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4. Kapitel

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Natürlich brannte ich darauf, diesen Robert Fence kennenzulernen. Am liebsten wäre ich sofort hinausgefahren, um ihn zu konfrontieren. Doch was wusste ich schon, so etwas musste minutiös vorbereitet werden. Ich konnte schlecht einfach an seiner Haustür klingeln und fragen: „Hey Bob, wo ist Jane?“ Vielleicht war er verheiratet und hatte Kinder. Dann würde er womöglich aus Gründen leugnen, die Mädchen gekannt zu haben, die mir in der Situation völlig gleichgültig waren.

Auch wenn er mit Drogen zu tun hatte, was ich wegen Dorothys Tod stark annahm, würde er es mir nicht einfach ins Gesicht sagen. Nur einem Süchtigen würde er seine Identität offenbaren, wenn er überzeugt wäre, ein Geschäft machen zu können. Aber dealte er überhaupt und wenn ja, dealte er selbst direkt, oder war er schon weiter oben in der Hierarchie und brauchte sich die Hände nicht mehr schmutzig zu machen? Wenn das so wäre, dann allerdings wäre es lebensgefährlich, nicht nur für mich, auch für Judith und erst recht für Jane. Nicht, dass ich eine Ahnung gehabt hätte von diesen kriminellen Organisationen, aber als Medienkonsument ist man schließlich nicht ganz unbedarft und hat das böse Wort vom angeheuerten Killer ab und zu in Prozessberichten wahrnehmen dürfen.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als Robert Fence zunächst nur zu beobachten.

Ich nahm meinen alten, abgewetzten Feldstecher und steckte ihn in den Aktenkoffer. Eine Waffe hatte ich nicht. Außerdem kaufte ich bei Ernesto drei Sandwichs und zwei Büchsen Bier und machte mich auf den Weg nach Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates New York, gelegen wo der Mohawk River in den Hudson mündet. Es war doch ein ganzes Stück in Richtung Nordosten, immerhin um die 240 Kilometer und weil man in den USA nicht so schnell fahren darf, brauchte ich mehr als vier Stunden.

Er wohnte in einer ruhigen Straße mit Vorgärten. Es war nicht möglich, sich dort lange aufzuhalten, ohne aufzufallen. Der Mercedes stand nicht vor der Tür, war aber vielleicht in der Garage. Im Moment wäre es sinnlos gewesen, zu warten und ich wollte gerade wegfahren, als mich genau der Wagen, den ich suchte, überholte und in die Garteneinfahrt bog, das Garagentor offenbar über Funk geöffnet wurde und sich sofort wieder hinter der Limousine schloss. Den Fahrer hatte ich nur als Schatten zu Gesicht bekommen.

Ich blieb erst einmal wo ich parkte und dachte darüber nach, ob es sinnvoll wäre, sich als Vertreter für irgendetwas auszugeben, um Robert Fence, den seine Freunde sicherlich wie üblich Bob nannten, aus der Nähe sehen zu können, verwarf den Gedanken allerdings wieder. Es wäre zu unvorsichtig gewesen. Noch wusste ich außerdem nicht, in welcher Beziehung er zu den Mädchen stand. Vielleicht war es gar nicht er gewesen, der sie von der Schule abgeholt hatte. Vielleicht hatte er nur zufällig im selben Flugzeug nach Europa gesessen und besaß zufällig einen silbernen Mercedes. Eine Menge Zufälle, allerdings! Mein Tagesziel war, herauszufinden, ob er mit Drogen handelt.

Es ist besser, ihn anzurufen, dachte ich mir. Aber nicht mit dem Handy, sondern von einer Telefonzelle aus. Ein paar Straßen weiter, an einem Platz mit kleinem Park fand ich noch eine dieser historischen Zellen, die sie in Albany behalten hatten, und wählte seine Nummer.

„Hello, Bob!“ meldete ich vertraut.

„Wer ist da?“

„Ein alter Freund, wie du hörst!“

„Wait a minute! Bert, it is your voice, right?”

“Ich brauche Stoff”, sagte ich so cool wie möglich.

„Bist du verrückt, mich hier anzurufen?“ (Er sagte „crazy“!)

