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Kapitel zwei

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Eugen war dankbar, dass diese Frau so viel für ihn riskierte. Später würde er sich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern. Er war zwar klein, aber er sah gut aus mit seinen schwarzen Haaren und seinen dunkelbraunen Augen. Er war vielleicht nicht der Typ, der in damaliger Zeit dem Ideal entsprach. Aber was scherte das die Frauen? Sie mochten diesen Mann, der eben wie ein Franzose lachen und flirten konnte. Dessen Augen beim Erzählen leuchteten. Er war drahtig, turnte am Barren anspruchsvolle Übungen. Er reagierte nie cholerisch und böse, wie viele Männer damals.

Seine eigenen Kinder würde er nie schlagen. Das würde eins der Dinge sein, die seine Töchter vor allem ihren Kindern weitererzählen würden.

Und Lina würde immer stolz darauf sein, dass ihre Großeltern vor der Jahrhundertwende geboren waren. In einer Zeit, die so viel langsamer und total anders schien.

Eugen sollte sich „bereithalten“. Er hatte Angst, wusste er doch, dass falls er erwischt würde, das ihn und die Krankenschwester Kopf und Kragen kosten würde.

Aber er konnte nicht mehr kämpfen, er spürte, dass er zu Hause gebraucht wurde. Von einigen seiner Kameraden wollte er sich verabschieden. Ja, sie hatten einiges zusammen erlebt, was sie einfach ein Leben lang zusammenschweißen würde.

Eugen war geheilt vom falschen Patriotismus. Mit seinen Kameraden verbanden ihn die gemeinsamen Erlebnisse, Todesangst und Verzweiflung, die ihnen ins Gesicht geschrieben war. Ihn und seine Kameraden einte das nackte Überleben. Er hatte tief in ihr Herz gesehen in diesen Momenten. Ihr allzu menschliches Verhalten verstanden. Ihr sehnlichster Wunsch war es nach dieser erlebten Grausamkeit, Alltag zu leben mit Familie und Kindern, auch wenn der eine oder andere einen Franzosen getötet hatte. War es noch möglich eine Frau zu lieben und Kinder zu zeugen mit dieser Vergangenheit?

Sein Kamerad Messmer, mit dem Eugen sein Leben lang in Kontakt bleiben würde, meinte, dass das möglich sei. Sie sprachen sich beide nur mit den Nachnamen an.

„Meine Frau Josepha wird es nicht verstehen können. Sie hat keine Vorstellung davon, was wir hier durchgemacht haben und das ist auch gut so! Wir werden zusammen auf den Feldern und im Stall arbeiten und unsere Kinder großziehen. So oder so.“ meinte Messmer fast lakonisch.

Josepha war eine herzensgute Frau, die den Bauernhof im Oberland zur Zeit des Krieges alleine führte und beide Kinder versorgte. Wie sie damit zurecht kam, wusste keiner so genau. Sie tat, was sie konnte, arbeitete jeden Tag hart, war morgens die erste, die aufstand und abends die letzte, die ins Bett ging. Ja, mittlerweile hatte sie auch das Pflügen mit den Kühen gelernt. Arbeit, die ihr Mann immer getan hatte. Peter, ihr kleiner Sohn musste ihr dabei behilflich sein. Er musste die Kühe antreiben und sie drückte mit aller Kraft den Pflug nach unten, damit die Erde auch wirklich bewegt wurde. Welch mühsame Arbeit, dennoch entwickelten sie und Peter einen gewissen Humor dabei und gingen es optimistisch an.

In dieser schlechten Zeit hatten sie zumindest immer etwas zu Essen, saßen sie doch an der Quelle. Ein Vorteil, um den sie in dieser Zeit von vielen beneidet wurden. Sie waren wirklich reich damals. Denn reich war, wer täglich satt wurde und das wurden sie. Josepha schickte ihrem Mann wöchentlich ein Esspaket, und sie meinte es gut mit ihm, sparte sich einiges selbst vom Munde ab, zumindest was den Schinken und Käse anbelangte. Mittlerweile war ihr Eugen aus seinen Briefen bekannt und auch ihn bedachte sie mit einer Ration. Eugen hatte wieder Glück. Seine Kameraden waren auf Schmalkost gesetzt, auch Eugens Familie litt an Hunger und konnte nichts schicken. Er wurde so reich beschenkt von Messmers Frau.

