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GRUNDLEGENDE TRAININGSKONZEPTE

TROTZ ALLER UNTERSCHIEDE haben Athleten einiges gemeinsam: Wir sind alle Homo sapiens und ein Großteil unserer Physiologie ist ziemlich ähnlich. Wir mögen auf ein Trainingsprogramm nicht alle auf die exakt gleiche Weise ansprechen, aber wir können davon ausgehen, dass in vielen Dingen weitgehende Übereinstimmung herrscht. Gleichzeitig sei darauf hingewiesen, dass in diesem Buch zwar gängige Trainingsweisen erörtert werden, es aber leider keine Garantie gibt, dass die beschriebenen Methoden für Sie funktionieren. Aufgrund meiner Arbeit mit Hunderten von Ausdauerathleten im Lauf von mehr als 30 Jahren bin ich mir dessen nur allzu sehr bewusst. Ohne Zweifel war jeder der von mir betreuten Sportler einzigartig und brauchte somit ein Trainingsprogramm, das ebenso einzigartig war. Und obwohl es zahlreiche Parallelen zwischen diesen Athleten gab, funktionierte das, was für die meisten funktionierte, nicht unbedingt für alle. Ziel dieses Kapitels wird daher sein, Ihnen den nötigen Durchblick zu verschaffen, damit Sie die in diesem Buch vorgestellten Konzepte an Ihre spezifische Situation anpassen können. Indem Sie sich mit den Grundlagen dessen, was wir derzeit über die Wissenschaft des Trainings wissen, auseinandersetzen und sie verinnerlichen, werden Sie besser gerüstet sein für das, was der primäre Fokus dieses Buches ist: auf Grundlage bewährter wissenschaftlicher Prinzipien einen maßgeschneiderten Trainingsplan zu erstellen, der Ihren einzigartigen persönlichen Besonderheiten gerecht wird.

Jedes der behandelten Themen hat sich aus Erkenntnissen darüber entwickelt, wie der menschliche Körper – insbesondere im Ausdauersport – funktioniert. Gut möglich, dass Sie viele dieser Zusammenhänge eigentlich schon verstanden haben. Vermutlich haben Sie sich jedoch nie viele Gedanken dazu gemacht, weil sie Ihnen allzu simpel und einleuchtend erschienen. Diese Konzepte sind jedoch so entscheidend für den Erfolg im Radsport, dass Sie jedes einzelne vollumfänglich verstehen und anwenden können müssen. Auf den folgenden Seiten werden Sie zunächst lernen, worum es bei diesen grundlegenden Trainingskonzepten jeweils geht, und in späteren Kapiteln zeige ich Ihnen dann, wie Sie sie anwenden müssen, damit Ihr Training zu den erhofften Resultaten führt. Sobald Sie verstanden haben, wie Sie das alles in der realen Welt des Trainings nutzen können, werden Sie Ihre Fitness und Ihre Wettkampfleistungen signifikant verbessern.

TRAININGSPRINZIPIEN

Fangen wir an, indem wir uns vier Konzepte anschauen, die den Kern des Trainings bilden. Wenn Sie all diesen Trainingsprinzipien folgen, sind Sie fraglos auf dem richtigen Weg. Verletzen Sie hingegen eines davon, wie es Athleten, die in Eigenregie trainieren, bisweilen passiert, sind Ihre Erfolgsaussichten erheblich geschmälert. Für die meisten fortgeschrittenen Athleten, die den Sport schon eine Weile betreiben, verstehen diese Prinzipien sich von selbst, aber auch Routiniers missachten hin und wieder eines davon. Vieles von dem, was Sie im Rest dieses Buches lesen, basiert letztlich auf diesen vier Prinzipien, nehmen Sie sich also Zeit und vergewissern Sie sich, dass Sie sie voll und ganz verstanden haben.

Das Prinzip der progressiven Überlastung

Das erste Prinzip ist für jeden offensichtlich, der Sport treibt, selbst wenn er oder sie sich nicht ernsthaft um Fitness schert. Im Grunde besagt es: Um Ihre Fitness zu verbessern, müssen Sie allmählich und gleichmäßig die Menge des Trainings erhöhen, das Sie absolvieren. Mit anderen Worten: Wenn Sie fitter werden wollen, müssen Sie Ihren Trainingsplan schrittweise anspruchsvoller gestalten.

Wie groß sollten die Schritte ausfallen? Grob gesagt muss das Pensum das gegenwärtige Maß der Adaptation übersteigen, indem der Körper über das Niveau hinaus belastet wird, das er bisher leisten musste. Ohne Belastung kann sich die Fitness nicht verbessern. Körperliche Belastung macht sich bemerkbar, wenn Sie nach einer harten Einheit oder mehreren harten Trainingstagen in Folge erschöpft sind. Dies bedeutet, dass Ihr Körper überlastet wurde und in positiver Weise reagieren wird, sofern die Überlastung nicht zu hoch ausfiel. Falls Sie es übertrieben haben, sprechen wir von »Übertraining« – im Grunde genommen eine Überlastung, die zu groß ist, um eine Anpassung zu erwirken, und stattdessen einen Einbruch verursacht. Später in diesem Kapitel werden Sie über bestimmte Konzepte im Zusammenhang mit Übertraining lesen und auf welche Weise Fitness und Erschöpfung Hand in Hand gehen.

Natürlich sollten Sie dieses Prinzip nicht so verstehen, dass Sie Ihr Training jeden Tag und jede Woche härter gestalten sollten, um die Belastung progressiv zu erhöhen. Es gibt Zeiten, in denen Sie das Pensum verringern müssen, um regenerieren zu können. Sollten Sie keine ausreichende Regeneration einplanen, werden Sie ganz gewiss kein hohes Maß an Fitness erreichen.

Das Prinzip der Spezifität

Die Veränderungen der physischen Fitness, die sich durch sportliche Betätigung in Ihrem Körper vollziehen, fallen in zwei größere Kategorien: Sportwissenschaftler bezeichnen diese mit den Begriffen »zentral« und »peripher«. Die zentralen Veränderungen sind jene, die vorrangig in Herz, Lunge und Blut erfolgen. Dabei macht es keinen großen Unterschied, welchen Ausdauersport Sie ausüben. Das Herz z.B. kennt keinen Unterschied zwischen Laufen und Radfahren. Unabhängig davon, welche körperliche Anstrengung unternommen wird, pumpt es ganz einfach sauerstoffreiches Blut. Laufen kann in diesem Fall als Crosstraining aufgefasst werden und kommt als solches den zentralen Systemen zugute.

