Читать книгу Die Große Mango - Jake Needham - Страница 6

Zwei

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Eddie hätte den Schnappschuss mit der Markierung um seinen Kopf am liebsten ganz einfach vergessen, sich eingeredet, dass dies alles gar keine Bedeutung hat. Es einfach als schlechten Scherz jemandes abgetan, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Das wäre ihm wirklich am liebsten gewesen, aber er konnte es nicht.

Unangenehme Dinge einfach auszusitzen, das wusste Eddie aus leidvoller Erfahrung, das funktionierte nur in den seltensten Fällen. Im Gegenteil, wann immer er es versucht hatte, kamen die Dinge mit doppelter Wucht zu ihm zurück und rissen ihn dann erst recht in den Dreck. Oh nein, Eddie hatte schon vor langer Zeit beschlossen, sich den Unannehmlichkeiten des Lebens beizeiten zu stellen, auf offener Straße, lange bevor sie in sein Haus kamen, ihm sein Bier wegsoffen und es sich auf seinem Sofa bequem machten.

Das Problem war aber diesmal, dass er nicht wusste, wo er anfangen sollte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wer ihm das Foto geschickt hatte und was es bei ihm bezwecken sollte.

Vielleicht war es eine Drohung, aber ihm fiel absolut niemand ein, der ein Interesse daran haben könnte, ihm zu drohen. Noch dazu auf eine so merkwürdige Art und Weise. Von seinen Mandanten war es bestimmt keiner, dafür was das Vorgehen viel zu subtil. Die Klientel, mit der er sich tagtäglich herum ärgern musste, würde ihm nachts mit einem Baseballschläger unterm Arm an irgendeiner dunklen Straßenecke auflauern, um ihre Probleme mit ihm zu diskutieren. Wenn das Foto aber keine Drohung war, was zum Teufel war es dann? Ein schlechter Scherz?

Eddie betrachtete noch einmal die Männer auf dem Bild, die Frauen auch. Soviel er auch nachdachte, er konnte sich an nichts erinnern. Dieser verdammte Krieg. Unter anderen Umständen hätte er jeden Eid geschworen, keine einzige Person auf dem Foto je gekannt zu haben. Aber da war er, mittendrin. Also musste er die Anderen gekannt, gesehen haben, mindestens dieses eine Mal in seinem Leben. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass es sich bei dem Foto um eine Fälschung handelte. Warum hätte sich jemand die Mühe machen sollen, eine so unverfängliche und bedeutungslose Szene zu fälschen? In welche Richtung er auch dachte, er kam immer wieder an denselben Punkt. Warum hatte ihm jemand das Bild geschickt?

Die einzige Idee, die Eddie nach einer Weile hatte, war, das Foto einigen ehemaligen Kameraden aus seiner Einheit zu zeigen, an die er sich noch erinnern konnte. Vielleicht hatte der eine oder andere ein besseres Gedächtnis als er selbst und konnte ihm auf die Sprünge helfen. Einer kam ihm tatsächlich in den Sinn und der war sogar ganz in der Nähe. Eddie stopfte das Foto in die Innentasche seines Jacketts und ging zur Tür.

Als er aus seinem Büro trat war Joshua am Telefon. Er unterbrach sein Gespräch, legte die Hand auf die Sprechmuschel und drehte sich zu Eddie.

„Heute ist wohl dein Familientag“ sagte er, als sich ihre Augen trafen.

Eddie holte gerade zu einer genervten Antwort aus, denn sein täglicher Bedarf an dummen Kommentaren war bereits mehr als gedeckt, als Joshua in Richtung Telefon nickte und hinzufügte:

„Es ist Kathleen.“

Eddie hatte der Institution der Ehe noch eine zweite Chance gegeben, gut drei Jahre nachdem Jennifer ihn verlassen hatte. Ihr Name war Kathleen Strong und sie war eine der Assistentinnen des Bezirksstaatsanwalts in Marin County. Ihren Mädchennamen hatte Kathleen auch während ihrer Ehe beibehalten. Mittlerweile vermochte Eddie kaum noch zu sagen, wann genau und wie lange sie verheiratet waren, es interessierte ihn auch nicht mehr. Gott sei Dank war ihre Beziehung kinderlos geblieben. Eddie erschrak innerlich immer ein wenig über sich selbst, wenn er sich mit solchen Gedanken ertappte. Aber womöglich hätte Kathleen dafür gesorgt, dass der gemeinsame Nachwuchs den reichlich dusseligen Nachnamen Strong-Dare bekommen hätte. Und damit wäre ein junger Mensch fürs Leben gestraft gewesen.

