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Pompeji, Mai 2013

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Man vergisst leicht, wie schön es ist, bis man wieder da ist. Pompeji im Mai ist eine Duftmischung aus Lorbeer, Rosmarin und Spanischem Ginster (Abb. 1.1), der gelb blühenden Pflanze, die den Dichter Giacomo Leopardi zu so bewegenden Worten über die Sterblichkeit des Menschen inspirierte, wenige Kilometer von hier in einer Villa an den Lavaströmen über Torre del Greco:

Hier auf dem dürren Rücken

Des schreckenvollen Berges

Vesuvius, des Zerstörers,

Den sonst nicht Baum noch Blume heiter schmücken,

Verbreitest einsam du ringsum dein Strauchwerk,

O Ginster, lieblich duftend,

(…)

Magst du so gern dich traurig-öden Stätten

Gesellen und versunknen Herrlichkeiten?

Auf diesen Flächen hier, den öden, weiten,

Bestreut mit Aschenhügeln, überkrustet

Von steingewordner Lava, Hell unterm Schritt des Wanderers erknisternd.

(…)

Wo Schlangen nisten und sich ringelnd sonnen

Und stets zum klüftereichen

Verstecke die Kaninchen wiederkehren: Da standen (…) berühmte Städte, Die dieses stolze Bergeshaupt gewitternd Mit Strömen traf aus seinem Flammenschlunde, Sammt den Bewohnern. Nun bedeckt der wilde Ruin die Fluren weithin in der Runde. Nur du hast drin mitleidig aufgeschlagen Den Wohnsitz, edles Kraut, zum Himmel schickend So süßen Duftes Milde, Daß sich die Wüste dran erlabt. (…)1

Leopardi schrieb sein Gedicht in der zweiten Jahreshälfte 1836, wenige Monate nachdem im März eine heftige Eruption am Kegel des Vesuvs einen neuen Krater aufgeworfen und die Umgebung mit Asche überschüttet hatte. Dass der Poet „ginestra“ als „Blume der Wüste“ bezeichnete, war damals wörtlich zu verstehen. Heute indes, da der Vesuv seit bald 70 Jahren stillhält, hat sich Leopardis Bild aschgrauer Trostlosigkeit in Grün verwandelt. Wenn die Hitze des Vulkans erlischt, ist die abgelagerte Erde reich an Mineralien. Und so erblüht im heutigen Pompeji im Mai alles: Akanthus, die leuchtende, stachelblättrige Pflanze, die auf den Kapitellen korinthischer Säulen verewigt ist, Granatapfelbäume, Rosen, Roter Mohn. Zierliche Kamillenblüten bilden in den Ruinen Teppiche aus Miniaturgänseblümchen. Um das Amphitheater herum ist frühmorgens nur der Gesang der Vögel zu hören, getragen von der Meeresbrise, die in den Bäumen rauscht. Hier, im Ostteil der Stadt, bedeckt festgetretener Staub die großen grauen Pflastersteine, wie wahrscheinlich bereits in antiken Zeiten. Die Räder pompejischer Karren rollten gewiss über Erde und Matsch, nicht blanken Stein. Mohnblumen klammern sich an die Haufen unbewegter antiker Asche. Ein großer Teil der Gegend um das Amphitheater ist noch nicht ausgegraben, und an diesen wilderen Stellen fällt es leichter als auf dem von Touristen wimmelnden Forum, sich in frühe Besucher von Pompeji einzufühlen, die dort zwischen den damals noch kleinen Schirmkiefern flanierten und die antike Stadt aus dem Feldboden lugen sahen. Heute ist viel von diesem Ackerland neu bepflanzt: In den Gärten hinter vielen dieser abseits gelegenen Häuser wachsen Weinstöcke in geordneten Reihen zwischen Olivenbäumen, getreu den Vorgaben von Vergil, der zur Zeit des Augustus vor mehr als 2000 Jahren schrieb. Weintrauben, meinte er, sollten unter Rosen wachsen, und das tun sie auch. Die Rosen werden sowohl ihres Duftes als auch ihrer Blüten wegen gepflanzt.


1.1. Mohn und Spanischer Ginster, Pompeji, Mai 2013. Foto der Autorin

In einem Weinberg nahe dem meerwärts gelegenen Abschnitt der alten Stadtmauer zitiert eine Gedenktafel eine Passage aus einem Brief des italienischen Patrioten Luigi Settembrini, verfasst 1863, kurz nachdem Pompejis Verwalter Giuseppe Fiorelli eine Methode entwickelt hatte, Gipsabgüsse der Opfer des Ausbruchs anzufertigen (wir werden Settembrini und Fiorelli später wieder begegnen):2 „Sie sind seit achtzehn Jahrhunderten tot, doch sind sie menschliche Wesen, zu sehen in ihrem Todeskampf. Dies ist nicht Kunst, keine Imitation, dies sind ihre Knochen, die Überreste ihres Fleischs und ihrer Kleidung, gemischt mit Gips, und das Leid des Todes, das Substanz und Form zurückerhält.“

13 Menschen starben in diesem kleinen Weinberg, nachdem sie Schutz vor den herabregnenden Vulkansteinen in einem Anbau gesucht hatten, der möglicherweise als Gartenhütte, Speisezimmer im Freien oder beides diente. Hier lagen sie, Seite an Seite, bis 1961 begraben.

