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2 Aufbruch nach Skram

Im Weltall gibt es keinen Morgen und keinen Abend, und so waren es nur die Vibrationen ihres Armsprechgerätes, die Major Zaya Karan weckten. Leichte Kopfschmerzen plagten sie, und sie rieb sich die Schläfen, um sie zu vertreiben. Genervt fiel ihr ein, dass sie sich um 9:00 Uhr Bordzeit mit ihrer Crew zur Vollversammlung melden musste. Die Vollversammlung, zu Kriegszeiten noch Appell genannt, war keine freiwillige Veranstaltung. Alle mussten antreten, um den Weisheiten der Schiffsführung zu lauschen.

Üblicherweise marschierten die Besatzungen der Erkundungskreuzer gemeinsam in den Versammlungsraum ein. Am Sammelpunkt warteten schon Bordingenieur Chivan Swo und Astrogatorin Gael Klein. Es verbesserte Zayas Laune nicht, dass Storm fehlte. Außerdem machte sich ein leises Magengrummeln bei ihr bemerkbar, weil sie das Frühstück verpasst hatte. Schwarzer Kaffee auf leeren Magen war eine Dummheit, die sie leider immer wieder beging. Kommunikationsoffizier Neno Chung fand sich nun ebenfalls ein, aber er wusste auch nicht, was mit Storm wieder los war. Storm kam eigentlich immer zu spät oder gar nicht, und Zaya dachte manchmal darüber nach, ob sie selbst im Umgang mit Storm etwas falsch machte oder ob Storm einfach nicht zu helfen war. Da Zaya Storm mit dem Armsprechgerät nicht erreichen konnte, gab sie das Zeichen zum Aufbruch. Ohne Storm marschierten sie in den Versammlungsraum. Es war eine Demütigung für Zaya, denn jeder konnte sehen, dass sie ihr Team nicht im Griff hatte.

Der Versammlungsraum war ein großer Hangar, der für offizielle Anlässe benutzt wurde. Im Hintergrund standen einige hoovercraftbetriebene Landungsfahrzeuge, und durch ein Glasdach konnte man die Sterne sehen. Wie immer mussten sie eine Weile warten, bis die Schiffsführung eintraf. Schließlich ging es los: Die Sternenlichthymne schnatterte aus den Lautsprechern, und die unvollständige Crew nahm hinter Zaya Haltung an. Links neben ihnen befanden sie die Leute des Mutterschiffs und rechts standen die Crews der Mag-2 und der Mag-4. Noch weiter rechts tat sich eine große Lücke auf.

Endlich betrat die Alte den Versammlungsraum. Admiralin Charlene Armstrong hatte schon im Krieg gedient und war mit ihren 57 Jahren nicht mehr die Jüngste. Ihre dunkelbraun melierten Haare trug sie wie immer sauber geflochten und hochgesteckt. Natürlich war sie sich ihrer Pflichten als Führungsperson stets bewusst und ließ sich keinerlei Nachlässigkeiten durchgehen. Die Narbe, die ihre rechte Wange zierte, gab ihr bei aller Aufgeräumtheit etwas Verwegenes.

„Guten Morgen!“, begrüßte sie die Anwesenden. „Wir alle haben eine schwere Zeit durchgemacht. Wir alle haben schmerzliche Opfer zu beklagen. Ich erinnere an die Besatzungen der Mag-1, der Mag-3 und der Mag-6.“ Sie verlas den Namen jedes einzelnen Besatzungsmitglieds, das sie verloren hatten. Dann gab es eine Schweigeminute, und sie fügte hinzu: „Wir werden euch niemals vergessen.“ Als nächstes begann sie, die Schäden an der Mag-2 und am Mutterschiff aufzulisten, die immer noch nicht behoben waren. Insbesondere konnte ein Teil der Wandler nicht repariert werden, weil die dafür benötigten Speicherkristalle nicht in ausreichender Anzahl vorrätig waren. Die MAGELLAN schlich deswegen mit halber Kraft durchs All. „Ja, es stimmt“, fuhr sie fort, „wir sind schwer angeschlagen, und viele von Ihnen erwarten deshalb, dass ich den Rücksturz nach Tyros befehle.“

