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1. Der Morgen

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Ť Visions, monsieur, sa visions, vous voulez connaitre sa chimeres, ne pas?”

Ob es nur das schauderhafte Französisch war, mit dem sie die vorbeieilenden Passanten ansprach, oder ihr merkwürdiges kleines Zelt, in dem sie ihre Dienste als Wahrsagerin anbot, wie auf einem mit krakeligen Buchstaben beschrifteten Pappschild zu lesen stand; rund, mit einem spitzen Dach, das mich irgendwie an ein römisches Legionärszelt erinnerte und das sich neben all den anderen Ständen der zumeist dunkelhäutigen Straßenhändler, die ihre aus Handtaschen, Schmuck, billigem Andenkenkitsch oder schreiend bunten Kleidungsstücken bestehenden Waren auf sonnenschirm-beschützten Verkaufstischen anboten, auffallend fremd ausnahm - sie erreichte Ihr Ziel insofern, dass ich stehen blieb und mich, teils amüsiert, teils verwundert, nach ihr umdrehte.

Sie mochte sechzig Jahre alt sein, vielleicht auch älter, denn das weit in ihr Gesicht gebundene Kopftuch ließ eine genauere Schätzung ihres Alters nicht zu. Dem Aussehen nach eine Zigeunerin, war sie gekleidet wie eine der vielen aus Nordafrika oder dem Balkan stammenden Frauen, die zwischen Touristen über den Straßenmarkt flanierten, ihre Körper in knöchellange bunte Gewänder gehüllt, meistens begleitet von einer Horde laut und aufdringlich plärrender kleiner Kinder.

Sie hatte sofort bemerkt, dass ich auf Sie aufmerksam geworden war, und kam mit merkwürdig schleppendem Gang auf mich zu. Während sie nun nach meinem halb aufgerollten Hemdsärmel griff und daran zupfte, begann sie wieder: „Monsieur, vous…”, doch plötzlich legte sie ihren Kopf schief, als ob sie in sich hineinhorche: „Vous Allemand

? Deutschlánd?… mais naturalement oui !!” Diese Feststellung traf sie mit solcher Entschiedenheit, als stünde meine Herkunft in dicken Buchstaben auf meiner Stirn geschrieben. In der Tat verblüffend!

Ich hatte mir an diesem Vormittag nichts weiter vorgenommen, als am Seineufer entlang zu bummeln, die Eindrücke eines herrlichen Frühlingstages in mich aufzusaugen und auf gar keinen Fall mehr Geld auszugeben als höchstens für einen Kaffee in einem der unzähligen Bistros. Auf keinen Fall jedoch wollte ich mein Geld für irgendwelchen Unsinn vergeuden, gleich welcher Art auch immer, zumal mir Maggie, die im Hotel auf mich wartete (ihr ging es heute morgen nicht so gut, wird wohl an ein oder zwei Gläsern Wein zuviel vom gestrigen Abend gelegen haben…), das Versprechen abgenommen hatte, sparsam mit unserem Urlaubsgeld umzugehen.

Ich wandte mich zum Weitergehen um, aber flugs hatte die Alte bereits ihre linke Hand ausgestreckt und erwischte meinen Jackenärmel.

„Du willst nix wissen Zukunft und Vergangenheit und so, no?” – Na, jetzt musste ich aber insgeheim doch lachen, raffiniert war die Alte aber schon! – „Hör zu, Wahrsager haben noch nie bei mir Glück gehabt, ich jedenfalls glaube nicht an diesen Blödsinn!” erwiderte ich ihr abwehrend und wandte mich erneut zum Gehen ab. Doch blitzschnell umschloss sie mit Ihren Fingern mein rechtes Handgelenk und zog so an meinem Arm, so dass ich gezwungen war, mich zu ihr herunterzubeugen. (Puuh, jede Menge Knoblauchduft!) „Du willst nix wissen deine geheimen Träume? Visions secretes? Tres erotique? No? “

Was meinte sie wohl damit? Neugierig geworden, fragte ich sie: „Quelle Visions, quelle Erotique? Ma Visions? Was willst Du schon über meine Träume wissen?” – „Ich weiß nix deine Träume, sind seulement in deinem Kopf, aber du kannst leben in deine Träume, ich kann zeigen wie geht das!” und zog mit diesen Worten eine Pillendose aus den Falten Ihres Gewands. “Du siehst? Ici! - Da drin deine Träume! Warten auf dich! Tres obsessive!”