„Wenn du mir keinen Stoff gibst, lieber Bob, muss ich leider sehr bald ganz furchtbar an zu singen fangen! Ich bin schon auf Turkey, Mann! Und ich weiß, wo ich für meine Geschichte interessierte Zuhörer finde!“

„Hast du Geld?“

„Nein, aber Kredit!“

„Bei wem?“

„Bei dir!“

„Ohne Moos – kein Stoff, das weißt du!“

„Ohne Stoff wirst du bald die Welt vergittert sehen. Für ziemlich lange Zeit. Das sitzt du nicht auf einer Arschbacke ab!“

„Du kannst mir nichts beweisen!“

„Also sag schon, wann ich vorbei kommen soll! Sonst stell ich jetzt mein Kassettengerät ab und tue die Kassette in einen Briefumschlag, klebe ihn zu und werfe das nette Geschenk …“

„Du verdammtes Schwein!“

„Sag, was du willst, Bob, aber sag es ganz schnell!“

„Okay, komm heute Abend!“

„Heute Abend kann ich nicht, vielleicht Morgen oder Übermorgen!“

„Ich dachte, du brauchst jetzt was!“

„Ich hatte doch noch ein paar Briefchen im Saum meines Mantels! Ich ruf dich wieder an!“

Dann hängte ich den Hörer ein. Die Information, die ich als ersten Schritt bekommen wollte, hatte ich: er dealte! Durch Zufall war meine Stimme ähnlich der eines seiner Bekannten, wahrscheinlich sogar Kunden, gewesen. Oder hatte er sich nur verstellt? War er nicht doch zu schnell auf meine Forderung eingegangen? Es war eine vertrackte und höchst unsichere Situation. Deshalb hatte ich versucht, erst einmal Zeit zu gewinnen.

Wenn ich wirklich selbst hingehen wollte, brauchte ich eine Waffe. Aber ich hatte keine. Bis auf ein Klapp-Stilett, so ein Springmesser mit elf Zentimeter langer Klinge, ganz praktisch, wenn man mit einer Hand einen Lachs hält und mit der anderen das Messer öffnen und zustechen will. Doch auf einen Menschen damit einzustechen, selbst wenn es Notwehr wäre, traute ich mir nicht zu. Als Geschäftsmann bedient man sich gewöhnlich nicht körperlicher Gewalt. Nun gut, richtig gefährliche Waffen, also Schusswaffen in den USA zu kaufen, ist für Erwachsene kein Problem. Doch bisher hatte ich davon immer Abstand genommen, es war einfach nicht mein Ding.

Meine eigene Rolle in diesem sich dramatisch entwickelnden Szenario blieb wohl doch besser eine beobachtende. Nicht, dass ich direkt feige gewesen wäre, das normale Maß an Zivilcourage hatte ich eigentlich immer aufgebracht. Mut hielt ich für eine der wichtigsten Tugenden. Meinen Schneid hatte ich mir nie abkaufen lassen. Doch mit Vorsicht und Bedachtsamkeit hier in diesem Fall zu Werke zu gehen, war sicherlich angebracht. Wem nützt ausgeprägte Tapferkeit vor einen überlegenen Feind? Die Generäle dieser Welt waren und sind allemal schlauer als ihre Soldaten.

Außerdem: Wem sollte ich meine Beobachtungen mitteilen? Wen zur Hilfe rufen? Für die Polizei war keine Tat begangen worden. Ich spielte einen Moment mit dem Gedanken, alles hinzuwerfen und aufzugeben. Aber in vermeintlich ausweglosen Situationen kam mir regelmäßig ein Ausspruch meines alten Chefs in den Sinn: „If you panic, you are lost!“ Es galt auch hier strategisch zu denken und klare Gedanken zu fassen.

Ich fuhr nach New York zurück, genauer nach Greenwich Village, in die Nähe des Washington Square. Dort kannte ich ein kleines, auf Französisch getrimmtes Restaurant namens „Village Bistro“. In dieser Gegend wurde seit Jahren versucht, mit Bäumen und schmiedeeisernen Zäunen die Zeit festzuhalten und eine Atmosphäre künstlerischer Freiheit zu schaffen. Eine Oase gegen den grauen Beton der Grundstücksspekulanten, die Künstler und andere sensible, oft auch labile Menschen, magisch anzog.

