Читать книгу Verzaubert! Ein Kunstwerk aus Zahlen - Isabella Defano - Страница 5

2. Kapitel

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Immer noch wütend, aber mehr auf sich selbst, ging Ariadne in ihr Büro zurück. Verdammt, ging es ihr durch den Kopf. Ich bin zu weit gegangen. Noch bevor sie ihre Worte ausgesprochen hatte, war ihr das klar gewesen. Doch sie wollte einfach nicht stumm dabei zusehen, wie Joel de Luca die Firma seines Vaters in den Ruin trieb. Sie verdankte Valenzo de Luca so viel. Ohne ihn würde sie wahrscheinlich heute hinter einer Kasse stehen und Kunden abkassieren.

Als sie mit nur 16 Jahren ihr Abitur gemacht hatte, stand ihre Zukunft eigentlich fest. Ihre Eltern, die nicht bereit gewesen waren, für ein Studium ihrer Tochter aufzukommen, wollten, dass diese sich einen Ausbildungsplatz suchte. Ariadne, die am liebsten mit Zahlen arbeiten wollte, hatte sich für eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau in der de-Luca-Designfabrik entschieden. Schnell hatte sie jedoch gemerkt, dass sie mit den Aufgaben völlig unterfordert war, und hatte ernsthaft darüber nachgedacht, ihre Ausbildung abzubrechen. Doch dann war ihr der Zufall zur Hilfe gekommen. In der Buchhaltung hatte es Probleme gegeben, doch der ehemalige Leiter konnte die Ursache nicht finden und war völlig verzweifelt gewesen. Ariadne hatte ihre Hilfe angeboten und bereits nach wenigen Stunden den Grund dafür gefunden. Es war nur ein simpler Zahlendreher gewesen, welcher jedoch ihr Leben nachhaltig verändert hatte. Denn durch diese Aktion wurde Valenzo de Luca auf seine junge Auszubildende aufmerksam. Er hatte erkannt, dass Ariadne ein sehr großes Potenzial besaß und auf dem Gebiet der Buchhaltung eine größere Bereicherung wäre. Nur kurze Zeit später hatte sie sich auf der FH Vorarlberg in Dornbirn wiedergefunden und konnte mit dem Bachelorstudium in Internationale Betriebswirtschaft beginnen. Gleichzeitig hatte sie stundenweise in der Buchhaltung der de-Luca-Designfabrik gearbeitet, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Fünf Jahre später, nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Masterstudiengangs in Accounting, Controlling & Finance, wurde sie fest als Buchhalterin eingestellt. Und als der Leiter der Buchhaltungsabteilung in den Ruhestand ging, löste Ariadne ihn mit nur 22 Jahren als neue Abteilungsleiterin ab.

Als Ariadne vor ihrem Büro ankam, kehrte sie in die Gegenwart zurück. Frustriert ging sie hinein und setzte sich an ihren Schreibtisch. Ich muss irgendetwas tun, dachte sie angespannt. Diese Fabrik war mehr als nur ein Arbeitsplatz für sie. Es war ihr Zuhause. Sie kannte alle Mitarbeiter seit vielen Jahren und liebte die familiäre Atmosphäre in dem Betrieb. Doch Joel de Luca machte alles kaputt. Nicht nur, dass er viel zu viel Geld ausgab, er war auch noch Schuld an den Streitigkeiten zwischen den Angestellten. Erst letzte Woche hatte Ariadne gesehen, wie sich die beiden Verkäuferinnen des Fabrikverkaufs in einen der Gänge lautstark um den Juniorchef stritten. Beide hatten Interesse an dem jungen Mann, der mit seinen schwarzen schulterlangen Haaren und dem goldenen Ohrring im linken Ohr sehr verwegen aussah. Gut, dafür konnte er im Grunde nichts. Doch wenn er sich im Umgang mit den Angestellten von Anfang an etwas zurückgehalten hätte, wäre es nie so weit gekommen. Vielleicht sollte ich Valenzo und Sophia in Italien anrufen, ging es ihr plötzlich durch den Kopf. Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, was ihr Sohn in der Firma treibt. Doch Ariadne verwarf die Idee sofort wieder. Sie konnte nicht zulassen, dass ihr Chef sich aufregte und dadurch eventuell einen weiteren Herzinfarkt bekam. Sie musste einfach selbst etwas tun, um die Firma zu schützen. Am besten sie sprach mit Juan. Dieser würde seinen Bruder schon zur Vernunft bringen.