Obsessiv? Was meinte sie denn jetzt damit wieder? Nun hatte ich aber wirklich genug von der Alten, irgendwelche Drogen wollte sie mir also andrehen, nach deren Genuss ich möglicherweise Dinge tun könnte, die ich nicht unter Kontrolle habe! Ich hielt sie tatsächlich in diesem Moment für verrückt genug, unter den Augen all der anderen Passanten mit irgendwelchen Drogen zu dealen, für viel Geld vermutlich, und wer weiß, welcher obskuren Giftküche das Zeug entstammte. Womöglich käme ich noch durch die Aufmerksamkeit eines zufällig daherkommenden Flics selbst in Teufels Küche. Wie sollte ich das Maggie erklären!

„Hör mal, „ raunzte ich sie erbost an, „ich war Student, etudien, compris? Ich habe Gras’ geraucht, pot, shit und so, was es damals halt so gab auf dem Campus; das war damals schon nicht gut für mich, und was anderes habe ich nie versucht, und heute werde ich das erst recht nicht, also, was willst Du von mir?” ” Du weißt gar nix, kein Gras, kein shit! Ist Kraut aus albanische Heimat, aus Berge, wo kommt nur hin der weiß, wo suchen muss, gutes Kraut, viel rareté, du weißt? Wenig macht Mann nur müde, schläft, du weißt? - Aber viel macht leben in Träume! Ne pas de poison, keine Gift, du verstehst? Du versuchst? Billig für Dich!”

“Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dir deine Ziegenkacke abkaufe und mir meine Gesundheit mit wer weiß was ruiniere? - Ich sollte die Gendarmes verständigen, damit sie dich aus dem Verkehr ziehen!”

“Merde de chčvre ? Merde de chčvre? Du willst nix verstehen! Hier du kannst leben in deine Träume wie in Wirklichkeit. Weißt nix ob ist réalité ou fiction ! Du fühlst ist réalité ! Alles ganz echt ! Ou est t’ amour? - Wo deine Schatz? Du träumst nur zu zweit, ist nur pour deux, nur Zwei träumen guten Traum, allein c’est tres horrible, nicht gut, schlimme Träume, ganz viel schlimm, hmm, ja, ja!”

“Hör zu, diese Geschichten kenne ich. Acid, LSD, davon habe ich immer die Finger gelassen, und du wirst daran bestimmt nichts ändern! Also lass mich in Ruhe!”

“Dann kaufe es pour t’ amour, für sie, überrasche sie, sie nie wird vergessen das!“

Ich hatte allerdings das Gefühl, dass sie damit Recht haben könnte, wenn auch in anderem Sinne. Jetzt sollte ich also auch noch Maggie mit irgendwelchen undefinierbaren Kräuterdrogen voll stopfen, wo sie doch bereits ohnehin schon an den Folgen des zurückliegenden Abends litt. Denn wir waren gestern in einem kleinen Restaurant in der Nähe unseres Hotels nach einem exquisiten Mahl aus Meeresfrüchten und anderen Köstlichkeiten mit unseren Freunden Horst und Anne bei einigen Flaschen Rotwein und diversen Apéritivs versackt. Ich schien der Einzige aus unserer Runde zu sein, bei dem der Abend keine Blessuren hinterlassen hatte, denn bereits beim Abschied vor dem gestrigen Zubettgehen machten unsere beiden Freunde keine besonders gute Figur mehr - Maggie übrigens auch nicht, denn ich erinnere mich, dass ich sie während des Treppenaufstiegs in die Zwischenetage, von wo aus der altmodische Fahrstuhl in die oberen Stockwerke fuhr, mehr getragen hatte, als dass sie die sechs oder sieben Stufen aus eigener Kraft bewältigt hätte.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass meine vormittägliche Exkursion bereits über zwei Stunden gedauert hatte. Es wurde höchste Zeit, ins Hotel zurückzukehren und mich um meinen kranken Liebling zu kümmern.

