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Zweites Kapitel

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Hausscherze – Besuchfahren – der Zeitungartikel – verliebte Zänkerei samt einigen Injurien – antipathetische Dinte an der Wand – Freundschaft der Satiriker – Regierung der Reichsstadt Kuhschnappel

Manches Leben ist eben so angenehm zu schreiben als zu führen; besonders verbreitet der Stoff des gegenwärtigen, gleich dem gedrechselten Rosenholz, den anmutigsten Geruch noch auf meiner Drechselbank. Siebenkäs stand zwar am Mittwoch auf, aber erst am Sonntag wollt' er seiner emsigen Huldin, die heute ihren Haubenstock noch früher als sich unter die Haube brachte, die Silberstangen der Vormundschaftkassa, in Löschpapier eingerollt, als Sturmpfähle des Lebens in die Hände geben; zumal da er nicht anders konnte, indem der Vormund bis Sonnabends außer Landes, d.h. aus der Stadt gefahren war. »Ich kann dir gar nicht sagen, alter Leibgeber«, sagte Siebenkäs, »wie ich den Jubel meiner Frau darüber schon voraus durchschmecke. Wahrlich ihr zu Gefallen möcht' ich ordentlich dreißigtausend Taler haben. Die Gute lebte bisher nur von Haube zu Haube; aber wie wird sie sich am Sonntage auf einmal als eine gemachte Frau begrüßen, wenn sie hundert Haushalt-Entwürfe ausfahren kann, die sie (merk' ich recht gut) schon im Kopfe herum trägt. – Und dann mit dem Silber, Alter, soll gleich nach der Vesperpredigt meine Silber-Hochzeit angehen – für eine guten halben Gulden Bier soll in allen Stuben verteilet werden. – Höre! warum soll die Taube oder der Spatz meines Hymens nicht so viel Bier auf die Leute spritzen, als der zweiköpfige Adler in Frankfurt Wein bei der Krönung ausspeiet?« Leibgeber versetzte: »Darum nicht, weil seine Fänge eine ganz andere Kelter sind und der saure Wein, eigentlich die Beerhülsen, nur das Gewölle, das kein Adler behalten mag.«

Es würde mir nichts helfen – weil doch hundert Kuhschnappler im Reichs-Anzeiger mich berichtigen würden –, wenn ich hier lügen (wie ichs wohl wünschte) und berichten wollte, die beiden Advokaten hätten die kurze Woche ihres Beisammenseins mit jenem Anstand und Ernste verbracht, welcher, so wie dem Menschen überhaupt so anständig, noch besonders ihm als Gelehrten die Achtung der gemeinsten Seelen zusichert, geschweige kuhschnappelischer.

Leider muß ich aus einem andern Tone singen. Leibgeber zeigte im Marktflecken Kuhschnappel so wie in allen Reichs- und Landstädten nichts weniger als wahren Ernst. Auch im Flecken war es sein erstes, sich in den Klub einzuführen als fremder Künstler, um sich in einen Kanapee-Winkel zu legen und ohne geringsten Wort- und Silbenwechsel öffentlich vor der Erholung (so hieß der Klub) einzuschlafen. So halt' ers, sagt' er, gern in allen Städten, die mit Klubs, Kasinen, Harmonien, Museen versehen wären; denn nachts ordentlich vernünftig zu schlafen in der menschenleeren Bettstelle sei wenigstens er selten imstande, bei den lauten Gedankenschlägereien in seinem Kopfe und bei den entzündeten Pulverschlangen von Bilderprozessionen, die mit einem Toben durcheinander schössen, daß man sein eigenes Ich kaum höre und sehe. Sitz' er hingegen in einem Klubkanapee zurückgelehnt: so falle alles weg und Waffenstillstand der Gedanken stelle sich ein; das herrliche Durcheinandersprechen der Gesellschaft, das politische und andere Sprech-Pickenick trefflicher, recht zu ihrer Zeit gesprochenen Wörter, von denen er bald nur eine ultima, bald nur eine antepenultima vernehme, dies läute schon einigen Schlummer ein. Geh' es aber noch gründlicher zu, werde mit wahrer Strenge ein Satz durchgefochten und von allen Seiten aufs schärfste untersucht durch einen Schrei-Kehraus: so entschlaf' er so fest wie eine Blume, die der Sturm bewegt und nicht erweckt; und sein Quecksilber sei völlig fixiert.

Ein paar Städte, die ich kenne, müssen sich gewiß noch eines Mannes, der als Fremder immer in ihren Erholungen und Harmonien geschlafen, erinnern und noch an die heiter umblickenden Augen denken, womit er stets vom Kanapee aufstand und den Hut nahm, als wollt' er sagen: habt Dank für meine Auffrischung!

Indes Leibgebern seh' ich in Kuhschnappel jedes Schlafen und Wachen nach, da er bald wieder in alle Welt geht; aber es kann mir nie gleichgültig sein, daß mein eigner Held, der sich da mit der Frau grade ansetzt und dessen Streiche ich darauf samt den andern Streichen, die er dafür empfängt, zu malen bekomme, sich geradeso aufführt, als heiß' er Leibgeber, was doch der Fall längst nicht mehr ist, da er schon seinem Vormunde angezeigt, daß er seinen Namen gegen den Siebenkäs umgetauscht. War es z.B. – um nur eins zu rügen – nicht auf wahre Possenspiele angelegt, daß, als die Kurrende (die arme Schülerschaft der Alumnen) vor den besten geistlichen Häusern ihnen gegenüber den herkömmlichen Bettel- und Gassengesang anstimmen und durchfugieren wollte, erstlich Leibgeber seinen Saufinder (ohne einen großen Hund konnt' er nicht leben) in einer geschmackvollen Kindbetterin-Haube aus dem Fenster schauen ließ? Und war es zweitens etwas Gesetzteres, daß Siebenkäs im Angesichte der Singschule hastig in Zitronen einbiß und dadurch die Speicheldrüsen der ganzen Schule aufschloß? Der Erfolg lehrte es genug: die Sänger konnten die Lippen vor dem gehaubten Saufinder so wenig zu ordentlichem Singen zusammenziehen, als einer, der lachen will, zu pfeifen vermag. Und wurden nicht nur durch die aufgesperrten Drüsen alle Singwerkzeuge unter Wasser gesetzt, und jeder Ton mußte mühsam genug durch Speichel waten? – Ja war diese ganze, ordentlich lächerliche Störung sämtlicher Straßensänger nicht eben die Absicht beider Advokaten? –

Freilich kommt Siebenkäs fast noch halb voll akademischer Freiheiten zurück und nimmt sich daher etwa einige heraus. Auch seh' ich die kleine Überfülle der akademischen Jugend für den Fettkörper an, welchen nach Réaumur, Bonnet und Cuvier die Raupe während ihrer Verpuppung zur Nahrung des Schmetterlings verbraucht; von der Freiheit des Jünglings muß die des Mannes zehren; und ein gebogner Musensohn kann nichts anders werden als ein kriechender Beamter auf vieren.

