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Kapitel 2 – Sichtweisen

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Als sich Aki, Ezra und Mek'to-bar am nächsten Morgen wie üblich beim Frühstück trafen, war die Stimmung gedrückt. So sehr sie sich auch bemühten, fühlte sich das plötzlich alles andere als normal an, es war eher ein verzweifeltes Festhalten an einer guten alten Tradition.

Aki hatte in der Nacht schlecht geschlafen, immer wieder waren ihre Gedanken zu Yan-Ivo gewandert. Vor ihrem inneren Auge hatte sie Revue passieren lassen, wie er sie beim Training beobachtet hatte, und auch, wie aufmerksam er sich später in ihrem Quartier umgesehen hatte. Irgendwann wusste sie selbst nicht mehr, ob sein Verhalten komisch war, oder ob sie einfach zu viel hineininterpretierte. Letzteres war wohl wahrscheinlicher. Entschlossen stand sie auf und ging endlich zum Buffet, um sich ihr Frühstück zu holen.

Ezra sah ihr nachdenklich hinterher und seufzte. Als sie Mek'to-bars tadelnde Miene bemerkte, rollte sie mit den Augen. „Was?“

„Wir sind alle niedergeschlagen“, erklärte er, „aber du solltest dich wirklich nicht so gehenlassen. Damit machst du's ihnen nur leichter.“

„Was kümmert's mich?“

„Das wird es noch, glaub mir.“

Ehe sie nachhaken konnte, kehrte Aki an den Tisch zurück und stellte eine große Müslischüssel vor sich ab.

„Wow, was ist das denn?“ rief Ezra entsetzt. „Die Mammutportion?“

Aki knurrte ärgerlich und setzte sich. „Ich hab Hunger. Außerdem gibt's heute Schokostreusel zum Müsli.“

Ihre Schwester reckte skeptisch den Hals, um einen Blick in die Schüssel werfen zu können. „Ach, und du hast Müsli zu den Schokostreuseln genommen, wie gerissen.“

Ohne das einer Antwort zu würdigen, widmete sich Aki ihrem Frühstück und bekam es nicht einmal mit, dass kurz darauf ihre drei Lehrer den Saal betraten.

„Angkatar-Alarm“, flüsterte Ezra und setzte ihr liebenswürdigstes Lächeln auf, als sie merkte, dass Joon zu ihr blickte.

Aki zuckte nur mit den Schultern und machte sich gar nicht erst die Mühe, ihren Mund zu leeren, als sich ihre Lehrer zu ihnen an den Tisch setzten.

„Guten Morgen“, begrüßte Yan-Ivo sie, während die beiden anderen ein Nicken hinzufügten.

„Hm, chtn … mopff“, antwortete Aki manierlich.

„Bitte?“ reagierte Yan-Ivo irritiert.

Sie sah ihn finster an und wiederholte: „Gut’n Morg’n.“ Dabei lief ein breiter Rinnsal Milch aus ihrem Mund in die Schüssel zurück, gefolgt von einigen langsameren Schokostückchen, die mit leisem flap wieder im Müsli landeten. „‘tschuldigung“, murmelte sie und griff eilig nach der Serviette, die Mek'to-bar ihr mit einem missbilligenden Kopfschütteln reichte.

Ezra konnte sich ihr Lachen nur verkneifen, indem sie sich selbst in den Oberschenkel kniff, stellte aber hocherfreut fest, dass es den drei Dhen ähnlich ging.

Aki tupfte ihr Gesicht trocken, vermied dabei geflissentlich jeden Blickkontakt mit Yan-Ivo und löffelte anschließend ihr Müsli zu Ende, als sei nichts passiert. Sie hatte sich für heute genug blamiert und wollte nur noch möglichst schnell weg. Als sie fertig war, brachte sie eilig ihr Geschirr weg und nuschelte irgendwas zu Yan-Ivo, was so ähnlich klang wie: „Ichbindamabeimtraining.“

Er konnte zwar nicht behaupten, verstanden zu haben, was seine Dhenari gesagt hatte, doch da er eine vage Vermutung hatte, worum es ging, nickte er nur und sah ihr hinterher, wie sie den Saal verließ.

Was macht sie?“ fragte Joon verwirrt.

„Training. Tibi-Cho oder so was?“

„Oh, davon hab ich gehört“, rief sie. „Das ist dieser komische Modetanz, nach dem sie auf Berann so verrückt sind.“

„Kampfsport“, korrigierte Yan-Ivo fast automatisch.

„Hm?“

„Ja, ähm, das ist eine Kampftechnik, kein Tanz.“

„Bist du dir da sicher?“ Joon hob skeptisch die Augenbrauen. „Sieht nämlich verdammt nach Tanzen aus.“

Yan-Ivo schwieg. Hatte er sich von einer Siebzehnjährigen austricksen lassen?

„Auf Ceti 8 ist die Schwerkraft höher“, erklärte Trini so nebensächlich, als spräche sie übers Wetter.

Alle am Tisch dachten einen Moment darüber nach, doch da sich keiner traute, sein physikalisches Unwissen öffentlich zur Schau zu stellen, wurde das Thema stillschweigend abgehakt.

Nach einer Weile fragte Yan-Ivo stattdessen an Joon gewandt: „Darf ich dir auf die Nerven gehen, bis Aki fertig getanzt hat?“

„Klar.“

Na toll, dachte Ezra.

