem unangemeldet einzufallen. Offensichtlich besaß dieser Bauer keine magische Kugel.

„Wir reiten noch ein wenig nach Norden“, sagte Tjerulf. „Eine oder zwei Meilen von hier gibt es eine flache Stelle, dort können wir morgen den Fluss überqueren. Ich schlage vor, heute Nacht am Waldrand zu lagern. Das ist immer noch ein wenig geschützter als irgendwo zwischen Wiesen und Feldern.“

Auf ihrem weiteren Weg, rechts von sich die Biberau, zur linken Seite ein lichter Wald, der sich dem Grenzwald im Nordosten anschloss, sahen sie tatsächlich überwiegend Kulturflächen jenseits des Flusses. Irgendwo im Norden würde wieder dichter Wald kommen, aber von dort, wo sie sich befanden, wurden die Felder nur noch von wenigen einzelnen Bäumen überragt - und von dem gewaltigen Massiv der Regenberge, dem sie in den letzten Tagen unübersehbar näher gekommen waren.

Erest wurde bei dem Anblick der Berge und dem Gedanken, dort hinaufzusteigen, unbehaglich zumute. Er war kein Freund von Bergen. Er schätzte mehr das ebene Land oder die Nähe eines Meeres (wenn auch keine Bootsausflüge) und auch mit der feuchten Hitze des Urwaldes konnte er sich leichter anfreunden als mit den Beschwerlichkeiten des Bergsteigens, besonders wenn die Luft dünner wurde. Nur, wer würde darauf Rücksicht nehmen? Und dieses Mal mussten sie wohl oder übel in die Berge.

Auf dem schmalen Uferstreifen zwischen der Biberau und dem Wald zog sich ein etwas breiterer Trampelpfad entlang. Hier stießen sie zum ersten Mal auf fremde Hufspuren. Also wurde er gelegentlich von Reitern und wie es aussah von Lasttieren benutzt. Aber auch an diesem Abend trafen sie keine anderen Menschen mehr. Der Bauernhof blieb bis zum nächsten Tag der einzige bauliche Vorbote der Bewohner dieses Landstrichs.

Nach kurzem Ritt erreichten sie die Stelle, von der Tjerulf gesprochen hatte. Und nun sahen sie es selbst. Während vorher das Wasser des Flusses graugrün und unergründlich war, kam es ihnen an diesem Abschnitt klarer vor und sie konnten den Grund sehen. Er war sandig und hier und da flitzte ein Fisch von einem Bündel Wasserpflanzen zum nächsten. Obwohl es eine Furt hätte sein können, kam weder vom jenseitigen Ufer ein Weg an den Fluss heran noch zeigten sich an der diesseitigen Uferböschung Spuren einer Durchquerung.

„Hier ist es“, sagte Tjerulf und stieg von seinem Pferd.

Erest ging ans Ufer und stellte fest, dass unerwartet viele Fische im Wasser schwammen.

„Wir hätten eine Angel mitnehmen sollen“, sagte er bedauernd. „Fisch wäre einmal eine Abwechslung.“

„Warum denn so umständlich?“, fragte Freno. „Warte, bis ich mit meinem Gepäck fertig bin, dann zeige ich dir einmal einen anderen Weg, Fische zu fangen.“

Doch zuvor richteten sie ihr Nachtlager ein. Die Gegend jenseits des Flusses war weithin übersehbar, aber nirgends entdeckten sie eine Ansiedlung. In diesem Fall war ihnen das ganz recht, denn dieser Umstand verhinderte, dass irgendjemand auf ihre Gruppe aufmerksam und argwöhnisch werden konnte. Sie hatten davor keine Furcht, aber sie wollten Aufsehen vermeiden.

In dieser Nacht glaubten sie, auf ihre Zelte verzichten zu können. Es war noch milder als am Tag zuvor und der Himmel sah nicht so aus, als würde er sich in der Dunkelheit beziehen. Da konnten sie auch im Freien übernachten.

Als alles für die Nacht bereit war und sie ein kleines Lagerfeuer entzündet hatten, schnitt sich Freno einen langen, dünnen Ast zurecht, spitzte ihn an und schnitt einpaar Widerhaken hinein.

„So, pass auf“, forderte er Erest auf.

Sie gingen ans Ufer. Noch war es hell genug, um die Fische vor dem sandigen Grund erkennen zu können. Nachdem sie kurze Zeit reglos gewartet und die Fische sich wieder beruhigt hatten, schwamm ein besonders dicker dicht am Ufer an ihnen vorbei. Blitzschnell stieß Freno mit seinem Speer zu und zog ihn damit zappelnd aus dem Wasser.

„Na, was sagst du jetzt?“, fragte er stolz. „Es ist eine Besche und schmeckt ausgezeichnet.“

„Großartig. Lass es mich auch einmal versuchen.“

Erest hatte anfangs weniger Glück. Zuerst dauerte es wieder eine Weile, bis sich die Fische beruhigt hatten, dann verscheuchte er die ersten mit Fehlstößen. Aber dann wurde er zielsicherer. Zwei weitere Fische hielten sie schließlich auf Spieße gesteckt über dem Feuer. Und da allesamt recht schwer waren, reichte diese Mahlzeit für alle.

