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Kapitel 1 – Veränderungen

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Die Bäume Lethiels schüttelten ihre Kronen im morgendlichen Wind und scheuchten die noch schlafenden Vögel auf. Nur langsam kletterte die milchige Helligkeit über den Horizont und vertrieb die kalte Luft, während einige der übereifrigen Blütenpflanzen bereits ihren Duft verströmten und die Insekten aus ihren Nachtquartieren lockten.

Als ein lauter Paarungsruf vom Fluss ertönte, blickte Fandra auf. Wie an jedem Tag saß sie bereits seit der Dämmerung hier draußen und genoss die Ruhe des Dschungels, bevor die Pflicht rief. Es war ein Privileg, dass sie Lethiel und die Akademie ihr Zuhause nennen durfte, das war ihr nie bewusster als in diesen stillen Momenten. Das Leben draußen war seit dem Krieg hart geworden. Selbst fast dreißig Jahre nach seinem Ende vergaßen die Menschen nur zögerlich, in welches Chaos die Dhen sie gestürzt hatten.

Es war angesichts dessen ein Wunder, dass man sie hier in Ruhe neue Dhen Sachain ausbilden ließ. Aber selbst die größten Zweifler hatten inzwischen eingesehen, dass es einen Grund für ihre Existenz geben musste. Einen Grund dafür, dass immer noch Kinder geboren wurden, die tief in die Struktur des Universums eingreifen konnten.

Der Lockruf des Vogels erklang ein zweites Mal, näher diesmal, und Fandra erhob sich aus dem vergilbten Gras, das vor dem Gebäude wuchs, das sie ein wenig großspurig Akademie nannten. Es war nichts als ein alter Tempel einer vor Äonen untergegangenen Zivilisation, erbaut aus sandfarbenen Steinblöcken, die sich hoch über den Dschungel erhoben und am Eingang von vier dicken Säulen flankiert wurden. Auf dem Planeten gab es hunderte solcher Gebäude, deren Bedeutung mit den Ureinwohnern untergegangen war. Der Ort war magisch und erdverbunden zugleich, und allen Unannehmlichkeiten zum Trotz war er zum Inbegriff ihrer Existenz geworden, seit der Krieg eine breite Schneise in ihre Reihen geschlagen hatte.

Als sie einen Fuß auf die erste der grauen Steinplatten vor dem Eingang setzte, hörte Fandra einen weiteren Schrei. Mit ihren geschulten Ohren erkannte sie sofort, dass sich kein Partner für den einsamen Vogel eingefunden hatte, vielmehr machte sich eine gewisse Schülerin einen Spaß daraus, ihn zu ärgern. Automatisch blickte Fandra nach oben und sah das Mädchen kurz aus einem der Fensterlöcher winken, dann setzte sie ihren Weg fort.

Aki Lavantin zog hastig ihren Kopf zurück, ließ die grob behauene Fensterbank los und tapste über ihr Bett, das genau unter dem Fenster stand und ihr als Leiter diente. Ihre Füße berührten nur für einen Sekundenbruchteil den eiskalten Boden, bevor sie sich wieder aufs Bett fallen ließ und erst einmal nach ihren Schlappen suchte, die sich irgendwie unter ihr Bett verirrt hatten.

Es war noch früh, doch Aki war ein Morgenmensch und bereits seit einer geraumen Weile wach. Dass sie die Zeit damit verbrachte, aus dem Fenster zu schauen und Vögel zu ärgern, war pädagogisch betrachtet freilich beklagenswert. Langsam aber sollte sie sich sowieso für den Tag fertig machen, wenn Fandra schon mit ihrer täglichen Meditation fertig war.

Sie band sich nachlässig ihre dunklen Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen und zog aus dem Kleiderstapel auf ihrem Tisch eine dunkelgrüne Hose und ein cremefarbenes Hemd. Nichts, womit sie auffiel, denn über kurz oder lang entwickelte hier jeder einen ähnlichen Kleidungsstil. Das schwüle Klima und die Anforderungen des Trainings waren am Ende überzeugender als irgendwelche Moden, obwohl es natürlich trotzdem genügend Schüler gab, die es versuchten. Als sie sich fertig angezogen hatte, schlüpfte Aki in die hohen Schnürstiefel, die ihr ihre Mutter geschenkt hatte, brachte ihr Bett flüchtig in Ordnung, und verließ das Quartier in Richtung Speisesaal.

Der alte Tempel, in dem sie sowohl lebten als auch lernten, war sicherlich einst zu einem ganz anderen Zweck errichtet worden. In den wenigsten Quartieren waren in den Gründungstagen der Akademie Fensterlöcher in die Wände geschlagen worden, und die engen Gänge, die das Gebäude wie Adern durchzogen, bildeten ein Labyrinth, in dem nahezu jeder Schüler zu Beginn seiner Ausbildung mindestens einmal verloren ging. Das Herzstück aber war eine riesige Halle im Erdgeschoss, deren Decke sich irgendwo in der Dunkelheit verlor, und die eine Akustik besaß, auf die so manche Oper auf der Hauptwelt neidisch war. Für sie war dieser Raum Speisesaal, Versammlungshalle, Treffpunkt und Marktplatz in einem.

Die Dramen, die sich hier jeden Tag aufs Neue abspielten, interessierten vor allem Akis Schwester Ezra. Während sie gedankenlos ihr Müsli in sich hinein schaufelte, wanderte ihr Blick über die Schar von Schülern, die an runden Tischen saßen und den Saal mit einer Kakophonie unterschiedlicher Stimmen und Sprachen füllten.