Wenn Sie aber immer nur laufen, werden Sie niemals auch nur annähernd Ihr Potenzial als Radsportler verwirklichen. Das liegt daran, dass Sie außerdem periphere Fitness aufbauen müssen. Diese hat mit den Muskeln zu tun. Ihren Quadrizeps im Oberschenkel können Sie nicht hereinlegen. Er kennt den Unterschied zwischen Laufen und Radfahren. Zwar wird er bei beidem beansprucht, jedoch auf unterschiedliche Weise. Folglich können Sie ihn nicht fitter fürs Radfahren machen, indem Sie laufen. Dasselbe gilt für alle anderen Muskeln, die beim Radfahren im Spiel sind. Schwimmen, Wandern, Skifahren und alles andere, was dem Radfahren nicht sehr ähnlich ist, wird Ihre Muskeln nicht fitter fürs Radfahren machen. Um Ihre Muskeln fürs Radfahren zu trainieren, müssen Sie Rad fahren.

Angesichts dieses Prinzips ist Crosstraining in Ausgleichssportarten weitgehend nutzlos für die Muskeln. Die mögliche Ausnahme sind das Krafttraining mit Gewichten und ähnlich gelagerte Übungen im Fitnessstudio, die wie z.B. Plyometrisches Training die Kraft der für das Radfahren spezifischen Muskeln verbessern. Aber hierfür müssen die Bewegungen der Übungen die Art und Weise, wie der Muskel beim Radfahren genutzt wird, möglichst exakt nachahmen. Es reicht nicht, einen Muskel mit hohen Gewichten zu belasten. Vielmehr müssen Sie den Muskel unter Last genauso bewegen, wie es beim Pedalieren der Fall ist. In Kapitel 12 erfahren Sie, wie Sie das Prinzip der Spezifität auf das Training im Kraftraum anwenden.

Was also ist wichtiger: die zentrale oder die periphere Fitness? Wie Sie wohl annehmen, sind beide wichtig. Sie werden als Radsportler niemals hohe Leistungen erreichen, wenn nicht beide Systeme gut trainiert sind. Im Allgemeinen startet die Trainingssaison mit Schwerpunktsetzung auf den zentralen Systemen, um das Augenmerk dann allmählich auf das Muskelsystem zu verlagern. Je näher also Ihr wichtigstes Rennen rückt, desto stärker sollte die Betonung auf der muskulären Fitness liegen, was eine erhöhte Spezifität des Trainings erfordert. Mit anderen Worten: Nutzen Sie Crosstraining in der Frühphase der Saison, aber verlagern Sie den Fokus umso mehr auf das Rad, je weiter das Jahr voranschreitet.

Das Prinzip der Umkehrbarkeit

Umkehrbarkeit hat mit dem Verlust von Fitness zu tun. Wann immer Sie in Ihrem Trainingstagebuch eine Null eintragen, haben Sie Fitness eingebüßt. Mag sein, dass Sie das anders sehen. Viele Athleten meinen, dass sie Fitness hinzugewinnen, wenn sie sich einen Tag freinehmen, weil sie am nächsten Tag vielleicht gut trainieren oder Rennen fahren. Was sie in Wahrheit erleben, ist aber etwas, das als »Form« bezeichnet wird, womit wir uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch beschäftigen werden. Tatsache ist, dass Sie keine Fitness gewinnen, indem Sie sich ausruhen. Fitter werden Sie nur, indem Sie mehr trainieren. Ein freier Tag bedeutet einen Verlust von Fitness. Freilich ist es ein sehr kleiner Verlust – so klein, dass er im Labor nicht nachgewiesen werden könnte. Nach mehreren solcher trainingsfreien Tage aber wären die Einbußen groß genug, um messbar zu sein. Genau das bedeutet Umkehrbarkeit. Wer rastet, der rostet.

Das heißt nicht, dass Sie niemals einen freien Tag einlegen sollten. Gewiss gibt es Momente, in denen dies gerechtfertigt ist. Sie müssen eine Pause einlegen, wenn Sie sehr erschöpft sind. Für manche Athleten, v.a. solche mit geringer Fitness – was auch auf Sie in der Frühphase der Saison zutreffen mag –, kann es unerlässlich sein, jede Woche einen Tag oder mehr auszusetzen. Ohne eine vollständige Pause vom Training laufen Fahrer mit geringer Fitness Gefahr, sich ein übermäßiges Pensum zuzumuten, was letztlich zum Übertraining führen kann. Sehr fitte Athleten hingegen brauchen womöglich keinen ganzen Tag, um sich zu erholen. Ein leichter Trainingstag reicht bei ihnen vielleicht schon aus, um die vollständige Regeneration zu gewährleisten. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 11.

Auch bei reduziertem Training greift das Prinzip der Umkehrbarkeit. Wird das Pensum, aus welchem Grund auch immer, über mehrere Tage in Folge verringert, stellt sich ein Verlust von Fitness ein. Sie mögen nun einwenden, dass dies ja nichts anderes ist als das sogenannte »Tapering«, das wir vor einem wichtigen Rennen absolvieren. Das stimmt, und dieses Herunterfahren des Pensums ist unerlässlich, um eine Leistungsspitze zu erzielen und auf hohem Niveau Rennen zu fahren. Dies hat wiederum mit der Form zu tun. Wenn Sie jedoch über die gesamte Saison hinweg immer wieder eine Menge Ihrer kostbaren Trainingszeit für das Tapering vor Wettkämpfen opfern, büßen Sie zu viel Fitness ein, worunter letztlich Ihre Wettkampfleistung leiden wird. Hier kommt auch die Frage ins Spiel, wie viele A-Wettkämpfe – d.h. Rennen, die höchste Priorität genießen – Sie in einer Saison überhaupt einplanen sollten. Mit dem Konzept der Form und den damit zusammenhängenden Themen werden wir uns in den folgenden Kapiteln noch viele Male beschäftigen, ausführlich dann in Kapitel 13.

Vorausgesetzt, Sie sind nicht mehrere Tage am Stück verletzt oder krank, erfolgt der größte Verlust an Fitness am Ende Ihrer Saison, wenn Sie sich eine längere – und notwendige – Pause vom fokussierten Training gönnen. Mehr dazu in Kapitel 7.

Der entscheidende Punkt ist, dass sich die Fitness immer verändert – manchmal zum Positiven, manchmal zum Negativen. Sie haben die volle Kontrolle, in welche Richtung es geht.