Sie machte eine rhetorische Pause und sah sich um. Die Anwesenden hingen erwartungsvoll an ihren Lippen. Tatsächlich wünschte sich auch Zaya nichts sehnlicher, als dass diese unglückliche Mission abgebrochen wurde. Leider ließ die Formulierung der Alten anderes befürchten. Tatsächlich fuhr sie fort: „Aber Sie alle wissen, dass ein Rücksturz nach Tyros nicht vorgesehen ist. Unsere Mission ist auf Jahre angelegt. Nach längerem Abwägen habe ich deshalb in Abstimmung mit der Schiffsführung dagegen entschieden. Ich erwarte, dass alle Besatzungen und Expeditionsmitglieder sich hinter diese Entscheidung stellen. Zur Motivation möchte ich Sie daran erinnern, woher wir kommen: Nach dem Zusammenbruch des Sternenreichs der Erde breiteten sich Kleinkriege und Gesetzlosigkeit aus, und die Handelswege wurden unterbrochen. Unsere geliebte Heimat Tyros lag am Boden. Hunger und Entbehrung herrschten, und der Wiederaufbau gestaltete sich schwierig und langwierig. Seit einigen Jahren gibt es neue Hoffnung durch die Gründung der Sternenlichtvereinigung, deren Planetenregierungen eingesehen haben, dass es zusammen besser geht. Aber noch immer werden wir bedroht von Freibeutern, Söldnern und konkurrierenden Staatengebilden. Tyros liegt am Rande des früheren Sternenreichs, und während viele Kräfte durch das Chaos in den alten Gebieten gebunden sind, gehören wir zu den wenigen Privilegierten, die entsandt wurden, um neue Welten zu entdecken, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Tyros braucht neue Freunde und neue Ressourcen. Unsere Reise war lang und teuer. Wir dürfen die Menschen daheim nicht enttäuschen. Wir dürfen nicht so schnell aufgeben.“

Sie machte erneut eine Pause.

Schnell aufgeben, dachte Zaya. Nachdem hier alles in Trümmern lag, konnte von schnell ja wohl keine Rede sein. Niemand wagte es aber, der Schiffsführung zu widersprechen. Irgendwie war es ja nicht ganz verkehrt, was sie erzählte.

Die Admiralin fuhr fort: „Natürlich lauern auch im Unbekannten große Gefahren. Wir haben die Gerüchte über das unerklärliche Sternenglühen gehört, das angeblich ganze Sonnensysteme zerstört hat. Und auch die Begegnung mit neuen Völkern kann sich als tückisch erweisen, wie wir gerade erst selbst erfahren mussten. Lassen Sie uns trotzdem unsere Mission fortführen und neue Welten und Zivilisationen erkunden!“

Ein gelblicher Planet erschien als Hologramm neben ihr.

„Dieser Planet mit der Katalognummer HR-1231 wird von seinen Bewohnern Skram genannt. Er ist von Wüsten bedeckt, nur etwa zehn Prozent der Oberfläche machen Seen aus. An den Ufern dieser Seen haben wir Städte gefunden, das Landesinnere und auch die Pole sind unbesiedelt. Die auf dem Planeten herrschende Zivilisation betreibt in begrenztem Maße Raumfahrt, über ihr eigenes Sonnensystem sind sie noch nicht hinausgekommen. Da nur noch einer unserer Erkundungskreuzer einsatzfähig ist, bitte ich die Crew der Mag-5 um 11:30 zur Einweisung. Macht euch frisch, Leute, trinkt noch einen Kaffee und erscheint pünktlich, aufgeräumt und vollzählig in meinem Büro.“

Zaya biss sich auf die Lippen. Die alte Fregatte wusste genau, wo die Problemzonen ihrer Crew lagen. Um die Vollzähligkeit herzustellen, musste sie Storm hinterherlaufen, statt einen Kaffee trinken zu können.

Gut, für ihren Magen war es sicher besser so.

