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5. Kapitel

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Eindeutig war nun, dass Bob Fence eine heiße Spur war. Er war höchstwahrscheinlich der Besitzer des Mercedes, mit dem die Mädchen von der Highschool abgeholt worden waren. Er war ganz bestimmt im selben Flugzeug nach Europa geflogen und er hatte mit dem Handel von Heroin zu tun. Eigentlich brauchte ich nur noch mit Lisa und Mike als Zeugen zur Polizei zu marschieren und ihn als Drogendealer anzuzeigen. Der Haken war nur, dass die beiden genau das verständlicherweise auf keinen Fall wollten. Ja, und die anderen Dinge waren nicht strafbar.

Im Grunde hatte ich noch keine handfesten Beweise, was die eigentlichen Ursachen für den Tod von Dorothy und das Verschwinden von Jane waren. Und ehrlich gesagt, was waren schon Junkies als Zeugen wert, die sich selbst strafbar gemacht hatten und ohnehin zu keiner Aussage zu bewegen waren, weil sie eben weiterhin Stoff brauchten und ihre neue Quelle nicht gleich wieder zuschütten wollten? Weniger als nichts. Ich musste mich in Geduld üben und jene Gelassenheit aufbringen, die in der aristotelischen Ethik als Teil der Tapferkeit angesehen wurde. Angeblich würde Gleichmut gegenüber den Wechselfällen des Lebens zu innerer Größe führen. Doch wenn es einen selbst betrifft, nervt warten ganz schön. Jedenfalls schnürte mir der Gedanke, auch Jane könne drogensüchtig sein, den Brustkorb zu. Die innere Größe wollte offenbar hinaus. Sich und mich befreien.

Als Mike am nächsten Tag wieder aus Albany von dem Besuch des Dealers zurückkam, brachte er zwei Neuigkeiten mit. Die eine war: Bob Fence lebte mit einer Frau zusammen, einer Blondine um die Dreißig, die Nancy hieß. Und die andere war: Bob hatte Mike gefragt, ob er nicht rauschgiftsüchtige Mädchen kennen würde, die an einem regelmäßigen hohen Einkommen interessiert wären. Für die Vermittlung eines Mädchens, nicht älter als Anfang Zwanzig, gäbe es eine großzügig bemessene Ration Stoff.

„Was bedeutet das konkret?“ wollte ich wissen.

„Keine Ahnung“, sagte Mike, „aber es ist auf jeden Fall eine ungeheuere Versuchung für jeden Fixer, seine Beschaffungsprobleme zu lösen“.

Wir konnten uns gemeinsam lebhaft vorstellen, dass es genügend Süchtige geben würde, die nicht davor zurückschreckten, Mädchen heroinsüchtig zu machen. Anfixen nennt man das. So konnte es mit Jane und Dorothy gelaufen sein, kam mir in den Sinn. Gegen ihren Willen, sie waren einfach zu naiv gewesen. Hatten noch an das Gute im Menschen geglaubt, idealistisch wie sie waren. Und ich Idiot hatte sie noch darin bestärkt und versucht, ihnen meine Wertvorstellungen zu vermitteln. Vorbild zu sein, auch wenn es mir manchmal im Alltag schwerfiel. Ja, sich vernünftig zu verhalten, kann anstrengend sein.

Was heißt schon für unser einen Vernunft? Für einen Normalbürger wahrscheinlich, wenn wir tun, was von uns erwartet wird. Ich hatte immer getan, was ich für meine Pflicht hielt. Und wohin hatte dieses Verhalten geführt? Besonnen sollte ich sein, einsichtig, intelligent! Kann man das noch, wenn andere skrupellos Leben zerstören? Nicht irgendeins, sondern mein Fleisch und Blut! Das veränderte alles an vorher geltenden Maßstäben.

„Wenn Lisa sich als ein solches Mädchen meldet“, sagte ich kaltherzig, „bekommt ihr das Geld für einen Monat“.

„Gemacht!“ strahlte Mike.

„Kommt überhaupt nicht in Frage!“ sagte Lisa.