Unter anderen Umständen hätte Mek'to-bar die morgendliche Luft sicher genossen. Es war angenehm warm, und der unregelmäßige Wind brachte immer wieder eine kühle Brise und den frischen Duft der Bäume mit sich. Doch die Wahrheit war, er bekam gar nichts davon mit, während er durchs Unterholz hetzte und sich dabei nicht einmal durch hoch wachsende Büsche aufhalten ließ. Obwohl er sich anstrengte, war Trini schon vor Minuten im undurchdringlichen Grün vor ihm verschwunden.

Irgendwann blieb er erschöpft und schwer atmend stehen, um sich umzusehen. Er musste schon ziemlich tief im Dschungel sein, denn die Bäume wuchsen hier höher als sein Blick reichte, und der Boden war unter kleinen Büschen und den zahllosen Kräutern nicht mehr zu erkennen. Wenige Meter über sich konnte Mek'to-bar einige Tiere ausmachen, die ihren täglichen Geschäften nachgingen und den jungen Dhenari nicht weiter beachteten. Irgendwo im Grün vor ihm verbarg sich vermutlich auch ein Nagetier, denn er konnte hören, wie es sich durch die Vegetation knabberte.

Plötzlich wurden seine Sinne von einem Geräusch abgelenkt, das sich für ungeübte Ohren kaum von den übrigen unterschied, für ihn aber sofort als menschlich erkennbar war. Unter den sicheren Schritten einer Person, die nicht allzu schwer sein konnte, knackten einige Zweige, Sträucher wurden zur Seite geschoben und schnellten wieder an ihren Platz zurück. Trini hatte sein Zurückbleiben wohl bemerkt und kam nun, um ihm eine Standpauke über Disziplin oder so was zu halten.

Er lag zumindest nicht völlig falsch, denn nur wenige Sekunden später schob die großgewachsene Dhen einige Zweige direkt vor ihm auseinander und steckte ihren Kopf mit den Segelohren hindurch. Ohne ein Wort lächelte sie ihn fragend an.

„Entschuldigung?“ versuchte er.

Trini schlüpfte ganz durch die Sträucher und baute sich vor ihm auf. „Glaubst du, es liegt an meiner Kondition, dass ich schneller vorankomme?“ fragte sie ernst.

„Äh, ja.“ Falsche Antwort, Mek'to-bar. Er wusste das. Vielleicht war sie wirklich besser in Form, aber er sollte das eigentlich durch den Umstand, dass er das Areal im Gegensatz zu ihr gut kannte, ausgleichen können. Stattdessen war er hinter ihr her gerannt wie ein kleiner Junge, er hatte sich blind darauf verlassen, dass sie ihm den besten Weg zeigte. Er schüttelte den Kopf über sich selbst. „Ich war nicht bei der Sache.“

„Ganz genau“, erwiderte Trini. „Du darfst dich nicht nach mir oder irgendjemand anderem richten. Jeder Mensch hat seinen eigenen Rhythmus, und in dem musst du dich bewegen.“ Mek'to-bar nickte. „Gut, etwa dreihundert Meter vor uns ist eine Lichtung“, verriet sie und bewegte sich gleichzeitig nach links, tiefer ins Dickicht der Bäume und Sträucher. Als er sie gerade noch erkennen konnte, rief sie: „Versuch, vor mir dort zu sein!“

Diesmal achtete Mek'to-bar nicht auf Trini, er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt losgerannt war. Er konzentrierte sich allein auf den Dschungel vor ihm, nutzte all seine Sinne und sprang durch Lücken, die kaum als solche erkennbar waren. Als er die Lichtung erreichte, hechtete Trini beinahe zeitgleich aus einem Gestrüpp links von ihm. Er war kaum außer Atem, ihm kam es fast so vor, als habe er nur einen Spaziergang gemacht.

„Das war gut“, stellte Trini fest und lächelte schief. „Du machst schnell Fortschritte, aus dir wird vielleicht doch noch was.“

Das Summen von Insekten erfüllte die warme Luft, während sich Joon und Ezra schweigend gegenüberstanden. Vor gut einer Viertelstunde waren Trini und Mek'to-bar im Dschungel verschwunden, und als Ezra erfuhr, welche Art von Training Joon vorschwebte, war sie nicht begeistert gewesen.

Yan-Ivo musste zugeben, so langsam verstand er, wieso. Die junge Frau stand regungslos ihrer Lehrerin gegenüber, einen langen Holzstab abwehrend vor sich haltend. Wartend. Sie unterschied sich wirklich nicht nur äußerlich gewaltig von Aki. Er hatte seine eigene Schülerin zwar noch nicht kämpfen gesehen, doch ihre Bewegungen beim Tibi-Cho verrieten, dass sie niemand war, der in die Defensive ging, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Ezra hingegen war unsicher, sie hoffte noch, dass Joon irgendwelche Schwächen offenbarte, die ihr halfen, doch diese Hoffnung schwand, je länger sie hier standen. Yan-Ivo konnte förmlich sehen, wie Ezras Gedanken ziellos umherwanderten, und die Art, wie sie den Holzstab hielt, verriet ihm auch, dass ihr langsam die Hände wehtaten. Das war nicht der Eindruck, den man im Kampf machen wollte.

