Читать книгу Carringo und die verbotene Stadt: Western - Heinz Squarra - Страница 6

1

Оглавление

Die Sonne sank langsam hinter die Hügel im Westen. Wie in Gold getaucht erstrahlten die Felszacken und Gipfel der Mohave Mountains und warfen lange Schatten bis auf Sagrado, das ehemalige Dorado.

Der fromme Gesang des Vorbeters schallte in das verwahrloste Gemäuer, in dem Hass Stelly und Berry Mine damit beschäftigt waren, notdürftig Ordnung zu schaffen. Die beiden Männer schwiegen mit hart zusammengepressten Lippen und warfen sich manchmal verstohlen Blicke zu.

Mit der ,,Kirche der Engel“ hatten sie Whipple verlassen, fanatisiert von Bruder Holy und seiner abgerissenen Gefolgschaft und vom Glauben besessen, das Paradies zu finden.

Der Chor der Gläubigen sang in der Nähe vom Heil des Herrn. Der Singsang setzte sich fort und wurde überall aufgenommen in den Häusern und außerhalb des Nestes, wo andere Anhänger Bruder Holys dabei waren, Felder anzulegen.

Hass Stelly hielt kurzgeschnittene Balken aneinander, und Berry Mine nagelte sie zusammen. Sie waren drahtige Burschen, gerade zwanzig Jahre alt und unbewaffnet wie alle Jünger von Holys Kirche. Ihre Kleidung zeigte erste Auflösungserscheinungen. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie sich von den älteren Sektenmitgliedern in keiner Weise mehr unterschieden.

Hass Stelly sägte einen weiteren Balken ab, und Mine nagelte ihn quer an den nächsten. Sie wollten einen primitiven Tisch und Stühle bauen und arbeiteten schon den halben Tag lang ohne Aufsicht. Niemand schien das bemerkt zu haben.

Es tat ihnen gut, endlich einmal ohne den leiernden Gesang und das Beten ihre Arbeit tun und anderen Gedanken nachhängen zu können.

Das war sonst nicht der Fall. Wer einmal mit Bruder Holy fortgezogen war, durfte keine eigenen Vorstellungen mehr entwickeln. Er war zum Sklaven geworden, ohne es zu merken.

„Vielleicht war es falsch“, sagte Hass unvermittelt.

Berry schaute erschrocken auf und ließ den Hammer sinken. „Was meinst du?“

„Vielleicht hätten wir in Whipple bleiben sollen.“

Berry blickte sich um, ging hinaus aus dem noch leeren Zimmer mit den rohen Bretterwänden und schaute in den Flur.

„Außer uns ist niemand im Haus. Sie müssen uns vergessen haben. Nicht mal zu Bruder Holys Predigt holten sie uns.“

Berry kehrte zurück und ging neben dem Leidensgenossen in die Hocke. „Wir müssen verrückt gewesen sein, mit ihm zu ziehen. Die Arbeit ist härter als jede andere, die ich bisher tun musste. Und das Essen ist schlechter und weniger.“

Hass Stelly nickte bekräftigend. „Das schlimmste ist, wenn Bruder Holy auf dich einredet, bist du wie hypnotisiert. Und was er dir zu trinken gibt, schläfert die Sinne ein. Du bist nicht mehr du und merkst es noch nicht mal.“

„Wenn diese Brewman Bande nicht zu uns gestoßen wäre, könnten wir uns einfach absetzen. Aber die lauern überall und passen auf. Und wenn sie dich schnappen, gehst du wirklich durch die Hölle.“

Hass Stelly richtete sich auf, trat in die Nähe des glaslosen Fensters und schaute hinaus in die Dämmerung.

Berry folgte ihm.

Vor der Kirche, hinter der Kreuzung der beiden alten Wagenwege, versammelten sich die Sektenmitglieder. Von den Feldern zogen die ausgemergelten Menschen mit Holzkreuzen und einfachen Werkzeugen in den Händen sternförmig von allen Seiten auf die Kirche zu, den Mittelpunkt dieser ehemaligen Bergarbeitersiedlung. Nur von Norden erschien niemand.