Das Prinzip der Individualität

Das Prinzip der Individualität besagt ganz einfach, dass Sie als Athlet in mancherlei Hinsicht einzigartig sind. Bisweilen bedeutet Ihre Einzigartigkeit, dass Sie am besten in einer bestimmten Weise trainieren. Oftmals ist das nicht gleich offenkundig und muss für gewöhnlich durch Versuch und Irrtum herausgefunden werden, aber es gibt auch ein paar augenfällige Merkmale Ihrer Einzigartigkeit. Sie mögen ein toller Sprinter sein, aber kein besonders guter Kletterer oder Zeitfahrer. Ihre Oberschenkelknochen mögen in Relation zur Gesamtlänge des Beins länger sein als die der meisten anderen Fahrer, was als eine gute Voraussetzung für einen kraftvollen und ökonomischen Tritt gilt. Vielleicht haben Sie das Glück, recht problemlos Kraft und Muskelmasse aufzubauen, während andere Fahrer mit dem gleichen Trainingsprogramm nur geringe Veränderungen erzielen. Womöglich kommen Sie gut mit Hitze klar oder aber Sie leiden mehr als die meisten anderen, wenn es heiß ist.

Weil Sie einzigartig sind, folgt daraus, dass Ihr Training auch einzigartig sein muss. Sie können nicht einfach nachmachen, was Ihr Trainingspartner tut, und die gleichen Ergebnisse erwarten. Auch wenn Ihr Lieblings-Profi ein bestimmtes Training absolviert, bedeutet das nicht, dass es gut für Sie wäre. Das Trainingsprogramm, dem Sie folgen, muss genau Ihren Fähigkeiten entsprechen, wollen Sie Ihr Potenzial erreichen. Beginnend mit Kapitel 5 werden Sie Ihre einzigartigen Eigenschaften als Radsportler erforschen und in den Kapiteln 7, 8 und 9 erfahren Sie dann, wie Sie einen Trainingsplan entwerfen, der für Sie effektiv ist.

DAUER, INTENSITÄT UND HÄUFIGKEIT

Unabhängig davon, auf welchem Niveau Sie Radsport betreiben, gibt es nur zwei Faktoren, die Sie bedenken müssen, wenn Sie Ihren Trainingsplan erstellen: wie lange jede Trainingseinheit dauert und wie hart sie ist, also die Dauer und die Intensität. Durch Variation dieser beiden Faktoren können Sie alle erdenklichen Arten von Einheiten gestalten, von Intervallen über Tempofahrten bis hin zu lockeren Regenerationstouren.

Nur eine weitere Variable ist noch im Spiel: die Häufigkeit. Wie oft werden Sie trainieren? Sie können z.B. in der Woche einmal täglich trainieren und kommen so auf eine Häufigkeit von sieben. Oder Sie fahren jeden Tag und absolvieren zusätzlich zwei Einheiten im Kraftraum. Damit kämen Sie auf eine Häufigkeit von neun.

Dauer

Das Training, das ich in diesem Buch beschreibe, beruht auf Dauer, nicht auf Distanz. Die zeitliche Dauer ist das maßgebliche Element für das Training und die Wettkämpfe. Ihr Körper reagiert letztlich darauf, wie lange Sie eine hohe Intensität aufrechterhalten, nicht darauf, wie viele Kilometer Sie zurücklegen. Selbst wenn Sie bei Gegenwind dieselbe Distanz zurücklegen wie an einem windstillen Tag wird die Dauer eine andere sein und eine andere Wattleistung erfordern. Die Leistungskurven, über die Sie in Kapitel 2 gelesen haben, veranschaulichen diese Beziehung zwischen Intensität und zeitlicher Dauer.

Schauen wir uns ein Beispiel an, um dieses Konzept besser zu verstehen. Nehmen wir an, Sie haben für ein 40 km langes Zeitfahren trainiert und anhand dessen, was Sie über den Kurs und Ihre Fitness wissen, gehen Sie davon aus, die Strecke in rund 55 Minuten absolvieren zu können. Das erfordert eine bestimmte Leistung gemessen in Watt und dementsprechend haben Sie sich im Training vorbereitet. Am Renntag aber weht ein heftiger Gegenwind auf der Strecke und Sie hören, dass Fahrer auf Ihrem Niveau rund zehn Minuten länger brauchen als geplant. Sie müssen also damit rechnen, etwa 65 Minuten unterwegs zu sein. Sollten Sie mit dem ursprünglich geplanten Einsatz fahren oder etwas ändern? Da es die Dauer ist und nicht die Distanz, die für die Intensität eines Rennens maßgeblich ist, müssen Sie die Wattzahlen, die Sie ursprünglich geplant hatten zu treten, verringern. Denn wenn Sie das nicht tun, werden Sie in den letzten Minuten des Rennens wahrscheinlich einbrechen und sich nur mit Müh und Not ins Ziel retten.

Die zugrundeliegende Regel besagt, dass Intensität und Dauer umgekehrt proportional sind. Nimmt das eine zu, nimmt gleichzeitig das andere ab. Dauert ein Wettkampf oder eine Trainingseinheit länger, wird die Intensität, die Sie aufrechterhalten können, sinken.

Intensität

Alles, was Sie brauchen, um die Dauer zu messen, ist eine Uhr. Die Intensität ist ein deutlich komplexeres Maß und lässt sich mit Hilfsmitteln wie einem Tachometer, einem Herzfrequenzmonitor, einem Powermeter, einem Laktatmessgerät oder einer ganzen Reihe anderer Methoden bestimmen, inklusive der empfundenen Anstrengung, bei der es sich schlicht um eine subjektive Einschätzung handelt, wie hart Sie arbeiten. Manche dieser Hilfsmittel, wie ein Tacho, sind sehr simpel und leicht zu handhaben. Andere, wie Leistungsmessgeräte, sind deutlich schwieriger zu verstehen und können zudem ziemlich kostspielig sein. Je höher Ihr Ziel ist und je erfahrener Sie als Radsportler sind, desto eher können Sie von einem Powermeter profitieren. In Kapitel 2 habe ich bereits eine Möglichkeit vorgestellt, die Leistung in Watt zu nutzen, um die Intensität abzuschätzen: die Leistungskurve aus Abbildung 2.1. Ein Powermeter ist ein Hilfsmittel, das ich jedem ernsthaft trainierenden Athleten empfehle, sich zuzulegen.

Ich sollte allerdings darauf hinweisen, dass ein solches Leistungsmessgerät noch nicht so wichtig ist, wenn Sie sich in den ersten zwei oder drei Jahren des Radtrainings befinden. Im ersten Jahr sind Sie v.a. damit beschäftigt, die nötigen Änderungen in Ihrem Lebenswandel vorzunehmen und eine starke Grundlage aufzubauen. Ihr primäres Ziel besteht darin, sich aufzuraffen und so oft wie möglich zu fahren. In dieser Phase Ihrer Entwicklung bildet somit die Häufigkeit den Schwerpunkt Ihres Trainings.