Niemand käme auf den absurden Gedanken, dass sie und Aki miteinander verwandt waren, denn Ezra wirkte mit ihren kurzen blonden Haaren und den schlanken Gliedern ungleich zarter. Sie war auch bei weitem die Ruhigere und Besonnenere von ihnen beiden. Überhaupt nur wegen ihr und ihrem Ehrgeiz waren sie hier. Ihr Vater mochte einer der Gründer der Akademie sein, aber Aki hatte herzlich wenig Interesse daran gezeigt, ihren Titel als Partykönigin von Namia aufzugeben. Eigentlich wusste Ezra bis heute nicht, wieso sie mit nach Lethiel gekommen war.

Als sie Aki entdeckte, winkte sie ihr zu, aber ihre Schwester machte noch einen Umweg zum Büfett, bevor sie sich mit einer Schale Obstsalat zu ihr an den Tisch setzte. Gleich darauf gesellte sich Mek'to-bar Evarankontelyys zu ihnen und strich sich dabei wie üblich seinen viel zu langen Pony aus dem Gesicht.

Mek'to-bar war zwar ein wenig älter als die beiden Mädchen, aber mit seiner zurückhaltenden Art wirkte er häufig wie ein kleiner Junge, der sich verlaufen hatte. Im Grunde war er nur mit Ezra befreundet, Aki hatte er irgendwie gratis mit dazu bekommen und war sich immer noch nicht sicher, ob er sich darüber nun freuen sollte oder nicht.

„Schaut“, sagte Mek'to-bar und nickte in Richtung des offenen Vorraums der Akademie, wo sich im blendenden Licht eine Silhouette abzeichnete. „Schon wieder eine neue Dhen.“

Aki drehte sich um. „Die Zweite innerhalb von drei Tagen“, stellte sie nüchtern fest und wandte sich dann wieder Ezra und Mek'to-bar zu, die weiterhin gebannt die Frau beobachteten, die zielstrebig zu Fandras Tisch lief. Sie trug den dunkelroten Umhang einer voll ausgebildeten Dhen Sachain und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so dass nur einige ihrer hervorquellenden blonden Locken und ihr weicher Gang verrieten, dass es sich um eine Frau handelte. Die Beiden nickten, um Akis Bemerkung zu bestätigen, sagten aber nichts.

Aki drehte sich nochmals um und sah gerade noch, wie die Frau Fandra die Hand schüttelte, bevor beide in dem Gang verschwanden, der zu ihrem Büro führte. Als sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, wandte sie sich wieder ihrem Obstsalat zu.

„Vielleicht ist das das Sammeln der Kräfte, von dem Renga spricht.“

„Also, diese Prophezeiung ist so schwammig, dass damit genauso gut das Frühstück in zwei Wochen gemeint sein kann“, bemerkte Aki.

„Abgesehen davon sind schätzungsweise neunzig Prozent der Vorhersagen in exakt dem Moment wertlos geworden, als der Krieg begann“, ergänzte Mek'to-bar.

Ezra verzog genervt den Mund. „Ich sag ja nur, dass es auffällig ist.“

„Was? Dass Fandra neue Lehrer einstellt?“ Aki ließ den Löffel klappernd in die leere Schüssel fallen. „Wie auch immer, ich geh zum Training.“

„Ach ja, dein neues Hobby.“ Ezra rollte mit den Augen. „Was hat es damit auf sich?“

„Ich entwickle mich weiter“, antwortete sie schulterzuckend. „Weißt du, Dhen sein ist ja gut und schön, aber man muss doch auch mal irgendwas anderes machen.“

„Und da fällt die als erstes Tanzen ein?“ fragte Ezra zweifelnd.

„Tibi-Cho ist kein Tanz, wie oft soll ich das denn noch sagen? Es ist ein Kampfsport.“

„Ich glaube nicht, dass ein Gegner das genauso sähe.“

Aki kniff die Lippen zusammen und erhob sich, um ihre Schüssel wegzubringen. Auf dem Weg warf sie einen schnellen Blick auf den Speiseplan und sah, dass es heute Mittag nur eine Suppe gab. Also nahm sie sich vorsichtshalber eine orangerote Herzfrucht mit und kehrte damit an den Tisch zurück. „Ich geh dann mal. Mag einer mitkommen?“

„Nee“, machten Ezra und Mek'to-bar gleichzeitig.

Aki hob nur die Schultern und verschwand durch die schmale Türöffnung wieder in das Labyrinth aus Gängen.

Es war früh damit begonnen worden, den Tempel zu unterkellern, weil man hoffte, auf diese Weise Platz für weitere Quartiere schaffen zu können. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass es unter der Erde deutlich kühler war, weshalb man stattdessen die Trainingsräume dort untergebracht hatte.

Auf dem Weg zu einem davon lauschte Aki aufmerksam, ob schon jemand vor ihr da war. Morgens, wenn die meisten Schüler noch beim Frühstück waren oder ihren Privatangelegenheiten nachgingen, war praktisch die einzige Möglichkeit, einen der Räume für sich allein zu haben. In weniger als einer Stunde träfen die ersten Schüler ein, um ihr Kampftraining zu absolvieren oder Ausdauerübungen zu machen. Dinge, die Aki mittlerweile im Schlaf beherrschte.

Sie hatte hier schon so ziemlich alles ausprobiert, bis hin zu Meditation, für die ihr jedoch eindeutig Fandras Geduld fehlte. Und es war nicht nur die Langeweile, immer wieder ergriff sie eine schwer in Worte zu fassende Furcht davor, was nach der Akademie kam. Es wurde viel und hochtrabend von Vergebung gesprochen, von einem Neuanfang für die Dhen, doch in Wirklichkeit lebten sie alle in einer Art Stasis. Was gab es schon für sie da draußen? Kein Wunder, dass sich Fandra derart an ihre Lehrtätigkeit klammerte. Und so suchte Aki. Und versuchte sich abzulenken.