*

Storm lag in ihrer Kabine und starb. Etwas in ihrer Seitenprothese war defekt, sodass ihre rechten Extremitäten nicht angesteuert wurden. Sie hingen schlaff über die Bettkante hinunter. Storm horchte in sich hinein und beobachtete mit einer morbiden Faszination die weitere Kaskade des Ausfalls. Der rechte Teil ihrer Lunge geriet ins Stocken und versagte langsam den Dienst. Der verbliebene biologische Lungenflügel arbeitete schwer, da er von der nun unbeweglichen Prothese behindert wurde. Jeder Atemzug kostete große Kraft. Der Sauerstoffgehalt in Storms Blut sank, und sie begann, lethargisch zu werden. Es fühlte sich an wie ein unbeschwertes Schweben. Wäre es nicht schön, so zu sterben? Wäre es nicht schön, die Erinnerungen auf diese Weise zu begraben und der Einsamkeit für immer zu entfliehen?

Ein lautes Klopfen und Schlagen an der Kabinentür riss sie aus dem sanften Abgleiten in die Dämmerung, auf die nur der Tod folgen konnte.

„Storm, was ist los mit dir?“, schrie eine Stimme. „Warum hast du dein beschissenes Armsprechgerät ausgeschaltet? - Storm, verdammt noch mal, antworte!“

Es war Zayas Stimme. Und sie war wie immer einfach nur … lästig.

Storm reagierte nicht. Warum konnte diese viel zu junge Kommandantin eines Beiboots sie nicht in Ruhe sterben lassen …?

„Storm, verdammt, mach sofort die Tür auf, sonst schneide ich ein Loch rein!“

Lästig war das Wort, dass perfekt auf sie passte. Lästig wie ein Schnupfen. Oder wie eine Zecke. Wer hatte dieser unfähigen Schülerin nur das Kommando über die Mag-5 übertragen? Nein, wer es war, wusste man ja. Aber warum nur?

Storm hörte das Geräusch einer Handstrahlenwaffe. Die blöde Ziege würde die Tür aufschneiden, bevor Storm mit dem Sterben fertig war.

Was wollte Zaya von ihr? - Ach ja, sie sollte die Tür aufmachen. Der Mikroprozessor, der Storms rechte Gehirnhälfte ersetzte, zeigte erste Ausfälle, wodurch sie begann, Sachen zu vergessen. Womöglich stand diese Anfängerkommandantin bald an ihrem Bett, und sie konnte sich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern. Nein, so eine Blöße wollte Storm sich nicht geben.

„Schon gut, ich komme ja!“, presste sie undeutlich durch ihren halb gelähmten Mund hervor. „Moment, verdammt!“

Die Waffe an der Tür verstummte.

Mit viel Mühe schloss Storm ihre Prothese an das Diagnosegerät an. Das Gerät arbeitete eine Weile und fuhr dann die Prothese ordnungsgemäß herunter, um sie neu zu starten. Storm verlor einen Teil ihres Kurzzeitgedächtnisses und vergaß einen Teil ihrer Gedanken. Lebenswichtige Organe arbeiteten nicht mehr. Es fühlte sich scheußlich an.

„Was ist nun?“, drängelte die Kommandantin vor der Tür.

„Gib Ruhe, ich komme ja!“, schimpfte Storm respektlos. Ihre rechte Körperseite fuhr wieder hoch, und ein Backup ihres Kurzzeitgedächtnisses wurde eingespielt. Storm überwand eine leichte Verwirrung, als die alten Gedanken auf ihre neuen trafen. Dann schien alles wieder einwandfrei zu funktionieren. Bis zum nächsten Mal, dachte sie. Mit Bedauern erhob sie sich und öffnete. Zaya hielt in ihrer Bewegung inne und ließ die Hand fallen, mit der sie wohl gerade erneut auf die Tür schlagen wollte. Mit ihren 1,73 m war Zaya nicht klein, aber doch deutlich kleiner als Storm. Zayas brauner Zopf lag geflochten über ihrer rechten Schulter und sie schaute mit ihren braunen Augen verärgert zu ihr auf. Storm war amüsiert.