Ein plötzliches Klopfen an der Tür riss Ariadne aus ihren Gedanken. Schnell legte sie einen Ordner vor sich auf den Tisch und öffnete ihn, damit es so aussah, als hätte sie konzentriert gearbeitet. Denn ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass seit ihrem Besuch bei Joel de Luca bereits eine halbe Stunde vergangen war. Und es sah ihr gar nicht ähnlich, sich so ablenken zu lassen.

Als es ein zweites Mal klopfte, sagte sie schnell „Herein“. Kurz darauf kam Juan de Luca in ihr Büro und sah sie fragend an.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte er verwundert wissen. „Du hast auf mein erstes Klopfen gar nicht reagiert.“

Ariadne setzte eine neutrale Miene auf, damit er ihre Anspannung nicht sah.

„Juan. Entschuldige, ich war gerade ziemlich in meiner Arbeit vertieft, da habe ich das Klopfen gar nicht gehört. Was kann ich für dich tun?“

„Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen“, sagte er ernst und setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl.

Er hatte keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln, denn im Grunde waren sie sich sehr ähnlich. Beide lebten praktisch für diese Fabrik. Kein Wunder, dass ihr dieser Bruder deutlich besser gefiel. Natürlich nur auf einer rein freundschaftlichen Ebene. Schließlich wusste Ariadne nur zu gut, dass er sich nicht für Frauen interessierte. Im Gegenteil, seit dem Tod seiner Frau vor einigen Jahren, hatte es in seinem Leben keine andere mehr gegeben.

„Was ist denn passiert?“, fragte Ariadne und sah Juan erwartungsvoll an.

So angespannt, wie Juan war, musste es etwas sehr Wichtiges sein. Plötzlich hatte Ariadne einen Verdacht und musste schlucken. Hat sich Joel etwa über mich beschwert?

„Ich habe gerade mit meinem Bruder gesprochen“, begann Juan zu erzählen.

Also doch, dachte Ariadne schuldbewusst, er hat sich wirklich über mich beschwert. Wahrscheinlich soll sein Bruder mir jetzt ins Gewissen reden, weil ich mich in seinem Büro so im Ton vergriffen habe.

„Juan, ich weiß, dass ich nicht so mit deinem Bruder hätte sprechen dürfen“, sagte sie schnell. „Es tut mir wirklich leid. Ich werde mich natürlich bei ihm entschuldigen. Und …“

Der plötzliche verwirrte Ausdruck in Juans Gesicht ließ Ariadne verstummen. Habe ich etwas Falsches gesagt?

„Juan, alles in Ordnung?“

Noch immer sah Juan Ariadne verwirrt an. So als wüsste er nicht, was sie mit ihren Worten gemeint hatte. Doch dann schien er sich an etwas zu erinnern und sein Gesicht wurde wieder ernst.

„Du meinst die Sache in seinem Büro. Joel hat mir davon erzählt. Aber aus diesem Grund bin ich nicht hier. Das müsst ihr schon unter euch klären. Mein Problem hat mit der Fabrik zu tun. Mir ist aufgefallen, dass wir in letzter Zeit deutlich weniger Gewinn machen.“

Nun war es Ariadne, die Juan verwirrt ansah.

„Ich verstehe nicht“, erwiderte sie. „Genau darum ging es doch in meinem Streit mit deinem Bruder. Seine Ausgaben sind in letzter Zeit immer höher geworden, sodass ich deutlich weniger Geld aus dem Vertrieb erhalte. Nach der ersten Abrechnung habe ich sogar mit Jan Neiger gesprochen, weil ich dachte, etwas würde mit seinen Zahlen nicht stimmen. Ich habe jedoch nichts gesagt, da die Abweichung nur geringfügig war und dein Bruder meinte, er brauche für die aktuelle Kollektion bessere Stoffe, die etwas preisintensiver seien. Doch in den letzten Wochen wurden die Ausgaben immer höher. Ich habe versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, aber ohne Erfolg.“

Juan sah sie an und dachte nach. Sie ist wirklich überzeugt, Joel wäre schuld an den aktuellen Problemen. Was er ihr auch nicht verübeln konnte. Trotzdem musste er gegen ein immer stärker werdendes Gefühl der Wut ankämpfen. Schon vor Wochen war Ariadne aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Leider ohne nachprüfen zu können, wo genau die Schwierigkeiten lagen. Aber wieso hat dieser Jan Neiger seiner Vorgesetzten nichts von den sinkenden Einnahmen erzählt? Er muss doch gesehen haben, dass die Verkäufe zurückgehen.