Mein Plan war, hier Junkies zu finden, die noch nicht kriminalisiert waren. Rauschgiftsüchtige, die eben nicht zu den so genannten „Muggern“ gehörten, die jeden Tag eine alte Frau überfallen oder ein Autoradio samt Navi klauen, um sich ihre Tagesration Heroin beschaffen zu können. Jemanden also, dem man halbwegs würde vertrauen können und der trotzdem, für jeden Dealer erkennbar, süchtig war.

Die Idee war folgende: Wenn ich einem Abhängigen Geld für Drogen gab und dafür Informationen verlangte, war das sicherlich nicht besonders moralisch, aber auf jeden Fall für ihn ein lukratives Geschäft. Gut, es kommt auf die Höhe der Summe an, doch er riskierte auch nicht viel. Viel weniger jedenfalls in Vergleich zu dem, was Menschen sonst bereit sind zu tun, um an ihren Stoff zu kommen. Die einzige Gefahr bestand darin, dass der Dealer Verdacht schöpfen könnte. Deshalb stellte ich mir für diese Sache einen Typ vor, der ein intelligenter Einzelkämpfer ist und nicht einer Gruppe angehört, die auf den Gedanken kommen könnte, ihn zu verpfeifen oder mich zu überfallen.

Die Schwierigkeit bestand für mich darin, als ein in der Drogenszene Unkundiger eher zufällig auf jemanden zu treffen, der den skizzierten Vorstellungen einigermaßen entsprach. Ich musste ihm gewachsen bleiben, auch körperlich. Denn ein Abhängiger würde nicht zögern, jemanden zu erpressen oder auszurauben, vielleicht sogar zu ermorden, wenn er das Gefühl hätte, so an Kapital für seine Drogenkäufe zu kommen.

Ich saß also in dem Restaurant vor meiner mit Käse überbackenen Zwiebelsuppe und beobachtet genau, aber überhaupt nicht aus den Augenwinkeln, wie es bei solchen Gelegenheiten oft unzutreffend heißt, die Nebentische und den Eingang. Maler mit grünen und orange Farbklecksen und Bildhauer mit Steinstaub auf den Jeans, saßen stilgerecht vor ihren Pernods. Man sah Baskenmützen, die schwarz gewesen waren und jetzt diesen blaugrauen Speckglanz hatten. Fast alle Leute hatten Nikotonfinger von ihren filterlosen Zigaretten. Sie lebten das Klischee bis zur Selbstaufgabe. Es vergingen fast zwei Stunden.

„So muss es in Paris aussehen!“ dachte ich. Und gleichzeitig war ich mir sicher: Jedenfalls in der Vorstellung vieler Amerikaner. Wenn wir allerdings irgendwo auf der Welt hinkommen, sieht immer alles ganz anders aus als in unseren Hollywood-Filmen. Meistens weniger makellos. Diese Tatsache ärgert uns unbewusst und wir beginnen damit, es zu verwandeln. Sicherlich gibt es längst Hamburgers auf der Straße, deren Namen wir nicht richtig aussprechen können. Champs Elysee, so einfach ist das mit dem a und dem y nicht für uns. Mein Gott! Jane hatte sich so auf Paris gefreut. Auf das Original, das immer besser ist als die Kopie in Las Vegas. Aber auch teurer. Wer weiß, was sie bezahlen musste?

„Noch frei?“ fragte mich ein Junge im feinen englischen Tweedanzug und deute auf einen der Stühle an meinem Rundtischchen. Ohne die Antwort richtig abzuwarten setzte er sich und begann nervös, aber fast lautlos, mit den Fingerkuppen auf die Glasplatte zu trommeln. Mich störte es nicht sonderlich. Mon Dieu, war der Bengel zappelig. Mit einen Fuß schlug er den Takt zu einem Chanson, der aus der Musikbox dudelte. Seine Augen schienen einem Tennisball zu folgen.

„Waiting for somebody?“ fragte ich um ins Gespräch zu kommen.

Er nickte fast unmerklich und ohne mich anzusehen. Bald darauf kam ein hünenhafter Schwarzer mit Sonnenbrille und diesem bekannten schwarzen Trilby-Hut mit weißem Band herein, schaute sich kurz um und ging dann durch das Lokal zum Waschraum. Mein Nachbar, der das Eintreffen des Mannes mit sichtlicher Erleichterung registriert hatte, bewegte sich ebenfalls in Richtung Toilette. Ich drückte auf die Stopptaste meiner Armbanduhr. Nach exakten zweieinhalb Minuten kam er wieder und setzte sich auf seinen Platz. Kurz darauf verließ der Schwarze das Restaurant.