„Auf Einzelschicksale kann keine Rücksicht genommen werden“, sagte ich, mich nicht wieder erkennend. Irgendwie muss ich mir in jenen Tagen fremd geworden sein. Doch damals merkte ich das nicht.

„Wenn ich das richtig sehe, geht es um Prostitution!“ sagte Mike.

„Kann sein, muss aber nicht. Vielleicht hat er nur vor, Drogenkonsumentinnen zu gewinnen. Natürlich will ich nicht, dass Lisa in einem Bordell oder auf der Straße landet. Wobei man wissen muss, dass außer in einigen eher ländlichen Bezirken von Nevada, die kommerzielle Prostitution überall in den USA verboten ist.“

„Ja, aber das Verbot ist ziemlich löcherig. Da wo es keine Bordelle gibt und die Frauen nicht auf der Straße stehen, gibt es trotzdem Callgirls, Massagesalons und Escortservices. Die Doppelmoral in diesem Land ist augenfällig“, wusste Mike.

„Also, noch mal, zum Verständnis: Lisa soll ja nicht anschaffen gehen. Mein Plan sieht so aus, dass sie nur herausfinden soll, wo die Mädchen hinkommen und ob es so etwas wie Zwangsprostitution im Umfeld von Bob Fence gibt. Ich meine, Fixerin ist Lisa schon und ihr beide werdet immer mehr von dem Zeug brauchen, wenn ihr keinen Entzug macht. Für einen Entzug muss es euch viel dreckiger gehen als heute, sonst habt ihr nicht die Nerven dafür. Doch irgendwann wird der Tag kommen, wo ihr möglicherweise von der Abhängigkeit loskommen wollt und ich bezahle euch dann zwei Plätze in einer Privatklinik!“ sagte ich so ruhig wie möglich.

„Warum wollen Sie überhaupt wissen, wo die Mädchen bleiben?“ fragte mich Mike.

„Es interessiert mich einfach! Vielleicht will ich selbst in das Geschäft einsteigen! Vielleicht will ich Bob Fence ans Messer liefern! Was gehen euch meine Gründe an?“ sagte ich barsch.

„Sie sehen nicht gerade wie ein Zuhälter aus! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“ schrie Lisa entsetzt.

„Es ist todernst! Ich will wissen, wo die Mädchen sind, weil ich eines dieser verschwundenen Mädchen suche. Wenn ihr mir dabei helft, okay, wenn nicht, ist das Projekt in diesem Moment gescheitert und zu Ende!“

Es entsprach nicht meiner Natur, knallhart zu sein. Aber ich hatte keine andere Wahl, sie mussten einfach das Gefühl bekommen, dass mit mir nicht zu Spaßen war. Die weiche Tour nützte nun einmal bei Leuten, deren Gedanken den ganzen Tag nur um harte Drogen kreisten, absolut gar nichts. Sie taten mir leid und ich spürte jede Nervenbahn.

„Okay!“ sagte Mike unerwartet sachlich, „wir fahren morgen gemeinsam zu dem sauberen Mr. Fence nach Albany und entscheiden uns erst dann vor Ort, wenn er Einzelheiten erzählt hat, was Lisa für das Geld und die Drogen machen muss, ob sie den Job will oder nicht.“

Erleichtert willigte ich ein und Mike vereinbarte telefonisch einen Termin mit Bob Fence. Nicht ohne zu erwähnen, ein junges Mädchen zum Casting mitzubringen. Sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung soll über den kleinen Scherz herzlich gelacht haben. Man kannte sich eben inzwischen und vertraute sich bereits.

Am anderen Morgen machten wir uns mit meinem Wagen zu Dritt auf gen Albany. Es war ein kalter Tag. Die Sonne weichte den Raureif auf. Feuchtigkeit auf der Fahrbahn, nur in der Mitte war die Straße vom Berufsverkehr trocken gefönt.