„Ariadne, Joel trifft keine Schuld“, nahm Juan seinen Bruder in Schutz. „Es stimmt, die Materialausgaben sind gestiegen, nachdem mein Bruder auf einen anderen Lieferanten umgestiegen ist, doch diese wurden mit mir und auch mit unseren Eltern abgesprochen. Wir müssen mit der Zeit gehen, um weiter hochwertige Kleidungsstücke anbieten zu können. Aus diesem Grund wurden neue Lieferanten ausgewählt, die eine deutlich bessere Qualität bieten. Ich weiß nicht, warum Joel es dir nicht einfach gesagt hat.“

Fassungslos sah Ariadne Juan an. Natürlich hatte er so etwas erwähnt, aber sie war nicht weiter darauf eingegangen. Jedoch hatte sie nicht gewusst, dass ihr Chef damit einverstanden war. Sie verstand auch nicht, warum. Durch die steigenden Ausgaben würde das Unternehmen bald in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Wieso hat Valenzo nicht mit mir gesprochen?

„Ich kann das einfach nicht glauben“, sagte Ariadne verwirrt. „Du hast doch die Zahlen gesehen. Die Fabrik wirft immer weniger Gewinn ab.“

Juan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Ariadne mit ernster Miene an.

„Ja, ich habe die Zahlen gesehen“, sagte er angespannt. „Jedenfalls die, bis zum Ende des letzten Monats. Sie sind wirklich erschütternd. Doch der Grund liegt nicht in den Materialausgaben, denn diese haben sich, seit Joel die Leitung übernommen hat, nur geringfügig verändert. Schuld an den sinkenden Zahlen sind die geringeren Verkäufe in der Fabrik. Auch die Zahlen im Vertrieb sind deutlich zurückgegangen. Ich kann noch nicht genau sagen, wie schwerwiegend unsere Probleme sind, dazu fehlen mir noch die Daten aus den Vertriebs- und Verkaufsfilialen meiner Cousins. Doch wenn sich meine Befürchtungen bestätigen, haben wir gerade ein ernsthaftes Problem.“

Wie erstarrt sah Ariadne Juan an.

„Ich … Ich hatte keine Ahnung“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Ich dachte …“

„Du konntest es nicht wissen“, sagte Juan ruhig. „Dich trifft keine Schuld. Du hattest keinen Zugang zu den Vertriebs- und Verkaufsdaten. Das war ein großer Fehler.“

Ariadne sah Juan an, dessen Gesicht wieder seinen typischen traurigen Ausdruck angenommen hatte. Tief atmete sie durch. Sie fühlte sich trotzdem schuldig. Sie hätte bei Jan weiter nachhaken müssen, als die Zahlen zurückgegangen waren. Stattdessen hatte sie Joel die Schuld gegeben und ihn immer wieder wegen seiner Ausgaben ermahnt. Kein Wunder, dass er mich nie wirklich ernst genommen hat, dachte sie angespannt. Und kein Wunder, dass er mich heute aus seinem Büro geworfen hat, nachdem ich so mit ihm gesprochen habe. Für ihn musste es ja so ausgesehen haben, als hätte ich ihn ohne Grund angegriffen. Ich muss mich wirklich bei ihm entschuldigen.

„Was machen wir jetzt?“, wandte sich Ariadne an Juan.

„Wir müssen alle Daten prüfen, um so ein genaues Bild über die aktuelle Situation zu bekommen. Ich möchte dich bitten, dir alle Zahlen genau anzuschauen. Ab sofort erhältst du wieder vollen Zugang zu all unseren Geschäftskonten und Büchern. Außerdem habe ich meine Cousins Alexander und Raphael gebeten, mir auch ihre Zahlen zu schicken. Bitte sieh dir diese ebenfalls an. Bis Freitag brauche ich eine genaue Auflistung der letzten Monate. Wir müssen wissen, wann die Probleme angefangen haben. Alle anderen Aufgaben, die gerade nicht warten können, gib bitte an deine Kollegen weiter.“

Ariadne nickte.