Eigentlich war Kathleen ganz in Ordnung, immerhin hatte er sie ja mal geheiratet. Nur leider war sie völlig instabil. Kathleen nannte das Spontanität. Eines Tages eröffnete sie Eddie, sie würde ihn verlassen und nach Alaska ziehen. Mit einem spontanen Bedürfnis, Elche oder die einmalige Natur Alaskas zu retten, hatte ihr Entschluss allerdings nichts zu tun. Der Auslöser war vielmehr ein Bundesrichter aus Fairbanks, von dem sie sich leidenschaftlich flachlegen ließ. Das wiederum hatte sie Eddie gegenüber vergessen zu erwähnen, als sie auszog. Als er es schließlich herausfand, beschloss Eddie, dass ein solches Maß an Spontanität zu viel für seine Ehe war.

Eddie hatte ja schon eine gewisse Routine im plötzlichen Singledasein und so nahm er die Angelegenheit dementsprechend gelassen hin. Zu seiner Überraschung stellte er kaum irgendwelche Veränderungen in seinem Leben fest. Als er dann noch durch Zufall die wahren Gründe für Kathleens Abgang erfuhr sagte er sich, dass jemand, der seine Ehe hinschmiss um mit einem Bundesrichter aus Fairbanks zu schlafen vermutlich schon genug Probleme am Hals hatte. So machte er auch kein Theater, als die Scheidungspapiere kamen. Kathleen fand das wirklich – ganz nett.

„Sie ruft aus Alaska an?“

„Nein, aus Tiburon. Ich denke mal der Richter ist Vergangenheit und nun ist sie wieder hier.“

„Oh, Jesus.“ Eddie dachte kurz nach. „Du hast doch nicht…“

„Nein, ich habe ihr gesagt du seist nicht da.“

Eddie zog anerkennend seine Augenbrauen hoch, verbeugte sich in einer übertriebenen Geste vor Joshua und wandte sich zum Gehen. Dieses verdammte Foto brannte ihm ein Loch ins Jackett. Kathleen würde sich hinten anstellen müssen, wenn sie ihm den Tag versauen wollte.

Zügig durchquerte Eddie die paar Blocks von Grant Avenue bis zur Transamerica Pyramid zu Fuß, kürzte dann durch die Plaza ab und bog nördlich in die Columbus Avenue ein. Von dort aus lief er weiter in Richtung San Francisco Bay. Vielleicht hatte er ja Glück und die Angelegenheit war schnell erledigt. Es gab da jemand, der seinem Gedächtnis mit Sicherheit auf die Sprünge helfen konnte.

Heluska Jones war ein grenzenlos gutmütiger großer Bursche gewesen, der sich zu allem freiwillig meldete, was sonst keiner in seiner Einheit hatte erledigen wollen. Eben der gute Junge von nebenan, den es in fast jeder Einheit beim Militär gab. Zunächst nannten ihn alle Lusk. Er behauptete, einhundert Prozent Apache zu sein und dass sein Name Großer Krieger bedeutete. Aber eines Nachts, als sie alle wieder einmal reichlich zugekifft waren, gab er zu, dass er in Wirklichkeit vom Stamme der Winnebagos war und sein Name in etwa mit Kleine Götterfee übersetzt werden konnte.

In dieser Nacht wurde Lusk zu Winnebago Jones. Für den Rest seines Lebens. Und dabei hatte er noch mächtig Glück, denn einige versuchten es eine Weile mit Kleine Götterfee Jones, sahen dann aber seinen Blick und befürchteten, dass ein wütender Indianer vielleicht noch gefährlicher werden könnte als der Vietcong. So blieb es bei Winnebago Jones und das hatte ja auch etwas sehr melodisches.

1975 kehrten Winnebago und Eddie gemeinsam aus Vietnam zurück nach Camp Pendleton und wurden wenige Tage später ins Zivilleben entlassen. Eddie machte sich auf den Weg entlang der Küste nach San Francisco um zu studieren. Winnebago wusste eigentlich nur, wohin er nicht wollte, nämlich zurück in sein Reservat in Arizona. Also schloss er sich Eddie an. Diese Entscheidung erwies sich als Glücksgriff, denn Winnebago entdeckte die Hippie Szene entlang der Columbus Avenue für sich und fühlte sich schnell zu Hause.