Vor knapp zwei Monaten dann hatte ihr ihre Tante Niema von einer neuen Modesportart namens Tibi-Cho erzählt, der die Highsociety derzeit frenetisch nachging. Aki hielt zwar nicht viel von Modeerscheinungen, aber die Technik gefiel ihr, deshalb recherchierte sie ein wenig und fand heraus, dass es sich dabei um eine Abwandlung eines sehr alten Kampfsports vom Planeten Ceti 8 handelte. Tibi-Cho war – entgegen der Meinung der bessergestellten Damen Namias und Beranns – kein Tanz, sondern eine geradezu meditativ verlangsamte Kampftechnik, bei der man jede einzelne Bewegung erkennen konnte und deshalb besonders gewissenhaft ausführen musste.

Aki streckte sich und dehnte ihre Muskeln, bevor sie die Augen schloss und alle Gedanken aus ihrem Geist verbannte. Sie lauschte ihrem Herzschlag, bis der Rhythmus ihren ganzen Körper erfasste, verlangsamte ihre Atmung und verfiel in einen fast Trance-artigen Zustand. Ihr Körper begann ganz von selbst mit den Bewegungen, bis sie nur noch Geist zu sein glaubte. Sie vergaß die Welt und meinte, die Welt müsse nun auch sie vergessen.

Als Yan-Ivo Tekwaran an die Akademie zurückgekehrt war, hatte er anfangs noch gehofft, es fiele ihm leicht, sich wieder dort zurechtzufinden. Doch selbst nach drei Tagen fühlte er sich wie der hagere Jugendliche, der er bei seinem ersten Besuch auf Lethiel gewesen war. Die Gänge sahen alle gleich aus, vor allem im Keller, wo man die großen Sandsteinquader mit Stahl verkleidet hatte. Erst als er das leise Schlurfen von Schuhen auf den Steinfliesen hörte, wusste er, dass er richtig war, und öffnete die Tür zu einem spärlich beleuchteten Trainingsraum.

Yan-Ivo sah man nicht sofort an, dass er ein Dhen Sachain war. Er trug ein weißes Hemd zu grauen Hosen und dazu eine schwarze Weste, die unnötig war, ihm aber das verwegene Aussehen eines Schmugglers verlieh, was gewisse Vorteile hatte. Er war groß und drahtig, sein Gesicht schmal und jung, und unter den dichten Augenbrauen leuchteten blaue Augen, die aufmerksam das Mädchen beobachteten, das völlig in sich selbst versunken einen seltsamen Tanz zu vollführen schien.

Die Stärke, die aus den präzisen Bewegungsabläufen sprach, zeugte von erstaunlicher Körperbeherrschung. Das Mädchen war siebzehn Jahre alt, hatte Fandra ihm gesagt, auch wenn sie ihm jetzt ein bisschen klein für ihr Alter vorkam. Dennoch, es war lange her, seit er jemanden so vollkommen in Bewegung hatte aufgehen sehen.

Er beobachtete sie einige Minuten lang, bis sie die Bewegung langsam ausschwingen ließ und die Augen öffnete. Sofort veränderte sich ihre Haltung und sie sah ihn finster an. Yan-Ivo fiel wieder ein, dass Fandra ihm auch ihren Namen genannt hatte. Akimané Libertates Lavantin. Die Tochter eines der wichtigsten Dhen der jüngeren Geschichte und einer vermutlich stark unterschätzten Frau aus dem Wüstenvolk von Simintaar.

„Akimané“, sagte er und versuchte, es wie eine Frage klingen zu lassen. Sie antwortete nicht, reagierte nicht einmal mit einem Zwinkern. Fast musste er über diesen Starrsinn schmunzeln. „Mein Name ist Yan-Ivo Tekwaran“, fuhr er fort und beobachtete aufmerksam ihre Augen, die ihm als einziges Aufschluss über ihre Gedanken gaben konnten. Sie starrte ihn feindselig an, aber der Name Tekwaran konnte ihr nicht gänzlich unbekannt sein. Die Gemeinde der Dhen Sachain war klein geworden.

„Aki“, erwiderte sie schließlich und wandte sich gleich wieder von ihm ab, bevor er reagieren konnte. Er wartete geduldig, bis sie zum anderen Ende des Raums gelaufen war, um sich eines der im Halbdunkel bereitliegenden Handtücher zu nehmen. Sie ließ ihr gerötetes Gesicht darin versinken, verharrte einen Augenblick und warf es sich anschließend über die Schulter. Auf dem Rückweg zu ihm fragte sie: „Was wollen Sie?“

Sie legte großen Wert darauf, ihm das Gefühl zu geben, er habe sie bei etwas Wichtigem gestört, doch es war nicht seine Aufgabe, sie deshalb zurechtzuweisen. Zumindest noch nicht. Stattdessen antwortete er: „Fandra möchte dich sehen.“

Aki nickte, griff nach einer Herzfrucht, die ein wenig verloren neben dem Eingang lag, und lief an ihm vorbei, ohne darauf zu achten, ob er ihr folgte oder im Trainingsraum zurückblieb.