Indes verbrachten die beiden Freunde die nächsten Tage nicht ganz außer der Ordnung bloß mit Schreiben von Besuchkarten. Mit diesen, worauf natürlich nichts stand als: »Es empfiehlt sich und seine Frau, eine geborne Egelkraut, der Armenadvokat Firmian Stanislaus Siebenkäs« – mit den Papieren und mit der Frau wollten beide am Sonnabend in der Reichsstadt herumfahren, und Leibgeber sollte vor jedem Gebäude von Stand herausspringen und den Denkzettel hinauftragen. Eine nicht unvernünftige Sitte solcher Städte, die zu leben wissen! – Aber die Gebrüder Siebenkäs und Leibgeber gingen doch nach allem Anschein in den reichsstädtischen und reichsdorfschaftlichen Fußstapfen der vernünftigsten Gebräuche mehr nur aus satirischer Bosheit einher und machten schöne bürgerliche Sitten zwar richtig nach, aber sehr zum Spaße; jeder war zugleich sein eigner spielender Kasperl und seine Frontloge. – Es wäre beleidigend, vom Marktflecken Kuhschnappel zu glauben, daß er in Siebenkäsens Diensteifrigkeit, in allen Prozessionen dieses kleinen Staats in Kirchen hinein und hinaus und auf den Römer und auf die Schützenwiese mitzuschreiten, das Vergnügen ganz übersehen hätte, womit er durch seinen unausgesuchten Anzug und narrenhaften Aufschritt eine denkende und ausstaffierte Wesenkette mehr zu entstellen und zu verhunzen als wirklich zu verzieren dachte, und selber den wahren Eifer, womit er zu einem Ehren- und Schießmitglied in die kuhschnappelsche Schützengesellschaft eingeschrieben zu werden gestrebt, wollte man weniger seiner Abkunft von einem Jäger als seiner Spaßsucht zuschreiben. – Was Leibgeber in solchen Sachen anlangt, so ist er ohnehin des Teufels lebendig, weil er reisefertig und jünger ist.

Am Sonnabend fuhren beide denn im Marktflecken vor – war irgendwo etwas vom Grandat des Fleckens wohnhaft, da hielt man still, gab den Passagierzettel ab, fuhr weiter und verstieß gegen nichts. Viele Herren und Damen schossen zwar Böcke und vermengten den Zettelträger mit dem unten sitzenden jungen Ehemann; – aber der Zettelträger verblieb ernsthaft und wußte, der Spaß habe seine Zeit. Die zuweilen radierten Blätter wurden nach dem Adreßkalender abgereicht, erst an die regierenden Geschlechter, sowohl im Hohen als Kleinen Rate – an die 70 Herren des Großen und an die 13 des Kleinen Rats – folglich bekam (denn daraus besteht der Kleine) der Schultheiß, der Seckelmeister (d. h. Finanzpräsident), die 2 Venner (d.h. Finanzräte), der Heimlicher (sozusagen der Volktribun) und die restierenden 8 Ratherren jeder sein Blatt – bis der Wagen herabfuhr und die kleinern Staatbedienten in den verschiedenen Kammern und Kommissionen mit ihren Karten versorgte, als da sind die Holz-, die Jäger-, die Reformationkammer, welche letzte dem Luxus begegnet, und die Fleischtaxe-Kommission, die ein einziger Metzgermeister, aber ein guter alter Mann, verwaltet. – –

Ich muß besorgen, ich habe mir selber ein oder ein Paar Beine untergestellt, da ich der gelehrten und statistischen Welt von der reichsstädtischen Verfassung des Reichsmarktfleckens Kuhschnappel, der eigentlich eine kleine Reichsstadt ist und eine große war, nichts vormappieret habe, keinen Conspectus, keinen Grundriß, gar nichts. Gleichwohl kann ich hier mitten im Schusse des Kapitels unmöglich einhalten, sondern ich muß warten, bis wir alle unten am Ende stehen, wo ich die statistische Krambude bequemer aufschlage. –

– Das Rad der Fortuna fing bald an zu knarren und Kot auszuspritzen; denn als Leibgeber den Achtels-Aushängebogen von Siebenkäsens Ehestand ins Haus des Heimlichers v. Blaise, des Vormunds, trug, empfing eine lange, hagere, in Kattun-Wimpeln eingewindelte Störstange von Frau, die Heimlicherin, ihn zwar mit Wärme, aber mit derjenigen, womit man gewöhnlich Menschen prügelt, und welche auch die bedenklichen Worte aussprach: »Mein Mann ist Heimlicher in der Stadt, und er ist auch ganz und gar nicht zu Hause. – Bei ihm ist nichts zu siebenkäsen, er ist der Tutor und dabei der Vormund von den allernobelsten Patriziern. – Man kann sich sogleich wieder fortscheren; denn bei ihm kommt man an den unrechten Mann.« – »Letztes sollt' ich selber glauben«, versetzte Leibgeber.

Der Mündel Siebenkäs suchte jetzo seinen Brief- oder Blattträger etwas mit der Frau durch die Bemerkung auszusöhnen, daß sie wie alle gute Hunde den Fremden erst anbelle, eh' sie ihm apportiere; und als der ängstlichere Freund ihn befragte: er werde doch allen giftigen Exzeptionen, die der Vormund aus dem Umtausche des Namens gegen die Auszahlung seiner Gelder saugen könnte, juristisch vorgebogen haben, so gab er ihm den Trost, er habe schon, eh' er sich als Siebenkäs niedergelassen, sich die Meinung und den Beifall seines Vormunds schriftlich geben lassen; und zu Hause soll' ers sehen.