„Ich werde mich sofort an die Arbeit machen und mir von Jan die Bücher geben lassen. Im Moment gibt es nichts, was nicht eine Woche warten kann. Die nächste Gehaltsabrechnung ist fertig, ich muss die Daten nur noch zur Buchungsstelle schicken.“

Juan nickte und nach einem knappen „Danke“ verließ er das Büro.

Als es das nächste Mal an der Tür klopfte, war es bereits kurz nach fünf. Genervt über die Störung sah Ariadne von ihren Büchern hoch. Ich habe doch gesagt, ich will nicht gestört werden, dachte sie gereizt. Ihre aktuelle Aufgabe forderte ihre ganze Konzentration, denn leider waren Jans Bücher alles andere als ordentlich. Im Gegenteil, teilweise hatte Ariadne große Mühe, überhaupt seine Schrift zu lesen. Noch nie hatte sie verstanden, warum ihr Kollege die Buchführung unbedingt mit der Hand machen musste. Sie selbst besaß eine sehr gute Software, welche sie auch Jan angeboten hatte. Doch er gehörte, wie er selbst sagte, zur alten Schule. Er vertraute den Programmen nicht, sondern verließ sich lieber auf sein altes, für ihn bewährtes System. Leider hatte das jetzt zur Folge, dass Ariadne erst einmal alle Daten in ihren Computer eingeben musste, um sich einen besseren Überblick verschaffen zu können. Das kostete wertvolle Zeit, die sie eigentlich nicht hatte. Immerhin waren es bis Freitag nur noch vier Tage und sie musste sich auch noch die Daten der Verkaufs- und Vertriebsfilialen anschauen, die Alexander und Raphael ihr vor einer Stunde geschickt hatten.

Als es ein zweites Mal klopfte, stand Ariadne auf und ging zur Tür. Vorsorglich hatte sie diese abgeschlossen und sogar ein Schild aufgehängt, dass sie nicht gestört werden wollte. Wütend öffnete sie, um den Störenfried zur Rede zu stellen. Doch als sie sah, wer vor ihrem Büro stand, verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln.

„Nathan? Was machst du denn hier?“

Lächelnd ging Ariadne auf ihren Freund zu, der sie sofort in den Arm nahm und küsste. Erst vor drei Wochen hatten sie sich auf der Geburtstagsfeier ihrer besten Freundin Diana Grahl kennengelernt. Immer wieder betonte er, er habe sich gleich auf den ersten Blick in sie verliebt, und hatte heftig mit ihr geflirtet. Ariadne, die bisher keinerlei Erfahrung mit Männern besaß, gefiel diese ungewohnte Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal fühlte sie sich wie eine richtige Frau und nicht wie das junge Mädchen, welches sie während ihrer Studienzeit gewesen war. Denn mit 16 war sie deutlich jünger als ihre Mitstudenten gewesen, sodass sie nie zu irgendwelchen Partys eingeladen wurde. Und später hatte sie ihre ganze Energie in die Fabrik gesteckt.

„Hast du es vergessen“, fragte er kopfschüttelnd, nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte, und sah sie mit seinen grauen Augen tadelnd an. „Wir wollten heute zusammen essen gehen.“

Verwirrt sah Ariadne ihren Freund an, doch dann erinnerte sie sich wieder. Natürlich, sie hatten am Freitag darüber gesprochen. Nathan wollte über das Wochenende verreisen und hatte versprochen, sie dafür am Montag zum Essen auszuführen. Als Ariadne jedoch zu ihrem Schreibtisch sah, auf dem sich immer noch die Bücher stapelten, verging ihr das Lachen. Eigentlich wollte sie noch ein paar Stunden arbeiten, um wenigstens noch alle Daten in den Computer zu übertragen. Doch ihr war klar, dass ihr Freund es nicht gut aufnehmen würde, wenn sie ihn schon wieder versetzte. Erst am Freitag hatten sie sich gestritten, weil sie ihn nicht auf seine spontane Reise begleiten wollte. Seiner Meinung nach hätte sie sich ruhig den Montag freinehmen können, um Zeit mit ihm zu verbringen. Und da sie keinen neuen Streit riskieren wollte, beschloss sie für heute Feierabend zu machen. Sie würde dafür einfach morgen früher zur Arbeit kommen, um die letzten Zahlen einzugeben.

