Читать книгу Türen - Harry Flatt-Heckert - Страница 5

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Mein Blick ruhte ganz entspannt in meinen Augen. Ich hatte, seit ich mit Schrecken feststellte, dass ich meine Lider nicht öffnen konnte, meinen Blick bewusst geschlossen gehalten. Aber nun, nachdem es mir auf so eigenartige Weise gelungen war, mich zumindest körperlich innerhalb meines so regungslos, in sich selbst erstarrten Leibes zu bewegen, wollte ich unbedingt einen, nein, meinen Blick auf, nein, in mein Inneres richten. Meine Hand lag noch immer schützend um den Übergang von Speiseröhre zum Mageneingang. Ich atmete tief ein – wenn auch nur innerlich – und öffnete vorsichtig meinen Blick. Nur meinen Blick. Die Augen blieben geschlossen. Ich konnte sie auch nach wie vor gar nicht öffnen. Selbst dann nicht, wenn ich es gewollt hätte. Aber mein Blick öffnete sich. Es dauerte eine Weile, bis er sich an die Dunkelheit, die in meinen Augenhöhlen herrschte, gewöhnte. Ganz schemenhaft nahm mein Blick ein fahles Licht durch die geschlossenen Lider wahr. Es war wohl draußen mittlerweile doch schon hell geworden. Aber durch die dünne, feinädrige Haut, die sich über meine Augäpfel wölbte, war nichts Genaueres als dieses diffuse Licht zu erkennen. Vorsichtig richtete ich meinen Blick nach links, ich sah die Innenseite meiner Schläfe. Auch hier nahm ich durch die relativ dünne Haut zwischen Augenhöhlenknochen und Schläfenbein ein schummriges Licht wahr. Dann lenkte ich meinen Blick einmal von innen die Stirn hinauf, er durchdrang völlig problemlos die dünne Knochenplatte der Schädelbasis. Ganz zögerlich. Wollte ich das sehen? Wollte ich in das Zentrum meiner Persönlichkeit und meiner Gedanken, die mich so oft verwirrten und verstörten, vordringen? Wollte ich das? Ganz vorsichtig wagte ich mich voran. Ich richtete meinen Blick auf mein Schädelinneres oberhalb der Basis und war erstaunt, wie zerklüftet, wie verwunden und grau der Cortex Frontalis an meiner Stirnplatte klebte. Es sah schon ein wenig enttäuschend aus. Oder ernüchternd. Oder ekelig. Ich richtete meinen Blick ins Zentrum meines Schädels, wo ich einen erhabeneren Anblick meines Gehirns erwartete. Aber auch der Rest meines Denkapparates, auf den ich meinen Blick nun richtete, erschien mir nicht gerade wie ein Wunderwerk der Evolution oder gar die Krönung des schöpferischen Schaffens eines genialen Gottes zu sein. Es war eine merkwürdige blassgraue Masse, die mich spontan eher an unentwirrbar miteinander verknotete, nicht mehr ganz frische Weißwürste denken ließ, als an ein hochentwickeltes Organ. Wie sollte man mit so einem Durcheinander überhaupt einen klaren Gedanken fassen? Manche Stellen waren etwas bräunlich, an anderen Stellen klafften merkwürdig große Löcher zwischen den einzelnen Würsten und ich fragte mich, ob sich da vielleicht so etwas wie eine Alzheimer Erkrankung andeutete? Mir fiel ein, dass ich in der letzten Zeit schon etwas vergesslich wurde. Manchmal kam ich nicht auf einen, mir eigentlich vertrauten Namen, mal fiel mir eine Steuerverordnung nicht ein oder ich vergaß einfach, meiner Schwiegermutter einen guten Tag zu wünschen. Insgesamt war ich schon sehr enttäuscht von diesem hässlichen Ding da in meinem Kopf und ich wunderte mich schon einigermaßen, dass man mit so einem unansehnlichen und ekligen Klumpen überhaupt schöne Gedanken entwickeln konnte. Dass sich so ein Ding so etwas Kreatives wie Musik und Literatur, Liebesschwüre oder verschiedene Mehrwertsteuersätze ausdenken konnte. Oder solche Gedanken, die ich mir in diesem Moment machte. So kann man sich irren. Dachte ich mit diesem Ding. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Weißwürste in meinem Kopf noch etwas fester miteinander verknoteten.

