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Vorwort zur fünften Auflage

Dieses Buch ist 1979 zum ersten Mal erschienen. Mag man fragen, ob es denn heute für eine fünfte Auflage eine inhaltliche Berechtigung gibt.

Die Spanne von 27 Jahren rückt die „Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik“ in ein verändertes Licht. Neben der ‚Methoden‘-Frage erhält auch die historische Perspektive Bedeutung; das Buch ist zu einem kleinen Beitrag zur Geschichte der Pädagogik geworden. Der letzte große Vertreter der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘, nämlich Wilhelm Flitner, starb 1989. Aber die Kritik an der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘ setzte bereits in den 60 er Jahren des 20. Jahrhunderts ein, verbunden mit einer Hinwendung zur empirischen und sozialwissenschaftlichen Erziehungswissenschaft. In der Tat gehen in die geisteswissenschaftliche Pädagogik Elemente der Hegel’schen Philosophie und der Dilthey’schen Lebensphilosophie sowie andere weltanschauliche und ideologische Komponenten ein, je nach Vertreter in unterschiedlicher Ausprägung und Akzentuierung – bis hin zur O. F. Bollnows Orientierung an der Existenzphilosophie.

Die ‚geisteswissenschaftliche Pädagogik‘ ist eine Richtung innerhalb der Geschichte der deutschen Pädagogik, die im Wesentlichen die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dominiert hat. Es geht nicht darum, sie wieder zu beleben. Sie kann und muss in ihrer historischen Bedingtheit gesehen und belassen werden; aber die Auseinandersetzung mit ihr macht die Entwicklung der deutschen Erziehungswissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Teil verständlich. Beispielsweise hat auch die ideologiekritische Ablehnung des Bildungsbegriffs in den 60 er und 70er Jahren damit etwas zu tun.

Neben dem historischen Aspekt, der hier mehr am Rande interessiert, gibt es aber ein systematisches Interesse an der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘, nämlich die Art und Weise, wie sie an ihren Gegenstand herangeht – an Erziehung, Bildung, Schule, etc. und die wissenschaftliche Reflexion darüber. Diese Herangehensweise ist so geartet, dass sie das eigentümlich Menschliche in den Blick zu bekommen und es zu bewahren versucht. Was das Menschliche ausmacht, ist Sinn, 10Sinnhaftes, Bedeutung. Nicht nur unser Sprechen, auch unser Handeln und unsere Hervorbringungen sind sinnvoll; und wenn wir sagen, was jemand sagt oder tut, sei ohne Sinn, sinnlos, dann reklamieren wir gerade, dass wir Sinn erwarten. Von Naturdingen, auch von Tieren, erwarten wir hingegen keinen Sinn. Eine Bedeutung der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘ für die systematische Erziehungswissenschaft liegt gerade darin, dass sie das Erziehungs- und Bildungsgeschehen als ein sinnhaftes beschrieben und reflektiert hat.

Ist das heutzutage noch wichtig? Oder ist es nach dem PISA-Schock nicht besser, technokratische Mittel und Wege zu erforschen, um das Humankapital der deutschen Gesellschaft zu steigern und die künftige ökonomische Verwertbarkeit von Lernenden im globalen Wettkampf zu sichern (Rittelmeyer 2006)? Dabei muss dann nicht mehr auf ‚Sinn‘ geachtet werden; die Zweckhaftigkeit des Mitteleinsatzes reicht aus. Von ‚Sinn‘ zu reden, stört nur.

An diesem Punkt geht es in der Tat um eine grundlegende Entscheidung nicht nur des praktisch tätigen Pädagogen, sondern auch des Wissenschaftlers, der sich mit dem pädagogischen Geschehen befasst: wie sie nämlich ihre Aufgabe und ihren Gegenstand wahrnehmen. Hat in ihrer Wahrnehmung das Sinnhafte einen zentralen Platz; oder halten sie die Rede davon für ein überholtes Geschwätz, vor allem wenn es um den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit geht?