– Aber zu Hause war der Brief von Blaise nirgends zu finden – in keinem Koffer – in keinen akademischen Heften – nicht einmal unter den leeren Papieren – er blieb weg. »Bin ich doch ein Narr!« sagte der Mündel, »brauch' ich ihn denn?« –

»Komm lieber (sagte plötzlich in einem tiefern Tone sein Freund, der bisher die Sonnabendzeitungen überblättert hatte, und steckte sie ein) und mach' einen Sprung ins Feld.« – Draußen gab er ihm verlegen das Intelligenzblatt von Schaffhausen – den Schwäbischen Merkur – die Stuttgarter Zeitung – und den Erlanger und sagte: »Da sieh deinen tutelarischen Halunken!« –

In allen diesen Blättern standen die Parallelstellen:

»Nachdem Hoseas Heinrich Leibgeber, jetzo in seinem 29. Jahre stehend, anno 1774 sich auf die Akademie Leipzig begeben, seit diesem Zeitraum aber nicht das geringste von sich hören lassen: also wird auf Ansuchen seines Vetters, des Hrn. Heimlichers v. Blaise, ihm das unter seiner vormundschaftlichen Verwaltung stehende Vermögen, bestehend in 1200fl. rhnl., da die Verschollzeit verloffen, auszuantworten und zu übergeben, besagter Hoseas Heinrich Leibgeber dergestalt edictaliter zitiert und vorgeladen, daß er oder seine rechtmäßigen Leibeserben von dato in 6 Monaten, wovon 2 Monat für den ersten, 2 Monat für den zweiten und 2 Monat für den letzten peremtorischen Termin anberaumet worden, sich bei hiesiger Erbschaftskammer zu melden, hinlänglich zu legitimieren und das Vermögen in Empfang zu nehmen oder widrigenfalls zu gewärtigen habe, daß solches in Gemäßheit des Ratsdekrets vom 24. Jul. de anno 1699, das jeden 10 Jahre Abwesenden pro mortuo erkläret, dessen erwähntem Vetter und Vormunde Hrn. von Blaise verabfolget und zugeteilet werde. Kuhschnappel in Schwaben, den 20. August 1785 –

Erbschaftskammer der unmittelbaren

Reichsstadt Kuhschnappel.«

Ich brauche dem juristischen Leser nicht zu sagen, daß das Ratsdekret nicht mit dem Gerichtgebrauch von Böhmen, allwo 31 Jahre zur Verschollzeit nötig sind, sondern mit dem vorigen in Frankreich harmoniere, wo 10 Jahre hinreichten. – Und als der Advokat die letzte Zeile hinaus hatte und sie unbeweglich anstarrte: so nahm sein Seelenbruder freundschaftlich-zitternd seine Hand und sagte: »Du Lieber, ach, daran bin ich schuld durchs Namentauschen.« – »Du? o du? – Bloß der Teufel. – Aber der Brief muß sich finden«, sagte er; und sie wiederholten beide die Haussuchung aller Brief-Behausungen. – Nach einer Stunde stöberte Leibgeber ein mit dem zerbröckelten Siegel des Vormunds überpichtes Schreiben aus, dessen grobes Papier und breiter bescheid-mäßiger Bruch ohne Umschlag verriet, daß es keine Frau, kein Hof- und kein Kaufmann, sondern ein Kiel von einem ganz andern Feder-Vieh überschrieben habe. Gleichwohl stand auf dem Briefe nichts als Siebenkäsens Name von Siebenkäsens Hand – weiter stand außen und innen kein Wort. Ganz natürlich; denn der Advokat hatte den Schreibfehler an sich, auf den Umschlägen der Briefe seine Feder und seine Hand zu prüfen und eine fremde und seinen Namen nachzuzirkeln.

Auch der innere Brief war sonst beschrieben gewesen; aber der Heimlicher Blasius hatte, um das unglaublich verschwendete Papier zu schonen, seine Anerkennung des eingetauschten Namens mit einer Dinte geschrieben, welche von selber wieder den Papierbogen verläßt und durch Verfliegen ihn gleichsam weiß wiederherstellt und rehabilitiert in integrum.

Ich tue vielleicht manchen Personen aus den höhern Ständen, welche jetzo mehr als je Wechselbriefe und andere Verbriefungen zu schreiben haben, einen zufälligen Dienst, wenn ich hier das Rezept zu dieser Dinte, die nach der Vertrocknung verfliegt, getreu aus einem bewährten WerkeSpielerleben etc. etc. Gotha 1813. mitteile: Der Mann von Rang schabe von einem schwarzen feinen Tuche, wie er es etwa am Hofe trägt, die Oberfläche ab – reibe das Abschabsel noch klarer auf Marmor zusammen – schlemme den zarten Tuchstaub mehrmals mit Wasser ab – dann mache er ihn mit diesem an und schreibe damit seinen Wechselbrief. so wird er finden, daß, sobald die Feuchtigkeit weggedunstet, auch jeder Buchstabe des Wechsels als Staub nachgeflogen ist; – der weiße Stern hält gleichsam seinen Austritt aus der Finsternis der Dinte.

Aber auch Inhabern und Präsentanten solcher Wechsel glaub' ich vielleicht ebensosehr als den Ausstellern gedient zu haben, indem sie künftig eine Verschreibung nicht eher sicher anzunehmen haben, als bis sie eine Zeitlang an der Sonne gelegen.

Früher hatt' ich in diesem Werke die tuchene Dinte ganz mit der sympathetischen verwechselt, welche auch nach kurzer Zeit verbleicht und verschwindet und gewöhnlich bei den Präliminar- sowohl als Hauptrezessen der Fürsten verschrieben wird, die aber rot aussieht. Einen Friedenschluß, der drei Jahr alt ist, kann ein Mann in seinen besten Jahren nicht mehr lesen, weil die rote Dinte – das encaustum, womit sonst nur die römischen Kaiser schreiben durften – zu leicht blaß wird, wenn nicht Menschen genug, woraus man jene wie die Koschenillefarbe aus den Schildläusen zubereitet, aus unnützem Geize mit solchen Farbenmaterialien dazu genommen worden; daher oft der Traktat wieder mit guten Instrumenten, den sogenannten Frieden-Instrumenten, vorn am Schießgewehr in die Länder eingegraben und ausgestochen werden muß. – –

Beide Freunde verschwiegen der freudigen jungen Frau den ersten Schlag des Gewitters, das über ihre Ehe aufzog. Am Sonntag vormittags unter der Kirche wollten beide den Heimlicher freundschaftlich besuchen – er war leider darin. Nachmittags dachten sie ihm die unterhaltende Visite zu – er machte selber eine in der Waisenhauskirche, nachdem vorher die ganze verwaisete Blütenlese von Knaben und Mädchen eine bei ihm abgelegt, um von ihm als Waisenhausaufseher zum Handkuß gelassen zu werden; denn das Waisenhausinspektorat war, wie er wahr, aber bescheiden sagte, seinen unwürdigen Händen anvertrauet worden. – Nach der Vesperpredigt hielt er seine eigene; kurz, dreifache geistliche Altargeländer schnitten die beiden Advokaten von ihm ab. Schön handelte er, daß er seine Hausgenossen an demselben Tische mit sich zwar nicht essen, aber doch beten ließ. Er verbrachte lieber den Sonntag als einen Werkeltag singend mit ihnen, weil er sie von der Sabbatschänderei, die in Arbeiten für ihre eigne Rechnung, in Nähen, Flicken etc. bestand, am besten durch Andacht abzog; und überhaupt wurde so der Tag am besten in einem Rüst- und Exerziertag der ganzen Woche verlebt, wie auch auf die Sonntage die Komödianten an den Orten, wo sie nicht spielen dürfen, die Komödienproben verlegen.