So unbekümmert sie sich ihrem Abendessen hingaben, so wenig ahnten sie, dass sie doch nicht unbemerkt geblieben waren. Bereits am Morgen war die fremde Reiterschar an der Biberau angekommen und jetzt lagen sie nicht weit entfernt von ihnen ihm Versteck und sahen ihnen beim Abendessen zu. Noch war es zu früh, etwas zu unternehmen. Ihre Auftraggeber hatten ihnen klare Anweisungen gegeben, was sie tun sollten und zu diesem Zeitpunkt beschränkte sich ihre Handlung darauf, die anderen unbemerkt zu beobachten.

Und wieder folgte eine ruhige Nacht. Während Meneas am Lagerfeuer saß und mit Erest Wache hielt, dachte er darüber nach. Es war schon beinahe beunruhigend, dass sich der Orden von Enkhór-mûl noch nicht wieder geregt hatte. Sicher, in Ogmatuum waren sie vor ihm angeblich einigermaßen sicher gewesen, obwohl die Erfahrungen in Erzbünden dem widersprachen, und Tetker hatten sie sich im Schutz des Grenzwaldes genähert. Eigentlich konnte der Orden noch gar nicht wissen, ob sie das Land der Ogmari bereits wieder verlassen hatten. So musste es sein. Aber trotzdem traute Meneas dem Frieden nicht. Dazu hatten sie mit der Hartnäckigkeit des Ordens allzu schlechte Erfahrungen gemacht. Aber schließlich hörte er die Worte Tjerulfs in seiner Erinnerung: »Du machst dir zu viele sinnlose Gedanken«. Wahrscheinlich hatte er damit sogar Recht. Er sollte froh darüber sein, dass die Priester sie in Ruhe ließen.

Ein plötzliches Knacken im Unterholz ließ ihn zusammenzucken.

„Hast du das gehört?“, fragte er Erest leise, der aus einem leichten Schlummer aufgeschreckt war.

„Nein, aber irgendetwas hat mich gestört.“

Meneas zog sein Schwert und wollte gerade aufstehen, als sich raschelnde Geräusche von ihnen entfernten. Sie kamen ihnen plump und langsam vor, und wenn es ein Tier war, musste es recht groß und schwerfällig sein.

„Was war das?“, fragte Meneas.

„Keine Ahnung. Vielleicht ein Wildschwein, ein sehr großes, aber ich glaube, es ist weg. Wann kommt die Ablösung?“

Meneas setzte sich wieder und legte einpaar Stücke Holz ins Feuer.

„Jetzt“, hörten sie die Stimme von Durhad.

Fast geräuschlos war er von seinem Lager aufgestanden.

„Schön“, sagte Erest gähnend. „Dann kann ich mich ja schlafen legen.“

„Hast du das Geräusch auch gehört?“, fragte Meneas den Morain.

„Ja, aber deshalb bin ich nicht gekommen. Eure Wache ist vorüber. Ich werde Idomanê wecken.“

„Hast du eine Ahnung, was es war?“

„Nein, vielleicht ein Büffel oder etwas Ähnliches.“

Jedenfalls hörten sie es nicht wieder.

Als es dämmerte, fing es doch noch an zu regnen. Schimpfend wand sich Erest aus seiner Decke. An diesem Morgen war er ausnahmsweise einmal nicht der Letzte. Sie hielten das Feuer noch so lange in Gang, bis sie mit dem Frühstück fertig waren, dann ließen sie es ausbrennen.

Die Furt war leicht zu durchqueren, und nachdem sie eine halbe Meile oder so über einpaar Wiesen geritten waren, kamen sie an einen breiten Feldweg. Dort wandten sie sich in Richtung Osten und etwas später nach Norden.

Der erste Bauer mit einem Lastkarren hinter zwei Ochsen kam ihnen entgegen. Er grüßte die Reiter knapp und zog dann weiter. Berittene erregten in Tetker kaum Aufmerksamkeit, es waren öfter welche unterwegs, deshalb interessierte sich der Mann nicht sonderlich für sie.

Hier und dort entdeckten sie weitere Bauernhöfe und bis zum Mittag hatten sie zwei Dörfer hinter sich gelassen. Der Nachmittag verlief nicht anders als der Vormittag, außer dass der Regen aufhörte und die Sonne sich zeitweilig sehen ließ. Und als der Abend nahte, mussten sie sich darüber Gedanken machen, wo sie übernachten wollten.

„Ich wäre für ein Gasthaus“, meinte Solvyn und einpaar nickten beifällig.

Tjerulf schmunzelte.

„Das wundert mich nicht und nichts spricht dagegen -.“

„Aber?“

„Keine Sorge, ich bin ja dafür. Aber ich habe keine Ahnung, wo wir eines finden können.“

„Da kann ich helfen“, meinte Anuim. „Im nächsten Dorf, Schiefelgründ heißt es, etwa eine Stunde von hier, gibt es eines, soweit ich weiß. Vielleicht hat es genug freie Zimmer für uns. Vor einpaar Jahren war ich dort. Ich hoffe, dass es immer noch existiert.“

„Das werden wir herausfinden. Also gut, noch eine Stunde.“

Zu dieser Zeit stand die Sonne noch am Himmel und so erreichten sie Schiefelgründ, bevor die Abenddämmerung einsetzte. Das Gasthaus stand noch genauso da, wie Anuim es Erinnerung gehabt hatte. Und wie es aussah, war es auch noch in Betrieb. Mit unübersehbaren Lettern hing ein Schild über der Eingangstür und lud sie in den »Fischweiher« ein. Sie entdeckten zumindest keine weiteren Pferde vor dem Gasthaus, aber die mochten auch in einem Stall untergekommen sein. Meneas und Valea gingen hinein.