Ich setzte alles auf eine Karte und überwand meine Ängste.

„Wissen Sie, wo man hier Hasch bekommt?“ fragte ich leise. Ihn mit der Einstiegsdroge anzubaggern, erschien mir weniger direkt.

„An jeder Ecke“, sagte er mitleidig, „an jeder verdammten Ecke von ganz New York!“

„Und härtere Sachen?“ bohrte ich nach.

„Wenn Sie genug Geld haben, Sir“, sagte er höflich, „schickt man Ihnen das Zeug per Post!“

„Airmail oder normal?“ fragte ich lächelnd.

„Sie sind wohl ein Aufkäufer von der Polizei“, sagte er so wie man etwas sagt und nicht meint.

„Sehe ich so aus?“

„Nicht gerade, Sir. Sie sehen aus wie einer dieser Bürotypen, so einer von der Sorte, die alles besser weiß. Mein Alter hat eine ganze Horde von denen bei sich im Geschäft herumlaufen.“

„Was macht denn Ihr alter Herr?“

„Der verdient seine Kohlen in der Werbebranche! Cash wäscht so weiß, weißer geht’s nicht und so!“

„Ich mache auch so etwas Ähnliches!“

„Sehen Sie, habe ich doch gleich gewusst! Sie sind nicht von der Polizei. Die Bullen, die auf Junkiefang gehen, verkleiden sich immer wie echte Junkies nach ihrer Meinung aussehen. Daran erkennt man sie dann zehn Meilen gegen den Wind.“

„Sie sehen nicht wie ein Junkie aus!“

„Nein, noch nicht. Dazu bin ich erst zu kurz dabei.“

„Sie sehen aus wie ein Bursche aus wohlhabendem Hause!“

„Wenn man mal an der Nadel hängt, ist man schnell arm dran. Nur einmal probiert, weil man nicht feige sein wollte und auch weil man neugierig ist und sich Willenstärke zutraut, und schon haben sie einen.“

„Wer, sie …?“

„Die kleinen, dreckigen, oft selbst drogenabhängigen Dealer, die davon leben, sich ein paar Dutzend Milchkühe zu schaffen.“

„Meine einzige Tochter ist an einer Überdosis gestorben“, log ich. Genau genommen war das mein Alptraum und als ich ihn aussprach wurde er zur Realität. Ich erschrak und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Unsere Jane sollte sich auch einen goldenen Schuss gesetzt haben, genauso wie ihre Freundin Dorothy? Nein, das konnte gar nicht sein, niemals würde sie das freiwillig tun. Irgendjemand hatte sich schuldig gemacht, wenn es wirklich so wäre. Vielleicht auch ich, weil ich mich zu wenig um sie gekümmert hatte. Der Beruf, keine Zeit, andere Interessen. Doch es würde jemand geben, der die Hauptschuld an ihrem vermeintlichen Schicksal trug. Hoffentlich nicht ich, denn durch mein jetziges Engagement zur Klärung einer möglichen Tat könnte ich mich nicht reinwaschen. Ach was, Zweifel! Schuldgefühle sind nichts als neurotische Störungen, versuchte ich mich zu beruhigen. Weiter nichts as die Angst des Ichs vor dem Über-Ich.

„Und jetzt wollen Sie den Detektiv spielen!“ riss mich der junge Mann aus meinen Gedanken. „Liebender Vater sucht den Mörder seiner Tochter. Das ist definitiv zu spät. Die Tragik vieler Eltern. Immer sind sie das ganze Leben ordentlich und pünktlich gewesen. Oft sogar gläubig. Und wenn es wirklich darauf ankommt, verpassen sie den Zug der Zeit!“

„Können Sie mir helfen?“ wollte ich das Gespräch auf ein mir in die Karten spielendes Gleis bringen.

„Nee, kann ich nicht. Wo der Tod war, hilft kalte Rache wenig. Jeder muss sich in dieser Welt um sein eigenes Seelenheil bemühen.“ Grußlos stand er auf und verschwand.

Mein erster Versuch, jemanden zu finden, der unverdächtig genug wäre, Informationen über Bob Fence zu sammeln, war kläglich gescheitert. Totale Fehlanzeige. Mir wurde klar, es war nicht der Weg, der zum Ziel führen würde. So konnte ich kein Vertrauen bei den Süchtigen erlangen. Auch schon gar nicht deshalb, weil man mir wahrscheinlich anmerkte, dass ich ihnen grundsätzlich nicht vertraute.