Inzwischen rat' ich Kränklichen, nicht an solche schöne himmelblaue Gewächse nahe zu treten oder zu riechen, die der Weinberg der Kirche nur zur Zierde hat, wie ein englischer Garten sich mit dem schönen Napellus (aconitum Nap.) und mit seinem himmel- oder jesuiter-blauenHimmelblau ist die Ordenfarbe der Jesuiten, wie des indischen Krischna und des Zorns. Die Hypothese des Physikers Marat, daß Blau und Rot das Schwarze geben, sollte man untersuchen, indem man dem Jesuiterblau das Kardinalrot zusetzte. Er selber brachte später in der Revolution aus Blau und Rot und Weiß das schönste Elfenbeinschwarz heraus oder den chinesischen Tusch, womit später Napoleon zeichnete. mannshoch und pyramidalisch aufsteigenden giftigen Blumen putzt. Solche Leute wie Blaise besteigen nicht nur den Sinai und die Schädelstätte, um gleich den Ziegen unter dem Steigen zu weiden: sondern sie suchen die heiligen Höhen, um von da Angriffe herab zu tun, wie gute Generale die Höhen, besonders die Galgenstätten besetzen. Der Heimlicher erhebt sich öfter, obwohl aus gleichen Absichten, von der Erde in den Himmel als Blanchard, ja er ist imstande, halbe Tage lang seine Seele in jenem Fluge zu erhalten – worin ers doch dem fliegenden Drachen des Königs von Siam nicht nachtut, welchen Mandarinen zwei Monate lang oben in der Höhe abwechselnd zu erhalten wissen –; aber er steigt nicht wie die Lerche, um droben zu musizieren, sondern wie der edle Falke, um auf etwas zu stoßen. Seh' ich ihn auf einem Ölberg beten, so will er eine Ölmühle droben bauen; oder weinet er am Bache Kidron, so will er drinnen krebsen oder einen hineinwerfen. Er betet, um die Irrwische der Sünden an sich zu locken – er liegt auf dem Kniee, aber wie das erste Glied, um auf den, der gegenübersteht, Feuer zu geben – er streckt freundschaftlich und warm die Arme aus, um jemand, z.B. einen Mündel, in die heißesten zu nehmen, aber nur wie der geheizte Moloch, um die Inlage zu Pulver zu brennen – oder er faltet die betenden Arme andächtig übereinander, wie es auch die sogenannten eisernen Jungfern tun, zum Zerschneiden. – –

Endlich sahen die unruhigen Freunde, daß man, gleich Dieben, am ersten bei gewissen Leuten vorkomme, wenn man sich nicht melden lässet: noch Sonntags abends um 8 Uhr schritten sie sans façon in das Haus des Herrn v. Blaise (oder deutsch: Blasius) hinein. Alles war still und öde: sie gingen über einen leeren Hausplatz in einen leeren Gesellschaftsaal, dessen halboffne Flügeltüre in die Hauskapelle sehen ließ. Sie erblickten durch die Fuge bloß sechs Stühle, auf deren jedem ein aufgeschlagenes umgestürztes Gesangbuch lag, und einen wachstuchenen Tisch mit Müllers »Himmlischem Seelenkuß« und Schlichthabers »Fünffachen Dispositionen auf alle Sonn- und Festtage«. Sie drückten sich durch die lange Ritze, und siehe, oben an der Tafel saß einsam der Heimlicher und setzte schlafend seine Andacht fort, mit der Federmütze unter dem Arm. Seine Haus- und Kirchendiener hatten ihm nämlich (und das geschah sonntäglich) so lange vorgelesen, bis ihn der Schlaf zu einem Petrefakt oder einer Salzsäule gehärtet hatte, weil ihm sowohl die gegessene als die getrunkene und die geistige Nahrung die Augen so schwer machte als den Kopf – oder auch, weil er wie alle Zuhörer unter dem Anwurf des göttlichen Samens gern die Augen zumachte, wie Leute, die sich pudern lassen – oder weil Hauskapellen und Hauptkirchen noch den alten Tempeln gleichen, worin man die Orakel-Belehrungen schlafend empfing. Alsdann lasen die Bedienten immer leiser, um ihn allmählich an das Verstummen zu gewöhnen. Dann ließ ihn die andächtige Dienerschaft in seiner betenden Richtung bis um 10 Uhr auf dem Stuhlbette angelehnt, und alles wanderte leise davon; um 10 Uhr (wo ohnehin die Frau Heimlicherin von Visiten wiederkam) schrie ihn der Hausküster mit Beistand des Nachtwächters durch ein grelles Amen auf einmal aus dem Schlafe, und er setzte wieder etwas auf den kalten Kopf. – –