„Worauf wartest du?“ rief Joon und verlagerte ihr Gewicht zum wiederholten Male von einem Bein auf das andere. „Du besiegst deinen Gegner nicht, indem du ihn in Grund und Boden starrst.“

Yan-Ivo lächelte bei ihren Worten. Sie versuchte, das Mädchen zu reizen, aber das funktionierte nicht. Ezra hatte sich viel zu sehr unter Kontrolle – auch etwas, was sie von Aki unterschied.

Sie hob die Schultern. „Ich versuche, die Taktik des Gegners zu analysieren.“

Joon ließ ihren Stab sinken und trat dann näher zu ihrer Schülerin, die ihre Waffe mit sichtbarer Erleichterung neben sich absetzte. „Ezra, du gehst das irgendwie falsch an. Wenn wir uns nur gegenüberstehen, kommst du mit dem Analysieren nicht weit.“

„Aber ich kann doch nicht einfach angreifen und mögliche Chancen verspielen.“ Ihre Stimme klang trotzig, wohl vor allem deshalb, weil sie glaubte, dass Joon sie in die Irre führen wollte.

„Achte nicht so sehr auf die bewussten Bewegungen deines Gegenübers“, riet Joon ihr. „Wenn du ihm in die Augen siehst, wirst du wissen, wann Gefahr droht.“ Damit ging sie wieder auf ihre Ausgangsposition zurück und hob den Holzstab zum Angriff. „Und jetzt vergiss das, ich möchte einfach nur sehen, wie du kämpfst.“

Ezra zögerte. Der Stab in ihrer Hand schien mit einem Mal doppelt so schwer geworden zu sein, und das Summen der Insekten wurde immer lauter. Ihr Geist fühlte sich beängstigend leer an. Und dann war da die Unsicherheit, die Angst, zu versagen oder sich lächerlich zu machen. Sie spürte Yan-Ivos Blick auf sich und zwang sich zur Ruhe.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung drehte sie ihren Holzstab um die eigene Achse, versuchte, das Gefühl eines zusätzlichen Gewichts abzuschütteln. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Aki den Übungsplatz betrat, dennoch reagierte sie fast ohne Verzögerung, als Joon sie plötzlich angriff. Das abgehackte Knallen, als ihre beiden Stäbe aufeinandertrafen, wurde in die Ferne getragen. Ezra parierte und wagte vorsichtig einige Offensiven. Nach und nach vergaß sie ihre Umgebung und merkte nicht einmal, wie ihr der Schweiß aus den Poren drang und innerhalb kürzester Zeit ihre Kleidung durchnässte. Aktion und Reaktion, sie begann langsam, sich sicherer zu fühlen, als Joon einen kräftigen Hieb aufführte, der sie nach hinten warf. In der einen Sekunde, sie sie brauchte, um ihre Stellung wieder einzunehmen, sprang Joon zurück und senkte ihre Waffe.

„Das war nicht übel“, gab sie zu.

Ezra beugte erschöpft den Oberkörper nach vorn und merkte plötzlich, dass ihr sämtliche Glieder wehtaten. Unfähig, etwas zu erwidern, nickte sie nur.

„Möchtest du wissen, warum du bei einem richtigen Kampf unterliegen würdest?“

Ezra sah erschrocken auf. Da ging ihr Lob dahin. Dabei hatte sie wirklich das Gefühl, dass sie ganz gut gewesen war. Bei ihren Übungskämpfen mit Aki oder Mek'to-bar hatte sie sich nie derart fallen gelassen. Sicher, Joons letzter Schlag hatte sie zurückgetrieben, aber sie hatte schnell reagiert und sich keine Blöße gegeben, da war sie sich absolut sicher. Langsam nickte sie.

„Wie hast du gekämpft?“

Ezra verstand nicht, worauf Joon hinaus wollte, und antwortete deshalb instinktiv: „Wie es mir beigebracht wurde.“

„Genau.“ Joon lächelte bitter. „Deine Schläge waren allesamt vorhersehbar. Deine Technik ist gut, gar keine Frage, aber da war keine Originalität. Kein eigener Stil.“

Ezra holte tief Luft und warf Aki einen müden Blick zu. Sie hatte sich neben ihren Lehrer ins platt getrampelte Gras gesetzt.

„Yan?“ fragte Joon. „Darf ich mir mal deine Schülerin ausleihen?“

Er zuckte mit den Schultern und blickte fragend zu Aki. Wenn er ehrlich war, wollte er auch sehen, wie sie kämpfte. Nicht viele Dhen griffen heute noch zum Schwert, weil es eine Menge Disziplin und Feingefühl verlangte. Als sie aufstand und dabei ihre Armmuskeln streckte, konnte er sehen, dass sie im Gegensatz zu ihrer Schwester keinerlei Bedenken hatte. Das war ihr Ding, sie liebte die körperliche Herausforderung, und etwas sagte ihm, dass auch das etwas zu bedeuten hatte.

Aki nahm den Holzstab von Ezra entgegen und ließ ihn einige Male rotieren, um ein Gefühl dafür zu kriegen. Sie kämpfte nicht gern mit Stöcken, sie waren schwer und behäbig, aber sie wollte das Beste daraus machen. Die Oberfläche der Waffe war an einigen Stellen bereits rau vom häufigen Gebrauch, und wenn sie nicht alles täuschte, lag der Schwerpunkt nicht genau in der Mitte. Schließlich hob sie den Stab vor sich und nahm eine leicht vornübergebeugte Stellung ein, die Joon zu verstehen gab, dass sie bereit war.