„Komm jetzt mit!“, zischte die Kommandantin. „Die Alte will uns sehen. Vollzählig!“

Sie fragt gar nicht, was mit mir los war, überlegte Storm. Wahrscheinlich hat sie es aufgegeben, sich mit mir auseinanderzusetzen. Dabei hatte Zaya ihr das Leben gerettet. Storm war kurz davor gewesen zu vergessen, dass sie gerade einen kybernetischen Kollaps erlitt. Danach hätte es kein Zurück mehr gegeben. Dann hätte sie das Diagnosegerät nicht angeschlossen und wäre friedlich eingeschlummert. Für immer. Also war Zaya schuld, dass sie diesen Mist weiter mitmachen musste, den sie Leben nannten. Storm würde Zaya das spüren lassen. Sie würde ihr jede verdammte Minute zur Hölle machen, die sie mit ihr verbringen musste. Und sollte sie doch ihren Termin mit der Admiralin alleine wahrnehmen. Storm überlegte, wie sie sich aus dem Staub machen konnte, aber Zaya wich nicht von ihrer Seite, bis sie die Schwelle zu Charlenes Büro überschritten hatten.

Char erzählte etwas von einem neuen Planeten, den die Crew erkunden sollte, um ein Handelsabkommen abzuschließen und möglichst Ersatz für die dringend benötigten Wandlerkristalle zu finden. Dazu sollten sie eine Xenopsychologin mit an Bord nehmen und den Botschafter. Die Xenopsychologin war anwesend und erklärte, dass sie mit ihrem Team den Funkverkehr der neuen Welt analysiert und die Sprache der Eingeborenen entschlüsselt habe. Automatische Übersetzer seien verfügbar. Sie riet aber dringend, die fremde Kultur noch weiter zu erforschen.

Char gab zu bedenken, dass sie nicht ewig Zeit hätten und dringend die Kristalle brauchten. Die Standardzeit zur Vorbereitung eines Erstkontakts sei von der Sternenlichtvereinigung auf vier Wochen festgelegt worden. Aurora sei nun schon fünf Wochen an der Sache dran. Ob es denn Komplikationen gäbe?

Storm ging das alles ziemlich am Arsch vorbei.

*

Protokoll des Gesprächs mit Major Zaya Karan

Sternenzeit 3166.05.23.15.30, Coach Juli

Turnusmäßig meldete sich heute Major Zaya Karan zum Pflicht-Coaching. Karan ist Kommandantin des Erkundungskreuzers Mag-5 und berichtete in früheren Gesprächen von Autoritätsproblemen mit ihrer Crew. Heute erklärte sie, sie sei mit leichten Kopfschmerzen erwacht und empfinde die Gesamtsituation an Bord der MAGELLAN als belastend. Alle hätten schlechte Laune, nachdem die Schiffsführung die nächste Mission vorgestellt hatte. Die schlechte Stimmung der Besatzung kann nach dem Scheitern unseres letzten Auftrags nicht verwundern. Besonders die Erkundungskreuzer hatten ja hohe Verluste zu beklagen.

Major Karan gab ihrer Verwunderung Ausdruck, dass ihr das Kommando über die Mag-5 nicht entzogen wurde. Schließlich sei die Mag-5 das einzige noch einsatzfähige Erkundungsschiff, und die Kommandantin der Mag-2 sei viel erfahrener und habe gerade nichts zu tun, da die Mag-2 noch in der Reparaturwerft festhinge. Was läge also näher, als die Crews auszutauschen?

Mir lagen alle Daten über Major Karan vor, deshalb wusste ich, dass sie die besten Zeugnisse und exzellente Referenzen von der Flottenakademie mitbrachte. Sie zeichnete sich durch überragende Intelligenz, charakterliche Stärke und körperliche Fitness aus. Ich fragte Major Karan, ob sie Ideen habe, warum sie das Vertrauen der Schiffsführung genieße. Sie antwortete wörtlich: „Ach, keine Ahnung, die glauben doch alle, ich sei zu jung für den Job!“

Auf meine Frage, worin sich das äußere, erklärte sie, dass sich das bei den meisten Mitgliedern ihrer Crew nicht offen äußere, umso mehr allerdings bei Leutnant Eden Sturm, auch genannt Storm, deren Verachtung sie ununterbrochen spüre.