Heute fiels anders aus. Leibgeber klopfte mit dem Zwickel des Zeigefingers einige Male stark auf den Tisch, um den Vater des Marktfleckens aus dem ersten Schlafe zu bringen. Als der bei seinem Lever die beiden hagern Parodien und Kopeien voneinander erblickte: nahm er in der Bier- und Schlaftrunkenheit statt der entfallnen Mütze bloß eine gläserne Perücke herab vom Perücken-Kopf und setzte sie auf den seinigen. Sein Mündel redete ihn freundlich an und sagte, er woll' ihm hier seinen Freund vorstellen, mit dem er Namen troquiert und verstochen habe. Auch benennte er den Heimlicher gnädiger Herr Vetter und Pfleger. Leibgeber, wilder und erzürnter, weil er jünger war und weil die Ungerechtigkeit nicht ihn selber betraf, feuerte um drei unhöfliche Schritte näher vor den Ohren die Frage ab: »Wen von uns beiden haben Ew. Gnaden denn eigentlich pro mortuo erkläret, um ihn als einen Toten besser vorzuladen? – Hier erscheinen zwei Gespenster auf einmal.« – – Blaise wendete sich stolz von Leibgeber zu Siebenkäs und sagte: »Wenn Sie nicht, mein Herr, die Kleidung so umgetauscht haben wie Dero Namen: so sind Sie die werte Person, mit der ich bisher die Ehre hatte, öfters zu sprechen. – Oder sind Sie es vielleicht doch?« sagte er zu Leibgeber, der wie besessen schüttelte. »Nun – fuhr er viel freundlicher fort – muß ich Ihnen gestehen, Hr. Siebenkäs, daß ich wirklich bisher der Meinung lebte, daß Sie dieselbe Person seien, die vor zehn Jahren von hier die Akademie bezogen und deren kleine Erbschaft ich in meine Tutel oder eigentlich Kuratel genommen. Zu meinem Irrtum, wenn es einer war, trug wohl die Ähnlichkeit das meiste bei, die Sie, mein Herr, mit meinem verschollenen Pupill praeter propter zu haben scheinen; denn manche tertia comparationis gehen Ihnen doch ab, z. B. ein Feuermal neben dem Ohr.«

»Das dumme Mal«, fuhr Leibgeber dazwischen, »hat er bloß meinetwegen mit einer Kröte ausgewischt, weils wie ein Eselohr aussah und weil er nicht dachte, daß er mit dem Ohre zugleich einen Verwandten verscherze.« – »Das kann sein«, sagte kalt der Vormund, »Sie müssen mir bezeugen, Hr. Advokat, daß ich schon gesonnen war, Ihnen heute die Erbschaft auszuzahlen; denn Ihre Versicherung, daß Sie Ihren väterlichen Namen mit einem wildfremden vertauschst, konnt' ich nach Ihrem jokosen Humor recht gut bloß für Scherz nehmen. Ich erfahr' aber in der vorigen Woche, daß Sie sich wirklich als Hr. Siebenkäs proklamieren und kopulieren lassen und mehr dergleichen. Nun sprach ich mit dem Hrn. Großweibel (Präsidenten) der Erbschaftkammer, meinem Schwiegersohn, Hrn. v. Knärnschilder, aus der Sache, der mir sagte, ich würde gegen meine Pflicht und meine eigne Sicherheit verstoßen, wenn ich die Erbschaftmasse wirklich aus den Händen gäbe. ›Was wollten Sie exzipieren – sagt' er ganz recht –, wenn einmal der wahre Inhaber des Namens erschiene und ihnen die zweite Extradierung der Pupillengelder abfoderte?‹ – Und in der Tat wäre es zu hart für einen Mann, der bei so vielen Geschäften sich der beschwerlichen Kuratel, die ihm die Gesetze erlassen, bloß aus Liebe zu seinem Verwandten und aus BruderliebeEr nennt die Menschen, wie viele Herrnhuter und Mönche und Fürsten einander, seine Brüder, aber vielleicht mit Recht, da er sie ebenso gut wie ein morgenländischer Fürst die seinigen behandelt, ja noch viel sanfter dazu, ohne körperliches Köpfen, Blenden und Verschneiden bei einigem geistigen. gegen alle seine Mitbrüder unterzogen, zu hart wär' es, sag' ich, wenn er dafür zum Lohne dieselbe Summe noch einmal aus seinem eignen Beutel zahlen müßte. – Inzwischen, Hr. Advokat Siebenkäs, da ich für mich als Privatperson die Rechtmäßigkeit Ihrer Foderungen vielleicht mehr einräume, als Sie denken, da Sie aber als Rechtsgelehrter recht gut wissen, daß eine individuelle Überzeugung noch immer keinen legalen Rechtsgrund abgibt, und daß ich hier nicht als Mensch, sondern als Tutor handeln muß: so wär's wohl am besten, einer für meine Wünsche weniger parteiischen Mittelperson, nämlich der Erbschaftkammer, die Entscheidung zu überlassen. Machen Sie mir nur bald, Hr. Advokat Siebenkäs«, endigte er lächelnder und die Hand auf dessen Schulter legend, »das Vergnügen, das gerichtlich bewiesen zu sehen, was ich bloß wünsche, daß Sie mein so lange verschollener Vetter Leibgeber sind.«

– »Sollte denn«, sagte Leibgeber grimmig-gelassen und mit verschiedenen Läufern und Fugen auf dem Farbenklavier des Gesichts, »die kleine Ähnlichkeit, die Hr. Siebenkäs da mit – sich selber hat, nämlich mit Dero Hrn. Pupill, sollte die nichts beweisend verfangen, wie eine ähnliche Ähnlichkeit bei der comparatio litterarum?« – »Allerdings«, sagte Blasius, »etwas, aber alles nicht: denn es gab viele Pseudo-Neros, und drei oder vier Pseudo-Sebastiane in Portugal – und wenn Sie nun selber mein Hr. Vetter wären, Hr. Leibgeber?«

Dieser sprang schnell mit verändertem freudigen Tone auf und sagte: »Das bin ich auch, mein teuerster Hr. Vormund – es war nur alles Probe – und verzeihen Sie meinem Freunde da die kleine Verstellung.« – »Alles ganz wohl«, versetzte er aufgeblasener; »aber Ihre eigenen Winkelzüge, meine Herren, müssen Sie nun doch von der Notwendigkeit einer obrigkeitlichen Indagation überführen.«

Das überwältigte den Armenadvokaten; – er drückte die Hand seines Freundes, damit sich dieser bezähmte, und fragte mit einer vom Gefühle fremden Hasses ordentlich niedergedrückten Stimme: »Haben Sie nie nach Leipzig an mich geschrieben?« – »Wenn Sie mein Mündel sind«, versetzte Blasius, »jawohl mehrmal; sind Sie es nicht, so haben Sie meine Briefe bloß auf eine andere Weise.« Nun sagt' er noch weicher stammelnd: »Erinnern Sie sich keines Schreibens, worin Sie mir die Gefahrlosigkeit meines Namentausches versicherten, gar keines?« – »Wahrhaftig, das ist lächerlich«, versetzte Blaise, »dann wäre die streitige Sache ja eben entschieden.«

Hier legte Leibgeber an den Vater der Stadt die zehn Finger wie Nietnägel und erfaßte jede Achsel wie einen Sattelknopf und machte ihn durch die Händeklammern an den Sessel fest und rollte die Worte heraus: »Kein Schreiben? keines, keines, alter ehrlicher grauer Schelm? – Grunze nicht, ich erdrossele dich! Keines, o du treuer Gott! – Rühr dich nicht, Tutor, mein Hund reißt dir die Kehle heraus – antworte leise – kein Schreiben hast erhalten, sagst du?« –