“Au revoir, Madame, ich habe wirklich kein Interesse, keine Lust und vor allen Dingen: kein Geld!” Mit diesen Worten ließ ich sie stehen und schlug den Rückweg zum Hotel ein. Es handelte sich um einen Fußmarsch von etwa 20 Minuten, und ich hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als die Alte wie aus dem Nichts vor mir auftauchte und mir den Weg versperrte. Weiß der Himmel, wie sie es geschafft hatte, vor mir da zu sein, es konnte wohl kaum eine Abkürzung für sie geben, noch dass ich einen Umweg eingeschlagen hätte. Ebenso rätselhaft war es mir, dass sie genau zu wissen schien, welchen Weg zu welchem Hotel ich eingeschlagen hatte. Ich konnte mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass sie mir gefolgt wäre.

Aber sie ließ mir gar keine Zeit, über diese Merkwürdigkeit nachzudenken, sondern überfiel mich sofort mit einem Redeschwall, wobei sie nun in einen mehr bittenden Ton verfiel: “Warum du nicht versuchst? Du neugierig, willst wissen, wie ist in Traum. Dein Schatz geht mit dir. Du nix allein. Alles gemeinsam. Wie echt. Ist echt! Du in Traumwelt mit dein Schatz. Oder Traumwelt ist hier, weiß nicht genau. Aber geht! Und nix Gift, kein Schmerz danach in Kopf oder so. Ganz leicht! Gutes Gefühl dann ! - Nicht teuer für Dich ! Nur 25 Oeroh?”

Nicht teuer! Die Alte verstand ihr Geschäft, daran bestand kein Zweifel. Natürlich hatte ich mir während des Heimwegs bereits Gedanken gemacht, ob ich nicht hätte doch den Versuch wagen sollen, denn neugierig war ich natürlich schon geworden … - Aber ich war vernünftig genug, auf die Versprechungen einer dahergelaufenen Zigeunerin hin (oder was auch immer sie für eine Herkunft hatte), nicht gleich irgendeine Summe unseres Urlaubsgeldes zu opfern. Und dann gleich 25 Euro! Insgeheim musste ich mir allerdings eingestehen, dass mein Interesse wuchs, umso mehr, als ich mir vorstellte, wie mein Liebling wohl auf eine derartige Wunderdroge reagieren mochte - Maggie war die fleischgewordene Sünde, sie besaß einen traumhaft schönen Körper, sie war intelligent, charmant, vor allem war sie im Bett unbeschreiblich zärtlich und phantasievoll und allem Neuen aufgeschlossen.

“Zu viel Geld, für so einen Dreck, und was heißt das, “zusammen erleben”, von Kokain lass ich die Finger. Dass Mohn auch in Albanien wächst, das weiß ich wohl!”

Sichtbar verletzt, wandte sie sich ab und brummelte: “Du denkst nur Rauschgift, weißt nix von Liebeszauber und Heilkraft von gute Kräuter hoch in Gebirge. Du nix ausprobierst? Du guter Mensch, ich gebe für… 20 Oeroh! Was sagst Du? “

Verlieren konnte ich nichts - also bluffte ich und bot ihr an: “Ma chere madame, ich weiß doch gar nicht, ob das stimmt, was du mir da versprichst. Aber gut: 5 Euro, dann kommen wir ins Geschäft, einverstanden?” - Ich dachte, auf dieses unverschämte Angebot hin wäre ich sie ein für allemal los, aber nein, seltsamerweise zog sie die Dose wieder hervor und sprach mit leiser Stimme: “Du machst arm alte Frau, nix verdient, mais bon, du sollst träumen. Du hast doch Schatz, hier in Paris mit dir, oder nicht? Sonst schlimm, wenn allein mit Traum. Nur zusammen guter Traum!”

Langsam zog ich einen 5-Euro-Schein aus meiner Jacke und hielt ihn ihr vor die Nase “Und was bekomme ich eigentlich? - Du zeigst mir immer nur eine Dose, ist wahrscheinlich leer, nur Luft drin, was?”

Sie versuchte, nach dem Geldschein zu greifen, aber ich war auf diese Reaktion vorbereitet und brachte ihn in Sicherheit, bevor sie ihn mit ihren knotigen Fingern erreichen konnte.

