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DIE KUR

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Herta fragte sich manchmal, ob ihr Rudolf zu solch einem Verrat imstande wäre.

Ihr Verstand sagte ihr, nichts wäre unmöglich. Wenn er auch ein introvertierter Morgenmuffel war, von Freunden nicht viel hielt, pedantisch an allem rumnörgelte was ihr heilig war, bisher jedenfalls, das würde sie ihm aber nun wirklich nicht zutrauen.

Oder vielleicht doch?

Es wurde Herbst. Rudolfs Magen spielte wieder verrückt.

Eine Kur schien angezeigt. Der Arzt hatte sie dringend empfohlen. Herta war keine Frau, die es nicht versuchte auf ihren Mann einzuwirken, wenn es um seine Gesundheit ging. Sie empfahl Rudolf händeringend, sich endlich in Kur zu begeben. Schon wegen der Katzen, die ihm so manchen Tag vermiesten.

Um fünf Uhr morgens musste konsequent ihr Geschäft beseitigt werden, was vor allem für einen Langschläfer eine Zumutung war. Herta schlief um die Uhrzeit noch selig und süß und bekam von dem bestialischen Geruch nichts mit. Natürlich rebellierte Rudolfs empfindlicher Magen, so dass er sich gezwungen sah, für Abhilfe zu sorgen. Er lag gerade wieder in seinem Bett, als die Kleine ihn mit ihrem Gejammer beinahe zum Wahnsinn trieb. Sie verfügte über einen fast unstillbaren Appetit und schlug solange Krach, bis ihr Schälchen gefüllt wurde. Kater Leo spielte sein Spielchen gegen sieben Uhr am Morgen, wenn Rudolf wieder im Land der Träume war, was er durch heftiges Schnarchen bewies. Nun lag Herta wach und bekam die Quälereien des Katers Leo am eigenen Leib zu spüren. Er saß wieder einmal über ihr auf der Bücherleiste, fegte alles runter, was sich runterfegen ließ. Mal ein Buch, mal den Wecker, mal den Blutdruckmesser. Herta kroch wieder unter ihre Bettdecke. Nur ihre Nasenspitze ragte heraus, die manchmal etwas abkriegte. Sie sah vielleicht aus danach!

Herta hatte wirklich Angst um Rudolf, der partout nicht die Kur antreten wollte. Es wäre seine erste gewesen, falls er sich hätte überwinden können.

Sie kannte ihren Mann ziemlich genau. Mit Druck war bei ihm sowieso nichts zu machen. Mutter Natur in Form einer Magenkolik kam ihr entgegen.

Endlich ließ sich Rudolf eine Kur verordnen. Bad Driburg wurde ihm zugeteilt.

Er stand auf dem kleinen Balkon von etwa zwei mal zwei Meter, nicht viel größer als ein Laufstall. Ein leichter Nieselregen ging nieder. Am Waldessaum tauchten Nebelschwaden auf. Rudolf fühlte sich deprimiert. Auf was hatte er sich da eingelassen. Er nahm eine Schlaftablette um dem Elend zu entgehen.

Am nächsten Morgen fühlte er sich besser und auch ausgeruht. Auf dem noch feuchten Rasen wurde Gymnastik betrieben. Der nicht mehr ganz so junge Übungsleiter schritt auf Storchenbeinen hin und her. Er überwachte die Teilnehmer und spreizte seinen Mund, so dass seine Prothese voll zur Geltung kam.

„Es fehlt nur noch, dass er mit dem Ding zu klappern beginnt!“ dachte Rudolf. „Es würde zu seinen Storchenbeinen passen.“ Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Das wär`s für heute!“ sagte der Storch und bleckte erneut die Zähne.

„Die Gallen bitte nach dem Frühstück in das Erdgeschoss, die Mägen zur ersten Etage. Die Nieren.......“ Wohin die Nieren zu gehen hatten, bekam Rudolf nicht mehr mit, er wollte endlich frühstücken. Er verspürte einen sagenhaften Hunger, wie schon lange nicht mehr.