„Wäre es nicht schön, einmal wieder in einem Bett zu schlafen und keine Wache würde die Nacht unterbrechen?“, fragte Erest.

„Und ein Bad und Wäschewaschen?“, ergänzte Freno. „Ja, das wäre vielleicht gar nicht schlecht.“

„Ein Bad schon, aber Wäschewaschen muss nicht unbedingt sein.“

„Worüber redet ihr eigentlich?“, fragte Idomanê. „Vielleicht sind wir in zehn Minuten schon wieder aus dem Dorf hinaus und suchen uns ein lauschiges Plätzchen hinter irgendeiner Hecke.“

„Miesmacherin“, sagte Solvyn und blickte sie mit erbost funkelnden Augen an.

Idomanê lachte und bevor sie etwas entgegnen konnte, kamen Meneas und Valea wieder aus dem Gasthaus heraus. Ihre Gesichter verrieten nichts, doch dann lächelten sie.

„Wir haben Glück“, sagte er. „Bis jetzt sind wir die einzigen Gäste und der Wirt kann uns alle unterbringen. Er bittet uns, die Pferde hinter das Haus zu führen, dort erwartet er uns.“

„Und wir können uns baden und sogar die Wäsche waschen“, fuhr Valea fort. „Er besitzt einen Trockenraum.“

„Na, was habe ich gesagt“, erinnerte Freno an seine Worte.

Mit einem triumphierenden Gesicht führte er sein Pferd als erster in den Hof.

So ruhig ging es dann die nächsten drei Tage weiter. Sie konnten noch ein weiteres Mal in einem Gasthaus übernachten. Das Wetter blieb angenehm, ja es wurde sogar noch etwas wärmer, je weiter sie nach Norden kamen und nur selten überfiel sie ein Regenschauer. Die Regenberge wuchsen zusehends vor ihnen in den Himmel und mit ihnen Erests Unbehagen. In zwei Tagen, hofften sie, den Fuß der Berge zu erreichen. Und dazu kam noch ein weiteres ungutes Gefühl.

Mittlerweile befiel nämlich alle ein mehr oder weniger deutlicher Argwohn, wenn sie daran dachten, welche Mühe sich die Priester gegeben hatten, sie an ihrem Vorhaben zu hindern, bevor sie die Grenze nach Ogmatuum überschritten hatten. Je länger der nächste Überfall auf sich warten ließ, desto hinterhältiger musste er werden. Tjerulf schloss aber auch nicht aus, dass sie ihre Pläne geändert hatten und von nun an anders, weniger plump vorgingen. Welche Absichten allerdings dahinter steckten, das konnte er nicht einmal vermuten, bevor sie sich nicht wieder gezeigt hatten. Und somit wuchs ihre Spannung.

Wie zufällig fiel Durhads Blick auf eine Schar Reiter, die ihnen auf der Straße entgegenkam. Sie waren noch ein ganzes Stück entfernt. Als sie sahen, dass Tjerulf, Meneas und ihre Freunde auf einer Wegekreuzung stehengeblieben waren und zu beraten schienen, zögerten sie kurz, setzten dann ihren Ritt aber fort.

Sie zählten sechs, und wie es aussah, waren zwei Australier darunter. Die anderen mussten Skimmern, Gilgaler, Beschen oder Girgen sein, das konnten sie nicht so einfach unterscheiden. An den Reitern war nichts Besonderes. Sie konnten alles Mögliche sein, machten aber nicht den Eindruck verwahrloster Strauchdiebe. Tjerulf, Meneas und ihre Freunde machten Platz, als sie langsam an ihnen vorbeiritten. Dieses Verhalten war das einzig Ungewöhnliche. Es war in Päridon nicht unüblich, dass man wenigstens einpaar Worte miteinander wechselte, wenn eine Reiter-schar einer anderen, die rastete, begegnete. Aber sie mochten ihre Gründe dafür haben. Immerhin grüßend und mit interessierten Blicken ritten die sechs weiter und folgten dann in gemäßigtem Schritt der Straße.

„Eigenartig“, meinte Durhad, als sie außer Hörweite waren. „Ich glaube, sie sind mir vorgestern schon einmal aufgefallen.“

„Glaubst du, sie sind außer uns die einzigen Reiter hier in der Gegend?“, fragte Solvyn. „Wir sind öfter welchen begegnet. Und warum sollten sie nicht den gleichen Weg haben wie wir?“

„Ja, ich weiß, das ist durchaus möglich. Und trotzdem. Aber vielleicht hast du Recht. Es liegt wahrscheinlich daran, dass uns allen eine zunehmende Unruhe zu schaffen macht.“

„Ich fand auch nichts Verdächtiges an ihnen“, meinte Meneas.