Ich trennte angewidert und auch etwas gekränkt meinen Blick von meinem Gehirn und ließ ihn langsam durch den vorderen Bereich meines Kopfes hinunter durch die Nebenhöhlen in den Mund, den Hals und diesmal auch bewusst durch den Kehlkopf die Speiseröhre hinab gleiten. Ich wollte mir das von innen anschauen. Aber auch das war kein besonders erhebender Anblick, dachte ich angeekelt. Überall waren da so kleine. lappige Aussackungen, in denen sich noch irgendwelche Essensreste befanden. Hier und da ein paar warzenartige, blutgefüllte Verknorpelungen, die auch keinen sonderlich appetitlichen oder wenigstens gesunden Eindruck auf meinen Blick machten. Insgesamt war ich schon ziemlich erschüttert über den Anblick, den mein Innerstes mir bot. Endlich erreichte mein Blick die Stelle, an der meine Speiseröhre meinen Magen erreichte. Mein Blick sah sich um. Es war auf die Schnelle nichts zu sehen, was jetzt besonders auffällig gewesen wäre. Die Narbe sah auf den ersten, zugegebenermaßen eher laienhaften Blick gut aus, es war alles gut verwachsen. Zumindest schien es so. Wahrscheinlich war da auch gar nichts und ich bildete mir die Schmerzen über all die Jahre nur ein. Ich bildete mir ja immer viel ein. Und hielt es dann für wahr. War mir jetzt auch egal. War mir in diesem Moment auch zu kompliziert. Ich hatte jetzt andere Probleme.

Während meine Hand jetzt meinen Magen von außen abtastete, machte sich mein Blick auf den Rückweg. Er hatte genug gesehen. Er wollte zurück. Dieser Ausflug war nicht sonderlich erquicklich für mich. Im Gegenteil. Mein Blick hatte die Nase voll. Gestrichen voll. Ich fragte mich kurz, ob ein Blick überhaupt eine Nase hatte? Ich wusste es nicht und darum verwarf ich diesen blöden Gedanken auch schnell wieder. Weil er blöd war. Ein wirklich blöder Gedanke. Auch meine Hand hatte jetzt genug. Meine, hilflos in meinem Inneren herumtastende Hand hatte diagnostisch nichts zur Klärung meiner derzeitigen Situation beitragen können. Gar nichts. Handarbeit hatte ich nie einen besonderen Wert beigemessen. Ich war immer mehr ein Kopfmensch. Und mein Kopf sagte mir jetzt, dass es Zeit wurde. Es wurde Zeit, dass dieser Spuk ein Ende hatte. Ich versuchte, mich innerlich allmählich wieder zu sortieren, schob meine Hand zurück in meinen Arm, bettete meinen Blick wieder in meine Augen, versuchte mich innerlich wieder in meine äußere Hülle hineinzufinden und wartete ungeduldig darauf, nun endlich richtig wach zu werden. Oder einzuschlafen. Ich glaubte allerdings nicht, dass ich nach diesem absurden Trip in mein Inneres noch einmal würde einschlafen können. Der Kopf war viel zu wach und viel zu aufgeregt, um jetzt die nötige Ruhe zu finden. Dann jetzt bitte wenigstens richtig wach werden. Ich hatte genug. Und ich war verängstigt. Verängstigt, verwirrt, verzweifelt und irgendwie fühlte ich mich völlig hilflos. Das musste jetzt enden. Am liebsten sofort. Aber jeder Versuch, nach dieser verstörenden Reise in mein Inneres auch wieder die Kontrolle über mein Äußeres zu erlangen, scheiterte kläglich. Ich wusste nicht weiter.

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