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Kapitel 2: 1947- 1959 Kindheit Teil 2 und Jugend

2.1 Aufnahme bei den Pflegeeltern in Dresden-Oberloschwitz

Als Kind weiß man im Gegensatz zu den Pflegeeltern erst einmal gar nicht mit wem man es zu tun hat und kann nur ahnen und hoffen, dass die neuen Erziehungsberechtigten es gut mit einem meinen. Auf jeden Fall war ich inzwischen äußerst misstrauisch geworden und ließ die Dinge geschehen, denn viel schlimmer konnte es nun nicht mehr werden.

An dieser Stelle möchte ich aus heutiger Perspektive eine kurze Einschätzung zur damaligen Situation meiner Pflegeeltern geben.

Hans Rieck, gelernter Steingutdreher, arbeitete schon viele Jahre bei der weltbekannten Firma Villeroy & Boch - kein leichter Job. Seine Ehefrau Margarete war Halbjüdin und Tochter einer Klavierlehrerin mit ausgeprägt bürgerlichen Eigenschaften. Das Ehepaar hatte zwei bildhübsche Söhne namens Albert und Hans. In den dreißiger Jahren konnte das Ehepaar mit viel Fleiß, Mühe und Entbehrung eine Eigentums – Doppelhaushälfte mit Garten im Rahmen einer Eigentümergemeinschaft aufbauen und erwerben. In dieser Eigentümergemeinschaft waren auch Arbeitskollegen von ihm Miteigentümer. Hans Rieck war überzeugter SPD – Mann und daher nach der Machtergreifung Hitlers ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus, was im Gegensatz zu seinen Arbeitskollegen, die sich angepasst und in die NSDAP eingetreten waren, nachteilig auf sein weiteres berufliches Fortkommen ausgewirkt hat. Während die Mitläufer Meister wurden, blieb er einfacher Geselle. Nach Kriegsausbruch wurden beide Söhne zur Wehrmacht eingezogen und beide sind nach kurzem Fronteinsatz gefallen. Kurz darauf verschärften sich die Ariergesetze in Nazideutschland (Ein Herr Globke war Verfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze im sogenannten 3. Reich und später Adenauers engster Berater). Vierteljuden erklärte man für wehrunwürdig und halbjüdische Ehefrauen erhielten keine Lebensmittelmarken mehr. Den Ehemann setzten die Nazis unter Druck, weil er sich von seiner Frau scheiden lassen sollte, damit man sie in ein Konzentrationslager hätte überstellen können. Hier wird die ganze Menschenverachtung des Nazipacks offenkundig, die Verstrickung der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland mit Nazi-Eliten deutlich und es ist mir heutzutage unerklärlich, wie man so einer schändlichen Ideologie überhaupt noch Raum geben konnte und heute wieder kann….

Wie verbittert und verzweifelt das Ehepaar war, kann man sich leicht vorstellen. Doch Leid und Not schweißen auch zusammen. Besonders hervorzuheben ist, dass sich das Ehepaar um ein Pflegekind bemühte und tatsächlich ein Mädchen namens Lotte vor dem KZ bewahrte und in die Familie aufnahm, der Tatsache geschuldet dass sie zwei Söhne im Krieg verloren hatten. Doch die Nazis ließen nicht locker. Da er nicht willens war sich von seiner Frau zu trennen und auch noch ein halbjüdisches Kind in die Familie genommen hatte, stellten sie ihn vor die Entscheidung: Entweder Strafgefangener im Steinbruch oder Wehrmachtsangehöriger im Volkssturm. Da er schon einschlägige Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg mitbrachte und auch wusste, dass der Steinbruch der absolut sichere Tod war, entschied er sich für den Volkssturm, in der Hoffnung davonzukommen. Wie bitter das für die Ehefrau gewesen sein musste und welche Kämpfernatur nach all dem Leid und Verlust sie war liegt auf der Hand. Schon beim ersten Fronteinsatz nahe Frankfurt an der Oder ergab er sich den Russen, ohne auch nur einen Schuss abzufeuern. Dass er von den Russen verschont wurde ist seinem Handeln zu verdanken und seine Gefangenschaft hat nicht lange gedauert, da er als Arbeitskraft schon zu alt und damit wertlos für die Russen war. Wie viele Kameraden in der Gefangenschaft an der Amöbenruhr (eine gefährliche Durchfallerkrankung) gestorben und durch Überarbeitung zu Grunde gegangen sind, hat er mir später einmal geschildert…