Radsportler im zweiten oder dritten Trainingsjahr konzentrieren sich für gewöhnlich darauf, die Dauer Ihrer Trainingsfahrten zu steigern. So bauen sie die nötige Ausdauer auf, was ein paar Jahre in Anspruch nimmt.

Erfahrene Radsportler aber müssen den Schwerpunkt auf die Intensität legen. Falls Trainingshäufigkeit und -dauer noch immer nicht gut etabliert sind, wird ein fortgeschrittener Fahrer nicht vorankommen. Sobald diese Grundlage aber steht, muss sich der Fokus auf die Intensität verlagern. Das heißt nicht, dass jede Trainingseinheit mit hoher Intensität absolviert wird – Regeneration ist unerlässlich und nicht von ungefähr ein häufig wiederkehrendes Thema in diesem Buch. Aber die Intensität Ihrer wichtigsten Trainingseinheiten wird weitgehend den Ausschlag darüber geben, wie Sie sich in den Rennen aus der Affäre ziehen.

Die laufende Erfassung der Trainingsintensität ist ganz wichtig für Ihren Erfolg und Ihr Vorankommen im Sport. Das bedeutet nicht, dass Häufigkeit und Dauer für Routiniers keine Rolle mehr spielen würden. Aber auf allerhöchstem Niveau sind diese Messgrößen einfach ein kleines bisschen weniger wichtig, um Trainingsfortschritte zu bestimmen und sicherzustellen. Mit seltenen Ausnahmen muss die Intensität für fortgeschrittene Athleten den Trainingsschwerpunkt bilden.

Leider glauben viele fortgeschrittene Athleten weiterhin, lange Einheiten seien der Schlüssel zum Erfolg. Das liegt zum Teil daran, dass die Dauer einfach und billig zu messen ist und viele Sportler, weil Sie damit anfangs recht gute Erfolge erzielen, sich früh in Ihrer sportlichen Karriere daran gewöhnt haben.

Eine genaue Intensitätsmessung ist weder einfach noch günstig. Es erfordert darüber hinaus Fleiß und Übung, bis man damit gut umzugehen weiß. In Kapitel 4 werden wir einen genaueren Blick auf die Intensität werfen, v.a. auf die in Watt erfasste Leistung, und darauf, wie Ihnen Wattmessung helfen kann, als Radsportler Höchstleistungen zu erreichen.

Häufigkeit

Wie oft trainieren Sie? Wie viele Einheiten absolvieren Sie pro Woche? Die Antwort hängt wahrscheinlich eher von Ihrem Lebenswandel ab als davon, was Sie gerne machen würden. Die meisten Radsportler, die ich kenne, würden gerne häufiger fahren, sind aber durch berufliche, familiäre und sonstige Verpflichtungen eingeschränkt. Das macht es umso wichtiger, die spärliche zur Verfügung stehende Zeit optimal zu nutzen. Dies wiederum setzt die umsichtige und kluge Planung und Gestaltung der Trainingseinheiten voraus. Ein ernsthafter Fahrer muss die richtigen Einheiten zur richtigen Zeit unternehmen. Es gibt keinen Spielraum für nachlässiges, zielloses Training. Jede Trainingseinheit zählt. Deswegen rate ich Ihnen dringend, einen detaillierten Trainingsplan zu erstellen. Ich weiß, Planung klingt nicht unbedingt nach Spaß. Aber es ist notwendig, wenn Sie Ihr Potenzial erreichen wollen. Intelligente Planung, um einen gut funktionierenden individuellen Trainingsplan zu erstellen, ist das, worum es in diesem Buch letztlich geht. Richtig los geht es damit in Teil IV.

UMFANG UND INTENSITÄT

Umfang ist die Kombination aus Häufigkeit und Dauer. Addieren Sie einfach die Trainingsstunden für eine Woche und Sie haben den Umfang. Wenn Sie in einer Woche sieben Einheiten von je zwei Stunden absolvieren, beträgt Ihr Wochenumfang 14 Stunden. Die meisten Radfahrer betrachten ihren Trainingsfortschritt in Bezug auf den Umfang. Fragt man sie, wie es im Training läuft, antworten die meisten, wie viele Wochenstunden sie trainieren. Warum? Weil dieser Wert einfach mess- und nachvollziehbar ist. Dennoch ist, wie oben erläutert, die Intensität für erfahrene Athleten der Schlüssel zum Erfolg.

Das bedeutet nicht, dass der Umfang für fortgeschrittene Radsportler unwichtig wäre. Er ist nur weniger wichtig als die Intensität. Bei erfahrenen, leistungsstarken Radsportlern ist der Umfang für etwa 40 Prozent der Fitness verantwortlich, während die Intensität die restlichen 60 Prozent ausmacht.

Es liegt folglich auf der Hand, dass Ihr Fokus auf der Intensität Ihres Trainings liegen sollte. Das soll nicht heißen, dass Ihre Einheiten jeweils mit der größtmöglichen Intensität erfolgen sollten. Es gibt verschiedene Intensitätsstufen, die sogenannten »Zonen«, die wir im nächsten Kapitel behandeln werden. Während Ihres Trainings werden Sie alle diese Zonen verwenden. Wie viel Zeit Sie jeder einzelnen Trainingszone widmen, hängt von dem Wettkampf, für den Sie trainieren, Ihren individuellen Anforderungen und der aktuellen Saisonphase ab. Wir werden in den verbleibenden Kapiteln mehrmals auf dieses Konzept zurückkommen, weil es für Ihren Erfolg so entscheidend ist.

DOSIS UND DICHTE

Für bestmögliche Wettkampfleistungen müssen Sie im Training die Schwerpunktsetzung auf Umfang und Intensität richtig hinbekommen. Dies führt uns zu den Begriffen Dosis und Dichte, die eng miteinander zusammenhängen.

Die Dosis hat damit zu tun, wie relativ hart eine Einheit im Hinblick auf entweder Dauer oder Intensität ist. Ein sehr hartes Training wird als »hohe Dosis« bezeichnet, ein lockeres als »geringe Dosis«. Eine Einheit mit hoher Dosis könnte z.B. eine sehr lange Ausfahrt, eine hochintensive Belastung etwa in Form von Intervallen oder auch eine Kombination von hoher Dauer und hoher Intensität sein. Auf der anderen Seite ist eine Einheit mit geringer Dosis in der Regel kurz und von niedriger Intensität.