Ich setzte Lisa und Mike in sicherer Entfernung von ihrem Ziel ab. Wir hatten warten vereinbart. Es konnte dauern. Nachdem mir die Füße fast vor Kälte abgestorben waren, ließ ich den Motor einige Minuten laufen, stellte ihn dann aber wieder ab, weil sich Anlieger für die Ruhestörung zu interessieren begannen. „Standheizung müsste man haben!“ dachte ich. Schließlich stieg ich aus, um mir die Füße warmzulaufen. Bei mehreren Häusern, an denen ich vorbei kam, zuckten Gardinen in die Senkrechte. Eine aufmerksame Gegend.

Nach fast zwei Stunden kamen Lisa und Mike endlich zurück. Ausgesprochen fröhlich, wie mir schien. Ihre Daunenjacken standen trotz der Kälte offen. Es hatte Champagner gegeben. Und Stoff natürlich. Eine Flugkarte nach Paris war für Lisa bestellt worden. Telefonisch. Das passte ins Bild. In einer Woche sollte geflogen werden. Sie hätte nur Kurierdienste zu leisten. Eine kinderleichte Sache. Ich behielt meine Skepsis für mich.

Auf jeden Fall nahm ich mir vor, dieses Mal am Flughafen zu sein. Bei meiner Tochter Jane war ich nicht so fürsorglich gewesen. Sie hätte es ohnehin nicht gewollt, denn sie hasste Abschiedsszenen ebenso wie ich. Außerdem bestand sie immer darauf, kein Baby mehr zu sein, was zweifellos richtig war. Wo sie jetzt wohl steckte?

Kaum zu Hause, rief ich Judith an. „Noch keine Spur!“ sagte ich die Unwahrheit, um ihrer Neugierde zuvorzukommen. Der Mund wurde mir trocken dabei. Natürlich wollte sie wissen, wie es mir ging und ich wollte wissen, wie es ihr ging.

„Warum hast du mich eigentlich wirklich nach Boston geschickt? Wahrscheinlich wolltest du mich nur los sein!“ sagte sie.

„Genau!“

„David, so etwas sagt ein Mann nicht zu seiner Frau!“

„Weil ich Angst um dich habe! Und um unsere Tochter!“

„Angst? Um mich?“

„Weil ich ausreichende Phantasie habe und mir vorstellen kann, dass so ein Rauschgiftring, wenn er dahinter käme, dass der Vater eines verschwundenen Mädchens Nachforschungen anstellt und womöglich dabei Erkenntnisse gewinnt, das nicht besonders gut leiden könnte. Die Herren könnten vermutlich leicht auf den Gedanken kommen, uns einfach einen Besuch abzustatten, oder?“

„Sollen sie doch!“ sagte Judith resolut.

„Wahrscheinlich denkst du, es wäre ganz praktisch, dann könnten wir sie direkt nach dem Verbleib von Jane fragen. Das Problem ist nur, dass die Leute, die diese Frage beantworten könnten, nicht selber kommen, sondern üblicherweise ein Schlägerkommando oder einen Killer schicken, der davon nichts weiß. Die würden dann, wie sie das nennen, Ketchup aus uns machen. Keine sehr angenehme Vorstellung, als Opfer so zugerichtet zu werden, dass man nicht auf den Gedanken kommt, die Augen auf zu machen, selbst wenn man dazu noch fähig wäre!“

„Das ist ja schrecklich, David! Und wie du jetzt schon redest! Kaum lässt man dich alleine, verrohst du total!“

„Ja, das macht mein Umgang, der färbt ab!“ versuchte ich möglichst cool zu bleiben.

Judith versprach, noch bei ihren Eltern zu bleiben. Ich bestellte Grüße und ließ sie in dem Glauben, dass die Sache bald vorüber sei und versprach mich öfter als bisher zu melden.

Dann riss ich eine Büchse deutsch-lizensierten, amerikanischen Bieres auf, deklamierte den aufgedruckten Spruch „Hopfen und Malz, Gott erhalt’s!“ – wahrscheinlich mit einem, meinen deutschen Vorfahren unwürdigen Akzent – und leerte sie in zwei, drei Zügen.

Herzkalt

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