Tjerulf sagte nichts. Nachdenklich blickte er hinter der Gruppe her.

Der Anführer der fremden Reiter hatte das einzig Richtige getan. Zuerst musste er zwar erschrocken feststellen, dass sie den Verfolgten genau in die Arme ritten. Eine Umkehr oder auch nur die Änderung ihrer Richtung wäre verdächtig gewesen. Das Unauffälligste war, einfach weiter- und an den anderen vorbeizureiten, in einer Weise, die weder besonders eilig noch betont gelassen erschien. Eine Unterhaltung wollte er aber vermeiden. Als sie die Gruppe von Meneas und Tjerulf hinter sich gelassen hatten, atmete er auf. Und gleichzeitig begann er, sich über ihre Dummheit zu ärgern. Er hoffte, dass dieser Meneas und seine Leute keinen Verdacht geschöpft hatten, dass sie von ihnen verfolgt wurden. Glücklicherweise kannte er ihr ungefähres Ziel. Von nun an würden sie ein Stück vorausreiten und am Fuß der Regenberge auf sie warten. Sie durften sich keine Fehler leisten.

Tjerulf, Meneas und den anderen war eine letzte Nacht in einem Gasthaus vergönnt. In dem Dorf Zellingen gab es das Gasthaus »Zum Entenschnabel«. Dort verbrachten sie die Nacht, bevor sie die Regenberge erreichten. Am nächsten Tag konnten sie dann bis zum Fuß des Gebirges kommen, und wenn alles gut ging, bis zum Oberlauf der Droswern vordringen. Vielleicht schafften sie es sogar bis zum Sommersee. Das wäre der günstigste Ausgangspunkt für ihre Suche nach dem nächsten Kristallfragment. Dort konnten sie ihr Lager so lange stehenlassen, bis ihre Aufgabe erledigt war. Bisher jedenfalls war für sie die Reise, seit sie Ogmatuum verlassen hatten, unerwartet störungsfrei verlaufen. Doch die Ungewissheit, wann sich das ändern würde, zerrte an ihren Nerven. Und dass es das tun würde, stand außer Zweifel. Genauso wie die Tatsache, dass sie selbst in dem Gasthaus in einem Dorf mit vielen Einwohnern nicht unbedingt sicherer waren als auf dem Land. Und dieser Gedanke ließ sie alles andere als ruhig schlafen.

„Ich denke, es ist nicht notwendig, euch aufzufordern, größte Aufmerksamkeit walten zu lassen“, sagte Meneas, als sie Zellingen am nächsten Morgen verließen. „Es mag sein, dass auch die Priester in der Zwischenzeit erfahren haben, dass wir uns unserem nächsten Ziel nähern. Also haltet die Augen auf. In der nächsten Zeit wird es keine Nacht mehr ohne Wachen geben und die Gefahr wird zunehmen. Es wäre mir auch lieber, es wäre nicht so, aber wir müssen jetzt wieder auf Überfälle vorbereitet sein.“

„Deine Rede baut mich wirklich auf“, meinte Erest finster. „Sie und die blöden Berge vor uns.“

Einige lachten, denn sie wussten inzwischen von seiner Abneigung gegen Bergsteigen. Dabei scheute er weniger die Höhe als vielmehr die Anstrengung.

Doch zunächst ging es ungestört weiter. Diejenigen, denen sie unterwegs begegneten, waren fast alles Bauern. Ein Händler kam ihnen mit seinem Gespann entgegen und zu ihrem Erstaunen trafen sie sogar zwei Ogmari. Auf die Bitte Tjerulfs hielten sie zwar an und wechselten mit ihm einpaar Worte, aber es wurde schnell klar, dass sie sich auf kein längeres Gespräch einlassen wollten. So erfuhren sie nicht, was die Ogmari nach Tetker verschlagen hatte.

Am Nachmittag erreichten sie die Droswern. Es war an einer Stelle, wo der Fluss aus dem Gebirgswald herauskam. Bevor sie sich auf den Weg begaben, der sich waldeinwärts an ihrem Ufer entlangzog, ließ Tjerulf die Gruppe noch einmal anhalten.

„Wir werden gleich außer Sicht sein, schauen wir aber lieber noch einmal zurück, ob uns jemand verfolgt.“

Das schien nicht der Fall zu sein. Offensichtlich waren sie dort oben allein in der Gegend. Aber jedem war klar, dass das nichts bedeuten musste. Jemand, der sie verfolgte, konnte durchaus geschickt genug sein, sich nicht sehen zu lassen. Also machten sie sich mit ungutem Gefühl auf den Weg in den Wald.

Der Weg, auf dem sie am Waldrand entlang ritten, war von Menschenhand geschaffen. Deutlich waren die Spuren der Räder von Gespannkutschen zu sehen, die sich in den Boden hineingedrückt hatten. Allerdings waren diese Abdrücke schon älter. Stellenweise hatte das Gras von den Seiten her und zwischen den Fahrspuren begonnen, sie wieder zu überwuchern, und auch die Fußabdrücke der Zugtiere waren bereits zugewachsen. Das bedeutete, dass der Weg schon längere Zeit nicht mehr benutzt worden war.