Alle Häuser an den leeren Straßen um das Amphitheater sind verschlossen, auch viele der Straßen gesperrt, Folge von Regenschäden während der feuchtesten Periode in der jüngeren italienischen Geschichte (die auch für das üppige Wachstum der Pflanzen sorgte).3 Selbst die Via dell’Abbondanza, die Hauptstraße von Osten nach Westen, ist an vielen Stellen mit improvisierten Drahtzäunen abgesperrt. Es ist unmöglich, ohne gewundene Umwege von einem Ende von Pompeji ans andere zu gelangen. Ein Schild an einem der eingerüsteten Häuser in der Via dell’Abbondanza erklärt: „Pompeji ist eine lebendige Stadt! Eine Stadt, die aus ihren eigenen fruchtbaren Trauben Wein und in den eigenen Gärten Lebensmittel produziert. Pompeji ist Tochter und Opfer einer Tragödie, ihrer Zerstörung durch den Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. Und doch sind wir, bewegt von den Gipsabgüssen der Opfer, glücklich, zu sehen, zu bewundern und zu erfahren, was von einer römischen Stadt übrig ist.“4

2011 tummelten sich in dem Gebäude hinter diesem Schild Restaurateure bei der Arbeit. 2013 steht es leer und unzugänglich da. Pompeji ist eine lebende Stadt, aber ein Großteil dessen, was hier lebt, sind Gemüse, Reptilien, Vögel und Insekten. Die Hummeln sind groß und feist, samtschwarz oder schwarz-gelb gestreift, ein Zeichen für eine gesunde Umwelt.

Die Touristenmassen beginnen dort, wo die Via dell’Abbondanza zur Fußgängerzone wird – die die antiken Pompejaner als solche abgrenzten, indem sie die Pflastersteine der Straße in einer Stufe ansteigen ließen, hoch genug, um die Durchfahrt von Karren und Kutschen zu verhindern. Der Kontrast zwischen dem verwilderten Pompeji am Rand der antiken Stadt und dem Pompeji der Touristen am Forum ist fast so krass wie der Unterschied der Jahrhunderte und Empfindungen, der moderne Besucher von den Kavalierstouristen des 18. Jahrhunderts und den einheimischen Bauern jedes Jahrhunderts bis zu unserem trennt. Heute folgen die meisten Besucher einer vorgegebenen Tour, die die Gefahr, zu stolpern, einen Herzinfarkt zu erleiden und Opfer von Vandalen zu werden, gering hält, indem die Anzahl der frei zugänglichen Orte (und damit auch der zu entlohnenden Wächter) drastisch begrenzt bleibt. Durch Absprachen im Voraus können Gelehrte Zugang zu vielen der geschlossenen Häuser erlangen, und die Horden von Menschen, die durch das Forum strömen, machen verständlich, weshalb die Blockaden nötig wurden. Zu meiner Studentenzeit in den 1970ern indes konnte jedermann Pompeji nach Belieben durchstreifen und erkunden. Kurz nachdem ich 1980 meinen Abschluss gemacht hatte, erschütterte ein Erdbeben Pompejis brüchige antike Mauern, und seitdem ist nichts mehr wie es war. Einmal mehr hatten sich die Titanen unter der Erde gerührt. Erdverschiebungen, das erste Anzeichen eines Klimawandels, erneuerten Pompejis Schwur auf das Gesetz der Entropie, den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, demzufolge alles irgendwann einmal zerfällt. Zumindest sollte die Entropie auch einige der Schäden mindern, die menschliche Torheit Pompeji mittels Bürokratie, Korruption, organisierter Kriminalität, Ignoranz und gestrichener Budgets zugefügt hat. Durch das Zusammenspiel gedankenloser Bautätigkeit und ebenso gedankenloser Abrisse, durch exzessive Be- und Missachtung, ist Pompeji zu der heutigen seltsamen Mischung aus überfrachtetem Disneyland und idyllischer Wildnis geworden.

Um die Stadtmauer führt ein reizender Weg für Radfahrer und Wanderer, ein stiller, beschaulicher Spaziergang zwischen alten (aber nicht antiken) Bauernhäusern, Weinreben und gezüchteten Löwenmäulchen, hohen vergilischen Pinien, Eichen, altertümlichem Mauerwerk und, direkt vor der Einzäunung entlang der alten Eisenbahnlinie, dem aufdringlichen Profil eines im Entstehen begriffenen industriellen Neubaus, von den Einheimischen als „Ökomonster“ bezeichnet, wenn sie ihn nicht unumwunden „pugno nell’occhio“, einen „Schlag aufs Auge“ nennen.

In Pompeji

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