Joon, die beobachtet hatte, wie sich Aki mit der Waffe vertraut machte, wusste, dass dieser Kampf anders ausfiele. Dennoch war sie mehr als überrascht, als das Mädchen ohne jede Vorwarnung angriff. Sie wehrte ihre Stöße zwar ohne größere Probleme ab, kam dabei aber gehörig ins Schwitzen. Akis Schrittfolgen waren unregelmäßig, ihre Schläge kaum vorhersehbar und ungewöhnlich aggressiv.

„Das reicht“, rief Joon schließlich und bemühte sich nicht einmal, ihre Erschöpfung zu verbergen. Im selben Augenblick hielt Aki inne und ließ den Stab sinken. „Wo hast du nur so kämpfen gelernt?“

Sie lächelte schmal. „Von meiner Mutter“, antwortete sie. „Außerdem kämpfe ich nicht nach einzelnen Figuren, sondern nach Gefühl. Ähnlich wie beim Tibi-Cho.“ Als sie das sagte, suchte ihr Blick herausfordernd den von Yan-Ivo.

Der sah daraufhin zu Joon und meinte nur nonchalant: „So viel zum Thema Tanzen, hm?“

Die Dhen verzog kurz die Mundwinkel, ließ sich aber sonst zu keiner Reaktion herab. Stattdessen wandte sie sich wieder an Aki: „Du solltest unbedingt regelmäßig trainieren, du bist verdammt gut.“

Sie lächelte verlegen und versuchte, nicht zu Ezra zu schauen. Sie hatte immer gewusst, dass sie im Kampf besser war als ihre Schwester, doch sie hatte sich nie bewusst gemacht, wie groß der Unterschied war. Und dass Joon sie vor ihr lobte, war nicht fair.

„Darf ich meine Schülerin jetzt zurückhaben?“ fragte Yan-Ivo mit einem Augenzwinkern.

Joon nickte kurz, worauf Aki den Holzstab wieder an Ezra zurückgab und ihr beim Gehen einen ermutigenden Blick zuwarf. Dass sie bei ihrer Lehrerin hatte punkten können, musste ja nichts heißen. Wahrscheinlich fand Yan-Ivo schon etwas, womit er sie in die Knie zwingen konnte. Sie wusste selbst, dass sie nachlässig und faul war, ihr Vater hatte es ihr oft genug gesagt.

Sie folgte ihm Richtung Fluss und wartete ab, ob er eine Unterhaltung anregte. Was Fandra den dreien wohl über ihre Schüler erzählt hatte? Wenn Joon darüber Bescheid wusste, dass Ezra nicht kämpfen konnte, wusste Yan-Ivo vermutlich auch, dass Aki Namia nicht ganz freiwillig verlassen hatte. Ihr Vater hatte einmal zu ihr gesagt, dass wohl ein Dämon in ihr wohne, weil sie so unberechenbar und aufsässig war. Aki wusste nicht, ob er damals im Ernst gesprochen hatte, aber dass er sie zusammen mit Ezra fortgeschickt hatte, obwohl sie im Gegensatz zu ihrer Schwester niemals den Wunsch geäußert hatte, eine Dhen zu werden, war vermutlich Antwort genug. Sie war einmal zu oft vom Sicherheitsdienst nach Hause gebracht worden.

„Wie gut bist du mit Portalen?“ fragte Yan-Ivo plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken.

Sie kräuselte die Nase. „Fandra lässt uns kaum üben. Ich glaube, sie fürchtet, dass wir sonst alle nach und nach abhauen.“

„Interessant.“ Yan-Ivo hielt sich mit jedem weiteren Kommentar zurück, begann aber langsam zu verstehen, warum sich die fortgeschrittenen Schüler an der Akademie unterfordert fühlten. Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als ihm sein Angkatar die wahre Natur der Dhen erklärt hatte. Es war noch auf Marfa-i gewesen, nur wenige Jahre nach dem Ende des Krieges, als sich fast überall in der Galaxis marodierende Banden und größenwahnsinnige Generäle herumtrieben und versuchten, sich im Chaos des Wiederaufbaus eine Welt unter den Nagel zu reißen. Kilian Ash war sein Ausweg gewesen, Yan-Ivo wäre ihm überall hin gefolgt, nachdem er ihm gesagt hatte, dass seine ungewöhnlichen Kräfte von einer besonderen Beziehung zur Lebensenergie des Universums herrührten. Dass er gehen konnte, wohin auch immer er wollte. Dhen Sachain, die Hüter der Portale, so erklärte er ihm, kannten keine Grenzen, keine Entfernungen. Sie reisten durch Wurmlöcher, die sie allein mit der Kraft ihrer Worte öffneten. Und bei allen Dingen, die Kilian ihn in den folgenden Jahren lehrte, bildete das Öffnen dieser Portale stets den Mittelpunkt seines Trainings. Es war ihm unbegreiflich, wie Rafal es zulassen konnte, dass Fandra diesen essenziellen Aspekt ihres Seins aus der Ausbildung ausklammerte.