Ein Hippie-Indianer namens Winnebago erfüllte Mitte der 70er Jahre praktisch alle gängigen Klischees in San Francisco, daher fand er schnell Arbeit in einem kleinen Buchladen und schrieb Sachen von denen er behauptete, es wären Poesie. Die Jahre vergingen und die Columbus Avenue verwandelte sich unaufhaltsam aus einer Heimat für alternde Hippies in eine Touristenattraktion. Winnebago erkannte die Zeichen der Zeit und verwandelte sich ebenfalls in eine Touristenattraktion. Sogar noch heute, nach mehr als zwanzig Jahren, konnte man ihn in demselben kleinen Buchladen auf der Columbus Avenue finden und er trug auch immer noch dieselben alten Klamotten, die ihn zum Hippie-Indianer in San Francisco machten.

Als Eddie die Tür zum Buchladen öffnete, löste er ein Glöckchen aus und Winnebago blickte von einem Buch auf, das vor ihm auf der Registrierkasse lag. Heute trug er sein mit Glasperlen besticktes T-Shirt, das er auf einem Flohmarkt in San Jose gekauft hatte, weil es ihn irgendwie an das Hemd erinnerte, das Tonto in den Lone Ranger Filmen getragen hatte. Seine schulterlangen schwarzen Haare wurden von einem breiten rot-weißen Stirnband zusammen gehalten, auf dem FULL-BLOODED AMERICAN INDIAN stand.

Eddie hatte einmal versucht Winnebago zu erklären, dass die Bezeichnung Indianer eigentlich nicht mehr gebräuchlich, ja, sogar abschätzig gemeint wäre. Die Gesellschaft hätte daraus in der Zwischenzeit politisch korrekte amerikanische Ureinwohner gemacht. Schließlich hätte das ja auch etwas mit der Würde seines Volkes zu tun, erklärte Eddie weiter, aber Winnebago wollte von alldem nichts wissen. Er entgegnete nur, für San Francisco sei sein Maß an Würde vollkommen ausreichend. Schließlich wäre er schon immer Indianer gewesen und hätte vor, das auch in Zukunft zu bleiben. Eddie genügte das als Erklärung und er betrachtete das Thema als erledigt.

„Hey, Eddie, alter Freund!“ Winnebago klappte sein Buch zu und schob seinen Hocker zurück. „Wie lang ist das denn jetzt her?“

„Zwei Wochen, Winnebago. Ich war vorletzten Donnerstag hier.“

Winnebago schien ernsthaft bestürzt über Eddies Antwort. „Tatsächlich?“ Er griff nach der Packung Camel ohne Filter, die immer in seiner Nähe war.

„Vor zwei Wochen waren wir zusammen Essen, da drüben in der Pizzeria am North Beach.“ Eddie wies mit dem Daumen über die Schulter.

Winnebago verzog sein Gesicht, schüttelte eine Zigarette aus der Packung und versuchte offenbar dabei, sich zu erinnern. Dann gab er auf, steckte sich die Zigarette mit einem Streichholz an und nahm einen langen Zug.

„Wenn du das sagst, Eddie. Wo gibt’s denn so was? Das habe ich total vergessen.“

„Du wirst wohl alt, Winnebago.“ Eddie fragte sich, ob Winnebago wohl der richtige Ansprechpartner war für Dinge, die über zwanzig Jahre zurück lagen. Aber er hatte nichts zu verlieren. Also holte er einfach das Foto heraus und legte es vor seinen Kamerad auf den Tresen. Der nahm einen weiteren Zug an der Zigarette und rutschte auf seinem Hocker nach vorn, um einen besseren Blick auf das Foto zu haben.

„Hey, alter Junge, das bist ja Du. Verdammt, so jung!“ Winnebago nahm das Bild in die Hand und betrachtete es. „Warum hast Du einen Kreis um Deinen Kopf?“

„Weiß ich nicht. Es kam so.“

„Eddie mit Kreis?“

Winnebago hatte keinen guten Tag.

„Das Foto. Das Bild kam so.“

„Das Bild kam wie?“

Eddie begann zu erzählen.

Nachdem Winnebago sich die ganze Geschichte angehört hatte, schüttelte er langsam den Kopf.