Dort stiegen die Berge am Ende der Stadt steil empor.

Dort gab es kein fruchtbares Land.

Nur die drei dunklen Schächte der aufgegebenen Mine, für die sich niemand mehr interessierte. Krähen saßen da drüben auf den Zinnen und lauerten auf irgendwelche Beute. Mehr als hundert Gläubige hatten sich inzwischen vor der alten Kirche versammelt. Bruder Holy trat gerade unter dem Turm ins Freie und hob die Hände zum Himmel.

Berry meinte, den fanatischen Blick des fünfundvierzigjährigen Sektengründers zu sehen und erschauerte.

„Sicher behält er ewig Macht über uns“, flüsterte Hass.

Bruder Holy war ein mittelgroßer, hagerer Mann mit weißem Haar und einem ebenfalls schneeweißen, langen Bart. Er trug mausgraue Leinenkleidung, wozu ein langer Umhang gehörte, der wie eine Kutte aussah und von einem Strick zusammengehalten wurde.

Die Menge vor der Kirche betete und sank auf die Knie.

Am Ende der Straße sah Berry plötzlich zwei Reiter mit Gewehren in den Händen in der Dämmerung auftauchen und trat hastig zurück, „Da sind unsere Bewacher! Sam Brewmans Leute.“

„Nachts sind alle Katzen grau!“

Berry blickte den Leidensgenossen an. „Du denkst, man könnte ungesehen verschwinden?“

„Wir sollten es versuchen.“

Bruder Holy wandte sich vor der Kirche um und ging in das alte Gebäude. Die abgerissenen Menschen erhoben sich und folgten ihm singend. Am Ende der Stadt verschwanden die Reiter hinter Buschwerk und Kiefern, die bis hinauf zu den Hügeln standen.

In der Stadt war niemand mehr.

Hass Stelly war fest entschlossen, die Flucht zu wagen und fieberte der hereinbrechenden Nacht entgegen. Aber noch immer herrschte die Dämmerung vor. Träge schleppten sich die Minuten dahin und schienen langsamer als jemals zuvor zu verstreichen.

Sie verließen das verfallene Haus und versteckten sich im Gestrüpp hinter einem Schuppen. Berry liefen Schweißbäche über das Gesicht, den Hals und den Rücken, und er erwartete jede Sekunde das Auftauchen der sie bewachenden Banditen. Vielleicht wäre er schon von seiner Angst zu den anderen in die Kirche getrieben worden. Aber die Anwesenheit von Hass verhinderte das, mehr als der Drang, die Freiheit wieder zu gewinnen.

Endlich wurde es Nacht. Eins nach dem anderen versanken die alten Gemäuer in der Dunkelheit, bis auch die nächste Umgebung kaum noch zu erkennen war.

Der Gesang aus der Kirche dröhnte durch Sagrado wie das ferne Grollen eines Unwetters.

Hass richtete sich auf. Mit bleichen Gesichtern schauten sie einander an. Berry kauerte noch im Dickicht. Hass griff nach seiner Schulter.

„Los, es wird Zeit.“

Berry erhob sich. ,,Warum vermissen sie uns eigentlich noch nicht?“

„Es sind zu viele geworden. Vielleicht haben sie am Anfang ihres Zuges ins Paradies einander noch gekannt. Jetzt nicht mehr.“

„Ob sie das Paradies vielleicht doch erreichen?“ Zweifel schwangen in Berry Mines Stimme mit, und er war immer noch halbherzig von dem Wunsch beseelt, umzukehren.

„Bruder Holy ist ein Lügner“, sagte Hass Stelly überzeugt. „Dass er sich mit Sam Brewman zusammentat, ist der Beweis dafür.“

Berry nickte.

„Gehen wir!“ Hass zog den Freund und Leidensgenossen aus dem leise raschelnden Buschwerk.

Sie wandten sich nach Osten. Ein Haus tauchte vor ihnen auf. Dahinter musste die Straße vom Stadtkern zur stillgelegten Mine liegen, die es zu überqueren galt. Sie schlichen an der Wand entlang und spähten um die Hausecke.