Mit Dichte ist gemeint, wie nah die Einheiten hoher Dosis aufeinanderfolgen. Hochdichtes Training bedeutet, dass Ihre härtesten Trainingseinheiten sehr nahe beieinander liegen – vielleicht nur mit einem Tag dazwischen oder sogar an direkt aufeinanderfolgenden Tagen. In der gleichen Weise würde ein Training geringer Dichte bedeuten, dass es zwischen den härtesten Einheiten mehrere Tage mit niedriger Dosis gibt.

Dosis und Dichte sind nicht für alle Athleten gleich. Gemäß dem Prinzip der Individualität hängen beide von Ihren spezifischen Bedürfnissen und Fähigkeiten ab, dazu kommt als weitere Komponente Ihre saisonal bedingte Fitness. Zu Beginn einer jeden Saison, nach einigen Wochen der Regeneration, müssen sowohl Dosis als auch Dichte noch gering ausfallen, um einen gewünschten Adaptationsprozess zu ermöglichen. Im weiteren Verlauf des Jahres werden Dosis und Dichte gesteigert, so dass Sie zu Ihrem ersten wichtigen Rennen des Jahres topfit sind. Diese Entwicklung muss behutsam vonstattengehen, da Sie ansonsten einen Einbruch riskieren. In gleicher Weise sollten sich Dosis und Dichte steigern, wenn Sie sich vom Anfänger sukzessive zu einem erfahrenen Athleten entwickeln.

Die Dosis eines jeden Trainings muss auf der Grundlage Ihrer aktuellen Anforderungen gewählt werden. Aber alle fortgeschrittenen Athleten müssen gelegentlich Einheiten hoher Dosis absolvieren, die spezifisch auf ihr Wettkampfziel abgestimmt sind. Die Dauer und Intensität dieser Trainingseinheiten variiert dabei je nach Art des Rennens, für das man trainiert. Auf Kriterien spezialisierte Fahrer absolvieren in den letzten Wochen vor einem Wettkampf für gewöhnlich Einheiten von geringer Dauer mit sehr kurzen, hochintensiven Intervallen. Fahrer, die sich auf mehrstündige Straßenrennen vorbereiten, unternehmen oft Ausfahrten von längerer Dauer, jedoch mit ein bisschen geringerer Intensität und längeren Intervallen. Innerhalb dieser wettkampfspezifischen Parameter ist die Dosis für alle Sportler ziemlich ähnlich.

Die Dichte hingegen variiert erheblich zwischen Athleten, die für die gleiche Art von Wettkampf trainieren. Typischerweise trainieren jüngere und fittere Radfahrer mit relativ hoher Dichte – ihre harten Einheiten folgen nah aufeinander. Je älter oder weniger fit Sie sind, desto geringer fällt die Dichte Ihres Trainings aus. Mit anderen Worten, es gibt mehr einfache, niedrig dosierte Einheiten zwischen den Tagen hoher Dosis.

Womöglich ist Ihnen dieses Konzept von Dosis und Dichte neu, aber wenn Sie bereits seit ein paar Jahren ernsthaft Radsport betreiben, dürften Sie es dennoch problemlos nachvollziehen können, da Sie es zweifellos bereits so gehandhabt haben – vielleicht ohne je explizit darüber nachgedacht zu haben. Später, wenn wir uns mit der Periodisierung des Trainings beschäftigen, werden Sie sich ausgiebig Gedanken über Dosis und Dichte machen, weil diese Parameter letztlich großen Einfluss darauf haben, wie fit Sie werden.

TRAININGSPENSUM

Aus der Kombination von Umfang und Intensität ergibt sich das »Trainingspensum«. Einige Radsportler können ein extrem hohes Pensum bewältigen, möglicherweise mehr als 20 Stunden in einer Woche, darunter hochintensive Intervalle und andere Einheiten, die ähnlich anspruchsvoll sind. Solche Sportler trainieren mit hoher Dosis und Dichte. Andere hingegen müssen einen vorsichtigeren Ansatz verfolgen und es bei einem geringeren Trainingspensum belassen. Der Grund dafür ist oftmals das Individualitätsprinzip. Dies betrifft nicht nur die Frage, wie viel Training Sie verkraften, sondern auch andere, vom Lebensstil bestimmte Faktoren, insbesondere die verfügbare Zeit.

Da es schwierig erscheint, die Intensität einer einzelnen Trainingseinheit, geschweige denn einer Trainingswoche mit ganz unterschiedlichen Einheiten, angemessen zu beziffern, tun sich viele Athleten schwer mit dem Begriff des Pensums. Viele haben nur eine vage Vorstellung davon und halten sich an die Zeit, um das absolvierte Pensum zu bemessen – also mit anderen Worten, wie viele Stunden sie in einer Woche mit Training verbracht haben. Damit wird jedoch die Bedeutung der Intensität für das Trainingspensum ausgeblendet, während die Gesamtdauer überbetont wird. In Kapitel 4 stelle ich eine Möglichkeit vor, Umfang und Intensität zu einer einzigen Messgröße zu verbinden: den Training Stress Score (TSS). Sobald Sie gelernt haben, dieses Konzept anzuwenden, wird Ihnen viel eher bewusst sein, dass das Trainingspensum ein Maß ist, das sowohl durch den Umfang als auch durch die Intensität bestimmt wird. In Teil IV bringe ich Ihnen dann bei, wie Sie Ihre Saison planen, indem Sie entweder den TSS oder die Zeit verwenden.

SUPERKOMPENSATION

Das Trainingspensum sollte manchmal groß ausfallen und demzufolge werden Sie häufiger erschöpft sein. Das ist der Grund, warum Ruhe- und Regenerationstage zwischen harten Einheiten vorzusehen sind. Es geschieht während dieser lockeren Tage, dass Ihr Körper tatsächlich fitter wird. Denn hochdosiertes Training erzeugt letztlich nur das Potenzial für Fitness. Verwirklicht wird dieses erst in den anschließenden Stunden der Ruhe und Regeneration, insbesondere im Schlaf.

Um Einbrüche jeglicher Art zu vermeiden, folgen auf Einheiten mit hoher Dosis in der Regel solche mit geringer Dosis. Dieser Prozess sich abwechselnder Belastung und Ruhe ist in gewissem Maße notwendig, um an Fitness zuzulegen. Wenn Sie ausschließlich Belastungen hoher Dichte und Dosis vorsehen und sich nicht regelmäßig erholen, wird dies wahrscheinlich in Übertraining münden (siehe Kapitel 10). Dabei handelt es sich um mehr als nur ein wenig Müdigkeit. Übertraining ähnelt sehr einer schweren Erkrankung wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber oder dem chronischen Erschöpfungssyndrom. Sie müssen es unbedingt vermeiden. Ich habe erlebt, wie es ganze Karrieren beendet hat.