„Entschuldige, über die Arbeit habe ich glatt die Zeit vergessen. Ich hole nur noch meine Tasche, dann können wir los.“

Bemüht fröhlich, doch mit den Gedanken immer noch bei den aktuellen Problemen, ließ sich Ariadne nur eine Minute später aus dem Büro führen. Gemeinsam gingen sie zu Nathans Wagen, während ihr Auto auf dem Parkplatz stehen blieb, und fuhren in ihr griechisches Stammrestaurant. Schon seit Jahren war ihr Freund hier Stammkunde und auch sie mochte das griechische Essen inzwischen sehr gerne. Als sie beide bestellt hatten, wandte sich Ariadne ihrem Freund zu.

„Und, wie war dein Wochenende?“

Sofort verzogen sich Nathans Lippen zu einem Lächeln.

„Es war einfach traumhaft. Schatz, Mallorca ist wirklich eine Reise wert. Das nächste Mal musst du unbedingt mitkommen. Die Jungs und ich haben die ganze Zeit gefeiert, während die Frauen viel Zeit am Strand verbrachten.“

Ariadne musste lächeln. Natürlich wäre sie gerne mitgefahren, doch so kurzfristig wollte und konnte sie sich nicht freinehmen. Bei Nathan sah das anders aus. Da er bereits seit zwei Jahren freiberuflich als Fotograf arbeitete, war er nicht an irgendwelche Bürozeiten gebunden.

„Gerne“, erwiderte sie lachend. „Ich müsste es nur früher wissen, damit ich es mit der Arbeit koordinieren kann.“

„Schatz“, sagte er tadelnd, „so eine Reise macht man spontan. Sonst macht es doch gar keinen Spaß.“

Ernst sah Ariadne ihren Freund an. Die gleichen Worte hatte er am Freitag auch benutzt.

„Du weißt, dass das bei mir nicht funktioniert. Ich kann mir nicht von heute auf morgen freinehmen. Ich muss mich um die Finanzen der Firma kümmern und habe einen festen Tagesplan. Natürlich kann ich einige Punkte im Notfall verschieben, doch das geht nicht immer. Wenn ich mir heute freigenommen hätte, würden die Mitarbeiter ihr Gehalt erst später bekommen, da ich mich den Rest der Woche um ein anderes wichtiges Projekt kümmern muss.“

„Du darfst dich nicht so ausnutzen lassen“, sagte Nathan gereizt. „Wenn du es alleine nicht schaffst, muss dein Chef halt noch jemanden einstellen.“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich meine Arbeit nicht schaffe“, sagte Ariadne wütend und stand auf.

Inzwischen war ihr die Lust nach einem gemeinsamen Essen vergangen, denn zu sehr erinnerten sie diese Worte an ihren Kollegen Jan Neiger. Auch er war der Meinung gewesen, sie wäre mit ihren Aufgaben völlig überfordert. War heute sogar richtig ausfallend geworden, weil sie von ihm seine Bücher haben wollte. Jetzt auch noch von ihrem eigenen Freund zu hören, dass sie ihre Arbeit scheinbar nicht alleine schaffte, war einfach zu viel. Besonders bei dem Hintergrund, dass sie bereits am Freitag eine heftige Diskussion zu diesem Thema gehabt hatten. Ich hätte lieber in der Firma bleiben sollen, dachte sie gereizt. Alle Freude, die sie bei seinem Wiedersehen empfunden hatte, war wie weggewischt. Plötzlich wollte sie nur noch nach Hause und ihre Ruhe haben. Schnell griff sie nach ihrer Handtasche und verließ, ohne ein Wort zu sagen, das Restaurant.

Wütend über den Verlauf des Abends ging Ariadne zur nächsten Bushaltestelle. Sie würde jetzt nach Hause fahren und früh zu Bett gehen. Irgendetwas stimmte nicht mehr in ihrer Beziehung, das wurde ihr langsam klar. Sie waren einfach zu verschieden. Für Nathan war das Leben eine große Party. Wenn er ein Projekt nicht am gleichen Tag fertig bekam, dann halt am nächsten. Ariadne konnte das nicht. Wenn sie mit einer Arbeit begann, wollte sie diese so schnell wie möglich beenden. Und dafür nahm sie sogar Überstunden in Kauf.

Noch bevor Ariadne die Haltestelle erreichte, stand plötzlich Nathan hinter ihr und hielt sie am Arm fest.