Nach dem Krieg kam er völlig verlaust, aber lebend und unverletzt wieder nach Hause und hatte die große Hoffnung, dass nun alles besser wird. Dass er schon 1946 zwangsweise seinen SPD-Status verlor, da auf sowjetischen Druck hin KPD und SPD in der sowjetischen Besatzungszone zur SED-Partei vereinheitlicht wurden, ist ihm später bitter aufgestoßen! Auch er wollte mithelfen, dass ein besseres, gerechteres, friedliches Deutschland gestaltet wird und meldete sich zum Dienst bei der Polizei, um für Recht und Ordnung zu sorgen. In dieser Funktion war er, als wir Geschwister nach Dresden – Oberloschwitz in dem im Volksmund genannten „Kamerun“ (nach der gleichnamigen Gaststätte benannt) auf dem Amselsteg 15 ankamen und deshalb wurde der Aufnahme von zwei Pflegekindern aus einem Heim für Schwererziehbare überhaupt zugestimmt.

Leider hatten die Pflegeeltern mit Lotte keine Freude, denn trotz guter Erziehungsmaßnahmen entwickelte sich dieses Kind zur Russenhure und Betrügerin. Das war auch der Grund warum sie sich von diesem in der Pubertät befindlichen Mädchen trennen wollten und einen Pflegesohn anstrebten, denn allein wollten sie nicht bleiben….

Als wir vor der Gartentür standen war ich angenehm überrascht, was das doch für ein schönes Haus war. Einen Garten mit Spalierobst und Beerensträuchern und sogar einen kleinen Steingarten mit Bassin konnte ich sofort erspähen. Das Haus hatte ein Erd- und Obergeschoss, sowie unterm Dach noch eine Mansarde, abgetrennt vom Trockenboden. In diese Mansarde wurden wir gleich eingewiesen, denn das war nun unser Schlafzimmer. Hier standen zwei Betten für meinen Bruder und mich. Dieser Raum hatte eine Tür zur Bodentreppe und auch ein kleines Fenster von dem man aufs Dach und den Weg im Hintergrund blicken konnte. Ohne Wärmedämmung war dieser Raum im Sommer sehr heiß und im Winter bitter kalt. Und doch war das ein Paradies im Vergleich zum Massenschlafplatz im Heim, mal abgesehen davon, dass man für sich war. Anschließend ging es eine Treppe wieder herunter und ins Wohnzimmer hinein, von dem aus die Küche abging. Erstaunt war ich, dort einen Grudeofen zu sehen. Dies ist eine der billigsten aber auch schmutzigsten Art der Wärmegewinnung. Hier wurde Kohlengruss auf einem Aschebett verbrannt, wobei dieser Gruß (Kohlen- oder Brikettabrieb) laufend nachgefüllt und parallel dazu die Asche abgerüttelt und entsorgt werden musste. Zunächst nahmen wir im Wohnzimmer Platz und es gab sofort auch etwas zu essen und zu trinken. Danach besichtigten wir noch das WC und die sogenannte gute Stube im Erdgeschoss, wobei mir auffiel, dass da ein wunderbares Klavier stand. Frau Rieck sagte, dass sie früher Klavier gespielt habe (ihre Mutter war ja Klavierlehrerin), aber seit dem Tod ihrer Söhne das Klavier nicht mehr angerührt habe. Zum Abschluss der Einführung in die neue Familie besichtigten wir dann noch den Garten und sahen, dass es da einen großen Klodenbaum gab. Außerdem erfuhren wir, dass es noch 1000 m² Eigentumsland auf der Tännichtstrasse mit vielen Erdbeerpflanzen und Bäumen gibt. Da war mir ums Überleben nicht mehr Bange.

Lotte wohnte noch einige Zeit im Haus (Das Zimmer neben der Küche, das später vermietet wurde), bevor sie sich selbstständig machte und verschwand.

Vater Rieck brachte öfters im Henkelkanister von der Dienststelle Mittagessen mit, teilweise schon etwas angegoren, aber der Hunger trieb es herein. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Versorgungslage 1948 in Ostdeutschland immer noch sehr angespannt war. Da wir jetzt näher an den Dörfern angesiedelt waren und ich auch schon etwas größer war, konnte ich mit meinem Bruder jetzt „Fechten“ gehen, will heißen, bei den Bauern um Kartoffeln, Eier oder Ähnliches betteln. Viel Mildtätigkeit erfuhren wir leider nicht. Einmal wurden wir sogar mit einer Reitpeitsche weggejagt, als vermeintliches Diebsgesindel. Auch Stoppeln nach der Getreide- oder später Kartoffelernte war üblich und brachte kleine Erträge zur Bereicherung unserer täglichen Nahrung.