Zur Rechten standen enge Baumreihen, zur Linken toste die Droswern von den Bergen herab und dahinter lag wieder ein Waldsaum. Der Fluss war jetzt noch schmal, sein Flussbett aber umso tiefer und felsig, ausgespült in langen Jahren. Eine Menge herabgespülte Felsbrocken hatten sich darin angesammelt und viel Bruchholz hing dazwischen verfangen. Trotz des Gefälles war es den Wassermassen nicht gelungen, das immer wieder neu entstandene Treibgut in die Ebene zu reißen. Der Lärm der Flut zwang die Reiter, sich anzuschreien, wenn sie sich etwas sagen wollten. Und deshalb war das nicht oft der Fall. Der Weg folgte ziemlich eng dem Flusslauf, der in vielen Windungen verlief.

Es dauerte nicht lange, bis sie auf das erste Hindernis stießen. Ein Baum war quer über den Weg gefallen und hing mit seiner Krone über dem Fluss. Sie hatten weder eine Säge noch eine Axt dabei und mit ihren Schwertern wäre es eine ziemlich anstrengende Arbeit gewesen, den Stamm zu zerhacken. Meneas, der voranritt, stieg vom Pferd und wollte es durch den Wald führen, um die Stelle zu umgehen. Aber das stellte sich als schwierig heraus, denn die Bäume standen dicht und der Boden war bedeckt von Felsbrocken und herabgefallenen Ästen. Tjerulf rief ihn wieder zurück. Er hatte eine bessere Idee.

Er holte eines der Lichtschwerter aus seiner Satteltasche und fing an, den Stamm damit zu bearbeiten. Er leistete erstaunlich wenig Widerstand. Tjerulf schlug nicht auf ihn ein, sondern drückte die Lichtklinge auf das Holz. Mit deutlicher Rauchentwicklung sank sie hindurch und die Krone fiel ins Wasser. Falls der Schnitt ein Geräusch verursacht hatte, dann wurde es durch den Lärm des Wassers überlagert. Das gleiche macht er mit dem Stamm auf der rechten Seite vom Weg. Anuim und Erest schoben das Stück an den Rand.

„Daran habe ich gar nicht mehr gedacht“, sagte Meneas begeistert. „Das ging ja hervorragend.“

Tjerulf steckte das Schwert wieder in die Satteltasche.

„Das wundert mich nicht, so selten, wie wir diese Waffen gebraucht haben - ich sollte sagen, glücklicherweise selten. Mir ist es auch nicht gleich eingefallen.“

Der Untergrund stieg allmählich steiler an. Obwohl sie noch zwei weitere Male den Weg freiräumen mussten, konnten sie die meiste Zeit noch ihre Pferden benutzen, sehr zur Zufriedenheit von Erest.

Dann stießen sie auf ein Stück Geschichte dieser Gegend. Ein wenig abseits vom Weg, aber noch gut zu erkennen, standen die verfallenen Überreste einer ehemaligen Waldhütte. Wer immer sie dort errichtet hatte, vermutlich ein Fallensteller, musste sie vor langer Zeit verlassen haben.

Trotz gelegentlicher Hindernisse und Erschwernisse kamen sie besser vorwärts, als sie zu hoffen gewagt hatten und am frühen Abend erreichten sie den Rand des Waldes und sahen vor sich auf einem weiten Plateau den Sommersee. Er wurde umrahmt von einer weiten Ebene, auf der hier und dort einige Bäume wuchsen. Meistenteils wurde sie aber von einer steinigen Grasfläche eingenommen und war gut überschaubar.

Mittlerweile hatten sie eine Höhe erreicht, in der es merklich kühler geworden war und wo ein frischer Wind wehte. Hinter der Hochebene erhoben sich die kahlen Felsen der Berge. Oben auf den Gipfeln war der erste Schnee gefallen, aber von diesem Wintereinbruch war unten am See noch nichts zu merken.

„Also gut“, meinte Meneas. „Bis hierhin haben wir es also geschafft. Jetzt müssen wir uns nur noch einen geeigneten Lagerplatz suchen, von dem wir in den nächsten Tagen unsere Suche durchführen können.“

Schon auf dem ersten Blick fielen ihnen einige Stellen auf, wo sie ihre Zelte aufstellen konnten, aber Idomanê hatte einen besseren Vorschlag. Sie zeigte nach links auf das seitliche Ufer.

„Dort hinten steht ein Haus. Lasst uns nachsehen, ob es bewohnt ist. Falls es leer steht, können wir es uns vielleicht darin bequem machen.“

Auch einige andere hatten es schon gesehen, aber Idomanê war ihnen mit ihrem Vorschlag zuvorgekommen.

Sie erkannten schon bald, dass es leer stand, denn das Dach aus grauen Schieferplatten zeigte einige Schäden und die Tür stand offen. In einem Fenster hing ein Lumpen, der sich im Abendwind bewegte.