Als Yan-Ivo hinter ihr durch die verwinkelten Gänge lief, spürte er deutlich, wie sehr sie sich darum bemühte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er sie nervös machte. Um sich und ihn abzulenken, knabberte sie geräuschvoll an ihrer Frucht.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie Fandras Arbeitszimmer, dessen Tür ausnahmsweise nur angelehnt war. Yan-Ivo merkte, dass Aki kurz davor war, die Tür einfach vor seiner Nase zufallen zu lassen. Die Anwesenheit von Ezra, Mek'to-bar und den zwei neuen Dhen lenkte sie gerade noch rechtzeitig ab. Er trat nach ihr ein und gesellte sich zu den beiden Frauen, die mit Fandra warteten.

„Ah, Aki“, begrüßte Fandra sie mit jener unerschütterlich freundlichen Art, die einen unter gewissen Umständen zur Weißglut treiben konnte. „Ich hab mich schon gefragt, ob unser Freund dich wohl findet.“

Da Aki nicht reagierte, zog sie ihr Lächeln noch ein wenig mehr in die Breite und setzte dann zu einer Erklärung für diese Versammlung an. „Aki, Ezra, Mek'to-bar, ihr erinnert euch sicher noch, dass wir darüber sprachen, dass viel von unserem Wissen im Krieg verloren gegangen ist.“

Das war zweifellos die Mutter aller Untertreibungen. Der Krieg mochte vielleicht nicht das ursprüngliche Ziel erreicht haben, alle Dhen zu töten, aber er hatte sie sehr erfolgreich ausgerottet. Wer damals nicht gestorben war, war untergetaucht und hatte versucht, sein altes Leben zu vergessen. Nur unbelehrbaren Dhen wie Fandra oder Akis und Ezras Vater Rafal war es zu verdanken, dass ihr altes Erbe nicht gänzlich verloren gegangen war. Nach und nach schlossen sich andere dem Vorhaben an, das verbliebene Wissen zu bewahren, doch es blieb bruchstückhaft, gesammelt aus den Erinnerungen an die eigene Ausbildung. Eines wussten sie alle: Die Akademie konnte nur eine Übergangslösung sein. Ihre Fähigkeiten waren viel zu komplex, um sie einem genormten Lehrplan zu unterwerfen.

Unwillkürlich blickte Aki zu den drei Dhen und versuchte, ihr Alter einzuschätzen. War es tatsächlich möglich, dass sie noch nach der alten Methode ausgebildet wurden? Unwahrscheinlich, beschloss sie, keiner von ihnen sah älter als dreißig aus, bei ihrer Geburt war der Krieg gerade erst zu Ende gewesen.

„Ich habe mich lange mit Rafal über euch unterhalten, wisst ihr. Es ist offensichtlich, dass ihr vom Unterricht nicht mehr gefordert werdet“, fuhr Fandra fort. „Es ist übrigens äußerst lobenswert, dass ihr ihn trotzdem so stoisch ertragt.“

Aki entging der strenge Blick in ihre Richtung nicht, aber sie tat, als erfordere etwas auf Fandras Schreibtisch ihre volle Aufmerksamkeit. Sie war nicht stolz darauf, dass sie den Unterricht immer öfter schwänzte oder geradezu boshaft Lösungen verriet, ohne den anderen Schülern eine Chance zu geben. Sie wusste, dass sie längst nicht am Ende des Weges angelangt war, aber die immer gleichen Übungen waren für sie alle drei zur Routine geworden, die weder ihren Geist noch ihren Körper sonderlich forderten. Sie traten buchstäblich auf der Stelle.

„Nach reiflicher Überlegung haben wir deshalb beschlossen, das alte Ausbildungskonzept der Dhen Sachain probehalber wiederzubeleben. Auf die Weise erhält hoffentlich jeder von euch eine seinem Grad angemessene Ausbildung.“

Es dauerte einige Augenblicke, bis das Gesagte in ihren Köpfen ankam. Die Akademie war eine Erfindung der Nachkriegszeit, ein Provisorium, weil sie nur noch so wenige waren. Früher waren junge Dhen vor einen Ältestenrat getreten, der den Grad ihrer Fähigkeiten einschätzte. Offiziell gab es vier solcher Grade, unter der Hand war aber stets noch ein fünfter gehandelt worden. Anschließend schlugen die Ältesten einen Dhen Sachain als Ausbilder vor, und ihr Urteil wog so viel, dass gewöhnlich beide Seiten die Verbindung akzeptierten. Sie wurden Angkatar und Dhenari – eine Beziehung, die im besten Falle ein ganzes Leben hielt, auch wenn ein Angkatar bis zu drei Schüler gleichzeitig ausbilden konnte. Auf diese Weise war ein engmaschiges Netz entstanden, das sie zu einer gewaltigen Macht im Universum hatte werden lassen, aber auch Falschwissen und Charakterschwächen immer weiter verbreitet hatte. War das nicht überhaupt erst der Grund für den Krieg gewesen?

„Ich darf euch die drei Dhen vorstellen, die sich bereit erklärt haben, ab sofort die Verantwortung für eure Ausbildung zu übernehmen“, erklärte Fandra mit sichtlichem Stolz und zeigte auf die Frau, die am Vortag angereist war. „Trini Nahum wird Mek'to-bars Lehrerin.“

Trini war groß und schlank und sah alles in allem wie ein Model aus. Ihre schwarz glänzenden Haare trug sie kurz, was Akis Tante Niema angesichts ihrer abstehenden Ohren als klaren modischen Fauxpas bezeichnet hätte, ihr aber ein ausgesprochen prägnantes Aussehen verlieh.