„Na Jupp, haste nu endlich Verdauung gehabt?“ hörte er eine tiefe Stimme hinter sich.

„Nein,“ hörte er den Jupp antworten.

„Aber ich werde mich gleich an die Dörrpflaumen ranmachen, die bringen`s bestimmt!“

Rudolf stand auf, wollte sich an dem reichgedeckten Büfett gütlich tun. In dem Moment erschien eine im weißen Kittel, die befahl:

„Die Mägen, die noch nicht gefrühstückt haben, bitte mir nach!“

Rudolf und noch ein paar andere folgten der Frau.

„Kommen Sie bitte mit zur Magenspiegelung!“ Rudolf durchzuckte ein eisiger Schreck. In seiner Erwartungsangst wurde es ihm ganz schlecht. Endlich kam er dran. Eine nicht unansehnliche Schwarzhaarige, so um die Fünfundvierzig reichte ihm eine braune Flüssigkeit, die sie scherzhaft mit „Cognac“ bezeichnete. Dieses Sauzeug konsumierte er nicht zum erstenmal. Er hätte gern darauf verzichtet und war ziemlich auf der Palme.

Gewohnheitsmäßig setzte die Ärztin ihr verträumtes Patientenlächeln auf, das sich durchaus mit dem der Mona Lisa messen ließ und ordnete an:

„Wir legen uns jetzt bitte auf die Seite!“ Da brannte bei Rudolf die Sicherung durch.

„Sie auch?“ fragte er unwirsch. Die Angesprochene zuckte zusammen. Selten redete ein Patient mit ihr.

„Wieso ich auch?“ fragte sie konsterniert.

„Sie haben eben gesagt, wir sollten uns auf die Seite legen,“ half Rudolf ihr auf die Sprünge.

Das Gesicht der Ärztin wurde von einer dicken Röte überzogen. Sie musste sich in acht nehmen. Dieser Patient schien nicht nur wachsam, sondern auch noch couragiert zu sein. Gut, dass es davon nicht allzu viele gab.

„Kommt zum Glück nicht oft vor,“ tröstete sie sich und nahm sich zusammen.

„Sie haben Recht, Entschuldigung!

Würden Sie sich bitte allein auf die Seite drehen.?“ Das Wort „allein“ betonte sie.

„Das hört sich schon besser an,“ meinte ihr Patient und merkte im gleichen Augenblick, wie seine Zunge steif wurde. Er bekam einen harten Plastik-Ring in den Mund bugsiert, durch dessen Öffnung eine feiner Schlauch geschoben wurde.

„Jetzt schlucken wir, Pardon, jetzt schlucken Sie bitte tüchtig!“ Rudolf fühlte, wie sein Magen aufgepumpt wurde. Sobald der Schlauch weitergeschoben wurde, überfiel ihn Brechreiz. Er gab Geräusche von sich, die an das Muhen einer Kuh erinnerten. Ihm war das sehr unangenehm und er konnte sich noch nicht einmal dafür entschuldigen. Es schallte in dem Raum entsetzlich. Er wollte nur noch eins, raus hier!

Endlich war die Prozedur überstanden. Die Medizinerin permanent unter Zeitdruck ließ in einem Ruck die Luft aus seinem Magen entweichen. Ohne sein Dazutun stieß der Gequälte Geräusche aus, wie neulich der brünstige Löwe im Dortmunder Zoo.

Jetzt erst wurde ihm klar, wie er auf seine Herta wirken musste, wenn mit ihm mal wieder der Jähzorn durchging. Ihm wurde wehmütig ums Herz. Wäre er erst wieder zuhause.

„`Nen schönen Tag noch,“ plapperte die Ärztin gewohnheitsmäßig und: „der Nächste bitte!“

„Wie kann man in einem solchen Irrenhaus einen schönen Tag haben?“ fragte sich Rudolf.