„Hier waren Reiter“, sagte Durhad, als sie kurz vor der Hütte waren. „Und es ist noch nicht lange her.“

Er hatte Recht. So wie es aussah, waren jene einen anderen Weg heraufgekommen als sie, denn die Fährten kamen von rechts über die Hochebene auf sie zu und wandten sich dann an der Hütte vorbei in die Richtung der Berge. Vor der Hütte war die Ordnung ein wenig durcheinander geraten. Offensichtlich hatten die Reiter angehalten und waren umeinander herumgeritten, bevor sie weiterzogen. Aber abgestiegen waren sie nicht, denn es gab keine Stiefelabdrücke.

„Es sieht nicht so aus, als hätten sie sich für die Hütte interessiert“, sagte Meneas. „Jedenfalls haben sie sie nicht untersucht.“

Sie beachteten die Spuren nicht weiter.

Die Hütte war unübersehbar verlassen. Im Rest des Tageslichtes sahen sie die Unordnung im Inneren. Es gab nur einen Raum. Er musste sehr einfach eingerichtet gewesen sein, denn ein grob gearbeiteter Tisch und zwei dazu passende Stühle waren die einzigen Möbel. Im hinteren Teil fanden sie an den gegenüberliegenden Seiten je einen Haufen aufgewühlter Lumpen, die man mit einiger Phantasie vielleicht für Unterlagen von Schlafstätten halten konnte. Tjerulf stocherte mit seinem Schwert darin herum, aber außer den Lumpen gab es nichts.

„Knochen?“, fragte Anuim.

Tjerulf lachte.

„Sei unbesorgt. Gestorben scheint hier keiner zu sein. Und keine Geister haben hier ihre Kleider abgelegt, wenn dich das beruhigt.“

„Das tut es.“

Die Hütte hatte außer an der Seite mit der Tür je ein Fenster, die einst mit Säcken oder etwas Ähnlichem verhangen waren, wie das einzige Fenster, vor dem noch einpaar Fetzen hingen, vermuten ließ. Bei den anderen waren sie herabgefallen, vielleicht in Stürmen zerrissen worden. Über allem lag eine Staubschicht.

„Wer hier wohl gelebt hat?“, fragte Solvyn und sah sich um.

„Es scheinen zwei gewesen zu sein, wenn die Betten, oder das, was von ihnen übriggeblieben ist, darauf schließen lassen“, meinte Erest. „Aber sie haben die Hütte vor langer Zeit verlassen, wie es aussieht.“

„Wir sollten hier bleiben“, schlug Meneas vor. „Es ist kein sehr schöner Ort, aber er bietet mehr Schutz vor der nächtlichen Kälte und dem Wind als unsere Zelte. Die Fenster können wir zuhängen und morgen vielleicht das Dach notdürftig ausbessern. Die Schindeln liegen hier noch herum. Außerdem haben wir hier einen Kamin.“

Keinem von ihnen gefiel die Bude, aber Meneas hatte Recht. Und ihre Entscheidung wurde dadurch erleichtert, dass der Luftzug durch die Fenster im Laufe der Jahre jeglichen unangenehmen Geruch, der in der Hütte einst geherrscht haben mochte, vertrieben hatte. Selbst die Lumpen, in der trockenen Bergluft gut erhalten, waren noch geeignet, als zweckmäßige, wenn auch nicht sehr schmuckvolle Gardinen herzuhalten. Die Möbel taugten aber nichts mehr und landeten schließlich im Feuer des Kamins.

In der Klarheit der Gebirgsluft überspannte sie ein überwältigender Sternenhimmel, der jedoch bald unter dem Licht der Monde verblasste.

„Oh seht!“, sagte Solvyn überrascht und zeigte auf einen Berggipfel. „Was ist das?“

Außer Solvyn hatte in diesem Augenblick aber niemand in die Richtung geblickt und konnte daher das kurze Aufblinken am Gipfel nicht erkennen.

„Ja, es ist wieder weg“, sagte sie. „Ein Funkeln, wie ein heller Stern. Sonderbar.“

„Vielleicht war es einer“, meinte Erest. „Ein letztes Aufleuchten, bevor er hinter dem Gipfel versank.“

„So schnell? Aber vielleicht hast du Recht. Ich übernehme die erste Wache. Der Himmel ist so schön.“

Sie teilte sie sich mit Freno. Die anderen gingen zurück in die Hütte.

Solvyn hatte sich nicht nur wegen des Sternenhimmels bereit erklärt, die erste Wache zu übernehmen. Sie wollte wissen, ob sich die Leuchterscheinung wiederholte. Sie glaubte nicht, dass es von einem untergehenden Stern verursacht worden war. Und sie behielt Recht.

Sie und Freno hatten sich vor einem nahen Felsen niedergelassen. Im Licht der Sterne und der aufgehenden Monde wurde die Landschaft in einen finstergoldenen Schein getaucht. Der Wind hatte sich ein wenig gelegt und war nicht so kalt, wie sie erwartet hatten. Die abgehängten Fenster der Hütte waren schwach erleuchtet und sie hörten ein leises Murmeln. Solvyn hatte dafür gesorgt, dass auch Freno sich so hingesetzt hatte, dass er in die Richtung des Berggipfels blicken konnte. Und ihre Hoffnung ging in Erfüllung. Sie saßen noch keine halbe Stunde, da wiederholte sich das Funkeln.