Dann zeigte Fandra auch schon auf die Nächste. „Joon Vek“, stellte sie die Dhen vor, die am Morgen während des Frühstücks angekommen war. Wenn man ihrem runden Gesicht trauen konnte, war sie die Jüngste, vielleicht nur wenig älter als sie drei. Sie war klein und gedrungen, wirkte aber ausgesprochen stark, und in ihren stahlblauen Augen lag ein ungewöhnlich harter Ausdruck. Ezra bekam es ein wenig mit der Angst zu tun, als Fandra erklärte, dass Joon sie ausbilden sollte.

„Und schließlich haben wir noch Yan-Ivo Tekwaran.“ Ohne dass sie es merkte, blieb Akis Blick an ihm haften, sodass sie sichtlich zusammenschreckte, als Fandra ihren Namen sagte. „Aki, du wirst mit Yan-Ivo arbeiten. Ich denke, bei seiner Erfahrung dürfte er mit deinem Temperament am besten klarkommen.“

Aki warf Fandra einen giftigen Blick zu, der seine Wirkung komplett verfehlte, da sie hocherfreut in die Runde blickte.

Alle drei starrten ihre neuen Lehrer nur perplex an. Das alles kam ein wenig plötzlich, keiner konnte von ihnen erwarten, dass sie das genauso unglaublich toll fanden wie Fandra, die offenbar einiges an Denkarbeit in das Projekt gesteckt hatte. Vor allem war ihnen klar, dass sie ihre Gewohnheiten von Grund auf ändern mussten, denn so stumpfsinnig der reguläre Unterricht auch war, er hatte für sie eine gewisse Unabhängigkeit bedeutet, die sie jetzt von heute auf morgen verloren.

„Ich denke“, meinte Fandra nachdenklich, „ihr lernt euch erst mal besser kennen …“

Ezra beschloss nach einer angemessenen Bedenkzeit von zehn Minuten, dass Joon Vek womöglich die Qualifikation und den Umhang einer Dhen besaß, aber keineswegs wie eine aussah. Gemäß ihrem Wunsch begleitete sie sie nach draußen, wo sie automatisch den Weg zum Fluss einschlug, war aber eigentlich nicht bei der Sache. Vielmehr nutzte sie die Gelegenheit, ihre neue Lehrerin unverhohlen anzustarren, was die angesichts ihrer engen Hose aber vermutlich gewohnt war.

Obwohl Joon fast einen ganzen Kopf kleiner war als Ezra, wirkte ihr Körperbau harmonischer als bei dem jungen Mädchen. Ihre weichen Bewegungen sprachen außerdem für eine gute Körperbeherrschung, ein Hinweis darauf, dass sie eine begnadete Kämpferin war. Nahkampf war Ezras Schwäche, und sie gab sich keine Sekunde lang der Illusion hin, dass das ein Zufall war.

Sie versuchte zu erkennen, von welchem Planeten Joon stammte, kam aber zu keinem befriedigenden Ergebnis. Alles an ihr strahlte Härte aus, aber das konnte schließlich alles bedeuten. Ihre gebräunte Haut war von Sommersprossen übersät, und mit ihren strahlend blauen Augen sah sie kaum älter aus als Ezra. Sie schätzte sie auf fünfundzwanzig, vermutlich war sie sogar jünger. Auf ihrem Kopf kräuselten sich hellblonde Locken, die ihr beinahe bis zu den Hüften reichten und einen außergewöhnlichen Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildeten.

„Erzähl mir doch ein wenig über dich“, forderte Joon sie unvermittelt auf und schenkte ihr ein offenherziges Lächeln.

Ezra zuckte zusammen. Sie redete nicht gern über sich. Insgeheim glaubte sie, dass Aki bei weitem die Interessantere von ihnen beiden war, doch das gestand sie gewöhnlich nicht einmal sich selbst ein. Sie bewunderte ihren Vater, ja, tatsächlich eiferte sie ihm nach, seit sie denken konnte. Sie war eine gute Schülerin und strengte sich an, um allen zu zeigen, dass sie es konnte. Sie machte ihre Probleme mit sich selbst aus. Und sie nahm es ihrer Mutter sehr übel, dass sie sie nicht nach den Traditionen der Namia aufgezogen hatte, weil sie sich deshalb auf ihrer eigenen Heimatwelt wie eine Fremde vorkam. Vielleicht hatte sie einfach Angst, dass Joon daraus irgendetwas ablesen konnte. „Was möchten Sie denn wissen?“ fragte sie nach einer Weile beinahe schüchtern.

Joon blieb stehen und erwiderte Ezras unsicheren Blick. „Süße, ich will nicht deine Träume analysieren, ich will dich nur besser kennenlernen.“

Süße? Nun war die Situation endgültig seltsam geworden. Sie biss sich auf die Unterlippe und sagte schließlich: „Okay.“

„Also gut, was motiviert dich?“

Wenn sie ehrlich war, hatte sie darüber noch nie nachgedacht. Es war nicht so, dass sie ein konkretes Ziel vor Augen hatte. „Ich wollte immer so sein wie mein Vater.“ Bestimmt hielt sie sie jetzt für ausgemacht dämlich. Sie war damit aufgewachsen, dass ihr Vater diese überlebensgroße Heldenfigur war, und womöglich hatte sie deshalb das Gefühl, dass sie sich ihren eigenen Ruf härter erkämpfen musste als andere. Etwas, womit Aki offenbar überhaupt keine Probleme hatte.

„Aber wieso bist du hier?“ beharrte Joon.

„An der Akademie?“ hakte Ezra nach. „Gibt es eine andere Möglichkeit?“ fragte sie mit einem ratlosen Schulterzucken.

