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Kapitel 3

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Sophie zog sich die Kapuze über den Kopf, ging an den dunklen Praxisräumen im vorderen Teil des großen, alten Hauses vorbei und klingelte am Seiteneingang. Kurz darauf ging das Licht an, die Tür wurde aufgerissen und Sarah stand strahlend vor ihr. Sie riss sie in die Arme und drückte sie fest an sich. „Sophie, was für eine Freude. Gott sei Dank, dass du da bist. Lily hat schon mindestens zehn Mal angerufen und gefragt, wo du denn bleibst, und dein Papa hat alle fünf Minuten auf die Uhr gesehen.“

Das war ihre Sarah wie sie leibte und lebte, sie war warmherzig und immer für andere da. Obwohl sie nicht allzu groß und etwas pummelig war, strahlte sie eine ruhige, weibliche Schönheit aus, die von innen kam. Sie trug ihre vollen, braunen Haare locker hochgesteckt und ihre ganze Liebe strahlte aus ihren schönen, dunkelbraunen Augen Sophie entgegen.

„Guten Abend, Sarah. Hübsch siehst du aus, die Frisur steht dir ausgezeichnet“, lächelte Sophie und erzählte, während sie ihre Jacke auszog: „Ich kam nicht eher aus dem Krankenhaus raus. Und bei dem Schneesturm ging es nicht schneller. Es war viel Verkehr auf der Bundesstraße. Und dann war auch noch ein Unfall kurz vor Nindorf.“

„Ach du lieber Gott. Du zitterst ja vor Kälte. Komm schnell rein. Du bist ja ein richtiger Eiszapfen, wir müssen dich wohl erst mal auftauen.“

Sarah nahm ihr die Jacke ab und zog sie in das Lesezimmer. Die Möbel stammten noch aus der Zeit, als Sophies Eltern geheiratet hatten. Das Holz des Bücherschranks und der Regale schimmerte dunkel. Es roch nach Bratäpfeln, die Sarah in die Röhre des Kachelofens gestellt hatte, und wohltuende Wärme umfing Sophie. Friedrich Langen saß in seinem zerschlissenen Ohrensessel, neben sich auf dem altmodischen Rauchtisch mit Leselampe einen Cognac und die Pfeife im Aschenbecher. Sofort stand er auf und nahm Sophie in die Arme. „Sophie, sei willkommen.“ Er drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Sophie konnte gar nicht sprechen, ein Kloß saß ihr im Hals. Sie war wieder zu Hause. Friedrich hielt sie ein wenig von sich ab, nahm ihr Gesicht in beide Hände und sagte lächelnd:

„Du siehst ein bisschen elend aus. Ich werde die Praxis so lange weiterführen, bis du dich erholt hast.“

„Ach, Papa. Ich nehme dein Angebot dankbar an. Ich glaube, ein bisschen Erholung könnte ich schon vertragen.“

Sarah ging in die Küche und kam mit einem Tablett mit Tee und kleinen belegten Schnitten zurück. Sie rückte für Sophie einen Sessel neben den Kachelofen und goss ihr eine Tasse Tee ein. Sophie schob sich ein mit Krabbensalat belegtes Schnittchen in den Mund und spülte es mit heißem Tee hinunter.

„Das tut gut. Vielen Dank, Sarah. Es ist ein schönes Gefühl, wenn die Kälte weicht. Mir laufen immer noch kleine Schauer über den Rücken.“

Während Sophie über ihre abenteuerliche Fahrt berichtete, setzte Sarah sich mit einer Tasse Tee dazu. Sarah war seit Lilianes Geburt im Hause Langen. Margarethe, Sophies Mutter, war bei Lilianes Geburt gestorben. Sophie war damals bereits vierzehn Jahre alt gewesen. Es war ein schwieriges Alter und der Verlust der Mutter hatte sie schwer getroffen. Sarah behandelte Sophie als Freundin und lenkte sie ab, indem sie sie in die Pflege der kleinen Schwester einbezog. Sarah war zunächst Kindermädchen, Hauswirtschafterin und übte später ihren eigentlichen Beruf als Sprechstundenhilfe in der Praxis aus. Friedrich hatte lange um seine Frau getrauert. Aber eines Tages hatte er gemerkt, welches Juwel er im Haus hatte. Seitdem waren sie Lebensgefährten. Sophie fragte sich, warum sie nicht geheiratet hatten.