Der Prozess des Fitnessaufbaus durch den Wechsel von Belastung und Ruhe heißt »Superkompensation«. Der menschliche Körper ist ein erstaunlicher Organismus, der durch konsequentes Training geformt werden kann, so dass ein Athlet entsteht, der im Sport große Dinge erreichen kann. Superkompensation lässt sich dem Körper aber nicht aufzwingen. Sie können nicht dafür sorgen, dass sie sich schneller vollzieht als von der Natur beabsichtigt. Einige Glückliche wurden mit einer schnellen Reaktionszeit gesegnet. Andere reagieren langsam. Auch hier zeigt sich wieder das Prinzip der Individualität. Der Unterschied zwischen Sportlern mit schneller und langsamer Superkompensation ist wahrscheinlich genetisch bedingt. Deshalb müssen Sie, um Übertraining zu vermeiden und gleichzeitig Ihre Fitness zu verbessern, genau darauf achten, wie Ihr Körper reagiert, und sich hüten, dies künstlich beschleunigen zu wollen.

FITNESS, ERSCHÖPFUNG UND FORM

In diesem Buch habe ich bereits mehrfach die Begriffe »fit« und »Fitness« verwendet. Ich bin sicher, dass Sie diese Begriffe selbst häufig benutzen und gehe davon aus, dass Sie ungefähr wissen, was sie bedeuten. Vorerst können wir aber einfach annehmen, dass Fitness ausdrückt, wie wettkampfbereit ein Athlet ist. Im Folgenden werde ich Ihnen eine Betrachtungsweise der Wettkampfbereitschaft vorstellen, die zwar relativ neu, Ihnen aber dennoch vermutlich bereits vertraut ist, weil Sie sie bestimmt unbewusst schon so angewendet haben. Weiterhin möchte ich auch zwei andere Begriffe beleuchten, die direkt mit der Wettkampfbereitschaft zusammenhängen: Erschöpfung und Form.

Fitness

Für Radsportler gibt es vier gängige Möglichkeiten, Veränderungen der Wettkampfbereitschaft zu bestimmen. Am meisten interessiert uns jene, die mit Wettkampfresultaten zu tun hat: Zeiten und Platzierungen sind das ultimative Maß für ambitionierte Athleten. Haben Sie Ihr Ziel erreicht? Falls ja, waren Sie am Renntag sehr fit. Und es lässt sich schlussfolgern, dass Ihr Training zuvor gut gelaufen sein muss. Wettkampfresultate lügen nicht.

Obschon das Erreichen des gesetzten Ziels der ultimative Maßstab sein mag, um die Wettkampfbereitschaft zu messen, hat es doch einen Nachteil: Es kommt ein wenig spät. Vermutlich werden Sie in der Nacht vor dem Rennen ruhiger schlafen, wenn es in den vergangenen Wochen Indikatoren gab, dass Ihre Fitness stetige Zugewinne gemacht hat. Wie also verschaffen Sie sich diese Sicherheit? Hier sind drei weitere gängige Möglichkeiten, die Fitness abzuschätzen.

Während Sie sich auf einen Wettkampf vorbereiten, nehmen Sie immer wieder zur Kenntnis, wie Ihre Einheiten laufen und wie Sie sich während des Trainings fühlen. Dies gibt Ihnen Hinweise darauf, wie sich die Fitness entwickelt: Steigt sie, ist sie stabil oder nimmt sie ab? Zwar mag dies ein sehr subjektives Maß sein, dennoch liefert es brauchbare Informationen hinsichtlich Ihrer Fortschritte. Fest darauf bauen können Sie allerdings nicht.

Wenn Sie ein objektives Feedback zu Ihren Fitness-Fortschritten erhalten möchten, können Sie sich einem sportmedizinischen Test unterziehen. Das Laborpersonal wird Sie an Hightech-Geräte anschließen und Sie werden sich mit schrittweise gesteigerter Belastung einige zunehmend zermürbende Minuten lang verausgaben. Wenn es vorbei ist, erhalten Sie dann einen Ausdruck mit einer Reihe von Zahlen, die Ihnen sagen, wie fit Sie sind. Dies ist eine aussagekräftige Information, und wenn ein solcher Test ein paar Mal in einer Saison durchgeführt wird, zeigt er Ihre Fitness-Fortschritte auf, während Sie sich auf Ihr Rennen vorbereiten. Das Problem: Solche Tests gehen ziemlich ins Geld.

Eine vierte Möglichkeit besteht darin, Ihr täglich absolviertes Pensum zu messen und dessen Fortschritt im Zeitverlauf zu bestimmen. Dieses Verfahren wendet lediglich Zahlen auf die oben beschriebene »Wie fühlen Sie sich?«-Methode an. Wie bereits erwähnt, ist das Trainingspensum die Kombination aus Umfang und Intensität. Wenn das Pensum zunimmt, steigt auch Ihre Fitness, weil Sie in der Lage sind, eine größere Dosis und eventuell eine höhere Dichte zu verkraften. Das ist ein indirektes Maß für eine Zunahme an Fitness. Fortlaufende Aufzeichnungen Ihres Pensums können Ihnen also sehr viel darüber verraten, wie fit Sie werden.

TABELLE 3.1 Beispiel für den Score einer 120-minütigen Einheit anhand der Zeit pro Trainingszone

A. ZONE (GEWICHTUNG)B. ZEIT IN DER ZONE (IN MINUTEN / GERUNDET)C. ZONEN-SCORE (A x B)
16060
21632
31030
430120
5420
Summe: 120 MinutenScore der Einheit: 262

Indem Sie die Gewichtung der Zone (Spalte A) mit der Zeit in der Zone (Spalte B) multiplizieren, erhalten Sie den Score für die jeweilige Zone (Spalte C).

Die Herausforderung ist, die einfach zu messende Dauer mit der Intensität zu kombinieren, die viel schwieriger zu erfassen ist. Und selbst wenn es Ihnen gelingt, die Intensität zu erfassen, wie kombinieren Sie diese dann mit der Dauer? Eine schon länger genutzte Möglichkeit besteht darin, mittels Puls- und Stoppuhr jeden Tag einen Score für die absolvierten Trainingseinheiten zu berechnen. Die Tageswerte werden dann am Ende der Woche addiert, um einen Score für das Wochenpensum zu erhalten, der sich mit den Werten der vorangegangenen Wochen vergleichen lässt. Wenn das Trainingspensum steigt, können Sie davon ausgehen, dass Ihre Fitness zunimmt, denn Sie sind nun in der Lage, größere körperliche Belastungen auszuhalten als noch früher in der Saison. Sie werden zunehmend wettkampfbereit.