Josepha zählte die Tage, bis ihr Ehemann zurückkehren würde. Außerdem freute sie sich darauf, Eugen kennenzulernen. Sie wusste, dass dieser Mann viel für ihren Mann getan hatte. Ihr Ehemann hatte es nicht leicht gehabt in der Truppe. Schnell war er als Hinterwäldler abgestempelt worden. In einigen Dingen war er es auch.

„Mein Gott, ich bin eben ein Bauer und kein Soldat, “pflegte Messmer dann zu Eugen zu sagen, wenn er von seinen Kameraden ständig gehänselt wurde. Er war nie aus dem Oberland herausgekommen und wahrscheinlich wäre er in seinem ganzen Leben niemals soweit gereist, wie als Soldat. Die Demütigungen waren hart für ihn und er fühlte sich hier in der Truppe wirklich als dummer Trampel. Wenn sie ihn auf seinem Feld sehen könnten seine Kameraden, wo der mit grazilen Bewegungen den Rhythmus mit dem Kuhgespann fand und pflügte mit Geschmeidigkeit. Oder wenn sie seine Behändigkeit beim Holzhacken sehen könnten.

„Holz ist ein guter Lehrmeister“, pflegte er seinem Sohn immer zu sagen.

„Du kannst Holzhacken indem du mit brachialer Gewalt die Stämme auseinanderhaust. Nach spätesten einer Stunde bist du völlig erschöpft.“

Messmer hatte dabei seinen langsamen, stetigen Rhythmus. Als er noch jung war, da hatte er auch mit brutaler Kraft draufgeschlagen. Danach war er völlig nassgeschwitzt und seine Glieder schienen wie totgeschlagen. Doch mit der Zeit hatte er vom Holz gelernt, zwar kraftvoll aber vor allem zielsicher und geschmeidig ein Scheit ums andere zu schlagen. Es war eine Freude ihm dabei zuzuschauen.

Messmer konnte den ganzen Tag Holz hacken. Alles stimmte sein Einschlagwinkel, seine Bewegungen und seine Kraft. Es war wie Musik und Tanz gleichzeitig. Danach wusste er, was er gearbeitet hatte, aber er war nie an seine körperlichen Grenzen gekommen.

Doch wie sollte er solche Dinge seinen Kameraden erklären? Holz ist ein guter Lehrmeister! Messmer war ein Schaffer, ein Arbeitstier, konnte sich sprachlich einfach nicht ausdrücken. Bisher war das in seinem Leben weder wichtig noch nötig gewesen. Eugen erkannte die Stärken und Qualitäten seines Kameraden. Er stand zu Messmer in der Gruppe oder ersparte ihm einige Unannehmlichkeiten.

Josepha wusste um seine vordergründige Schwerfälligkeit und bedankte sich mit selbstgemachten Käse und Brot. Die beiden würde ihre Freundschaft ein Leben lang pflegen.

Josepha würde dann während Eugens Besuchen bei ihnen im Oberland ihr Ehebett räumen, damit die beiden alten Kriegskameraden sich bis spät in die Nacht unterhalten konnten. Was erzählten sie sich? Es würde ihr Geheimnis bleiben.

Messmer würde nur einmal die Reise nach Baden unternehmen: zur Beerdigung seines Freundes Eugen.

Aber er würde aus den Erzählungen, seines Freundes alles kennen: die Kirche, die Tabakfabrik, das Rathaus, die Dorfkneipe, die Nachbarn und die wichtigsten Leute im Dorf.

Doch das alles ereignete sich nach einem Leben voller Höhen und Tiefen. Eugen führte mit seinem Kammeraden Messmer vorläufig sein letztes Gespräch.

„Eugen, ich werde meiner Frau nur wenig erzählen. Die Gräuel, die wir im Krieg erlebt haben, sollen nur in der Erinnerung weiterleben. Am liebsten würde ich alles vergessen, vor allem diesen Hass.“

„Ja, Messmer, es war und ist en

Graus dieser Krieg. Ich werde später kaum davon erzählen.“

Und genau diese Erfahrung würden seine beiden Töchter machen. Wenn er darüber berichten würde, dann aus dem Alltagsleben. Banales im Tagesablauf, wie schlecht das Essen war im Heer. Von den Kameraden, woher sie kamen aus Deutschland. Über die Elsässer, die auf beiden Seiten der Frontlinien an zu treffen waren. Die sich laut über die Schützengräben hinweg stritten, fluchten und mit Schimpfwörtern um sich warfen. Niemals über die Grausamkeiten und das Töten.