Sie blickt mich beleidigt an, öffnete dann aber doch den Deckel der Dose und ließ mich in das Innere des Behälters blicken. Es befanden sich zwei pfefferkorngroße, graugrüne Kügelchen darin - sonst nichts. “Was, und dafür willst du so viel Geld? Das muss ja wohl etwas Wunderbares sein!” - “Ist Wunder, du wirst sehen, dann du glaubst mir. Wirst kommen, wollen mehr. Wirst kommen, ja!”

Nach diesen Worten war mir bei der Sache nicht mehr so wohl, ich wusste ja, dass es Drogen gab, die bereits nach einmaligem Genuss süchtig machten. Aber da die Alte ihre “Traumdroge” ja ganz offen auf der Straße anbot, schien mir jetzt die Wahrscheinlichkeit, möglicherweise etwas wirklich Gefährliches zu erwerben, nicht ganz so groß zu sein. Auf jeden Fall hatte ich mir vorgenommen, sie an einem der nächsten Tage ein zweites Mal aufzusuchen, um sie zur Rede zu stellen, je nachdem, wie das Ergebnis des Versuchs ausfallen sollte, wobei ich mir ziemlich sicher war, dass nichts, aber auch gar nichts passieren würde, außer dass ich um eine Erfahrung reicher wäre: mal wieder auf was reingefallen und Lehrgeld bezahlt!

“Was muss man denn damit machen, schlucken, kauen, oder was?“ - “Du bist dumm. Weißt gar nix von Hexenkraut. Du gibst in Wein das, dann Trinken. Dann warten. Traum kommt von selbst. Irgendwann. Traum kommt zu dir! Du wirst sein in Traum”. - Merkwürdig, dass sie wieder den Begriff “im Traum sein” benutzte. Man träumt, oder glaubt Träume zu erleben, wie jeder weiß, der schon einmal in einem Klartraum gefangen war - man weiß, es ist ein Traum, man bewegt sich völlig bewusst darin, ja man kann sogar Entscheidungen treffen, nur den Zeitpunkt des Erwachens und damit das Ende lässt sich nicht beeinflussen - ich mochte diese Art zu träumen sehr, hatte auf diese Weise wundervolle „Erlebnisse“ gehabt, meistens waren sie erotischer Natur, aber auch Action und Abenteuer hatte ich mir bereits „erträumt“. Jedoch konnte ich mich nicht daran erinnern, jemals in einem Traum “gelebt” zu haben. Vielleicht lag es nur an ihrer holperigen Ausdrucksweise, aber als ich die Dose aus ihrer Hand nahm, überfiel mich doch ein merkwürdiges Gefühl, Neugierde, aber auch eine gewisse Unsicherheit, wie vor einer unbekannten Unternehmung - aber genau darauf sollte es ja auch hinauslaufen. Meine Hauptsorge war, möglicherweise am folgenden Tag nach diesem Experiment doch noch benebelt zu sein oder unter irgendwelchen unerwarteten oder unkontrollierbaren Nachwirkungen zu leiden.

“Dich soll der Teufel holen, wenn wir das Zeug schlucken und es geschieht etwas, was uns nicht gefallen wird. Sei sicher, ich werde dich finden, egal, wo du dich versteckst, und dann mach’ dich auf etwas gefasst!”

“Du mich musst nix suchen, ich immer da, wo jetzt auch bin. Wirst kommen, wollen mehr. Du siehst noch, alles wahr, auch Traum ist wahr! – Ich gewusst, du kommst.”

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ mich stehen. Was sollte das denn nun wieder heißen, dass sie davon gewusst hätte, mich zu treffen? Ich konnte mir absolut keinen Reim auf diese merkwürdige Behauptung machen.

Reichlich verwirrt, blickte ich nachdenklich auf den kleinen Behälter in meiner Hand und schob ihn dann in meine Jackentasche. Aber als ich der Alten nachblicken wollte, konnte ich sie nirgendwo mehr entdecken, obwohl keine Seitenstrasse abzweigte, in die sie hätte einbiegen können. Sie war auf ebenso geheimnisvolle Weise im Nichts verschwunden, wie sie vorher bei mir aufgetaucht war.

Die Nacht des Satyrs

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