„Da“, sagte sie. „Hast du es auch gesehen.“

„Was?“

„Es blinkt. Oben auf dem Berg. Eben war es -, da, schon wieder.“

„Tatsächlich. Jetzt habe ich es auch gesehen.“

„Was ist das?“

Freno zuckte mit den Achseln.

„Ich weiß nicht.“

In den nächsten Minuten wiederholte es sich noch zweimal. Freno ging zur Hütte und holte die anderen.

Neugierig starrten sie jetzt alle zu dem Berggipfel. Ihre Geduld wurde aber auf eine harte Probe gestellt. Einige wollten schon aufgeben, als es plötzlich zweimal kurz hintereinander aufblitzte.

„Hm“, machte Tjerulf. „Ich habe keine Ahnung, was das ist.“

Keiner hatte eine Erklärung.

„Ich würde es schon gern wissen“, meinte Meneas, „aber ich glaube, es wird nur schwer zu erreichen sein. Der Berg ist steil und felsig. Außerdem liegt dort oben Schnee. Es wäre ein gefährliches Unterfangen.“

„Und vertane Zeit“, sagte Tjerulf. „ich glaube kaum, dass es etwas mit unserer Suche zu tun hat.“

„Das ist wahrscheinlich“, pflichtete ihm Meneas bei. „Vielleicht später einmal.“

Die Wachen konnten die Erscheinung noch einige Male in der Nacht beobachten. Erst nach Sonnenaufgang schien es aufzuhören.

Sie hatten ihre erste Nacht am Sommersee verbracht und wussten daher nicht, ob es sich in anderen Nächten genauso verhielt. Es konnte gut sein, dass dieses Leuchtfeuer, wie Anuim es nannte, eine Eigenart des Berges war. Jedenfalls gab es keinen Grund, der Sache nachzugehen, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.

Nach dem Frühstück machten sie sich zunächst daran, das Dach abzudichten. Da sie damit rechneten, noch einpaar Tage in der Gegend zu bleiben, konnten sie es ebenso gut gleich erledigen und nicht erst, wenn sie abends zurückkehrten. Glücklicherweise waren die Holzsparren auf dem Dach einigermaßen gut erhalten und brauchten nicht ausgewechselt zu werden. Das erleichterte ihnen die Arbeit und kaum eine Stunde später war das Dach in einem Zustand, das es ihnen für die nächsten Tage genug Schutz bieten würde. Als das erledigt war, begannen sie, einen Schlachtplan für die Suche nach dem Kristallfragment zu entwerfen. Da es in der Hütte jetzt finsterer war als draußen und der Tisch in Rauch aufgegangen war, ließen sie sich vor der Tür im Gras nieder. Meneas breitete die Landkarten der Sinaraner vor ihnen aus.

„Wo sollen wir nun anfangen?“, fragte Meneas.

„Ausgezeichnete Frage“, meinte Erest ein wenig spöttisch. „Bisher haben sich die Karten nicht als ausgesprochen hilfreich erwiesen.“

„Das ist es ja.“

Tjerulf drehte die Übersichts- und die Ausschnittskarte zu sich um. Eindeutig war, dass sie in die Berge mussten, oder aber in eine Höhle in einem der Berge. Genau war das aus der Aufzeichnung nicht zu erkennen. Zwar war der Sommersee eingetragen und auch der Wald, durch den die Droswern floss, außerdem noch ein anderer Wald und einpaar Bergspitzen, aber sie zeigten weder die Hütte, noch den Weg, den sie heraufgekommen waren und auch nicht denjenigen, den die anderen Reiter genommen hatten. Und die eingezeichneten Bergspitzen gaben die wirkliche Anordnung der Berge nicht einmal annähernd wieder.

„Das Fehlen der Hütte und der Wege wundert mich nicht“, meinte Meneas. „Wir wissen, dass die Karten sehr alt sind und als sie entstanden, wird es weder das eine noch das andere schon gegeben haben, aber ich hätte mir bei den Berggipfeln etwas mehr Genauigkeit gewünscht.“

Er durchsuchte den Stapel mit den anderen Karten, aber er fand keine darunter, die ihnen weiterhelfen konnte.

„Glaubt ihr, die Hütte ist winterfest?“, fragte Valea.

„Ich hoffe nicht, dass wir so lange hier bleiben müssen, um das herauszufinden“, sagte Meneas.

„Wenn es so unklar ist, wo wir das Versteck finden können, bleibt uns nur die Hoffnung auf die Hilfe des Zufalls“, meinte Idomanê.

„Dann bin ich zuversichtlich“, sagte Anuim. „War es die ersten beiden Male denn anders?“

Eigentlich nicht, wussten sie, obwohl es einigen gut gefallen hätte, einmal ein Versteck mit Hilfe ihres Verstandes, ihres Mutes und eines richtigen Riechers zu finden. Das wäre einmal genial gewesen. Aber so.

„So ungenau finde ich die Karte gar nicht“, sagte Durhad. „Wir müssen sie nur richtig lesen.“

„Ich verstehe nicht“, sagte Meneas.

Und Tjerulf lächelte. In dem Augenblick, in dem Durhad das sagte, war es ihm auch aufgefallen.