„Wir müssen Lily Bescheid sagen. Sie war schon so aufgeregt und möchte Sophie unbedingt alles selbst zeigen.“

Sophie sah fragend zwischen Sarah und Friedrich hin und her.

„Was zeigen?“

„Einen Moment wird sie sich noch gedulden müssen. Es dauert nicht lange“, sagte Friedrich gemächlich, stopfte sorgfältig seine Pfeife, zündete sie an und zog daran, so dass seine Wangen noch schmaler und die Falten noch tiefer wurden.

„Sophie, du kennst doch noch unsere Nachbarn. Frau Behrendt ist ja schon lange tot und der alte Berendt war es leid, allein in seinem Haus zu leben. Seine Tochter wollte, dass er zu ihr zieht. Da hat er mir das Haus zum Kauf angeboten.“

„Das kleine Strohdachhaus?“

Friedrich zog an seiner Pfeife und stieß eine Rauchwolke in die Luft. Er lehnte lässig in seinem Sessel, die Beine waren so lang, dass die Knie in die Höhe ragten. Er nickte. „Ja, genau das. Er hat es vor ein paar Jahren renoviert, sogar ein Carport angebaut. Sehr praktisch für Frauen, die können ihre Einkäufe bei Regen trockenen Fußes direkt in die Küche schaffen. Der Eingang ist nämlich im Carport.“

„Friedrich, was soll das heißen. Das hört sich an, als hätten Frauen nichts anderes als Einkaufen im Kopf.“

Er grinste Sarah kurz an und fuhr fort: „Kurz und gut, es ist von Grund auf in Ordnung, lediglich das Strohdach müsste noch ein bisschen ausgebessert werden. Das hat aber noch ein paar Jahre Zeit. Ich habe das Haus gekauft. Wenn es dir gefällt, kannst du es haben.“

„Oh, Papa, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Dann sag nichts. Schau es dir erstmal an.“

Sarah stand auf und ging zur Tür. „Also, ich ruf Lily jetzt an.“ Sie kam schnell zurück und setzte sich zu Friedrich auf die Armlehne. Er legte den Arm um ihre Hüfte und sah zu ihr hoch. „Na, was sagt sie.“

„Sie geht direkt zum Haus. Du warst ja so lange nicht hier, Sophie. Im Oktober sind Liliane und Emma nebenan in ihr neues Haus gezogen. Und da war sie so gut in Schwung, dass sie meinte, sie könne dein Haus ja auch gleich mit herrichten.“

„Was, das hat sie auch schon gemacht?“

„Du hattest ja keine Zeit“ sagte Friedrich. „Und wenn ich mich recht erinnere, hast du uns wegen einer Bleibe für dich ja sozusagen einen Freibrief gegeben.“

„Ja, aber ich habe nichts davon gewusst und … wer hat das denn alles bezahlt?“

„Keine Sorge, die Rechnungen kommen teilweise noch, den Rest habe ich ausgelegt.“

Sophie war sprachlos. Sie hatte eigentlich gedacht, dass sie zunächst bei ihrem Vater und Sarah wohnen und mit ihrem alten Kinderzimmer vorlieb nehmen müsste. Nun war sie froh, dass sie gleich ein Reich für sich allein haben würde. Sie stand auf und umarmte Sarah und ihren Vater. „Da bin ich ja froh, dass ich nicht in einem leeren Haus auf dem nackten Fußboden schlafen muss. Ich danke Euch. Zeit hatte ich ja wirklich nicht, aber Geld habe ich genug gespart.“

„Wir wollen dich nicht rausschmeißen, aber ich glaube, du musst jetzt los, sonst platzt Lily noch vor Ungeduld.“

Sarah und Friedrich brachten sie zur Tür.

„Du kannst direkt bis unters Carport fahren“, grinste Friedrich stillvergnügt.

„Morgen lassen wir dich in Ruhe“, sagte Sarah zum Abschied, „aber übermorgen wollen wir hier alle gemeinsam Heiligabend feiern und zusammen in die Kirche gehen.“

Das alte Haus im Schneesturm

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