Ich säte bei ihr den Gedanken, dass Storm ihre Verachtung ja vielleicht nicht nur gegen Major Karan, sondern gegen alle Menschen und insbesondere gegen sich selbst richte.

Karan griff meine Anregung auf und überlegte, ob Leutnant Sturm vielleicht deshalb ihre Kriegsverletzung so offen zur Schau trug. Moderne Prothesen konnten schließlich sehr echt wirken, sodass man sie kaum als künstlich wahrnahm. Storm habe aber eine Prothese aus unlackiertem Edelstahl gewählt, womit sie aussah wie ein halber Roboter. Sie trug auch keine Perücke und ließ die gelb gefärbten Haare auf ihrer biologischen Seite abstehen wie Stacheln eines Igels. Aber tat sie das aus Selbsthass, oder war es vielmehr ein verdeckter Hilferuf? Oder eine Anklage, dass man sie mit ihrer Kriegsverletzung alleine ließ?

Da Karan mich fragend ansah, gab ich die Frage an sie zurück: „Was meinen Sie? Haben Sie mit Leutnant Sturm schon einmal darüber gesprochen?“

„Das würde ich niemals wagen“, begehrte sie empört auf. „Storm reagiert absolut allergisch auf jede Art von Psychogedöns und würde hochgehen wie eine Granate!“

Ich nahm zur Kenntnis, dass meine Dienste unter den Besatzungen nicht allzu sehr geschätzt und als Psychogedöns abgetan wurden. Dies war aber keine große Überraschung für mich, da die Leute ja nicht freiwillig zum Coaching kamen, sondern weil es auf ihrem Dienstplan stand.

„Ich möchte eigentlich nur eins wissen“, fuhr Karan fort. „Warum wurde Storm ausgerechnet auf meinen Kreuzer versetzt?“

Ich kannte die Antwort, war aber leider nicht autorisiert, Major Karan über die Hintergründe von Leutnant Sturms Versetzung aufzuklären.

„Und warum wird sie niemals suspendiert, bei all den Dienstverstößen, die sie sich ununterbrochen leistet?“

Die Antwort darauf durfte ich ihr ebenfalls nicht geben. „Man traut Ihnen wohl noch am ehesten zu, mit dieser schwierigen Situation umzugehen“, sagte ich deshalb, um dem Ganzen wenigstens einen positiven Beigeschmack zu verleihen.

3 Erstkontakt

Gael Klein betrachtete die Mag-5, die mit ausgefahrenem Landeschacht ruhig vor ihr im Hangar stand. Wartungspersonal führte letzte Arbeiten aus. Auf ihrem Rumpf prangte der Name CLIFF ALLISTER MCLANE, und darunter stand in kleineren Buchstaben Mag-5. Daneben befand sich die LYDIA VAN DYKE, auch als Mag-2 bekannt. Sie war immer noch nicht einsatzfähig.

Während die Mutterschiffe nach berühmten Entdeckern benannt waren, hatte man den Erkundungskreuzern die Namen von Kriegshelden gegeben. Manche Besatzungen machten daraus eine große Sache, aber der jüngeren Generation, die den Krieg nicht mehr selbst erlebt hatte, ging das ziemlich ab. Für sie war die Bezeichnung Mag-5 genauso gut wie MCLANE, obwohl jener berühmte Namensgeber sogar einmal die Erde gerettet haben sollte. Am Ende hatte es ja nichts gebracht. Die Erde war durch die lange andauernde Kriegswirtschaft immer unbewohnbarer geworden und musste nach vergeblichen Rettungsversuchen aufgegeben werden. Nun drehte sie immer noch ihre einsam gewordene Bahn um die Sonne, und nur wenige Zurückgelassene fristeten dort ihr karges Leben. Ein besseres Symbol für die Sinnlosigkeit des Krieges konnte man sich kaum vorstellen. Aber die Menschheit hatte den Krieg ja nicht gewollt, er war ihr aufgezwungen worden.

Als Gael aus dem Lift trat, fand sie die Kommandantin schon an Bord. Ordnungsgemäß meldete sie sich zum Dienst.

„Willkommen an Bord, nimm bitte gleich deinen Posten ein!“, wurde sie von Zaya empfangen.

