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Kapitel 1: Dienstag

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Für einen Dichter wäre es die Zeit der Morgenröte gewesen, die Zeit, der nachgesagt wird, dass sie aufblüht, während die Engel des Tages ihre Flügel entfalten … Die gesegnete Zeit der vollkommenen Stille, in der die Vögel das Schweigen bewahren, die Gezeiten verstummen und der Atem des Universums anhält. Ein wahrlich magischer Moment, in dem der schüchterne Tag noch nicht auszubrechen wagt und der verträumte Vorhang der Nacht dem Gesetz des ewigen Zyklus nur widerwillig nachgeht … Für mich war es die Zeit, um die mich gewöhnlich der Krach der ersten Mülltonne, die unser übereifriger Hausmeister auf die Straße schob, aus dem Schlaf riss: Es war halb vier Uhr morgens.

Doch in dieser Nacht hatte ich gar nicht geschlafen und der Moment war alles andere als magisch. Mit einem Pappbecher in der Hand stand ich am Fenster der kleinen Krankenhaus-Cafeteria. Die dunkle Flüssigkeit, die der Automat für fünfzig Cent als Cappuccino verkaufte, machte ihrem Namen alle Ehre und schmeckte, als ob man sie nach einer langen Pilgerfahrt aus einer Mönchskutte ausgewrungen hätte. In dem gegenüberliegenden Gebäudeflügel kämpfte eine Nachtschwester gegen die Müdigkeit: Sie streckte sich langsam vor der Fensterbank. Ihre Bewegungen waren monoton und abwesend, sie wirkten wie ein Ritual, das den Körper von seiner Zeitrhythmusstörung ablenken sollte. Elli schlief auf einem der Sitzplätze in der Ecke und ihrem ruhigen Gesicht sah man nicht mehr an, wie sehr sie der heftige Streit um Mitternacht mitgenommen hatte. Auf dem Boden lagen die Teile des Telefons, seine gelbe Schale war zersplittert, als Elli es in die Ecke geschmissen hatte.

Elli hatte recht. Ich war viel zu weit gegangen. Ich hatte den Hilferuf eines Noch-Kindes missverstanden. In meiner Arroganz hatte ich mir eingebildet, dass ich einem Jungen, der wegen seiner Krankheit vom Alltag abgeschottet war, mein kleines, skurriles und eindimensionales Leben als Ersatz anbieten durfte. Er sehnte sich verzweifelt nach dem echten Leben und ich hatte ihm das meine als die große Welt untergejubelt. Ein Scheinleben im Schnellgang. Es hatte nicht funktioniert. Natürlich hatte es nicht funktioniert. Und schlimmer noch: Ich hatte bei anderen Schaden angerichtet und war am Ende auch noch der Einzige, der von all den Geschehnissen profitierte.

Spätsommerkarussell

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