Im Frühstücksraum lernte er einen dürren Grauhaarigen kennen, der sich mit „Tanz-Ede“ vorstellte. Durch ihn wendete sich das Blatt. Am Abend suchten die beiden das nächstgelegene Tanzlokal auf. Von seinem Platz aus sah Rudolf eine etwa Vierzigjährige auf Krücken quer über die Strasse humpeln. Noch nicht ganz angekommen, schleuderte die Frau ihre Gehilfen routiniert in den Schirmständer. Sie steuerte auf Tanz-Ede und ihn zu.

Ein paar Sekunden später schwebten Tanz-Ede und die Krückenfrau über dem Parkett und schienen Raum und Zeit vergessen zu haben. Rudolf sah es mit Erstaunen.

„Plötzlich kann der Lahme loofen“ dachte er amüsiert.

„Damenwahl“ hörte er einen von der Kapelle vorschlagen und neben ihm bellte eine Stimme :

„Darf ich bitten!“ Rudolf erhob sich. Selbst Einmeterfünfundachtzig groß, kam er sich plötzlich sehr klein vor. Eine Mitsechzigerin, um die zwei Meter, nahm sofort von ihm Besitz. Klar, dass sie führte.

Ziemlich verwirrt, überließ er sich ihr und ihrer rohen Gewalt, ein Ausbruchversuch war zwecklos. Sie hielt ihn fest, als würde sie ihn niemals mehr wieder hergeben wollen.

„Erbarmen“ flehte sein Inneres. Er hing im Ausschnitt dieser Person, bekam kaum Luft. Nebelschwaden wabberten vor seinen Augen, verflüchtigten sich. Er hätte sich ihnen liebend

gern angeschlossen. Seine Tanzpartnerin erahnte seine Gedanken und drückte ihn noch ein Quäntchen fester an sich.

Obwohl nicht besonders religiös flehte Rudolf:

„Herr rette mich, lass irgendwas geschehen, befreie mich aus diesen Fängen“

„Bitte abklatschen!“ vernahm er aus weiter Ferne und konnte es kaum glauben. Das war Rettung aus höchster Not.

Er ging in Richtung für „Herren“ und stieß auf dem Weg fast mit einer Dame zusammen, die wie seine Herta zu ihrer Jugendzeit aussah. Sofort war er hin und weg.

Klar, dass er mit ihr tanzen wollte. Auch würde sie für ihn zum Bollwerk gegen die Walküre werden. Er hatte noch keine zwei Minuten mit der Schönen verbracht, als eine Stimme erneut „Abklatschen“ befahl. Umgehend hing er wieder in den Armen derer, der er für immer zu entfliehen geglaubt hatte.

Rudolf wünschte sich, dass die Musiker ohnmächtig würden, oder aber, dass die Mafia sie kidnappen möchte, oder dass irgendetwas geschähe, damit dieser Kelch an ihm vorüber ginge. Die große Frau drückte ihn wieder und wieder an sich, bettete seinen Kopf zwischen ihren Brüsten und nur das wiederholte Abklatschen bewahrte ihn vor Sauerstoffmangel mit all seinen Folgen.

Es ging auf das Ende der Veranstaltung zu. Wie das Leben so spielt, Rudolfs Schöne wohnte im selben Haus wie er. Ganz Kavalier, begleitete er sie bis zu ihrem Appartement.

Noch am selben Abend packte er seine Koffer.

Herta verstand die Welt nicht mehr. „Nun, du musst es wissen,“ sagte sie knapp und war eigentlich froh, ihn wieder bei sich zu haben. Schon wegen der lästigen Katzen und allem Drum und Dran. Er erzählte ihr, wie es war.

Von der Schönen sagte er bewusst nichts, wer weiß, wie die an und für sich und von Haus aus zu wenig Eifersucht neigende Herta reagiert hätte?

Er wusste selbst nicht genau, was mit ihm geschehen wäre, wenn er sich nicht zur Rückfahrt hätte entschließen können. Doch, er wusste es!

„Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um!“ würde Herta garantiert posaunt haben. Gut, dass er zurückgekommen war.

Der Debütant im Ruhestand

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