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Vorwort

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Mode ist eine fundamentale kulturelle Ausdrucksform. Seitdem es Bekleidung gibt, dient sie nicht nur praktischen Zwecken, wie dem Schutz vor Kälte. Wichtiger ist die Bekleidung als nonverbales Kommunikationsmittel, das das Verhältnis der Menschen zueinander regelt. Bekleidung ist immer in erster Linie Ausdruck gesellschaftlicher Standards und Normen. Sie verweist auf den sozialen Status des Trägers und auf sein Geschlecht. Sie spiegelt somit die gesellschaftliche Ordnung und ihre Verhaltensregeln wider. Wer mit der Mode geht, gehört dazu.

In diesem Buch wird der Begriff Mode synonym mit dem allgemeinen Bekleidungsverhalten verwendet, das charakteristisch für eine bestimmte Zeit ist. In diesem Sinne wird der Begriff nicht nur auf die manifest gewordenen Trends aktueller Mode bezogen, sondern auch auf alle historischen Moden.

Der Fokus dieses Buches liegt auf den Geschlechterrollen in der Mode. Es will erklären, warum es in der Modegeschichte nur zwei Geschlechter gibt und warum es den Gesellschaften so wichtig war und oft noch ist, eine binäre Geschlechtszugehörigkeit durchzusetzen und mit spezifischer Kleidung zu markieren.

Interessanterweise gab es zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie weibliche und männliche Kleidung auszusehen hatte. Manche Vorstellungen hierzu konnten sich im Laufe der Zeit sogar ins Gegenteil verkehren.

Das auffallendste Beispiel dazu ist der Rock und insbesondere der Männerrock, weswegen er in diesem Buch besondere Aufmerksamkeit findet. Über Jahrtausende haben Frauen und Männer Röcke und Kleider getragen, bis es im 18./19. Jahrhundert zu radikalen Veränderungen kam, die von der Französischen Revolution begleitet wurden. Die Männer wechselten endgültig vom Rock zur Hose, und mit der Zuordnung der Hose als männlichem Privileg wurde der Rock weiblich konnotiert. So wurde der Rock für Männer zum Tabu, so wie die Hose zum Tabu für Frauen wurde.

Diese neue Konstruktion kultureller Geschlechtlichkeit durch die Bürgerrechtsbewegung, öffnete ein weiteres Kapitel patriarchalischer Hegemonie. Der Widerstand der Frauen gegen diese Unterdrückung führte zur Frauenrechtsbewegung. Heute können Frauen in vielen Ländern an politischen Wahlen teilnehmen. In der Mode haben sie sich von rigiden Vorschriften total befreit. Selbst klassische Männermode ist für Frauen tragbar geworden, wie die Schauspielerinnen Anita Berber und Marlene Dietrich bereits in den 1920er Jahren mit Frack und Zylinder eindrucksvoll bewiesen haben. Und auch meine Töchter bedienen sich ganz selbstverständlich an Papas Kleiderschrank, wenn sie Hosen, T-Shirts oder eine Krawatte suchen.

Aber warum hat sich die Männermode nicht weiterentwickelt? Warum gibt es neben dem Boyfriendlook für Frauen nicht den Girlfriendlook für Männer? Die Jungs geben doch sonst auch gern mit ihren Eroberungen an? Die aktuellen Unisex-Trends sind bislang eine Einbahnstraße, weil fast nur Frauen davon Gebrauch machen. Dabei gibt es Angebote für eine buntere, abwechslungsreichere Mode für Männer, zu der auch Männerrockkreationen von renommierten Designern gehören. Darunter sind u. a.: Astrid Andersen, Thom Browne, Comme de Garçons, Jean Paul Gaultier, João Pimenta, Louis Vuitton, Vivian Westwood und Yohji Yamamoto. Es wird zu klären sein, warum Männer Angst vor einer freien Mode haben und warum ihnen zu anderen Zeiten Rock und Gewand nicht prächtig genug sein konnten.

Ich hoffe, es gelingt mir mit meinen Beispielen und Umfragen Mut zu machen, sich von den bürgerlichen Modekonventionen zu befreien. Konventionen legen die Ansprüche einer Gesellschaft an ihre Mitglieder fest. Sie sind eindimensional, wenn sie nicht die natürliche Vielfalt von Gesellschaften mit ihrer enormen Bandbreite individueller Heterogenität widerspiegeln.

Modevorschriften für die Geschlechter sind ein Eingriff in ein selbstbestimmtes Leben. Wer sich unabhängig und frei kleidet, zeigt seine Individualität. Es gibt mehr als den Einheitsmann - der Mode, besonders als Anzugsmann am Arbeitsplatz - wie eine Uniform benutzt. In der Antike, der Renaissance oder im Barock haben sich „wichtige“ Männer deutlich vielseitiger präsentiert.

Dieses Buch will zum Ungehorsam aufrufen gegen alle Rollenzuweisungen, die nicht mit uns als Individuum konform gehen. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich verärgert darüber bin, dass mir Vorgaben gemacht werden, wie ich mich zu bekleiden habe. Besonders am Arbeitsplatz empfinde ich den Dresscode wie ein Korsett, das meine Identität verbiegt. Schon als Kind habe ich mich im Anzug zur Erstkommunion total verkleidet gefühlt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Im Anzug spiele ich eine Rolle, die mit meiner Person oder meinem Geschlecht nichts zu tun hat. Mode als kulturelles Phänomen, das Geschlechterrollen konstruiert, die mit meiner allgemeinen Befindlichkeit und meinem biologischen Geschlecht nichts zu tun haben, lehne ich, wie jede andere Fremdbestimmung, ab.

Die Pflicht, sich durch spezifische Kleidung geschlechtlich zu markieren, ist gesellschaftlich schon längst nicht mehr erforderlich. Sie ist ein Anachronismus in einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft, die die Persönlichkeitsrechte in ihrer Verfassung ausdrücklich schützt. Individuelle Vielfalt einschließlich geschlechtlicher Vielfalt ist ein Reichtum, der die Welt bunter und schöner macht.

Männerrock

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