Aki spürte, dass Yan-Ivo ihre Antwort nicht glücklich stimmte, und ergänzte mit einem schiefen Grinsen: „Heißt nicht, dass wir's nicht trotzdem tun.“

Er sah zur Seite und blickte in ihre dunkelbraunen Augen, die so sanft und vertrauenerweckend aussahen, dass er beinahe vergessen wollte, was Fandra ihm alles über sie erzählt hatte. „Gibt es irgendeinen Ort auf dieser Welt, wo wir ungestört sind?“

Aki antwortete nicht auf die Frage, sondern blieb stattdessen stehen und hob ihre rechte Hand, den Zeigefinger leicht ausgestreckt. Dass sie nicht zögerte, Yan-Ivo an den einen Ort zu bringen, den sie immer als Zuflucht betrachtet hatte, ängstigte sie selbst, doch ein Teil von ihr wusste, dass dies auch ein Test war. Fandra hatte sie so lange an der kurzen Leine gehalten, dass die Aussicht auf Wissen eine geradezu berauschende Wirkung auf sie hatte. Sie schloss die Augen und wurde sich der Energien bewusst, die durch sie flossen, sie mit dem Universum verbanden und ihr einst die Worte verraten hatten, die sie bis heute für sich behalten hatte. „Achelari jolano tenani en, helaranam tektar“, sagte sie leise, während sie ihre Hand in einem perfekten Kreis bewegte.

Rejsé war eine ehrfurchtgebietende Sprache, deren Worte eine Schwere besaßen, die man selbst dann spürte, wenn man sie nicht verstand. Keiner sprach sie mehr, sie war tot, schon seit Jahrtausenden. Was geblieben war, waren Sprüche, die an nahezu jeden Ort des Universums führten, und die Hoffnung, dass ab und zu ein Dhen geboren wurde, der die seltene Gabe besaß, den Spruch eines Ortes zu erfühlen. Yan-Ivo erkannte einzelne Worte, wusste aber sofort, dass dies keiner der drei Sprüche war, die für Lethiel bekannt waren. Aki hatte ihn offenbar selbst gefunden.

Das Tor, das sich vor ihnen öffnete, war wie ein Loch in der Realität. Jedes Wurmloch sah anders aus, manche bestanden aus nichts als Licht, andere bildeten Gänge aus Rauch oder Wolken, sie waren so einzigartig wie der Spruch, der sie öffnete. Auf der anderen Seite konnte Yan-Ivo das Meer rauschen hören. Das einzige Meer, das Lethiel besaß, tausende Kilometer von der Akademie entfernt.

Aki trat als Erste hindurch, und als Yan-Ivo gefolgt war, schloss sie das Tor mit einer kurzen Handbewegung wieder. Vor ihnen erstreckte sich die Küste, ein Strand aus bemoosten Steinen, aus deren Ritzen einige Wasservögel ihr Mittagessen pickten. Der Wellengang war ruhig, obwohl der Himmel über ihnen wolkenverhangen war und nach Sturm aussah. Hinter einem Steilhang rechts von ihnen konnte Yan-Ivo den orangeroten Riesen sehen, der Lethiel begleitete. Die Luft war anders als im Dschungel, kühler und feuchter, mit einem allgegenwärtigen Salzgeschmack. Dass Aki sich an einem derart rauen Ort geborgen fühlte, war aufschlussreich, ihre Mutter stammte von einem Wüstenplaneten.

Yan-Ivo drehte sich um, machte etwas höher gelegen eine Düne aus, die spärlich mit Gräsern bewachsen war, und setzte sich wieder in Bewegung. Der Wind nahm zu, doch als er sich im Sand niederließ, verstummte er fast augenblicklich. Aki setzte sich zu ihm und blickte eine Weile still aufs Meer hinaus.

„Was verleiht uns unsere Fähigkeiten?“ fragte er schließlich und hatte damit sofort ihre volle Aufmerksamkeit.

Aki lächelte, weil sie dachte, dass er nur Basiswissen abfragen wollte. „Viele nennen es Energie oder Lebenskraft, andere Magie. Wir nennen es Nevarra, das Universum.“

„Aber was ist Nevarra?“

Darauf gab es keine Antwort, und das wusste Yan-Ivo, also musste es ihm um etwas anderes gehen. Ihr Vater hatte ihr und ihrer Schwester schon als kleinen Mädchen zu erklären versucht, was die Dhen von anderen Wesen unterschied. Die Energie war in allem, sie bildete gewissermaßen die Struktur, aus der das Universum gebaut war. Nur deshalb konnten sie Wurmlöcher öffnen, sie bauten das Universum kurzzeitig um. Während der Großteil aller Lebewesen diesen Energien ausgeliefert war, konnten die Dhen die Struktur erkennen und nutzen. Die alten Dhen waren von dieser Macht korrumpiert worden, deshalb hatten sich die Dhen Sachain von ihnen losgesagt, und deshalb war es zum Krieg gekommen. „Ich bin Nevarra“, antwortete sie.

Yan-Ivo war der Stolz auf ihre kluge Antwort anzusehen. Er nickte und erklärte mit einem Lächeln: „Wenn dir das klar ist, weißt du, dass es keine Grenzen gibt. Alles ist miteinander verbunden. Die Struktur, aus der das Universum besteht, ist real, und wenn du weißt wie, kannst du sie auch sehen.“

„Wie?“

Es war eine leichte Übung, und Kilian hatte ihm erzählt, dass sie einst eine der ersten gewesen war, die ein Dhenari lernte. Heute war Yan-Ivo womöglich der Letzte, der die Technik noch beherrschte, sie gehörte zu den verlorenen Künsten, zu jenen, von denen manche noch eine vage Ahnung haben mochten. Es war so, wie Fandra gesagt hatte, ihr Wissen war im Krieg zersplittert worden, jeder wusste noch irgendwie ein bisschen, aber keiner kannte mehr das ganze Bild. Ob es jemals wieder eine Zeit gäbe, in der ein Dhen alles lernen konnte, wagte er zu bezweifeln. Aber es sollte wenigstens nicht seine Schuld sein, wenn dieses spezielle Wissen unterging.