„Es ist doch ganz einfach. Hier ist der Sommersee, hier fließt die Droswern ab. Und hier kommt der Zufluss aus den Bergen. Dort liegt die Quelle.“

„So weit ist ja auch alles klar“, sagte Idomanê zustimmend. „Und weiter?“

Durhad drehte sich um. Der Zufluss in den See war am jenseitigen Ufer gut zu erkennen.

„Die Karte ist ziemlich genau, zumindest, was die Berge angeht. Es sind nur nicht alle eingetragen.“

Er legte sie in Übereinstimmung mit den Himmelsrichtungen vor sich. Nun wurde es klarer.

„Eigentlich ganz einfach“, fand Erest. „Und siehe da, unser Berg mit dem Leuchtfeuer scheint doch eine gewisse Bedeutung zu haben.“

Mit einem der sinaranischen Schreibstifte zeichnete er die fehlenden Gipfel wenig kunstfertig, aber eindeutig zuzuordnen, in die Karte ein.

„Ich glaube, so geht es besser“, meinte er dann.

Das Wasser der Quelle der Droswern schien unfern von dem Fuß des besagten Berges zu entspringen, umfloss einen weiteren Berg und bog schließlich zum See hin ab. Wer immer die Karte gezeichnet hatte, hatte sich nicht die Mühe gemacht, alle Gipfel einzutragen, die von ihrem Standort zu sehen waren, sondern nur die wichtigsten. Und mit einiger Vorstellungskraft konnte man ihre natürliche Anordnung erkennen. Allerdings gab sie keinen Hinweis darauf, ob es eine Abkürzung durch die Berge gab. Also würden sie dem Zufluss in seiner ganzen Länge folgen müssen, denn sie vermuteten, dass sie entlang des Flusses am besten vorankamen. Und das schien ein ziemlich langer Weg zu sein.

„Da werden wir wohl doch unsere Zelte brauchen“, vermutete Anuim.

„Heute ist es schon ein wenig spät“, meinte Valea. Es war tatsächlich schon später Vormittag. „Ich schlage vor, dass wir uns in Gruppen aufteilen und uns ein wenig umschauen. Vielleicht gibt es ja einen kürzeren Weg zwischen den beiden Bergen hindurch. Und morgen machen wir uns dann in aller Frühe an den Aufstieg.“

Dabei zeigte sie in die Richtung, die sie meinte. Die anderen stimmten zu. Es war kaum anzunehmen, dass sie auf diese Weise einen Hinweis auf das Kristallfragment fanden, aber es war ihnen schon damit geholfen, wenn sie sich mit den Gegebenheiten der Gegend etwas vertraut machen konnten.

Sie nahmen ihre Pferde mit. Wahrscheinlich würden sie nicht die ganze Zeit reiten können, aber doch einen ganzen Teil der Strecke.

Sie teilte sich in drei Gruppen auf: Tjerulf, Durhad und Solvyn; Meneas, Erest und Valea sowie Freno, Idomanê und Anuim.

Meneas wollte den Fährten der anderen Reiter folgen, Tjerulf wandte sich dem Quellfluss der Droswern zu und Anuim wollte versuchen, den kürzesten Weg zu dem blinkenden Berg zu finden.

Meneas´ Gruppe fiel es nicht schwer, den Spuren zu folgen. Sie waren deutlich im Gras zu erkennen. Er fragte sich, was sie wohl in der Gegend vorgehabt hatten, obwohl die Antwort für sie sicher bedeutungslos war. Dass sich Meneas dazu entschieden hatte, den anderen Reitern zu folgen, lag weniger an seiner Neugierde, als vielmehr daran, dass sie in die Richtung eines Passes geritten waren, hinter dem sie ein Tal vermuteten, durch das sie entweder wieder an den Quellfluss der Droswern kamen oder zumindest in die Nähe des blinkenden Berges. Meneas hatte nicht die Absicht, die Spuren weiter zu verfolgen als bis zum Eingang des Passes. Es sei denn, die Reiter wären ebenfalls in die Berge hineingeritten.

Doch sie merkten schnell, dass das nicht der Fall war. Noch bevor sie die Schlucht erreichten, drehten die Fährten ab und führten zu einem Wald, der weiter unten am Berghang begann. Damit waren sie aus dem Spiel. Einige Zeit später kamen Meneas, Erest und Valea bei der Schlucht an, an deren Ende sie den Pass sahen. Dann begannen sie, die Umgebung auszukundschaften.

Anuim, Freno und Idomanê ritten auf eine Lücke zwischen dem Anstieg des nächsten Berges und dem Wald zu, aus dem die anderen Reiter gekommen waren. In der Flucht dieser Schneise konnten sie den blinkenden Berg deutlich erkennen und auch, dass er ein ganzes Stück entfernt war, obwohl kein anderer vor ihm stand. Er war einer der höchsten Berge in diesem Teil des Massivs der Regenberge.

Entlang des Waldrandes gab es keinen Weg, aber damit hatte Anuim auch nicht gerechnet. Die Gegend war einsam und die nächsten Siedlungen waren weit weg. Wahrscheinlich kamen noch weniger Menschen dort hoch, seit die Hütte am See unbewohnbar geworden war.

Das Erbe der Ax´lán

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