Gael stellte sich hinter das Astrogationspult und startete die Testroutinen. Hologramme rasch fließender Texte und sich ständig erneuernder Grafiken flammten vor ihr auf. Gael zog sie mit den Händen zu sich heran und sortierte sie nach Größe, Farbe und Wichtigkeit.

„Botschafter Massimo und Leutnant Schneider melden sich zum Dienst!“, vernahm sie im Hintergrund. Als sie aufschaute, sah sie die Xenopsychologin Aurora Schneider pflichtgemäß salutieren, während der Botschafter gelassen lächelte.

„Willkommen an Bord!“, begrüßte Zaya die Neuankömmlinge. Bitte nehmen Sie Beobachtungsposition im Gästebereich der Brücke ein!“

Gael entschied sich währenddessen, ihre Holos umzusortieren. Statt nach Größe, Farbe und Wichtigkeit ordnete sie sie nun nach Wichtigkeit, Farbe und Größe an. Wenn sie ihre Umgebung immer sauber und aufgeräumt hielt, würde ihr das einige Karmapunkte einbringen, da war sie ganz sicher.

„Hangar 5 an Basis MAGELLAN“, hörte man eine Stimme aus einem Lautsprecher. „Mag-5 in allen Funktionen überprüft. Wir geben das Schiff frei.

„Wo ist Storm, verdammt nochmal?“, fragte Zaya.

Da niemand sonst die Antwort wusste, meldete sich der Bordcomputer ALLISTER mit seiner sonoren Stimme zu Wort. „Sie ist an Bord, in ihrer Kabine“, tat er kund.

„Was soll das, was treibt sie da?“, schimpfte die Kommandantin. „Warum ist sie nicht auf ihrem Posten?“

Neno Chung, der gut aussehende Kommunikationsoffizier, fummelte an seinem Pult herum. „Ich schaue mal, ob ich ein Bild bekommen kann“, murmelte er.

„Du weißt, dass das nicht erlaubt ist“, tadelte ihn ALLISTER entspannt.

Zaya signalisierte Neno mit einer Handbewegung, dass er das sein lassen sollte, und fluchte still in sich hinein.

Gael verstand den Ärger der Kommandantin. Fast schon gewohnheitsmäßig wurde sie von Storm bloßgestellt, und nun auch noch vor dem Botschafter. Warum ließ sie sich das immer wieder gefallen? Warum griff sie nicht härter durch? Stattdessen schluckte sie auch diesmal ihren Ärger runter und arbeitete weiter das Startprotokoll ab.

„Bordkontrolle, Leutnant Swo!“, befahl Zaya.

„Kontrollcenter läuft, Commander“, bestätigte der Bordingenieur.

„Kommandant an Astrogator: Steuerung auf Automatik.“

Gael schreckte zusammen, sie war dran. Nervös suchte sie das Steuerungsholo, das sie dummerweise im Hintergrund vergessen hatte, weil es zwar wichtig, aber blau und klein war. Da war es. „Automatische Steuerung bei CD minus 10“, antwortete sie schnell. „Raumüberwachung läuft.“

„Basis MAGELLAN an den Erkundungskreuzer Mag-5: Sie sind freigegeben zum Start.“

Die Luft im Hangar war abgepumpt worden, und über der Mag-5 öffnete sich die Schleuse.

„Fertigmachen zum Start!“, befahl Zaya. „Erste Beschleunigung!“

Wo war das Startpaneel? Und warum ließ man ALLISTER nicht diesen ganzen Mist machen? Ah, dort. Gael fuhr die Maschinen hoch. Ein automatischer Countdown zählte herunter, und dann verließ die Mag-5 die MAGELLAN. Noch kurz sah man das Mutterschiff auf dem Hauptschirm, dann war es verschwunden.

„Wir brauchen ein paar Stunden, bis wir den Planeten erreichen“, wandte sich Zaya an den Botschafter. „Wir sollten uns eine Pause gönnen.“

„Sehr schön, vielen Dank, Commander!“, antwortete der Botschafter freundlich und zog sich zurück. Die Xenopsychologin Aurora Schneider blieb allerdings auf der Brücke und kräuselte sorgenvoll ihre Stirn.