„Das ist seltsam, mein Freund, ziemlich seltsam. Ich an deiner Stelle würde mir Sorgen machen.“

„Erkennst du jemand auf dem Bild?“

„Ich erkenne dich, Eddie.“

Bei Winnebago gab es solche Tage. Ab und zu schienen all die Substanzen, die er in seinem langen Hippieleben geraucht, geschnupft oder sonst irgendwie zu sich genommen hatte, eine Art Jahreshauptversammlung in seinem Kopf zu haben. Das war heute eindeutig der Fall. Es gab aber auch ganz andere Geisteszustände bei Winnebago, dann war er so eindringlich und messerscharf analytisch, dass er den meisten Menschen damit Angst machen konnte. Wenn die Sterne günstig standen, konnte Winnebago wie ein alttestamentarischer Prophet sein, der durch irgendein bizarres Missgeschick der Reinkarnation als Hippie in einem Buchladen in San Francisco gelandet war. Heute nicht.

„Noch jemanden. Erkennst Du außer mir noch jemand auf dem Bild.“

Winnebago sah sich den Schnappschuss noch genauer an, er drehte das Foto ins Licht um die einzelnen Gesichter besser erkennen zu können. Der Rauch seiner Zigarette kräuselte sich um seinen Kopf wie ein Kranz. So, wie er jetzt da saß, erinnerte er Eddie an ein Renaissancegemälde, an eines, das durch Vandalismus schwer in Mitleidenschaft gezogen war.

„War der Typ da hinter dir nicht auch in unserer Einheit?“ Winnebago legte das Bild zurück auf den Tresen und drehte es zu Eddie um.

„Kann sein, ich kann mich wirklich kaum noch an irgendetwas aus dieser Zeit erinnern. Außerdem ist sein Gesicht nur schlecht zu erkennen.“

„Da ist was mit seinen Ohren. Die kommen mir irgendwie bekannt vor.“

„Du kannst dich nicht daran erinnern, dass wie vor zwei Wochen zusammen Pizza essen waren, aber du erkennst die Ohren eines Typen, den du seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hast.“

„Mann, Eddie. Im Gegensatz zu dir kann ich mich an jede verdammte Minute von vor zwanzig Jahren erinnern. Ist bei dir echt alles weg?“

„Vieles. Es war eine beschissene Zeit und ich wollte so vieles wie möglich davon vergessen. Ist mir offenbar ganz gut gelungen“ grinste Eddie etwas verlegen.

Die beiden standen eine Zeitlang schweigend beieinander, jeder versunken in seinen Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit. Das stumme Relikt, das da vor ihnen lag, holte eben diese Vergangenheit zurück in ihr Jetzt und Heute. Schließlich nahm Winnebago einen letzten Zug aus seiner Zigarette und drückte sie in einem übervollen Aschenbecher aus, der neben ihm auf dem Tresen stand.

„Hast du irgendeine Idee, Eddie, wer hat dir das geschickt haben könnte?“

„Keine Ahnung, nicht die geringste. Deshalb bin ich hier. Ich hatte gehofft, dass du mir weiter helfen könntest.“

Winnebago nickte einige Male, blickte zu Eddie auf und sah ihn eindringlich an:

„Jetzt pass mal auf, Eddie“ Winnebago tippte mit dem Finger auf das Foto. „Diese Aufnahme hier, die ist von mir, ich habe sie gemacht“ sagte er, „und ich habe ein Scheißgefühl bei der ganzen Sache.“

„Du?“ fragte Eddie verblüfft und brauchte einen Moment um diese Information zu verdauen. „Du hast dieses Foto gemacht? Und warum genau hast du ein Scheißgefühl?“

„Niemand macht sich die Mühe, dir ein Foto zu schicken, wenn er nichts von dir will. Und wenn es harmlos wäre, würde dich dieser Jemand anrufen und sagen ‚Hey Eddie, wie geht’s? Du kannst dich vielleicht nicht mehr an mich erinnern, aber ich habe noch ein kleines Hühnchen mit dir zu rupfen‘. Oder?“ Winnebago lehnte sich zurück. „Das hat dieser Jemand aber nicht getan. Stattdessen zirkelt er einen roten Kreis um deinen Kopf, gerade so, als wollte er ihn abhacken, und schickt dir dieses Scheißbild. Also, ich habe ein Scheißgefühl dabei.“

„Wenn Du es sagst.“ Eddie stellte fest, dass Winnebagos Hirn langsam wieder in Fahrt kam, denn seine Analyse des Unbekannten machte Sinn.