Seine Enkel würden sich später nicht mehr daran erinnern, ob er nun in der Kavallerie oder Infanterie gewesen war. Die alten Männer wussten sich nicht besser zu schützen, als das Ganze zu verdrängen und sie schwiegen darüber ihr Leben lang.

Ihre Frauen und Kinder würden sie nie weinen sehen, diese beiden Männer.

Eugen verabschiedete sich von Messmer. Sie umarmten sich fest. Beide konnten sich nicht erinnern, jemals vorher einen Mann umarmt zu haben.

„Du musst mich unbedingt im Oberland besuchen!“, Messmer wischte sich die Tränen aus den Augen. Das würde Eugens fast einziges, dafür häufiges Reiseziel nach dem Krieg werden.

Eugen begab sich ins Lazarett. Die Krankenschwester hatte ihm ein Bett besorgt. Er hatte sich etwas überlegt. Zu seinem verstauchten Arm war ein ganz brutaler Darminfekt hinzugekommen. Das war im Grunde schwer nachzuweisen, wenn man keine Tatsachen sehen wollte und das wollte in diesem Fall niemand. Er war also krank und musste sich ins Bett legen. Messmer hatte Eugens Verhalten verstanden und natürlich musste er diese Chance nutzen. Natürlich hatte Eugen ein schlechtes Gewissen, seinen Kameraden gegenüber, aber es zog ihn mit immenser Kraft nach Hause.

Der Transport sollte in drei Tagen stattfinden, die Krankenschwester hatte ihm signalisiert, dass alles zum Besten stand. Da lag Eugen nun neben schwerverletzten Männern, deren Verbände voller Blut waren. Er hörte ihr Stöhnen und er spürte regelrecht ihre Schmerzen. Dieser Krieg hinterließ viele Amputierte. Wie sollten sie damit fertig werden, diese Männer? Ja, sie hatten überlebt, aber sie waren zu Krüppeln geworden. Ganze Familien würden darunter leiden, dass sie mit ihrem Schicksal nicht zurecht kamen. Irgendein Forscher sollte sich einmal die Mühe machen und die ganzen Stümpfe zählen, die da im Krieg geblieben waren. Gut für die Statistik. Das Leben der Menschen interessierte dies kaum. Neben einer eher geringen Kriegsrente hatten sie nichts zu erwarten. Sie litten an Schwermut, wie man damals Depressionen nannte. Gerade die Krüppel mit Amputationen sollten nicht besonders alt werden und ihr fehlendes Teil würde ihr Leben lang schmerzen.

Eugen lag ruhig, er atmete den typischen Geruch nach Lazarett ein. Er betete:

„Lieber Gott verzeihe mir, dass ich so feige bin, aber ich weiß, dass ich zu Hause gebraucht werde.“

Er schlief schlecht in den kommenden beiden Nächten. Sein Arm wurde täglich neu bandagiert. Er schrie auf beim Bandagieren und mimte brutale Schmerzen. Der Arzt war so beschäftigt, dass es ihm egal war, was mit diesem Patienten los war. Die Schwester versorgte ihn, das genügte ihm. Er hatte keine Zeit, sich wirklich zu kümmern. Zum ersten Mal wurden Waffen eingesetzt, die an Brutalität bis dahin unübertroffen waren. Durch die technischen Weiterentwicklungen der Waffen hatte man das Ausmaß an furchtbaren Verletzungen unterschätzt. Ein Thema, das stets ausgeklammert wurde, wenn vom Krieg erzählt wurde.

Der junge Arzt operierte Tag und Nacht. Er schlief kaum und nahm Aufputschmittel, um weiter zu operieren.

Die Krankenschwester zwinkerte Eugen zu und sie bedeutete ihm, dass er sicherlich beim nächsten Transport dabei sei. Eugen schaute ihr dankbar in die Augen, nie würde er sich bei ihr revanchieren können. In Straßburg würden sich ihre Wege für immer verlieren.

Tabaksliebe

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