„Sag mal spinnst du?“ Wütend drehte er sie um. „Du kannst doch nicht einfach abhauen. Ich musste jetzt fast zwanzig Euro für Essen ausgeben, welches wir nicht einmal gegessen haben.“

Ariadne riss sich los und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Sie hatte keine Lust auf eine erneute Konfrontation, sondern wollte nur noch nach Hause.

„Was hast du denn erwartet? Dass ich einfach still da sitze, während du behauptest, ich würde meine Arbeit nicht mehr schaffen? Nicht jeder hat das Glück, sich seine Arbeitszeit selbst einteilen zu können. Doch das lass ich mir von dir nicht zum Vorwurf machen. Du hast von Anfang an gewusst, dass meine Arbeit sehr zeitintensiv ist. Trotzdem benimmst du dich plötzlich seit ein paar Tagen wie ein bockiges Kind, nur weil ich keine Zeit für eine spontane Urlaubsreise hatte.“

„Entschuldige“, sagte er, in der Hoffnung, sie so wieder zu besänftigen. „So habe ich es doch nicht gemeint. Ich möchte einfach nur mehr Zeit mit dir verbringen. Wir kennen uns jetzt seit drei Wochen, haben aber kaum Zeit füreinander.“

Ariadne sah ihn an. Sie wusste nicht, was sie von dieser plötzlichen Stimmungsänderung halten sollte. Als er sie jedoch kurz darauf erst sanft berührte und dann zärtlich küsste, verschwand ihr Ärger und sie schmiegte sich an ihn.

„Komm, lass uns zu mir fahren. Dort können wir noch einmal in Ruhe reden.“

Verführerisch hatte er ihr diese Worte ins Ohr geflüstert, doch Ariadne schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht“, sagte sie bedauernd. „Ich muss morgen sehr früh ins Büro und muss ausgeschlafen sein. Daher wollte ich früh ins Bett gehen.“

„Du kannst auch bei mir schlafen“, meinte er lächelnd.

Ariadne schüttelte wieder mit dem Kopf, denn sie wusste, dass Nathan nicht vom Schlafen sprach.

„Das halte ich für keine gute Idee“, sagte sie entschieden. Sie war einfach noch nicht so weit.

Sofort verschwand das Lächeln aus Nathans Gesicht und er sah Ariadne ernst an.

„Komm schon, wo ist das Problem? Wir sind jetzt schon seit einer ganzen Weile zusammen. Da ist es doch ganz normal, dass man auch mal bei dem anderen übernachtet.“

„Nathan, bitte nicht heute“, sagte Ariadne frustriert. „Wir haben doch schon darüber gesprochen. So weit bin ich noch nicht. Lass mir noch etwas Zeit.“

Nathan gab sich geschlagen. Er wusste, dass er mit Druck gar nichts erreichen würde. Trotzdem hatte er vom Warten langsam die Nase voll. Seit drei Wochen versuchte er nun schon, sie in sein Bett zu locken, und langsam war seine Geduld am Ende. Wenn er gewusst hätte, wie prüde sie sich benehmen würde, hätte er sich eine andere ausgesucht. Doch jetzt wollte er nicht mehr zurück. Er hatte schon so viel Zeit in Ariadne investiert.

„In Ordnung. Dann lass uns aber wenigstens das Wochenende zusammen verbringen. Ich habe ein Gutschein für ein Wellnesshotel und würde dich gerne einladen.“

Eine ganze Weile sah Ariadne Nathan einfach nur an. Langsam fühlte sie sich von seinem Verhalten ziemlich unter Druck gesetzt. Natürlich war ihr immer klar gewesen, dass sie früher oder später miteinander schlafen würden, doch sie wollte den richtigen Zeitpunkt wählen. „Überleg es dir einfach“, hörte sie Nathan sagen, während sich ihre Gedanken überschlugen. Am Ende nickte sie. Ja, sie würde darüber nachdenken.

Zufrieden fuhr Nathan Ariadne nach Hause. Gut, sie hatte noch nicht Ja gesagt, aber seinen Vorschlag auch nicht zurückgewiesen. An diesem Wochenende würde es endlich passieren, da war er sich sicher. Danach würde er sich eine Frau suchen, die nicht den ganzen Tag auf der Arbeit verbrachte. Zum Glück war es für ihn noch nie ein Problem gewesen, schöne Frauen für sich zu gewinnen.

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