Ich beschloss, zum Schein selbst zu dealen, selbstverständlich ohne zu liefern. Gut, damit würde ich ein nicht ganz kleines Risiko auf mich nehmen, von verdeckten Drogenfahndern gestellt zu werden. Doch im Falle eines Falles konnte ich denen meine Story und mein Motiv darstellen. Außerdem hatte ich keine Ware und folglich würden sie kein einziges Gramm bei mir finden können. Eine Nacht in Polizeigewahrsam wäre vermutlich der Höchstpreis.

Also machte ich mich an Leute in dem Restaurant heran, von denen ich annahm, sie könnten an Drogen Interesse haben und erzählte ihnen, aus der Türkei, genauer aus Kurdistan, sei eine reinrassige Sendung H4 angekommen. In irgendeinem Zeitungsbericht hatte ich davon gelesen und natürlich existierte der Stoff nur in meiner Phantasie.

Offenbar sprach sich die gestreute Botschaft in der Szene schneller herum als ich gedacht hatte. Denn als ich am nächsten Tag kaum meinen Stammplatz in dem Bistro wieder eingenommen hatte, meinte ich, von mehreren Seiten misstrauisch beäugt zu werden. Irgendwie spürte ich, dass Blicke auf mich gerichtet waren. Bald darauf setzten sich vermehrt junge Leute an meinen Tisch, obwohl noch woanders genügend Platz war und fingen harmlose Gespräche über das Wetter und Elvis an, um dann schließlich ziemlich übergangslos auf die Mohnfelder von Ostanatolien zu kommen. Meine gezielt verbreiteten Informationen verfehlten offenbar ihre Wirkung nicht.

Doch die Zeit drängte! Wenn ich diesen selbst gewählten Part glaubwürdig durchhalten wollte und die mir unbekannte Organisation, in deren Absatzrevier ich eingedrungen war, nicht über Gebühr reizen wollte, musste die Sache jetzt schnell über die Bühne. Möglichst noch bevor mein Angebot bis zu deren Entscheidungsstruktur vorgedrungen war und sie mir einen vermutlich für mich wenig erfreulichen Besuch abstatten ließen. Wer mag schon Drohungen, die gesundheitlich beeinträchtigend sind oder gar das Leben gefährden?

Inzwischen gab es eine ganze Reihe von Interessenten meines wohlfeilen Angebots. Nicht alle waren mir geheuer und passten in das Schema meiner Vorstellungen. Außerdem hatte ich einen Auswahlpunkt revidiert und ein Pärchen in die engere Wahl genommen. Sie nannten sich Lisa und Mike, angeblich beide Studenten, die mir noch am vertrauenswürdigsten erschienen. Lisa war klein und dunkelhaarig, Mike mehr als einen halben Kopf größer und strohblond. Eigentlich war mir das Paar fast zu auffällig und eine Einzelperson wäre mir lieber gewesen, aber sie wirkten nicht so heruntergekommen und verschlagen wie die anderen.

Aus verständlichen Gründen forcierte ich einen Ortswechsel, nachdem ich mich entschieden hatte, es mit den beiden zu versuchen, indem ich sagte: „Passt auf, damit mich keiner bei der Polente oder anderen Dealern anschwärzen kann, denn ich gebe wirklich unverdünntes, hochwertiges Zeug weit unter Kurs ab, tauche ich jetzt unter und wir treffen uns in einer Stunde am Time Square, direkt unter der Zeittafel!“

Sie sagten zu, weil sie natürlich davon ausgingen, billig an Stoff zu kommen, und waren tatsächlich zur vereinbarten Zeit da. Ich beobachtete sie erst einmal einige Minuten aus größerer Entfernung, konnte aber keinen verdächtigen Begleiter entdecken und wir gingen dann gemeinsam in ein Schnellrestaurant, nur ein paar Blocks weiter.

„Die Sache ist die“, eröffnete ich dann ziemlich direkt Lisa und Mike, „ihr bekommt von mir keine Drogen, sondern Geld. Was ihr damit anstellt, ist eure Sache. Für das Geld müsst ihr mir einen Gefallen tun.“

„Komm, Lisa!“ sagte Mike, „wir gehen!“

„Erst einmal hören, was das für ein Gefallen ist“, sagte Lisa.