*

Als der Botschafter die Brücke wieder betrat, beugte sich die Kommandantin gerade über den Hauptschirm. Dort sah man bereits den Wüstenplaneten rotieren. Deutlich zeichneten sich die wenigen isolierten Seen auf der Oberfläche ab. Wolken gab es aufgrund der geringen Luftfeuchtigkeit kaum.

Auch Storm hatte sich mittlerweile auf die Brücke verirrt. Ihr Name stand wohl eher für einen inneren Sturm, überlegte Gael, vielleicht für ein mühsam kontrolliertes Hochdruckgebiet, das in ihrem Hirn rotierte und als Tornado ausbrechen würde, wenn man ihr nicht regelmäßig etwas gab, das sie zu Klump schießen konnte. Gael wollte nicht wissen, welcher Wahnsinnige Storm den Job als Armierungsoffizierin gegeben hatte. Okay, sie wusste es. Es war natürlich die Alte gewesen.

„Wir empfangen einen Funkspruch“, meldete Neno. „Sogar mit Bildsignal. Übersetzung läuft.“

Kurz darauf erschien auf dem Schirm ein grün geschupptes Gesicht mit einer breiten Reptilienschnauze. „Wohlstand und Gelassenheit, friedliches Wesen“, sagte es. „Eine Geschichte ich erzähle, die ist geschehen einem Vetter meiner Frau. Unbekannte sich ihm annäherten und er sie bat zu bleiben. Lebt in Frieden und Beherrschung.“

Die Brückencrew der Mag-5 sah sich verwirrt an.

„Sofort anhalten“, schrie Aurora Klein plötzlich.

Niemand reagierte.

„Astrogator, voller Gegenschub!“, befahl Zaya.

Gael schreckte zusammen. Sie verstand zwar nicht, was los war, aber sie fand die Navigationskonsole und sorgte dafür, dass die Mag-5 Fahrt verlor und im Raum stehen blieb.

„Was ist los?“, fragte Zaya an Aurora gewandt. „Warum sollen wir anhalten?“

„Weil der Skram es von uns verlangt hat“, erklärte die Xenopsychologin.

„Aber er sagte doch, dass die Unbekannten gebeten wurden zu bleiben?“

„Ja, aber da die Unbekannten sich nur näherten und nicht ankamen, ist damit fernbleiben gemeint.“

„Ah ... gut. Das habe ich jetzt gar nicht so verstanden. Aber wenn Sie meinen … Botschafter, Sie sind dran.“

Botschafter Devid Massimo sprach in das Mikrofon des automatischen Übersetzers: „Wohlstand und Gelassenheit, freundliche Bewohner von Skram! Ich, äh, möchte ebenfalls eine Geschichte erzählen: Fremde Wesen näherten sich dem Planeten Skram. Sie kamen in friedlicher Absicht und suchten Kontakt und Austausch.“ Er schaltete das Mikrofon aus und startete die Übersetzung. „Können wir das so senden?“, fragte er Aurora.

„Ich kann es Ihnen nicht sagen, Botschafter. Wir hätten viel mehr Zeit für die Erforschung der Skram-Zivilisation gebraucht.“

„Nun lässt es sich nicht mehr ändern. Wir müssen antworten. Also senden Sie es bitte, Kommandantin!“

„Funkspruch absetzten, Neno!“

Der Kommunikationsoffizier tat seine Pflicht.

Gespannt warteten sie auf eine Antwort.

Nach einigen Minuten meldete sich ALLISTER: „Drei Hyperschallraketen starten von der Planetenoberfläche.“

Jedem war klar, dass die Schutzschirme die Raketen nicht aufhalten konnten. Sie wirkten gegen Energie- und Laserbeschuss, aber nicht gegen materielle Einschläge.

Storm betätigte einige virtuelle Schalter in ihrer Holokonsole. „Alle Raketen erfasst. Werfer bereit zum Abschuss!“

„Kein Abschuss!“, befahl Zaya. „Ich wiederhole: Kein Abschuss! - Astrogator, Ausweichmanöver!“

Gael startete eine Routine für ein automatisches Ausweichmanöver, aber die Raketen hatten sich offenbar auf die Mag-5 aufgeschaltet und hängten sich an sie dran. Eine Alarmsirene heulte auf.