»Gern sag' ich nichts«, lispelte Blasius, »da ja ohnehin im Zwange kein Zeugnis gelten kann.« Jetzo zog Siebenkäs seinen Freund von ihm weg, aber dieser sagte zum Saufinder: »Mordax, hui Sau!- hob vom Staatsdiener die gläserne Perücke ab und brach die wichtigsten Locken aus und sagte – der Saufinder lag sprungrecht – zu Siebenkäs: »Schraub ihn fest, weils der Hund nicht tun soll, damit er mir zuhört, ich will ihm Fleuretten vorsagen, und laß ihn nicht Pap sagen. – Hr. Heimlicher, geborner von Blasius, meine Absicht ist hier gar nicht, Ihnen Injurien anzutun oder gar improvisierte Pasquille vorzusagen, sondern ich will Sie vielmehr einen alten Spitzbuben nennen – einen etwanigen Waisen-Räuber – einen befirnisten Schelm und was dergleichen mehr ist, als z. B. einen polnischen Bären, dessen Fährte wie eine MenschenspurDieselbe raubende und würgende Tatze verbirgt sich bei beiden unter dem Schein eines Menschentritts. aussieht. Solche Titel, die ich hier brauche, als Schelm – Judas – Strick« (er schlug bei jedem Worte den gläsernen Turban als ein Becken bei der Janitscharenmusik gegen die andere Hand)»- Schuft – Blutigel, Tränenigel, solche Nominaldefinitionen sind keine Injurien und beleidigen nicht, erstlich weil man nach L. §. de injur.L. 15. §. 38 de injur. die größten Injurien ganz gut im Scherze sagen kann, und ich scherze hier – und zur Verteidigung seines Rechts kann man stets injuriieren. Siehe LeyserSp. 547. n. tr. – Ja nach Quistorps peinlichem Rechte darf man die gröbste Missetat ohne injuriandi animus vorwerfen, falls sie noch nicht untersucht und gestraft ist. – Und ist denn deine Ehrlichkeit schon untersucht und gestraft, du althaariger unehrlicher Schlag? Und hast du nicht, gleich dem Heimlicher in FreiburgDer Heimlicher in Freiburg ist drei Jahre lang unverletzbar in seinem Amte und drei Jahre nach dem Austritte daraus. Hanseatische Zeitung No. 415. 1816. , der aber ein besserer Mann sein wird, eine ganze Menge Jahre, wo man dich nicht angreifen soll... Mordelement, aber ich greif' dich heute an, Mucker! – Mordax!- Der Hund schaute nach Befehlen auf.

»Jetzo lasse nach«, bat Siebenkäs, welchen der niedergedrückte Sünder beklemmte. –

»Den Augenblick; aber mach mich nur nicht wild«, sagte Leibgeber, ließ die entblätterte Perücke fallen und stellte sich auf sie und zog Schere und schwarzes Papier heraus. »Sehr gelassen will ich das ausgepolsterte Gesicht dieser betenden Schlafmütze ausschneiden und als gage d'amour mitnehmen. Ich kann doch das Ecce homunculus durch die halbe Welt herumtragen und sie bitten: prügl' ihn ab, selig ist, wer den Heimlicher Blasius in Kuhschnappel abprügelt noch vor seiner Abfahrt; ich war nur damals viel zu stark dazu.«

»Den Bericht über den Erfolg«, fuhr er fort, gegen Siebenkäs gewandt und einen guten Schattenriß zu Ende schneidend, »kann ich unserem Duck- und Kahlmäuser da nicht eher mündlich abstatten als nach einem Jahre, weil alsdann die wenigen Injurien, womit ich den Schelm etwa könnte angetastet haben, nach den Gesetzen völlig verjährt sind und wir wieder die vorigen Freunde geworden.«

Unerwartet bat er darauf seinen Siebenkäs, bei dem Saufinder zu bleiben – er hatte ihn mit einem Fingerzeig als ein Beobachtcorps gegen den Heimlicher gestellt –, indem er auf einen Augenblick hinaus müsse. Da er nämlich in Blaisens Prunksaale für die kuhschnappelsche große und mittlere Welt die Papiertapeten und einen ungemein sinnreichen Ofen – er war zur Gestalt der Göttin Themis ausgearbeitet, welche allerdings ebensooft versengt als erwärmt – bei dem neulichen Besuche wahrgenommen: so hatt' er für den jetzigen einen Iltispinsel und ein Gläschen Dinte mitgebracht, welche aus Kobold, in Scheidewasser aufgelöset, und einigem dazu getröpfelten Salzgeiste bestand. Ungleich der schwarztuchenen Dinte, welche schon anfangs sichtbar ist und erst später unsichtbar wird, erscheint diese sympathetische anfangs gar nicht und tritt auf dem Papier erst grün hervor, sobald dasselbe erwärmt worden. Leibgeber malte jetzo mit dem Iltispinsel auf die Papiertapete, welche dem Ofen oder der Themis zunächst stand, folgende unsichtbare Wandfibel hin.

»Die Göttin der Gerechtigkeit will sich hiermit bei allen Gästen dagegen verwahren, daß sie in effigie, in Bildnis, anstatt gehangen, sogar aufgestellt und nach Belieben erhitzt und erkältet wird durch den Injustiz-Minister und den längst dem innern heimlichen Gericht verfallenen Heimlicher Blasius.

Von Rechts wegen, Themis.»

Leibgeber hinterließ die stille Aussaat dieser Priestleyschen grünen Materie auf der Wand mit dem frohen Bewußtsein, daß künftig im Winter, wenn der Saal von der Göttin recht warm geworden für eine Prunkversammlung, auf einmal der ganze grüne Markt vor ihr lustig aufschießen werde.

So kehrte er in das Betkabinett zurück und fand den Saufinder noch in der befohlenen offiziellen Anschauung und seinen Freund wieder in der Anschauung des Hunds. Er schied samt den andern äußerst höflich und bat den Heimlicher sogar, ihn nicht bis auf die Gasse zu begleiten, weil Mordaxen einiges Zerreißen dann schwer zu verwehren sein möchte.