„Kenne ich schon“, meinte Mike abfällig, „ es ist immer etwas Kriminelles. Einen Gefallen tun ist das Synonym dafür. Und wenn man außerdem noch Geld bekommt, sowieso. In diesem Geschäft gibt es nichts für nichts. Und alles muss teuer bezahlt werden.“

„In keinem Geschäft gibt es etwas für nichts!“ sagte ich.

„Nun sagen sie schon, was Sie von uns wollen!“ sagte Lisa.

„Es gibt da einen Mann, der mit Drogen dealt, für den ich mich interessiere. Ich gebe euch Geld, damit ihr bei ihm etwas kaufen könnt. Er darf nicht wissen, dass ihr mich kennt. Ich möchte weiter nichts als möglichst viele Informationen über diesen Mann.“

„Sie sind Drogenfahnder, stimmt es?“ sagte Mike triumphierend.

„Ich habe mit der Polizei nichts zu tun. Der Mann, um den es geht, kennt mich nicht. Aber ich kenne ihn. Und ich habe mit ihm voraussichtlich noch eine private Rechnung zu begleichen. Im Moment gehe ich davon aus, dass er mir etwas schuldet.“

„Geld natürlich“, sagte Mike, „ es geht immer um Geld dabei!“

„Eher um die Wahrheit!“ sagte ich.

„Ganz so übel wie ich dachte, klingt die Geschichte nicht“, sagte Lisa neugierig.

„Und wo ist der Pferdefuß“, fragte Mike und blickte skeptisch.

„Wenn ihr klug seid und schweigen könnt, gibt es keinen. Ich bezahle euch eure Tagesration H und ihr kauft den Stoff bei ihm. Dabei findet ihr heraus, was er für ein Mann ist, wer mit ihm zusammenlebt, wen er kennt.“

„Und wenn er uns fragt, weshalb wir auf ihn zugehen, woher wir wissen, dass er dealt?“

„Dann erfindet einfach etwas: Sagt beispielsweise, da sei so ein Typ gewesen, ihr wart gemeinsam auf einem Trip und da wolltet ihr natürlich wissen, woher er diesen phantastischen Stoff hat. Zuerst wollte er nicht mit der Sprache heraus, aber weil ihr den Nachnamen dieses Freundes sowieso nicht kanntet, was in der Drogenszene durchaus üblich ist, ging er ja selbst kein Risiko ein, wenn er seinen Dealer nennt.“

„Ziemlich dünnes Blech“, sagte Mike.

„Mach’ die Geschichte fetter und glaubhafter! Die eigentliche Frage ist doch: Macht ihr mit oder nicht?“ sagte ich.

„Okay, okay, verlockend ist der Job schon!“ sagte Lisa. „Na ja, so ein paar sichere Mäuse könnten wir schon gebrauchen, angesichts der Ebbe in unserem Portemonnaie“, stimmte auch Mike schließlich zu.

„Gut, wenn ihr meint, wir wären im Geschäft, dann setzen wir jetzt einen kurzen handschriftlichen Vertrag auf, in dem ihr euch verpflichtet, Stillschweigen zu bewahren über alles, was mit diesem Job zusammenhängt. Mir ist egal, wer von euch den Text schreibt, aber ihr müsst beide unterschreiben. Es ist zugegebenermaßen eine sehr einseitige Vereinbarung, in der ich nicht auftauche. Es ist weiter nichts als ein Versprechen, das ihr mir gegenüber abgebt. Wenn ihr dieses Versprechen brecht, werde ich euch finden und dieses Stück Papier präsentieren. Was dann außerdem noch passiert, hängt davon ab, wie sich die ganze Sache entwickelt hat.“

„Und wenn wir uns weigern, einen solchen Wisch zu verfassen?“ fragte Mike.

„Dann verabschiede ich mich!“ sagte ich.

Sie diskutierten noch ein bisschen, ob sie nun sollten oder nicht. Denn ich hätte sie ja mit einem solchen Papier in der Hand, weil ihnen die Schrift als ihre nachzuweisen wäre, und ich könnte sie wo ich wollte ans Messer liefern, bei den Dealern und bei der Polizei. Es sei unfair, ihre Situation auszunutzen und dergleichen.