„Schließ deine Augen“, forderte er sie auf, und sie gehorchte ohne Zögern. „Du musst dir der Struktur um dich herum bewusst werden. Fühle sie.“

„Das ist irgendwie komisch“, flüsterte Aki. „Wie Watte. Nur nicht so körperlich.“ Sie war zu konzentriert, um zu merken, welchen Unsinn sie redete.

Yan-Ivo wartete noch einen Augenblick, bevor er sagte: „Öffne deine Augen.“

Im ersten Augenblick glaubte Aki zu erblinden, als gleißend helles Licht ihre Augen traf. Doch während sie blinzelte, gewöhnte sie sich langsam daran und merkte, wie sich nach und nach Konturen aus dem Licht schälten. Alles um sie herum erstrahlte in Farben, die sich gegenseitig überlagerten und zu übertrumpfen versuchen. Selbst die Luft glühte. Es war kein Wunder, dass so viele von ihnen es als Energie bezeichneten, es war die beste Erklärung für das, was sie sah.

Sie sah zu ihrem Lehrer und stellte fest, dass ihn eine gelblich weiße Korona umgab. Als sie die eigene Hand hob, war sie von strahlend weißer Energie wie von einem Nebel umhüllt. Das mickrige Gras unter ihnen leuchtete plötzlich saftig grün und schien von kleinen gelben Adern durchzogen zu sein, und das tiefe Blau des Meeres strahlte mit den natürlichen Lichtreflexen um die Wette. „Das … ist … unglaublich“, flüsterte sie ehrfürchtig.

„Nun versuch, deine Kräfte zu nutzen.“

Eine leichte Übung, dachte Aki und merkte erst dann, wie schwer es ihr fiel, ihre Gedanken zu fokussieren. Die Energien, die sie sonst nur spürte, auch zu sehen, verkomplizierte die Sache ungemein.

„Versuch nicht, danach zu greifen wie nach einem Objekt“, riet Yan-Ivo ihr, der das Problem durchaus noch aus eigener Erfahrung kannte. „Lass es zu dir kommen wie sonst auch.“

Aki nickte und entspannte sich, rief sich in Erinnerung, wie sie bisher ihre Kräfte genutzt hatte, und stellte bald darauf fest, wie sich das Licht um sie herum verdichtete. Instinktiv streckte sie ihre Hand aus, in der sich die Energien bündelten, die von allen Seiten zu ihr kam. Selbst von der Korona ihres Lehrers, stellte Aki ein wenig erschrocken fest. Und das war Nevarra. Da in ihrer Hand. Das Universum. Plötzlich war das alles nichts Abstraktes mehr, es war wirklich da. Es war immer da, wenn sie es brauchte. „Danke“, sagte sie leise in Yan-Ivos Richtung und entließ das Licht aus ihrer Hand, worauf es sich wieder in alle Winde zerstreute.

Mek'to-bar blieb im Dschungel zurück, nachdem Trini ihren Unterricht für beendet erklärt hatte, und spazierte nun gemütlich durch den weniger dichten Wald, der von der Akademie zum Fluss führte. Dabei lauschte er auf die Vögel, die jetzt zur Paarungszeit unablässig kreischten und schrien, als ginge es ihnen ans Leben. Das Licht des späten Nachmittags färbte sich bereits orange und schuf durch das Blattwerk über ihm eine beinahe romantische Atmosphäre. Der kühle Wind vom Vormittag war natürlich lange verstummt, doch die Wärme war trocken und nicht so schwül, wie sie es sonst um diese Jahreszeit war.

Vor sich vernahm Mek'to-bar das Knacken einiger Zweige, und kurz darauf glaubte er gedämpft einen Fluch zu hören. Als er einige Äste beiseiteschob, um zu sehen, ob jemand Hilfe benötigte, stolperte ihm Aki entgegen, dicht gefolgt von Yan-Ivo. Hinter ihnen schien sich gerade ein Tor zu schließen, doch da konnte ihm genauso gut das schummrige Licht einen Streich gespielt haben. Akis Gesicht war gerötet, als sei sie gerannt, und sobald sie ihn bemerkte, versuchte sie halbherzig, ihre Haare zu glätten, die völlig durcheinander waren. Yan-Ivo lächelte, setzte aber sofort eine ernste Miene auf, als er Mek'to-bar erblickte. Wüsste er es nicht besser, hätte er meinen können, dass er die beiden bei einem Schäferstündchen erwischt hatte.

„Was macht ihr denn hier draußen?“ fragte er erschrocken.

Aki hob bedeutungsvoll ihre rechte Augenbraue. „Das können wir genauso gut dich fragen.“

„Ich mache einen Spaziergang.“

„Wie lustig, wir auch.“

Mek'to-bar beließ es dabei und wich Yan-Ivos Blick aus. Der hagere Dhen mit den dunkelblauen Augen war ihm fast noch ein bisschen unheimlicher als seine eigene Lehrerin, ohne dass er sagen konnte, woran es lag.