In meinem Tätigkeitsbereich der vergangenen Jahre, nämlich in der Entwicklungszusammenarbeit, kann interessanterweise eine ähnliche Antinomie – verstehendes gegen technokratisches Vorgehen – beobachtet werden. Ist es richtig, ‚Entwicklung‘ ökonomisch und statistisch zu definieren, wie es die Tendenz von Internationalem Währungsfonds und der Weltbank ist? Ist der folgerichtige Weg, den Entwicklungsländern ökonomische Maßnahmen zu verordnen? (Ein Beispiel hierfür ist der „Structural Adjustment Plan“ der 80er Jahre, der inzwischen als Irrweg eingesehen worden ist.) Kann man, wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung glaubt, Demokratie, Regierungsführung und Menschenrechte statistisch messen? Kann man Afrika mit einer Verdoppelung der Entwicklungshilfe, mit einem „big push“, in der Tat helfen, wie Blairs „Commission for Africa“ und der G8-Gipfel vom Juli 2005 glauben machen?

Oder müsste man nicht auch jene Afrikaner zu Wort kommen lassen und ernst nehmen, die Entwicklungshilfe entweder ganz oder bedingt ablehnen? Wäre nicht das Angebot von Afrikanern zur Partnerschaft in dem Entwicklungskonzept „New Partnership for Africa’s Development“ 11(NEPAD) eine Chance, einen Dialog zu eröffnen, hinzuhören und zu verstehen, was die afrikanischen Länder und Völker traditionell, geschichtlich, kulturell, mental charakterisiert, um auf dieser Basis und in einem humanen Umgang ‚Entwicklungshilfe‘ anzubieten? Es ginge also auch hier um das Verstehen des Sinnhaften in Tradition, Kultur, Mentalität, etc.

Wenn man in Pädagogik, Entwicklungszusammenarbeit, aber auch in Politik und Wirtschaft, nicht auf technokratische Machbarkeit setzt, Menschen nicht als manipulierbare, wenn auch komplizierte Automaten behandelt, sondern im Sinnhaften des individuellen und gesellschaftlichen Lebens ein Wesentliches erkennt und anerkennt, dann ist das Anliegen dieses Buches nach wie vor aktuell. Es geht hier darum, wie Sinnhaftes interpretiert (Hermeneutik), in seinem Wesentlichen beschrieben (Phänomenologie) und in seinen Widersprüchen reflektiert (Dialektik) werden kann. Um die historische Belastung des Begriffes ‚geisteswissenschaftlich‘ zu vermeiden, sollte wohl angemessener von einer ‚sinn-orientierten‘ Pädagogik (Danner 1981; 1985 a) gesprochen werden. Ebenso sei schon hier darauf hingewiesen, dass Methode in unserem Zusammenhang genau genommen ein Hilfsbegriff ist; denn es geht nicht um wissenschaftliche Methoden von der Art, wie sie beispielsweise mit einem Fragebogen, einer Statistik oder einem Laborversuch gegeben sind. Der englische Begriff approach würde die Sache angemessener beschreiben, wenn wir von Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik sprechen; sie sind in diesem Sinn ‚Annäherungswege‘, ‚Zugangsweisen‘.

Diese Neuauflage belässt im Wesentlichen die Hauptteile – die grundlegenden Einführungen in Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik – in ihrer bisherigen Form. Es wurden zwei zusätzliche Exkurse aufgenommen, um auf jüngere erziehungswissenschaftliche Entwicklungen in der Hermeneutik und in der Phänomenologie hinzuweisen, nämlich auf die objektive Hermeneutik sowie auf den Bezug zur Lebenswelt und die ethische Reflexion im Anschluss an Lévinas. Anmerkungen wurden, so weit vertretbar, in den Text aufgenommen und Literaturhinweise durch neuere Erscheinungen ergänzt. Einige hartnäckige Druckfehler konnten eliminiert werden. Nach wie vor möchte das Buch nichts anderes sein als eine Einführung – eine Analyse der grundlegenden Begriffe, Phänomene und Erkenntisprozesse, um die Grundlage zu schaffen für eine theoretische Auseinandersetzung und praktische Anwendung.

Für wertvolle Hinweise zu dieser Auflage danke ich Christian Rittelmeyer, 12in dessen eigenen, praktisch orientierten Arbeiten das Hand-in-Hand-Gehen von Hermeneutik und Phänomenologie demonstriert wird, und vor allem danke ich Frau Wehler und Frau Henning des Ernst Reinhardt Verlags für die Entscheidung zu dieser neu gestalteten Auflage und für deren Betreuung, womit sie das Anliegen einer ‚Sinn-Orientierung‘ unterstützen.

Nairobi, Februar 2006

Helmut Danner

Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik

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