„Sechs weitere Raketen starten von der Planetenoberfläche“, meldete ALLISTER.

„Armierungsoffizier empfiehlt Abschuss! Dringend! Wir können nicht alle gleichzeitig anvisieren, und sie nacheinander abzuschießen braucht ausreichend Zeit!“

„Reiß dich zusammen, Storm!“, verlangte Zaya mit harter Stimme.

„Zwölf weitere Raketen gestartet“, meldete ALLISTER.

„Wie sieht es aus, Gael?“, erkundigte sich Zaya.

„Ziemlich eng!“, presste Gael hervor. ALLISTER schlug ihr eine ständig wechselnde Liste automatischer Ausweichmanöver vor, und sie war vollkommen damit ausgelastet, die Manöver auszuwählen, die den größten Erfolg versprachen. Leichte Panik stieg in ihr auf. Die Raketen kamen jetzt von allen Seiten.

„Lass mich die verdammten Dinger abschiessen!“, knurrte Storm.

Gael war es ein Rätsel, wie Storm mit dem schlechten Karma leben konnte, das sie ständig anhäufte. Aber in diesem Fall fand sie es gar nicht so verkehrt, die Raketen abzuschießen, denn es fiel ihr immer schwerer, passende Ausweichmanöver zu finden. Sie musste schon auf Manöver zurückgreifen, die nur 73 % Erfolgswahrscheinlichkeit versprachen.

Währenddessen lieferten sich Storm und die Kommandantin ein Blickduell. Zaya brannte ihren Blick in Storms Augen uns forderte: „Vergiss es! Wir können den Erstkontakt nicht mit einem kriegerischen Akt beginnen!“

Währenddessen verhaspelte sich Gael mit ihren Routinen. Statt mit einem von ALLISTER vorgeschlagenen Manöver den Raketen auszuweichen, hielt sie direkt darauf zu. Die Brückencrew klammerte sich entsetzt an den Armaturen fest und an allem, was sie greifen konnte. Glücklicherweise reagierten die Raketen zu träge, so dass die Mag-5 an ihnen vorbeirauschte und etwas Zeit gewann. Gael atmete auf. Sie hatte zwar nur Glück gehabt, aber das musste ja keiner wissen. Womöglich würde man ihr das später sogar als geniales Rettungsmanöver anrechnen.

Das Mutterschiff meldete sich, anscheinend hatte die Ortung das Drama mitbekommen: „Basis MAGELLAN an Erkundungskreuzer Mag-5! Sie werden zum sofortigen Rücksturz zur MAGELLAN aufgefordert. Dies ist eine AlphaOrder der Schiffsführung. Ausnahmebefehl an die Mag-5. Sofortiger Rücksturz zur MAGELLAN!“

Die Raketen näherten sich wieder. Storm und die Kommandantin hatten sich immer noch nicht geeinigt. „Wenn wir fliehen, werden die Skram uns nicht mehr ernst nehmen“, behauptete Storm. „Die Raketen müssen abgeschossen werden!“

„Schluss jetzt, wir haben Alpha-Order!“, wischte Zaya ihre Einwürfe beiseite. „Astrogator! Sofortiger Rücksturz zur MAGELLAN! Volle Kraft!“

Gael wischte die Ausweichmanöver beiseite und schlug auf den virtuellen Notschalter. Die Mag-5 beschleunigte mit voller Kraft Richtung Mutterschiff und zog dabei die Raketen hinter sich her.

„Ich empfehle einen kurzen relativistischen Sprung“, meldete sich ALLISTER dezent zu Wort.

Gael blickte Zaya an, die ihre Zustimmung signalisierte. Sie ließ die Wandler hochfahren. Als die Energie ausreichte, gab sie sie auf den Antrieb, der die Mag-5 über die Einstein-Rosen-Brücke direkt zu einer Koordinate in der Nähe des Mutterschiffs schickte.

Die Hyperschallraketen irrten noch eine Weile suchend im Raum umher und blieben trudelnd zurück, als ihnen der Treibstoff ausging.

Rücksturz nach Tyros

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