Vor der Kirche standen ein paar Leute mit brennenden Fackeln in den Händen.

„Sie sehen uns, wenn wir den Weg überqueren!“, stieß Berry hervor. Die Szene wirkte immer gespenstischer auf ihn. Seine Zähne schlugen aufeinander. Auch das heftige Zittern des Körpers vermochte er nicht zu bekämpfen.

„Nein, sie sehen uns nicht! Jetzt!“ Entschlossen verließ Hass die Deckung und zog Mine mit sich über die Straße.

Auf der anderen Seite schlichen sie an den wenigen, leerstehenden Hütten vorbei und sahen dicht vor sich das Kieferngehölz auftauchen. Buschwerk wucherte davor auf einer sanft ansteigenden Halde. Hass ließ Berry los und umging das Sagegestrüpp links, während Berry den Weg auf der anderen Seite wählte. Sie entfernten sich ein paar Yards voneinander, hörten aber das Rascheln auf der jeweils anderen Seite.

„Halt!“, befahl plötzlich eine scharfe Stimme.

Berry war derart erschrocken, dass er sich fallen ließ und das Gesicht gegen den Boden presste.

„Ich habe einen gesehen!“, meldete sich die Stimme wieder.

Berry Mine hatte die Kontrolle über sich selbst völlig verloren. Es war die Angst, die ihn wieder auf die Beine brachte und weiterlaufen ließ. Geäst schlug ihm ins Gesicht. Ein großer Stein lag direkt vor ihm. Er lief dagegen, stolperte und rollte über den Boden.

Da krachte ein Schuss, der ein rollendes Echo im Kieferngehölz erzeugte.

Berry Mine sprang wieder auf und hetzte weiter. Er erreichte das Gehölz und stürmte in die Dunkelheit.

Auch Hass Stelly lief noch nach Osten. Er hörte einen Reiter hinter sich. Hart trommelten die Pferdehufe auf den Sandboden. Das Tier schnaubte erregt.

„Hier ist er!“, brüllte der Mann hinter dem Fliehenden. Sein Colt entlud sich.

Neben Stelly fuhr die Kugel in den Boden.

Er lief um sein Leben, rannte aber mitten in einen Busch und vermochte ihn nicht zu durchbrechen. Dutzende von Fangarmen griffen nach ihm. Dornen bohrten sich durch den morsch gewordenen Stoff bis ins Fleisch. Er schlug um sich, trat mit den Beinen und wollte weiter.

Der Reiter holte ihn ein und warf sich auf ihn. Hass wurde zu Boden gerissen.

Das Pferd wieherte, stieg auf die Hinterhand und wirbelte mit den Hufen.

Stelly und der Halunke rollten aus dem Busch und unter die Pferdehufe. Das Tier wich aus. Stelly geriet über den Bewacher, sprang auf, wirbelte herum und hastete weiter.

Da tauchte schon der nächste Reiter auf und lenkte sein Pferd gegen den Flüchtenden. Hart getroffen stürzte Hass wieder, überschlug sich, gab aber immer noch nicht auf. Doch als er auf die Beine gelangte, waren die Kerle beide zur Stelle und schlugen ihn zusammen.

Er lag auf dem Rücken und sah sie riesengroß über sich. Sie grinsten und schienen über die Abwechslung erfreut zu sein.

„Na los, steh auf“, forderte der eine. „Das kann dir doch nicht schon gereicht haben, Freundchen.“

Hass Stelly zog die Beine an. Er wollte weiter, wollte entwischen und zurück nach Whipple, die kleine Stadt, in die er gehörte. Er sprang mit einem federnden Satz auf und wollte unter den Händen der Schufte durchschlüpfen. Aber sie packten ihn, rissen ihn herum und schlugen wieder zu. Getroffen brach er wieder zusammen.

Ein dritter Reiter tauchte aus der Nacht auf. „Waren das nicht zwei, verdammt?“

Sie schauten sich um und lauschten.