„Ja, Jungs, ich werd dann mal laufen gehen“, meinte Aki und deutete spielerisch eine Verbeugung an.

Dann standen sie plötzlich allein im Dschungel, und Mek'to-bar beeilte sich, zur Akademie zu kommen, wo sich Yan-Ivo ohne ein Wort des Abschieds von ihm trennte. Er sah ihm hinterher, bis er in dem Gang verschwand, der zu Fandra führte, und fühlte fast so etwas wie Erleichterung, weil er nicht sein Lehrer war.

Mit einem Kopfschütteln schlug Mek'to-bar die entgegengesetzte Richtung zu den Quartieren ein und fand Ezras Tür wie erwartet offen stehen. Sie saß über ein Buch gebeugt an ihrem Schreibtisch und schien sein Eintreten nicht einmal zu bemerken, bis er sich leise räusperte.

„Was führt dich denn her?“ fragte sie mit einem Lächeln, das die Erschöpfung in ihrer Stimme nicht überspielen konnte.

Er rang einen Moment lang mit sich, ob er sie nach ihrem Tag mit Joon fragen sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. Er wollte nicht über seinen Unterricht reden, nicht einmal mit ihr, und nahm an, dass es ihr ähnlich ging. „Aki“, antwortete er deshalb nur. „Entweder hat sie den besten Lehrer erwischt oder sie ist anpassungsfähiger, als ich bisher angenommen habe.“

Ezra sah ihn verständnislos an und bot ihm mit einer Geste den Platz auf ihrem Bett an. Er zögerte kurz, setzte sich dann aber doch und fragte: „Wie war dein Training?“

Ihr gequälter Blick verriet, dass er mit seiner ersten Einschätzung richtig gelegen hatte. „Miserabel“, fasste sie es in einem Wort zusammen. „Joon hat jede Gelegenheit genutzt, mir vor Augen zu führen, dass ich völlig unfähig bin. Ich weiß nicht, ob sie das für eine kluge Taktik hält, oder ob ich tatsächlich so eine Versagerin bin, dass ich lieber heute als morgen Farmerin werde.“

Mek'to-bar lächelte, als er hörte, dass sie es immerhin noch mit Humor nahm. Etwas, wozu er nicht fähig war. „Bei mir war es ganz ähnlich. Trini scheint der Meinung zu sein, dass Lob überbewertet wird.“

Vielleicht war er zu hart, dachte er, vielleicht machte ihm das nur so sehr zu schaffen, weil er es sich in der Routine der Akademie zuletzt ein bisschen zu bequem gemacht hatte. Der Gedanke nagte an ihm, doch er schüttelte ihn ab und fuhr fort: „Als ich Aki vorhin mit Yan-Ivo gesehen hab, schien sie die Seligkeit in Person zu sein. Als hätte sie den tollsten Tag ihres Lebens gehabt.“

„Vielleicht ist es so.“ Ezra zwinkerte ihm vielsagend zu.

„Er ist ihr Lehrer!“ rief Mek'to-bar empört und spürte gleichzeitig, wie seine Ohren heiß wurden, weil er vorhin genau dasselbe gedacht hatte. War es denn so weit hergeholt, wenn es auch Ezras erster Gedanke war?

„Stimmt, außerdem ist er viel zu alt“, ergänzte sie schnell. Er war nicht so alt, das wusste sie. Anfang dreißig, wenn überhaupt. Doch ihn umgab so eine gewisse Aura, als habe er schon viel erlebt. Vielleicht war es genau das, was Aki anzog.

„Vermutlich ist er einfach nur der bessere Lehrer.“

„Möglich“, stimmte sie zu. „Oder Aki kommt besser mit Veränderungen klar als wir. Ich meine, du kennst sie und ihr Ego.“ Sie ließe sich von Joon und Trini jedenfalls nicht klein machen, soviel stand fest.

Als Aki eine knappe Stunde später zur Akademie zurückkehrte, war das goldene Abendlicht bereits dabei, eine rötliche Färbung anzunehmen. Am Horizont ballten sich violette Wolken und verliehen der Szenerie etwas beinahe Unwirkliches.

Wenn sie pünktlich zum Sonnenuntergang an ihrem Treffpunkt sein wollte, musste sie sich mit dem Umziehen beeilen, deshalb rannte sie im Inneren gleich weiter und stoppte erst, als sie an Yan-Ivos offen stehendem Quartier vorbeikam und sah, dass er gerade auspackte. Sie wollte eine sarkastische Bemerkung zu seinen exakten Kleiderstapeln machen, als sie sah, dass er nicht aus-, sondern einpackte.

„Sie gehen?“ fragte sie erschrocken. Sie hatte etwas falsch gemacht. Irgendetwas, sie wusste nicht, was.

„Es geht nicht anders“, erklärte er ruhig und unterbrach seine Arbeit. „Da ist etwas, um das ich mich kümmern muss.“

„Also liegt es nicht an mir?“

Yan-Ivo sah sie überrascht an und konnte einfach nicht glauben, dass eine so talentierte junge Frau wie sie dachte, dass er ihretwegen ging. Wenn es einen Grund gab, hierzubleiben, dann sie. Er beugte sich leicht hinab, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein, und packte sie fest an den Schultern. „Nein.“ Er legte all seine Überzeugungskraft in dieses eine Wort.