„Fühlst du dich denn wohl auf Lethiel?“

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, und das machte sie ernstlich nervös. Natürlich war Namia ihr Zuhause und bliebe das auch immer. Sie liebte das milde Klima, die organisch gerundete Architektur und die sanfte Art seiner Bewohner – im Vergleich dazu war Lethiel wie ein Schlag ins Gesicht. Aber das nahm sie hin, weil sie eine gute Ausbildung wollte. „Es ist nicht Namia.“

Die Dhen nickte mit einem wissenden Lächeln. Offenbar hatte sie ungewollt die richtige Antwort gegeben, denn nach einer Weile sagte Joon leise: „Ich weiß ganz genau, was du meinst. Mir fehlt Demetus manchmal auch.“

Ezra stockte kurz der Atem. Daher der harte Blick! Demetus, die Heimat von Söldnern und Kopfgeldjägern, ein Ort, an dem seit Jahrtausenden konstant Krieg geführt wurde, meist wegen Lappalien, über die man auf anderen Welten nur den Kopf schüttelte. Über den Planeten gab es nur Gerüchte, weil sich kein vernünftig denkendes Wesen dorthin wagte, und falls doch, gewiss nicht in einem Stück zurückkam. Angeblich gab es dort nur Vulkane und Wüsten. Also genau die Art von Umgebung, in der man wegen Kleinigkeiten Kriege anzettelte.

Als Trini ihn beiläufig nach seiner Familiengeschichte fragte, wusste Mek'to-bar beim besten Willen nicht, was er sagen sollte. Trini stammte aus einer angesehenen Familie, was ihr nicht das geringste bedeutete, wie er ziemlich schnell herausfand, als er sie auf die vielen Politiker unter den Nahums ansprach. Sie sei keine Politikerin, winkte Trini müde ab.

Sie ahnte nicht, in welche Zwickmühle sie Mek'to-bar damit brachte. Natürlich konnte er ihr von seiner Großmutter Esma erzählen, die geholfen hatte, die Besetzung des Planeten Namia zu beenden. Oder von seinen Eltern, die im Dienste des Galaktischen Bunds standen. Oder auch vom legendären Riwan Odell, seinem mutmaßlichen Großvater. Keine dieser Möglichkeiten gefiel Mek'to-bar, denn sie alle offenbarten Stolz auf seine Familie und ihre Leistungen. Er selbst hatte vergleichsweise wenig zu bieten.

„Ich …“, begann er unentschlossen und unterbrach sich sofort, um neu anzusetzen. „Also, meine Familie ist wirklich nichts Besonderes. Ein paar Piloten hier, ein paar Dhen da, das Übliche eben.“

Trini lächelte nachsichtig. „Okay, gut. Wenn ich nun sage, dass ich keine Schokolade mag, behauptest du dann, dass du sie auch nicht magst?“

„Wer mag denn keine Schokolade?“ rief er erschrocken. Erst dann ging ihm auf, dass Trini auf etwas ganz anderes hinaus wollte und seufzte. „Das wird nicht funktionieren.“

Als er aufstehen wollte, um das Quartier der Dhen zu verlassen, packte sie ihn blitzschnell am Arm. Er stöhnte vor Schmerz auf. Trini hatte einen überraschend festen Griff, sie umfasste sein Handgelenk, als handele es sich dabei um eine Waffe. Langsam drehte er sich zu ihr um und sah ihr in die dunkelgrünen Augen.

„Mek'to-bar, wenn du ein Dhen werden willst, musst zu lernen, auf dich und nur dich zu vertrauen. Du darfst dich nicht immer anpassen, nur weil du glaubst, dass es dadurch einfacher ist.“

„Das sagt sich sehr leicht, wenn man aus einer Familie bekannter Politiker stammt“, erwiderte er trotziger als beabsichtigt und setzte sich wieder, woraufhin ihn Trini endlich losließ. Er warf einen kurzen Blick auf den roten Streifen, der sich rund um sein Handgelenk gebildet hatte, widerstand aber dem Drang, die wunde Stelle zu reiben. „In meiner Familie gibt es so viele Einflüsse, dass ich einfach nicht weiß, wie ich da hineinpasse.“

„Du bist so jung“, bemerkte Trini mit einem Lächeln. „Wenn du immer nur versuchst, all deinen Vorfahren gerecht zu werden, dann bist du für den Rest deines Lebens damit beschäftigt. Niemand verbietet dir, dich für eine Sache mehr zu interessieren als für andere, und wenn du eine komplett andere Richtung einschlagen willst, dann tu das verdammt noch mal!“

Mek'to-bar schwieg. Trini hatte natürlich recht, jedes ihrer Worte klang richtig und klug, aber wenn er ihr jetzt ´zustimmte, machte er dann nicht den gleichen Fehler schon wieder? Sollte er nicht seine eigene Meinung haben? Ihm schwirrte der Kopf, deshalb beschränkte er sich auf ein erschöpftes Nicken.

„Ich schätze, du hast erst mal genug, worüber du nachdenken kannst“, schloss Trini und ahnte nicht, wie wunderbar diese Worte in seinen Ohren klangen. „Wir machen morgen weiter.“

Als er sich erhob, spürte er ihren Blick auf sich ruhen und glaubte, der Tür regelrecht entgegen zu fallen. Er brauchte frische Luft, und das schleunigst.

„Die Dhen-Mode hat sich erstaunlich wenig verändert“, stellte Yan-Ivo fest, als er Aki zu ihrem Quartier folgte. Er wusste nicht recht, worauf Fandra hinauswollte, als sie von besser kennenlernen sprach, also bat er Aki kurzerhand, ihm ihr Zimmer zu zeigen. Das kam ihm inzwischen etwas albern vor, aber er ließ sich nichts anmerken.