Was aber das Größte für mich war - es gab eine wunderbare, schwarz/weiß farbene Mäusejägerin namens Miez. Doch Miez war öfters schwanger und die vielen kleinen, süßen Wackelkätzchen, noch blind und mit winzigen Schwänzchen, fanden nicht immer Abnehmer, so dass unter Tränen die Kleinen getötet werden mussten, bis auf eine Ausnahme. Einer durfte bleiben, weil wir ja zwei Buben waren und so gesellte sich „Seppel“, der später kastriert wurde, zu uns. Mein Bruder nahm dann immer „Seppel“ mit ins Bett und zu mir gesellte sich regelmäßig „Miez“. Besonders im kalten Winter war das für beide Seiten jeweils eine Hilfe, so konnte man sich gegenseitig wärmen. Besonders possierlich war es, wenn die kleinen Kätzchen spielten und die Katzenmama sie das Mäuse fangen lehrte.

Inzwischen waren wir schon im Garten am Haus und auf der Tännichtstrasse eingewiesen um insbesondere fleißig Unkraut und Quecke zu jäten. Hierbei hatte mein Bruder alles daran gesetzt zu zeigen, dass er keine Ahnung hat, sei es durch Herausreißen von Nutzpflanzen oder sonstigen Blödsinn, nur um sich von dieser Arbeit zu drücken, während ich mein Pensum immer einwandfrei erledigte. Irgendwie hat es mein Bruder geschafft, dass Vater Rieck vieles bei ihm durchgehen ließ, während er bei mir sehr streng war. Mutter Rieck dagegen wurde nicht müde meinem Bruder Gottfried ständig vorzuhalten, sich auch mal so zu bemühen wie Heinz.

Keine gute Konstellation.

Bevor die Sommerferien zu Ende waren hatten wir Brüder den Wunsch unsere Großeltern im Industriegelände zu besuchen. Dieser Wunsch wurde uns selbstverständlich gewährt und Opa rechtzeitig per Post informiert. Also machten wir uns zu Fuß auf den Weg zum Körnerplatz und fuhren mit der Straßenbahn über das „Blaue Wunder“ (eine Hängebrücke und Wahrzeichen deutscher Ingenieurskunst in Dresden) bis zum Postplatz inmitten des Stadtzentrums und weiter mit der Linie 8 Richtung Hellerau, wo wir im Industriegelände ausstiegen. Unterwegs fiel mir wieder auf wie viele Trümmerstätten es in der Stadt gab, denn Oberloschwitz und Umgebung waren total von Bomben verschont geblieben, sodass wir in einer fast heilen Welt lebten.

Wir waren die Meschwitzstraße (frühere Planitzstrasse) noch gar nicht weit gelaufen, da kamen Kinder und schmetterten uns fröhlich entgegen: „Eure Oma ist tot“. Herzloser geht‘s nicht – wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Und tatsächlich, als uns Opa die Tür öffnete, mussten wir alle weinen, wieder einmal. Oma war am 17. Juni 1948 an der gleichen Krankheit wie Mama verstorben. Jetzt war es September und wir hatten es nicht gewusst. Natürlich hatten wir Opa berichtet wie es uns ergangen ist und wie unsere Pflegeeltern so sind und was sich alles ereignet hat. Er war sichtlich erleichtert, dass wir es so gut getroffen hatten. Ein paar Tage durften wir bei ihm bleiben. Bei der Bahn war er nicht mehr tätig, sondern hatte jetzt eine Anstellung als Pförtner. Natürlich waren wir auch auf den Garnisonsfriedhof an das Grab von Mama und Oma gegangen. Meinen Bruder zog es wieder zu seiner Clique und ich ging mit Opa in den damals noch existierenden Garten. Hatte ich doch inzwischen in diesem Metier schon etwas dazugelernt. Auf dem Rückweg kehrten wir in einer Gaststätte ein, die inzwischen eröffnet hatte. Opa bestellte sich ein Glas Helles und ich bekam ein Malzbier. Am nächsten Tag wiederholte sich dieses Spiel, doch dieses Mal wollte ich auch mal sein Helles probieren, denn das sah so freundlich und schön aus. Opa lachte und meinte, dass es mir nicht schmecken würde. Und tatsächlich schmeckte es ekelhaft bitter, aber zugegeben hatte ich das nicht, sondern es tapfer runtergeschluckt. In der Wohnung angekommen (er war inzwischen in ein Haus in der unmittelbaren Nähe umgezogen, da er nicht in einer Werkswohnung bleiben durfte) wurde mir plötzlich fast schwindlig und Opa sagte: „Das kommt vom Bier und tut Kindern nicht gut!“ Auch das war mir wieder eine Lehre fürs Leben und ich habe erst viele, viele Jahre später mein nächstes Helles getrunken…

Mit dem Versprechen ihn bei Gelegenheit wieder zu besuchen hatten wir uns dann verabschiedet.

Ein Kriegskind packt aus

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