„Ja, Mann, genau das sage ich dir.“

„Was ist mit den Mädchen, Winnebago? Kannst du dich noch an irgendeines von ihnen erinnern?“

„Nein, das ist mir jetzt zwar peinlich aber ich muss zugeben, dass diese kleinen Asienhühner für mich irgendwie alle gleich aussahen. Ich war ja auch gar nicht so oft mit euch in Thailand.“ Winnebago tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto und fügte hinzu „Das ist vor diesem Laden in Bangkok, wo wir immer während unserer „Rest & Recreation“-Aufenthalte waren.

Eddie nahm das Bild wieder an sich und fragte „Woher weißt du das denn jetzt auf einmal?“

„Ganz eindeutig, das sind Thai-Mädchen, Mann. Das kann nirgendwo sonst aufgenommen worden sein als in Bangkok.“

„Und ich dachte die ganze Zeit, das wären Vietnamesinnen.“

„Hey, Eddie, wie kannst du denn sowas vergessen?“ Winnebago klang plötzlich ernsthaft überrascht. „Wenn wir ‚R&R‘ in Bangkok hatten, sind wir direkt vom Flughafen in die Patpong gefahren. Ohne vorher ins Hotel einzuchecken. Erinnerst du dich? Ohne Umwege in die Kneipe! Am nächsten Tag sind wir dann halb nackt auf irgendeinem Fußboden wach geworden, bei irgendeinem Mädchen im Zimmer.“ Er schüttelte wieder den Kopf und sagte „Klar waren das alles kleine Nutten, aber sie waren auch verdammt nett zu uns. Damals haben die mich mehr als einmal vor dem Wahnsinn gerettet. Glaub‘ mir, Eddie, das sind Thai-Mädchen, da kannst du deinen Arsch drauf verwetten.“

Langsam aber sicher öffneten sich längst vergessene Schubladen der Erinnerung in Eddies Hirn und die alten Bilder kamen zurück. Erst verschwommen, dann immer klarer.

„Vielleicht hast du wirklich Recht, das alles hatte ich längst verdrängt und vergessen. Dieser verdammte Krieg. Als wir nach Hause kamen, wollte ich nichts, aber auch gar nichts mehr damit zu tun haben. “

„So ist das eben“, lächelte Winnebago, „Du lebst in der Gegenwart, ich von der Vergangenheit. Fragt sich nur, wer von uns beiden besser dran ist.“

Das Türglöckchen läutete und eine sehr dicke Frau betrat das Geschäft in Begleitung eines sehr dünnen Mannes. Beide trugen identische blaue Trainingsanzüge aus Fallschirmspringerseide mit weißen Leuchtstreifen an der Seite. In einen Buchladen passten die beiden ungefähr so gut wie Dean Martin in eine Milchbar. Winnebago kam hinter seinem Tresen hervor und ging auf sie zu.

„Willkommen, willkommen! Schaut euch nur um, Leute. Hier hat sich nichts verändert seit Allen Ginsberg und ich den Laden in 1965 eröffnet haben. Er deutete auf die klapprige Holztreppe. „Jede einzelne dieser Stufen hat er handsigniert!“

Das seltsame Paar nickte Winnebago schüchtern zu und verschwand tatsächlich über die Treppe in das obere Stockwerk.

Winnebago ging zurück hinter seinen Tresen und Eddie sah ihn lange und eindringlich an.

„Das Geschäftsleben an einem Ort wie diesem erfordert eben hier und da mal ein paar kleinere Korrekturen der Wahrheit“ murmelte Winnebago und vermied es dabei, Eddie in die Augen zu sehen.

Eddie nahm das Bild vom Tresen auf und stopfte es wieder in sein Jackett. Er wusste jetzt mehr als vorher, aber wirklich viel war es immer noch nicht. All das, woran Winnebago sich erinnert hatte, brachte ihn nicht weiter.

„Okay, Winnebago, ich muss los. Danke und bis bald. Ich melde mich.“

Als Eddie den Laden verließ, hörte er die dicke Frau und den dünnen Mann die Treppe wieder herunter kommen.

„Wer zum Teufel ist Allen Ginsberg?“ fragte sie ihren Mann, aber der antwortete nicht.


Die Große Mango

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