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Kapitel 2 Vorschulzeit (1922 – 1928)

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Als ich ein Jahr alt war, wurde mein Vater in die Tschulkowa-Zeche sechs Kilometer entfernt von Jusowka versetzt und dort lebten wir bis zum Sommer 1925. Dann zogen wir nach Charkow, woran ich noch lebhafte Erinnerungen habe. Von Tschulkowa weiß ich nicht mehr viel, doch an den Garten erinnere ich mich noch, Meine Mutter liebte Blumen und pflanzte und hegte sie, wo auch immer wir überall zuhause waren. In Tschulkowa machte sie um einen Baum herum kleines Blumenbeet extra für mich. Ich hatte eine kleine Gießkanne und goß meine Blumen selbst. Wir hatten auch eine Kuh, Olka, die von unserem Dienstmädchen Fekluscha gemolken wurde. Olka hatte ein richtig schwarzes Fell, deshalb wunderte mich jedesmal auf Neue, dass sie so weiße Milch gab.

Zu jener Zeit entwickelte sich die Freundschaft unserer Familie mit den Ananjews. Peter Martinowitsch Ananjew war Bergbauingenieur und seine Frau Anna Andrejewna war ausgebildete Ärztin, die aber nach ihrer Heirat nicht berufstätig war, sondern nur noch für ihre Familie da. Ihre Tochter Oletschka, ein Jahr älter als ich, wurde eine meiner besten Freundinnen. Die Ananjews zogen nämlich ebenfalls nach Charkow, wo auch meine Großeltern väterlicherseits zuhause waren. Da wir eine Wohnung nicht weit von meinen Großeltern bezogen, sah ich sie fast jeden Tag.

Natürlich war ich auch bei meiner Mutter. Sie liebte mich auf ihre Weise und bemühte sich, mich gemäß den Idealvorstellungen ihrer Zeit aufzuziehen: ein Mädchen hatte fleißig, brav und unerfahren zu sein. Sie versuchte alles von mir fernzuhalten, was nicht „anständig“ war.

Später im Leben hat mir meine Unaufgeklärtheit sehr geschadet. Ich war meiner Mutter böse wegen dieser Erziehung, aber ich bin mir jetzt sicher, dass sie nur mein Bestes wollte. Sie konnte unmöglich voraussehen, wie sich mein Leben dramatisch verändern würde und wie sich überhaupt die ganze Welt mit ihren Wertvorstellungen radikal ändern würde.

Als wir nach Charkow zogen, war ich erst dreieinhalb Jahre alt. Wir wohnten in einer kleinen Wohnsiedlung von fünf Häusern, die um einen Innenhof herum standen. Die Eltern meines Vaters wohnten in einem der anderen Häuser, so dass mich meine Großmutter jederzeit abholen und mich auch beim Spielen im Hof beaufsichtigen konnte. Im Hof spielten viele Kinder miteinander und meine Erinnerung konzentriert sich darauf, dass die älteren von „letztem Jahr“ und auch von „vorletztem Jahr“ sprachen, was ich noch nicht einordnen konnte. Nur „letztes Jahr“ war mir klar verständlich und ich ärgerte mich über meine anscheinend fehlende Orientierung.

Doch ich sprach zu niemandem davon, denn ich bemerkte sehr bald, dass alles, was ich hauptsächlich meiner Großmutter erzählte, von ihr weitergetratscht wurde und stets mit allgemeinem Gelächter endete. Das verletzte mich.

Die Großmutter sprach auch nicht immer die Wahrheit, während meine Eltern einander und auch mich nie anlogen. Damals beschloss ich, falls ich je eine Mutter sein würde, meine Kinder nie zu täuschen.

Doch zurück zu meiner Vorschulzeit. Es war die Zeit des sogenannten „New Deal“, also ein neuer Anfang in der Handelswelt mit großzügigen Zugeständnissen, wie sie seit der Revolution nicht mehr dagewesen waren. Privater Handel sorgte schnell für einen besseren Lebensstandard und ein leichteres Auskommen.

Abbildung Jelena Iwanowna Borsenko Witkowskaya 1928

Einige Jahre lang konnte mein Vater ein Dienstmädchen bezahlen und meiner Mutter die Arbeit erleichtern. Die Häuser damals waren nicht mit fließendem Wasser ausgestattet, dieses musste in eigens dafür bestimmten Eimern vom Pumpbrunnen am Ende der Straße geholt werden. Die dörfliche Art, Wasser zu holen, waren zwei an einem Joch befestigten Eimer. Doch die Städter waren sich zu gut, um ein Joch auf den Schultern zu tragen. Also gingen die Frauen ständig mit einem Eimer straßauf, straßab. Meine Großmutter hatte jedoch ihren eigenen Brunnen im Hof.

In der kalten Jahreszeit musste man außerdem den Ofen mit Holzscheiten und Kohlebruch heizen. Zunächst jedoch wollte das Holz gespalten und in handliche Stücke gehackt werden und die Anthrazitkohlebrocken ebenso. Als wir kein Dienstmädchen mehr hatten, übernahm Vater diese schwere Arbeit.

Die Bettwäsche wurde von einer Wäscherin abgeholt und sauber gewaschen und gebügelt zurückgebracht. Im Winter wurde das Essen auf dem Ofen gekocht, im Sommer hatten wir einen Petroleumkocher, einen „Primus“. Das Paraffinöl wurde einmal in der Woche auf der Straße von fliegenden Händlern verkauft. Alle Hausfrauen und Bediensteten standen dann Spalier, mit großen Flaschen oder Kanistern bewaffnet.

Da mein Vater ein gesuchter Spezialist auf seinem Gebiet war, ging es uns recht gut. Er hätte sogar eine Wohnung mit Zentralheizung und fließendem Wasser bekommen können, wenn er sich bei seinem Arbeitgeber mit Schmeicheln und Bitten dafür eingesetzt hätte. Doch das lag ihm vollkommen fern. Er liebte vor allem die Arbeit vor Ort, an der Baustelle, mit Strominstallation und Trafo. Längeres Verweilen im Büro setzte ihm schwer zu, er wollte sein, wo die eigentlichen Probleme zu lösen waren. Sein Element war die Einrichtung eines neuen Kraftwerks,

Wir zogen ständig um, dahin, wo ein neues Kraftwerk im Entstehen war. In den zehn Jahren meiner Schulkarriere war ich an sechs verschiedenen Schulen. In den langen Sommerferien schickte mein Vater nach wie vor Mutter und mich ans Meer, er selbst konnte sich selten frei machen.


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