Und so funktioniert das Ganze mit Hilfe eines Herzfrequenzmonitors oder eines Leistungsmessgeräts: Nach Beendigung des Trainings laden Sie die Daten von der Pulsuhr bzw. dem Powermeter auf Ihren Rechner. Die dort installierte Software sollte so eingerichtet sein, dass sie anzeigt, wie viel Zeit Sie in den einzelnen Trainingszonen nach Herzfrequenz bzw. Watt verbracht haben. (Kapitel 4 hilft Ihnen bei deren Einrichtung.) Verwenden Sie das am häufigsten genutzte Fünf-Zonen-System, wird jeder Zone automatisch ein numerischer Wert zugewiesen. Beispielsweise entspricht Zone 1 einem Wert von 1 und die Zone 5 einem Wert von 5. Dann multiplizieren Sie den Wert jeder Zone mit den Minuten, die Sie in dieser Zone verbracht haben. Addieren Sie nun alle Ergebnisse, und Sie haben den Score für die Trainingseinheit. Tabelle 3.1 veranschaulicht anhand eines Beispiels, wie sich eine Einheit mit diesem System bewerten lässt.

Das zweistündige Training, das in Tabelle 3.1 dargestellt ist, ergab für die gesamte Einheit eine Punktzahl von 262. In der gleichen Manier würden Sie für jedes Training im Laufe der Woche einen solchen Score ermitteln und dann am Ende der Woche die einzelnen Ergebnisse addieren, um das Wochenpensum zu bestimmen. Dieses Verfahren ist zwar simpel, aber auf die Dauer auch einigermaßen zeitraubend.

Einfacher ist es, eine Software zu verwenden, die automatisch den Score Ihrer Einheiten für Sie berechnet, sobald Sie Ihre Pulsuhr oder Ihr Powermeter angeschlossen haben. Die womöglich brauchbarste Lösung wurde von dem Sportwissenschaftler Andrew Coggan entwickelt und findet sich auf der Website TrainingPeaks.com. Sein System basiert auf dem oben erwähnten Training Stress Score und wird von Athleten in vielen Ausdauersportarten genutzt.

Indem Sie Ihr Pensum mit Hilfe eines solchen Systems aufzeichnen, erhalten Sie eine gute Vorstellung davon, wie sich Ihre Fitness entwickelt. Wenn Sie in der Lage sind, Ihr Pensum sukzessive zu erhöhen, können Sie daraus schließen, dass Sie fitter werden.

Mit dem Performance Management Chart (PMC) bietet die Website von TrainingPeaks ein weiteres Tool, das die Entwicklung Ihres Pensums im Laufe der Saison aufzeigt. Und in ähnlicher Weise macht es auch ein anderes Konzept greifbar, das herkömmlicherweise schwer quantifizierbar ist: Erschöpfung.

Erschöpfung

Inzwischen sollte eines klar geworden sein: Wenn Sie in der Lage sind, im Laufe mehrerer Wochen Ihr Trainingspensum zu erhöhen, ist das ein indirekter Hinweis darauf, dass Ihre Fitness sich verbessert. Denn würde Ihre Fitness sich nicht verbessern, wären Sie körperlich nicht imstande, mehr Umfang oder mehr Intensität zu bewältigen. Das haben Sie der Superkompensation zu verdanken.

Aber taugen Aufzeichnungen über Ihr Trainingspensum wirklich dafür, die Entwicklung der Fitness zu messen? Zugegeben, dieser Ansatz ist wohl nicht so präzise wie ein Labortest. Auch ist er nicht so gut wie der ultimative Maßstab: ein Rennergebnis. Es handelt sich hier lediglich um ein mathematisches Modell, um Veränderungen eines physiologischen Phänomens zu beurteilen. Das ist beileibe nicht narrensicher, kann aber sehr hilfreich dafür sein, um den Fortschritt Ihrer Fitness zu bewerten. Falls sich Ihr Pensum im Laufe mehrerer Wochen beständig steigert, können Sie darauf wetten, dass Ihre Fitness zunimmt. Falls Ihr Pensum sich verringert, passiert das Gegenteil: Sie büßen Fitness ein.

Wenn Ihr wöchentliches Pensum zunimmt, können wir außerdem ziemlich sicher davon ausgehen, dass noch etwas anderes geschieht: Ihre Erschöpfung wächst. Wann immer Sie mit mehr Umfang und Intensität an Ihre Grenzen gehen, sind Sie zwangsläufig erschöpft. Da führt kein Weg dran vorbei. Das liegt einfach in der Natur harten Trainings. Umgekehrt gilt: Wenn Sie Ihr Wochenpensum verringern, nimmt nicht nur Ihre Fitness ab, sondern Sie werden auch weniger erschöpft sein. Sie regenerieren.

Das bringt uns zu einer interessanten Schlussfolgerung: Fitness und Erschöpfung entwickeln sich in die gleiche Richtung. Erhöht sich die Fitness, nimmt auch die Erschöpfung zu. Somit können wir davon ausgehen, dass Sie, um fitter zu werden, erschöpft sein müssen. In dieser Hinsicht ist Erschöpfung Ihr Freund. Umgekehrt büßen Sie Fitness ein, wenn Sie nicht häufig erschöpft sind. Steigert sich das eine, steigert sich auch das andere. Nimmt das eine ab, nimmt auch das andere ab.

Erschöpfung tritt immer vor Fitness auf. Wenn Sie heute eine harte Einheit absolvieren, werden Sie morgen müde sein. Das können Sie eindeutig spüren. Aber Sie werden nicht schon morgen eine Veränderung der Fitness feststellen. Die Fitness verändert sich sehr langsam – über Wochen, nicht Tage –, die Erschöpfung hingegen schnell – im Laufe von Stunden und Tagen. Das ist eine gute Sache und etwas, das Sie für Ihre Zwecke zu nutzen lernen werden, wenn Sie im Vorfeld eines Rennens ein Tapering vorsehen. Dessen Zweck besteht darin, für den Tag des Wettkampfs Form zu erzeugen. Mit der Form befassen wir uns ausführlich in Kapitel 11, wollen aber bereits hier einen kurzen Blick auf dieses Konzept werfen.

Form

Wenn Sie sich große Landesrundfahrten wie die Tour de France im Fernsehen anschauen, werden Sie von den Kommentatoren häufiger zu hören bekommen, dass ein bestimmter Fahrer »in Form« sei, während es über einen seiner Kontrahenten heißt: »Es fehlt ihm an Form.« Was genau aber bedeutet »Form«?