Auf der Gasse sagte er zu seinem Freunde: »Mache ja kein dummes Gesicht dazu – ich flieg' ohnehin immer ab und zu bei dir – begleite mich über das Tor hinaus; ich muß heute noch über eure Grenze – wir wollen laufen, damit wir vor sechs – Minuten auf fürstlichen Grund und Boden kommen.«

Als sie über das Tor, d.h. über dessen unpalmyrische Ruinen hinaus waren: stand die kristallene widerscheinende Grotte der Augustnacht aufgeschlossen und erleuchtet auf der dunkelgrünen Erde, und die Meerstille der Natur widersprach dem Sturme der menschlichen Brust; die Nacht zog die Himmeldecke voll stiller Sonnen ohne ein Lüftchen über die Erde herauf und unter sie hinab; die gefällten Saaten lagen ohne Rauschen in Garben um, und die eintönige Grille und ein harmloser alter Mann, der Schnecken für die Schneckengrube zusammenlas, schienen allein im weiten Dunkel zu wohnen. Alles Zornfeuer war plötzlich in beiden niedergebrannt. Leibgeber sagte mit einem um zwei Oktaven herabspringenden Tone: »Gott sei Dank! das schreibt doch wieder einen friedlichen Vers um die innere Sturmglocke – mir ist, als wenn die Nacht mit ihrem schwarzen Bezug meine Lärmtrommel recht sanft zu einer Leichenmusik dämpfte; und mit Vergnügen spür' ich mich nach so langem Gekeife etwas betrübt.«

»Wär's nur nicht meinetwegen gewesen, alter Heinrich«, versetzte Siebenkäs, »dein lustiges Ergrimmen über den abgeschabten Sünder!« – »Du hättest«, sagte Leibgeber, »ob du gleich sonst eine Satire den Leuten nicht so leicht ins Gesicht wirfst wie ich, an meiner Stelle noch ärger getobt; man kann wohl an sich, besonders wenn man sanft ist wie ich, Mißhandlungen ausstehen, aber nicht am Freunde; und leider bist du ja der Märterer meines Namens, heutiger Augen- und Blutzeuge der Sache zugleich. Sonst darf ich dir überhaupt melden, wenn mich einmal der Teufel des Zorns reitet, oder eigentlich wenn ich ihn reite: so jag' ich gern die Mähre halbtot, bis sie umfällt, damit ich sie in einem Vierteljahre nicht wieder beschreiten kann. Aber dir hab' ich eine hübsche schwarze Suppe eingebrockt und lasse dich mit dem Löffel sitzen.« Siebenkäs stand schon lange in der Angst, er werde auf die 1200 Gulden Taufgelder seines Umtaufens, gleichsam auf das Abzuggeld seines Namens, kommen; er sagte daher so heiter und leicht, als es sein von der beschleunigten nächtlichen Trennung gepreßter Busen erlaubte: »Ich und meine Frau haben in unsrer Königsteinischen Festung noch Proviant genug, und wir können darin säen und ernten. – Gott gebe nur, daß wir manchmal eine harte Nuß aufzureißen haben; nach solchen Nüssen schmeckt der Tischwein des verrauchten Lebens wieder besonders. – Morgen setz' ich meine Klagschrift auf.« Die Erweichung vor der bald ausschlagenden Abschiedstunde versteckten beide in komische Wendungen. Da die DoppeltgängerSo heißen Leute, die sich selber sehen. vor eine Säule kamen, womit die aus England kommende **sche Fürstin die Stätte ihres Zusammentreffens mit ihrer von den Alpen steigenden Schwester bezeichnen lassen; und da dieses frohe Denkmal des Wiederfindens heute zu einem ganz anderen werden sollte: so sagte Leibgeber: »Jetzo marsch, zurück! Deine Frau ängstigt sich ab, es ist über 11 Uhr. – Dort ist schon euer Weichbild, der Rabenstein, eure Grenzfestung. Ich geh' ins Baireuthische und Sächsische vorderhand und schneide meinen Roggen, nämlich fremde Gesichter und zuweilen meine eigenen närrischen dazu. – Aus Spaß seh' ich dich vielleicht nach einem Jahre und einem Tage wieder, wenn die Verbalinjurien ordentlich verjährt sind. – – Im Vorbeigehen! (setzte er schnell hinzu) gib mir dein Ehrenwort, mir nur einen schwachen Gefallen zu tun.« – Er gabs voreilig. »Schicke mir mein DepositumEs bestand meistens in Schatzgelde, in fünf Vikariatdukaten u.s.w. nicht nach – ein Kläger braucht Verlagkosten. – So lebe wohl, Teuerster!« das polterte er eilig heraus und lief nach einem geschwinden Kusse mir nichts dir nichts den kleinen Hügel hinab. Der bestürzte Verlassene sah dem Läufer nach, ohne seinen Abschied mit einem Laute zu begleiten. Im Tale hielt der Läufer an und bückte sich tief und – band seine Strumpfbänder weiter. »Hättest du das nicht«, rief Siebenkäs, »da oben tun können?« und lief hinab und sagte: »Wir bleiben bis zum Rabensteine beieinander.« Das Sandbad und das Reverberierfeuer eines edlen Zorns machte heute alle ihre weichen Empfindungen heißer, wie ein hitziges Klima Gifte und Gewürze verstärkt. Da der erste Abschied schon die Augen übergossen hatte: so konnten sie nichts mehr beherrschen als die Stimme und den Ausdruck. »Du bist doch gesund nach der Ärgernis?« sagte Siebenkäs. »Wenn der Tod der Haustiere den Tod des Hausherrn bedeutet, wie die Leute glauben«, sagte Leibgeber, »so leb' ich ewig; denn meine MenageriePlato malt bekanntlich unsere niedrigem Leidenschaften als einen im Unterleibe zappelnden Viehstand ab. von Tieren ist noch frisch und gesund.« – Endlich stockten sie vor dem Markthaufen des Marktfleckens, vor der Gerichtstätte: »Ei nur gar hinauf!« sagte Siebenkäs.