Aki warf ihm einen strengen Blick über die Schulter zu, was ihn ermutigte, seine Schritte zu beschleunigen und neben ihr zu laufen. „Da bin ich anderer Meinung“, entgegnete sie und zeigte auf seine Kombination aus Hemd und Weste.

Yan-Ivo hob verwundert die Augenbrauen und blickte skeptisch an sich hinab, doch er konnte beim besten Willen nicht erkennen, was sie daran störte. „Das ist was anderes“, sagte er deshalb unbestimmt, „ich bin dein Angkatar.“

Aki hielt abrupt an und nötigte ihn damit, ebenfalls stehenzubleiben. Einen Augenblick lang sah sie ihm nur fest in die Augen, bevor sie mit hörbarer Enttäuschung sagte: „Ach, dann läuft es also darauf hinaus, dass Sie erwachsen sind und ich nicht?“

Yan-Ivo konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. Fandra hatte ihn gewarnt, dass Aki schwierig war, doch in Wirklichkeit war er amüsiert. Er merkte, dass sie auf eine Antwort wartete, und zuckte er mit den Schultern. „Du kannst ja noch wachsen.“

„Verstehe“, sagte Aki sehr ernsthaft und setzte sich wieder in Bewegung.

„Du tanzt“, nahm Yan-Ivo die Unterhaltung daraufhin wieder auf.

„Tibi-Cho ist kein Tanz, sondern ein Kampfsport“, korrigierte sie hörbar genervt.

„Verstehe“, sagte nun auch Yan-Ivo mit ernster Miene. „Jetzt müssen wir nur noch seeehr langsame Gegner für dich finden.“

Aki grunzte leise in sich hinein, aber ob sie ein Lachen unterdrückte oder wütend auf ihn war, konnte er nicht genau sagen. Vermutlich letzteres, er kannte sich mit Teenagern nicht besonders gut aus.

„Ich laufe auch.“

„Bitte?“

„Ich gehe jeden Abend laufen. Das Tibi-Cho ist kein Training, sondern eine Freizeitbeschäftigung. Eine Ablenkung von all dem.“ Eine schwingende Handbewegung sollte andeuten, was sie meinte. Es schien Yan-Ivo, dass Aki ein sehr physischer Mensch war. Sie drückte sich über Bewegung aus, was ihre gute Körperbeherrschung erklärte. Sie war bestimmt eine gute Kämpferin. Messer, vermutete er, vielleicht verließ sie sich aber auch ganz auf ihren Körper, das war schwer zu sagen.

„Haben Sie etwa keine Hobbys?“

„Doch, natürlich“, antwortete er. „Ich streite mich gerne mit jungen Mädchen.“

Aki verdrehte die Augen und stieß die Tür zu ihrem Quartier auf. „Willkommen zu Hause.“

„Gemütlich“, murmelte er, als er sich in dem Durcheinander umsah, das Aki als Zuhause bezeichnete. Das Bett, das an der hinteren Wand unter einem Fensterloch stand, war nicht gemacht, und auf dem Nachttisch daneben stapelte sich ein halbes Dutzend Bücher. Neben dem Nachttisch stand ein größerer Tisch, auf dem ihre gesamte Kleidung lag, mehr oder weniger ordentlich gefaltet. Yan-Ivo war schon in seinem Zimmer aufgefallen, dass es keinen Kleiderschrank gab, doch er hatte irgendwie angenommen, dass es sich dabei um ein Versehen handelte.

„Keine Ahnung, warum Fandra nicht endlich Schränke kauft“, beantwortete Aki seine unausgesprochene Frage, während sie seinem Blick folgte. „Als mein Vater noch die Akademie geleitet hat, hat er keine angeschafft, und sie glaubt offenbar, das muss so sein. Pädagogische Maßnahme oder so. Bestimmt hat er's nur vergessen, wäre nicht das erste Mal.“

Yan-Ivo nickte interessiert, obwohl er nur mit halbem Ohr zuhörte. Auf dem Schreibtisch neben der Tür lagen weitere Bücher sowie ein breites, sanft gebogenes Schwert. Doch keine Messer. Seine Finger fuhren sachte über den Griff, der aussah, als sei er mit einem dreckigen Tuch umwickelt. Eine alte Waffe, die schon viel erlebt hatte.

„Das hat früher meiner Mutter gehört“, merkte Aki an, als sie sah, was seine Aufmerksamkeit fesselte. „Ich plane ein eigenes, aber ich bin mir noch unsicher bei der Form.“

Das enttäuschte ihn insgeheim ein wenig, er hatte angenommen, das sei ihre eigene Waffe. Es war nicht schlimm, eine gebrauchte zu tragen, solange man sich noch nicht sicher war, welche Art von Waffe einem lag, doch soweit er das beurteilen konnte, war das bei ihr nicht der Fall. Und am Ende war es nicht ihre Schuld, wenn die Akademie es nicht schaffte, das nötige Wissen zu vermitteln, er selbst hatte diese Dinge von seinem Angkatar gelernt. Es war von nun an seine Aufgabe, genau diese Grundlagen zu schaffen.