Der Begriff der Form soll Ende des 19. Jahrhunderts im Pferderennsport entstanden sein. Wenn man zu einem Rennen ging und eine Wette platzieren wollte, suchte man sich einen »Bookie«, der Buch über die Wetten führte. Dieser Buchmacher stellte eine (als Formular bzw. form bezeichnete) Liste zur Verfügung, in der alle Pferde aufgeführt waren, die an diesem Tag starteten, samt ihrer jüngsten Resultate. Dann wählte man eines aus, auf das man sein Geld setzte, weil es laut Form gut drauf zu sein schien. Der Radsport, der sich etwa zur gleichen Zeit in Europa verbreitete, war auch ein Wettsport und adoptierte den Begriff. Im Laufe des nächsten Jahrhunderts begannen dann auch andere Sportarten, von Form zu sprechen.

Also was genau heißt es, in Form zu sein bzw. Form zu haben? Wie Sie aus dem oben Gesagten schließen können, hat es viel mit guter Wettkampfleistung zu tun. Das wiederum lässt sich auch so auslegen, dass ein Fahrer die nötige Frische besitzt. Wenn Ihre Erschöpfung groß ist, können Sie nicht in Form sein, egal wie groß Ihre Fitness ist. Die Erschöpfung wird Ihre Leistung abwürgen. Die einzige Möglichkeit, am Renntag frisch zu sein, ist, sich an den vorhergehenden Tagen auszuruhen und das zu unternehmen, was wir im Ausdauersport gemeinhin als »Tapering« bezeichnen. Dies sind knifflige Momente in Ihrer Saison, die wir in Kapitel 13 ausführlich behandeln.

Ich möchte sichergehen, dass Sie verstehen, worum es hier geht. Denn dies sind Überlegungen, die von immenser Bedeutung sind, wenn man als Radsportler Höchstleistungen erbringen will. Führen Sie sich noch mal vor Augen, dass sich Fitness und Erschöpfung stets in die gleiche Richtung bewegen. Wenn also Ihre Erschöpfung zurückgeht, was passiert dann mit der Fitness? Auch diese geht zurück. Ich weiß, das klingt beängstigend, gerade unmittelbar im Vorfeld eines Rennens. Wie können Sie einen guten Wettkampf abliefern, wenn Ihre Fitness abnimmt? Der entscheidende Punkt, um dies zu verstehen, wurde auch bereits genannt: Die Erschöpfung verändert sich schneller als die Fitness, wenn Sie sich ausruhen. Während Sie also mit einem Tapering vor einem Wettkampf rasch eine Menge Ermüdung loswerden, wird die Fitness gleichzeitig nur sehr langsam zurückgehen. Am Renntag fühlen Sie sich, als hätten Sie an Fitness zugelegt, obwohl dieses Gefühl tatsächlich das Ergebnis einer geringeren Erschöpfung ist. Es spielt keine Rolle – Sie werden in Form sein. Später zeige ich Ihnen, wie Sie es anstellen, nur ein klein wenig an Fitness einzubüßen und gleichzeitig die komplette Erschöpfung zu beseitigen. Das Verständnis und die richtige Anwendung dieses Konzepts ist der Schlüssel zu Topleistungen im Wettkampf.

FAZIT: GRUNDLEGENDE TRAININGSKONZEPTE

In diesem Kapitel haben wir eine Menge grundlegende Trainingskonzepte behandelt, angefangen mit einer Einführung in die vier Prinzipien des Trainings: progressive Überlastung, Spezifität, Umkehrbarkeit und Individualität. Ohne Zweifel hatten Sie von diesen Prinzipien bereits eine grobe Vorstellung, denn für Sie als Athlet sind sie fast so etwas wie das tägliche Brot. Mir geht es mit dieser Wiederholung darum, sicherzustellen, dass Sie verstehen, wie wichtig jedes einzelne dieser Prinzipien für Ihren Erfolg ist. Bisweilen übersehen wir die Grundlagen, wenn es darum geht, neue Trainingsweisen zu erlernen. Die grobe Zusammenfassung lautet, dass Sie, um fit für den Wettkampf zu werden, Ihr Trainingspensum progressiv steigern und auf eine Weise trainieren müssen, die für die Anforderungen des Rennens spezifisch ist.

Außerdem haben wir uns mit Häufigkeit, Dauer und Intensität beschäftigt. Die Kombination aus Häufigkeit und Dauer ist der Umfang. Der Umfang ist zwar wichtig, aber für fortgeschrittene Athleten, die schon seit ein paar Jahren dabei sind, ist wohl die Intensität der Schlüssel zu besseren Leistungen. Sie können die Intensität auf verschiedene Arten ermitteln, derzeit aber sind Herzfrequenz- und Wattmessung die gängigsten Methoden.

Wenn eine bestimmte Trainingseinheit eine hohe Dauer oder eine hohe Intensität aufweist – oder beides –, sprechen wir von einer hohen Dosis. Die Dosis muss so variiert werden, dass Einheiten mit hoher Dosis durch häufige Einheiten mit geringer Dosis ausgeglichen werden. Wie nahe die Einheiten hoher Dosis zeitlich beieinanderliegen, bestimmt darüber, wie hoch die Dichte Ihres Trainings ist. Athleten, die hochdichtes Training bewältigen – was bedeutet, dass hochdosierte Einheiten dicht aufeinanderfolgen – sind typischerweise junge Topfahrer. Nachwuchsfahrer und auch Senioren trainieren normalerweise mit geringerer Dichte.

Das Trainingspensum ist die Kombination aus Umfang und Intensität. Falls einer der beiden Faktoren zunimmt, während der andere konstant bleibt, oder falls beide zeitgleich zunehmen, steigert sich das Trainingspensum und das Resultat daraus sind größere Fitness und erhöhte Erschöpfung. Sofern ein erhöhtes Trainingspensum mit angemessenen Pausen kombiniert wird, tritt sehr wahrscheinlich eine Superkompensation auf, denn Ruhe und Regeneration gestatten dem Körper, die notwendigen Anpassungen zu vollziehen und wettkampfbereit zu werden. Auch das Ausruhen trägt zur Form bei.

In diesem Kapitel war von vielen Dingen die Rede, die Sie bislang wahrscheinlich als ziemlich simple Konzepte betrachtet haben. Aber wir haben sie aus einer anderen Perspektive beleuchtet, als Sie es vermutlich gewohnt waren. Mir ging es in diesem Kapitel darum, sicherzustellen, dass Sie bereit sind für die subtileren Nuancen des Trainings wie z.B. die Verteilung und Messung der Trainingsintensität. Dem widmen wir uns als Nächstes. Schnallen Sie sich an, denn jetzt geht es erst richtig los!

Die Trainingsbibel für Radsportler

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