Als sie diesen Grenzhügel so manches verunglückten Daseins erstiegen hatten – und als er auf den mit Grün durchbrochnen steinernen Altar so manches schuldlosen Opfers niederblickte und sich es in der verfinsterten Minute vorstellte, welche schwere gequälte Bluttropfen, welche brennende Tränen oft von gepeinigten und vom Staat und vom Liebhaber gemordeten KindermörderinnenEr hatte gerade eine angebliche Kindermörderin zu verteidigen. auf diese ihre letzte und kürzeste Folterbank, auf diesen Blutacker gefallen waren – und als er von dieser letzten Nebelbank des Lebens über die weite Erde blickte, um deren Grenzen und über deren Bächen die Dünste der Nacht aufdampften: so nahm er weinend seines Freundes Hand und blickte in den freien gestirnten Himmel und sagte: »Dort drüben müssen sich doch die Nebel unserer Tage einmal in Gestirne zerteilen, wie die Nebel in der Milchstraße in Sonnen zerfallen. Heinrich! glaubst du noch nicht an die Unsterblichkeit der Seele?« – »Freund!« antwortete Leibgeber, »noch will es nicht gehen. Verdient Blasius doch kaum, einmal zu leben, geschweige zwei- und mehrmals – Freilich will mirs zuweilen bedünken, als müsse ein Stück von der andern Welt in diese mit hereingemalt werden, damit sie ganz und gerundet werde, wie ich oft an den Seiten der Gemälde fremde Dinge zur Hälfte angemalt gesehen, damit die Hauptvorstellung vom Rahmen abgelöset und ein Ganzes würde. – In dieser Minute aber kommen mir die Menschen wie die Krebse vor, die die Pfaffen sonst mit Windlichtern besetzet auf den Kirchhöfen kriechen ließen und sie für verstorbne Seelen ausgaben; so kriechen wir mit unsern Windlichtern von Seelen mit den Larven Unsterblicher über die Gräber hinüber. – Sie löschen vielleicht einmal aus.« – Sein Freund fiel an sein Herz und sagte heftig: »Wir verlöschen nicht – leb tausendmal wohl – wir sehen uns immerfort wieder – wir löschen bei meiner Seele nicht aus – – leb wohl, leb wohl!«

Und sie schieden. Heinrich ging langsam und mit hängenden Armen durch die Fußpfade zwischen den Stoppeln und hob keine Hand ans überrinnende Auge, um kein Zeichen seiner Schmerzen zu geben. Den verwaiseten Geliebten aber überfiel ein großer Schmerz, weil Menschen, die selten in Tränen ausbrechen, sie desto unmäßiger vergießen; – und so kam er zurück und legte das erschöpfte aufgelöste Herz an die sorglose Brust seiner Gattin zur Ruhe, welche nicht einmal ein Traum bewegte; aber noch lange bis in den Vorhof der Träume hinein begleiteten ihn die Bilder von Lenettens künftigen Tagen und von des Freundes Nachtgange unter den Sternen, zu welchen dieser draußen einsam aufblickte, ohne die Hoffnung, ihnen jemals näher zu kommen; und grade über den Freund weinte er unter nicht mehr als zwei Augen am längsten... –

O ihr beiden Freunde, du, der draußen, und du, der zu Hause! – Aber warum soll ich denn immerfort das alte aufquellende Gefühl zurückdrücken, das ihr in mir so stark wieder aufgeweckt und mit welchem mich sonst in meinen Jugendjahren die Freundschaft zwischen einem Swift und einem Arbuthnot und einem Pope in ihren Briefen gleichsam verstohlen, aber so stark durchdrungen und erquickt? Und werden nicht auch viele andere sich gleich mir erwärmt und ermannt haben an dem rührenden ruhigen Lieben dieser Männerherzen unter einander, welche, obschon kalt und schneidend und scharf gegen die Außenwelt, in ihrer gemeinschaftlichen Innenwelt zärtlich und feurig für einander arbeiteten und schlugen, gleichsam hohe Palmenbäume, langgestachelt gegen das gemeine Unten, aber im Gipfel voll köstlichen Palmenwein der kräftigsten Freundschaft? –

Und wenn dies alles so ist: so darf ich wohl auf der tiefern Stufe unserer beiden Freunde etwas Ähnliches antreffen, das auch wir an ihnen nachlieben. Fragt nicht sehr, warum beide sich mit einander verbrüderten; die Liebe braucht gar keine Erklärung, nur der Haß. Aller Ursprung des Besten, vom All an bis zu Gott hinauf, bedeckt sich mit einer Nacht voll zu ferner Sterne. Beide sahen in der grünglänzenden Saftzeit der akademischen Jugend zuerst einander durch die Brust ins Herz, aber mit den ungleichnamigen Polen zogen sie sich an. Siebenkäs erfreuete sich vorzüglich an Leibgebers harter Kräftigkeit, ja sogar Zornfähigkeit, an dessen Flug und Lachen über jeden vornehmen, jeden empfindsamen, ja jeden gelehrten Schein; denn er legte ein Ei seiner Tat oder seines tiefen Worts, wie der Kuntur das seinige, ohne Nest auf den nackten Felsen und lebte am liebsten ungenannt, daher er immer einen andern Namen annahm. Der Armenadvokat pflegte ihm deshalb, um sein Ärgern darüber zu genießen, mehr als über zehnmal zwei Anekdoten zu erzählen. Die erste war, daß ein deutscher Professor in Dorpat in einer Lobrede auf den damaligen Großfürsten Alexander plötzlich sich selber eingehemmt und still geschwiegen und lange auf die Büste desselben hingeblickt und endlich gesprochen: »Das verstummende Herz hat gesprochen.« Die zweite war, daß Klopstock die Prachtausgabe seines Messias an die Schulpforte abgeschickt mit dem Wunsche, der würdigste SchulpförtnerDeutscher Merkur von 1809. möge auf das Grab seines Lehrers Stübel Lenzblumen streuen, dabei des Gebers Namen Klopstock leise nennen; – worauf Siebenkäs, wenn Leibgeber etwas auffuhr, noch damit fortfuhr, daß der Sänger vier neue Pförtner, jeden zu drei Vorlesungen aus seiner Messiade, aufgerufen und jedem dafür eine goldene Medaille zugesagt, die ein Freund hergebe; und jetzo endlich harrte er auf Leibgebers Sprudeln und Stampfen über einen, der (leibgeberisch zu sprechen) sich selber als sein eigenes Reliquiarium voll heiliger Knochen und Glieder anbetet.

Leibgeber hingegen – fast den Morlacken ähnlich, welche nach Towinson und Fortis auf der einen Seite für Rache und Heiligung einen Namen (osveta) haben und auf der andern sich am Altare zu Freunden trauen und einsegnen lassen – hatte seine vorzügliche Freude und Liebe an der Diamantnadel, welche in seinem satirischen Milchbruder Poesie und Milde zugleich mit einem welttrotzenden Stoizismus ineinandersteckte. Und endlich erlebten beide täglich aneinander die Freude, daß jeder den andern ungewöhnlich verstand, wenn er Scherz, ja sogar wenn er Ernst machte. Aber solche Freunde findet nicht jeder Freund.

Siebenkäs

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