„Los, sucht weiter!“, befahl der Reiter. „Ich schaffe den hier zurück!“

Die beiden schwangen sich auf die Pferde und ritten durch das Gestrüpp den sanften Hang zum Wald weiter hinauf.

„Waren es wirklich zwei?“, fragte der eine zweifelnd.

„Gus hat zuerst was gemerkt. Der muss es wissen.“ Der zweite Halunke stand in den Steigbügeln und blickte erst lange nach rechts, dann nach links.

Im Gehölz barst ein Ast.

Wie auf Kommando gaben sie den Pferden die Sporen. Scharf wieherten die Tiere und stoben ins Dunkel der Kiefern.

Berry Mine kauerte auf dem Boden und hörte sie. Er sprang auf und hastete nach links. Das herumliegende Holz brach unter seinen Füßen. Äste ragten quer in seinen Weg. Aber das Holz war trocken wie Zunder und brach, wenn er dagegen lief.

„Da ist er!“, schrie eine grelle Stimme.

Schüsse peitschten hinter dem Flüchtenden her. Pochend wurde eine Kiefer getroffen.

Berry Mine schlug einen Haken und lief wieder nach Osten. Er duckte sich unter den Ästen, stolperte über einen entwurzelten, quer liegenden Stamm und schrammte auf den Boden.

Zu beiden Seiten hinter sich hörte er die Reiter. Auf Ellenbogen und Knien arbeitete er sich weiter, bis er hörte, dass sie auf seiner Höhe sein mussten. An den Boden gepresst, verharrte er und atmete mit offenem Mund, weil er hoffte, so leiser zu sein.

Sie ritten vorbei. Aber bevor er aufatmen konnte, hielten die beiden an.

„Verdammt, wo steckt der Halunke?“, rief der eine.

Berry Mine versuchte, sich noch mehr an den Boden zu pressen. Die Zähne schlugen aufeinander und klapperten so laut, dass er die Finger zwischen sie stecken musste.

„Der ist noch hier!“

Sattelleder knarrte. Berry wusste, dass sie jetzt abstiegen. Sie würden ihn schnappen, so wie sie Hass sicher schon gefasst hatten, würden ihn halb zu Tode prügeln und dann zurückschleppen.

Holz brach in seiner Nähe.

Er sprang jäh auf und lief weiter. Die Hände der Schurken griffen ins Leere. Der eine riss den Colt heraus und schoss, aber die Kugel verfehlte Berry Mine um Haaresbreite.

Die Pferde schnaubten im Wald und vollführten in ihrer panischen Angst wilde Sprünge.

Der Bandit schoss wieder, während der andere schon zu seinem Pferd rannte. Den Flüchtenden vermochten sie nicht mehr zu sehen. Sie galoppierten weiter und schossen ziellos in das Gehölz.

Auf der Hügelkuppe hatte Berry plötzlich das Ende des Waldes vor sich. Überall bedeckte hohes Buschwerk die Hänge und Mulden. Kakteen erhoben sich dazwischen und manchmal auch skurrile, vulkanische Felsgebilde. Er lief dorthin. Niemals zuvor war er so schnell wie in dieser Nacht gewesen. Aber auch nie zuvor war sein Leben so sehr bedroht gewesen.

Er tauchte in den Büschen unter, bevor sie erschienen. Die Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Er strauchelte, stürzte und lag mitten drin im Dickicht.

Die Reiter hielten auf der Kuppe an.

„Zum Teufel, der wird uns doch nicht wirklich abhauen?“, sagte der eine.

„Der steckt noch im Wald.“

Sie schauten hinter sich, dann wieder auf die Büsche, Kakteen und Felsengebilde auf den Halden und in den Mulden.

„Wir müssen ihn finden“, sagte der eine Reiter. „Unter allen Umständen. Früher reiten wir nicht nach Sagrado zurück.“

Der andere Schurke lauschte hinter sich. „Er ist auf jeden Fall in der Nähe. Gesehen haben wir ihn ja. Es gibt ihn.“

Carringo und die verbotene Stadt: Western

Подняться наверх