„Jetzt will ich euch mal was sagen“, wurde es mir fast zu bunt. „Ihr seid süchtig, das wisst ihr. Kann man Süchtigen trauen? Nein, das kann man nicht. Warum nicht? Weil ihr euch noch nicht einmal wirklich selbst vertraut. Süchtige machen sich ständig etwas vor. Ich will euch nichts unterstellen, aber ihr wisst doch ganz genau, dass es für die meisten Süchtigen ganz schwer bis unmöglich ist, clean zu bleiben. Entweder ihr übernehmt jetzt ein Stück weit Verantwortung, damit ich euren guten Willen sehe, oder das Geschäft ist an euch vorbei gelaufen und ihr müsst wieder über Beschaffungskriminalität nachdenken.“

Nun, das wollten sie dann doch lieber nicht, weil es äußerst mühsam war und auch nicht ganz ungefährlich. Also verfassten sie das gewünschte Schreiben auf einem Blatt Papier, das ich ihnen gab und ich steckte es ein. Mir war schon klar, dass es keine juristische und formale Bedeutung hatte. Im Grunde hätte ich es auch lassen können, darauf zu bestehen, aber ich wollte einfach sehen, ob sie meinen Anweisungen folgen würden. Denn was nützt ein Beauftragter, den man losschickt und der macht was er will. Natürlich hatte ich keine Kontrolle über sie, sobald sie außer Sichtweite waren, aber das Risiko musste ich eingehen.

„Gut!“ sagte ich, „der Mann um den es geht, heißt Robert Fence und lebt in Albany. Die Stadt hat knapp hunderttausend Einwohner, ist also noch überschaubar und es gibt dort nur eine Person mit diesem Namen.“

„Albany ist so um die vier Stunden von hier und ich habe kein Auto“, sagte Mike.

„Du nimmst den Zug“, sagte ich.

„Das ist ja eine Tagesreise“, maulte Mike.

„Und wenn er uns die Story nicht abnimmt?“ fragte Lisa ängstlich.

„Dann macht einfach eure Unterarme frei!“ sagte ich lakonisch. „Sehen heißt glauben!“

„Wie sollen wir jetzt vorgehen?“ fragte Mike.

„Wir rufen diesen Bob Fence jetzt an und machen für Morgen einen Termin aus. Das heißt konkret, Mike spricht mit ihm, und kündigt sein Kommen an. Du fährst alleine, das ist aus mehreren Gründen besser und sicherer. Auch für den Dealer, weil es keine Zeugen gibt“, sagte ich mit Bestimmtheit, denn ich befürchtete, dass er vielleicht einen Neukunden nicht ohne weiteres akzeptieren würde.

Doch meine Bedenken waren überflüssig. Bob Fence, offenbar von dem Junkiejargon, den Mike perfekt beherrschte, total überzeugt, bestellte ihn tatsächlich zu sich. Lisa wollte mitfahren, aber ich hielt es für vorteilhafter, wenn Mike zunächst das Terrain alleine sondierte. Außerdem würde er dann wohl eher zurück kommen, wenn ich mit seiner Freundin auf ihn in New York wartete. Ich gab ihm 100 Dollar plus Fahrgeld und Verzehr. Der Zug ging an der Penn Station los und brauchte zweieinhalb Stunden bis Albany. Es ist die Strecke der Touristen, die zu den Niagarafällen und nach Vermont wollen.

Als Mike am Abend von seiner Reise zurückkam und wir uns wieder in dem selben Restaurant trafen, in dem wir unsere Zusammenarbeit fixiert hatten, verschwanden Lisa und er erst einmal, um sich, wie sie es nannten, mit dem neuen Stoff einen federleichten Druck zu setzen. Mir war nicht so ganz geheuer, auf was ich mich da eingelassen hatte. Also: Der Bob Fence sei so ein Sportstyp, eigentlich nicht unsympathisch, aber sehr misstrauisch. Zuerst wollte er tatsächlich den Arm und das Besteck sehen, bevor es zum Geschäft kam. Er selbst würde grundsätzlich nur Bargeld gegen Ware nehmen, nannte aber Mike einen Hehler, der Sachen von Junkies, die aus Diebstählen oder Einbrüchen stammten, Notebooks, Handys, Uhren und Schmuck, in Zahlung nahm.

Herzkalt

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