Nach einer Weile drehte er sich wieder zu ihr um und lächelte. „Ich denke, ich habe für heute genug gesehen. Wenn du nichts dagegen hast, fangen wir morgen mit dem Training an.“

Sie schüttelte leicht den Kopf. „Kein Problem.“ Als der Dhen an der Tür war, fiel ihr doch noch etwas ein: „Werde ich morgen früh Zeit fürs Tibi-Cho haben?“

Er griente. „Sicher, geh ruhig tanzen. Wir treffen uns, wenn der reguläre Unterricht anfängt.“

Mek'to-bar stieß bei seinem Spaziergang etwa einen halben Kilometer von der Akademie entfernt auf Ezra. Nachdem er Trini hinter sich gelassen hatte, lief er fast eine Stunde lang kopflos im Wald herum und versuchte, ihre Worte zu ordnen. Es war mittlerweile später Nachmittag und die Hitze drückte schwer, seine Kleidung klebte schon nach wenigen Schritten an seinem Körper. Schließlich lief er zum Fluss hinunter und starrte eine Weile in die Fluten, erlaubte sich, seinen Kopf völlig zu leeren und wieder ruhiger zu werden. Es war seltsam, denn je länger er die im Wasser tanzenden Lichtreflexe beobachtete, desto leichter fiel es ihm, nicht mehr an das Gespräch mit Trini zu denken. Er wurde zu einem Teil des Flusses, floss mit ihm und verlor sich im Unbekannten.

Auf dem Rückweg zur Akademie machte er einen Abstecher zu den Felsen, wo Ezra, Aki und er oft gemeinsam trainierten. Das schien ein ganzes Leben her zu sein, als gehöre die Erinnerung daran einem anderen Menschen. Diese Stunden gehörten der Vergangenheit an, denn nun war es nicht mehr nötig, dass sie selbst herausfanden, wo ihre Grenzen lagen.

Er war nicht der Einzige, den es heute an diesen Ort zog. Ezra saß an einen der Felsen gelehnt im Gras und merkte nicht, dass eine ganze Wolke von Insekten um ihren Kopf schwärmte. Auch ihn sah sie nicht, sie blickte geradewegs durch ihn hindurch, und um sie nicht zu erschrecken, trat er ganz vorsichtig zu ihr und setzte sich leise neben sie.

Lächelnd wandte sich Ezra ihm zu. „Und, wie war deine Unterhaltung?“

Mek'to-bar seufzte bei der Erinnerung, die er bis eben erfolgreich verdrängt hatte. „Ich glaube, mit dem leichten Lebensstil ist es vorbei …“

Ezra nickte. „Du kannst mit Trini noch zufrieden sein“, fand sie. „Ich meine, wie soll ich jemanden ernst nehmen, der kaum älter ist als ich?“

„Wenn wir mal ehrlich sind, liegt es gar nicht daran“, meldete sich plötzlich eine weitere Stimme, woraufhin Ezra und Mek'to-bar gleichzeitig zu Aki sahen, die gerade die Lichtung betrat. Sie setzte sich ihnen gegenüber ins Gras und zupfte an einem losen Faden ihrer Hose. „Unsere neuen Lehrer können noch so streng, noch so jung, noch so anmaßend sein“, Ezra musste bei Akis Einschätzung von Yan-Ivo lächeln, „das wirklich Beängstigende ist die Veränderung an sich. Es fühlt sich an, als käme ich noch mal völlig neu an die Akademie, als müsse ich mich noch mal ganz neu beweisen.“

Mek'to-bar nickte mit einem gequälten Gesichtsausdruck. Er erinnerte sich noch viel zu gut an seine Ankunft auf Lethiel. Seine Eltern hatten ihn fortgeschickt. Natürlich meinten sie es nur gut, weil er ohne Ausbildung für sich selbst eine Gefahr war, aber damals fühlte es sich an, als schöben sie ihn ab, an einen unbekannten Ort fernab seiner Familie. Er kannte niemanden und glaubte, dass ihn alle hassen, weil er so ungeschickt war. Das lag weit hinter ihm, die Ausbildung hatte ihn reifen lassen. Außerdem war Ezra eine enge Freundin geworden, und Aki war … nun, eben Aki. Sie waren ein Team. „Ich will nicht, dass das hier verloren geht“, flüsterte er.

„Ich auch nicht“, pflichtete ihm Ezra sofort bei. „Wir sind mehr als nur Freunde, wir sind durch die Energien des Universums verbunden.“

Aki nickte. Auf sie kamen gewaltige Umwälzungen zu, aber das musste nicht auf Kosten ihrer Freundschaft geschehen. Was auch immer ihnen ihre Lehrer beibrachten, niemand verbot ihnen, sich auch weiterhin zu treffen und gemeinsam zu trainieren. „Darf ich etwas vorschlagen?“ fragte sie und sah die gespannten Gesichter von Ezra und Mek'to-bar. „Wir schwören einen Eid. Jeden Abend bei Sonnenuntergang treffen wir uns wieder hier – und wenn einer nicht erscheint, wissen wir, dass etwas nicht in Ordnung ist.“

„Klingt gut“, meinte Ezra mit einem Lächeln.

„Hm“, stimmte auch Mek'to-bar zu.

„Sehen wir es als Neuanfang“, sagte Aki. „Als den Beginn eines neuen Lebens mit einem Sicherheitsnetz aus alten Freunden.“

Ezra griff nach der Hand ihrer Schwester und drückte sie dankbar. Es mochte Tage geben, an denen sie zweifelte, ob sie wirklich miteinander verwandt waren, doch Gesten wie diese zeigten ihr, dass sie mehr als nur den Nachnamen gemeinsam hatten. Entschlossen streckte sie ihre andere Hand Mek'to-bar entgegen, der sie fast zaghaft ergriff und dabei den Blick senkte. Dieser Moment gehörte ihnen, das konnte ihnen niemand nehmen.

Dhenari

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