„Was ist passiert?“

„Meine Schwester wurde entführt“, erklärte er und wandte sich gleichzeitig wieder seinem Gepäck zu, damit sie nicht merkte, wie sehr ihm die Sache zusetzte.

„Von wem?“

„Er nennt sich Albor, der Name wird dir nichts sagen. Er konzentriert seine kriminelle Energie auf, nun ja, wenige Auserwählte.“

„Ich sollte mitkommen.“ Aki dachte nicht nach, als sie das sagte, aber Kneifen kam nicht in Frage. Was auch immer sie anfangs über ihn gedacht hatte, Yan-Ivo hatte ihr heute etwas Entscheidendes beigebracht. Sie wäre dumm, ihn einfach so verschwinden zu lassen.

„Das ist viel zu gefährlich“, wehrte er ohne echte Überzeugungskraft ab, denn er wusste, es war die dämlichste Ausrede, die er ins Feld führen konnte. „Das geht nur mich und Albor etwas an.“

„Seit heute nicht mehr“, stellte Aki fest. „Sie sind mein Angkatar, damit bin ich ebenfalls ein potenzielles Ziel für diesen Mann.“ Plötzlich lächelte sie. „Außerdem, wenn Sie nicht hierbleiben, muss ich wohl mitgehen, um die Ausbildung zu erhalten, die Fandra mir versprochen hat.“

„Und was wird sie dazu sagen?“

Ihr Vater hieße das nicht gut, das war sicher, und er erführe spätestens von Fandra davon. Andererseits war die Sache mit dem Einzelunterricht seine Idee gewesen. „Vermutlich wird sie froh sein, wenn die Akademie mal eine Weile von meinem Chaos verschont bleibt.“

Yan-Ivo nickte. Sie ließ sich von ihrem Entschluss nicht mehr abbringen, und wenn er aufrichtig war, war er ganz froh, eine Begleitung zu haben. „Eine Bitte noch …“

„Ja?“

„Das 'Sie' lassen wir in Zukunft bleiben, ja? Die Beziehung zwischen Angkatar und Dhenari beruht auf Vertrauen und Freundschaft.“

„In Ordnung.“ Sie lächelte. „Wann willst du starten?“

„Morgen in aller Frühe, am besten noch vor Sonnenaufgang. Der Ort, zu dem wir müssen, ist abgeschirmt, wir öffnen also ein Tor nach Shana und müssen uns dort einen Raumgleiter organisieren.“

„Verstehe.“ Sie wandte sich zum Gehen.

„Und Aki“, hielt er sie auf, „nimm deine Waffe mit.“

Obwohl sie in ihrem Entschluss nicht wankte, machte ihr erst diese Aufforderung bewusst, worauf sie sich einließ. Im Schutz der Akademie war sie sich ihrer Kräfte wohl bewusst, doch wie mochte es dort draußen sein? Wie sollte sie sicher sein, dass sich Yan-Ivo auf sie verlassen konnte?

Sie verließ sein Quartier nachdenklich und schlug, ohne sich umzuziehen, direkt den Weg zum Treffpunkt mit Ezra und Mek'to-bar ein. Die Sonne war inzwischen untergegangen, so dass sie ohnehin zu spät war, aber das war im Augenblick unwichtig. Im Dämmerlicht kämpfte sie sich durch das Dickicht und erreichte schließlich den Felsen, wo die beiden warteten.

„Wir dachten schon, du hast andere Pläne“, zog Ezra sie auf, bevor sie merkte, dass ihre Schwester seltsam in sich gekehrt war. „Was ist passiert?“

„Ich begleite Yan-Ivo auf eine Mission.“

„Wie bitte?“

„Er hat mir heute gezeigt, wie viel mehr es noch zu lernen gibt“, erklärte sie und war sich nicht sicher, ob sie sich damit nicht vor allem vor sich selber rechtfertigte. „Ich kann ihn nicht alleine gehen lassen.“

Während sie noch darüber sprach, nutzte Aki ihre neu erlernte Fähigkeit und ließ die Umgebung im Licht ihrer Energien aufleuchten. Es war anders als am Tag, die Farben waren trotz des Dämmerlichts nicht wirklich dunkler, wirkten aber ausgebleicht und gedämpft wie durch einen Schleier. Mek'to-bar umgab ein mattgrünes Licht, während Ezra in einer rötlichen Korona erstrahlte. Ob die Farbe etwas zu bedeuten hatte? Sie schloss die Augen für einen Moment, und als sie sie wieder öffnete, umgab sie schwärzeste Nacht. Nach einer Weile gewöhnte sie sich wieder an die Dunkelheit und konnte das Gesicht ihrer Schwester ausmachen. Sie sah besorgt aus.

„Wir wussten alle, dass sich die Dinge ändern“, sagte Aki leise. Sie hatte nicht vergessen, dass ausgerechnet sie es gewesen war, die darauf gepocht hatte, dass sie ein Team waren. Das war erst einen Tag her, aber es war ein ereignisreicher Tag gewesen, und es fiel ihr schwer, das Ezra und Mek'to-bar begreiflich zu machen.

„Sicher“, meinte ihre Schwester. „Aber wir wollten dieselben bleiben.“

„Das sind wir schon lange nicht mehr, es war uns nur noch nicht klar.“

Vielleicht konnten sie sich noch eine Zeitlang an ihrem alten Leben festhalten, aber am Ende mussten sie einsehen, dass sie keine Kinder mehr waren. Manche vielleicht früher als andere.

Dhenari

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