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LIGHT MY FIRE

Ojai, 1977

Die Sonne näherte sich im Westen dem Horizont und die berühmte „Rosa Stunde“ von Ojai würde in wenigen Augenblicken am östlichen Ende des Tals in der Topa Topa Schlucht hinter meinem Stall sichtbar werden. Die Abendröte des Himmels war ergreifend. Soweit das Auge schauen konnte, zogen sich Orangenhaine hin, kilometerweit. Ich sprang von meiner Stute Metchen und begleitete sie zum Ende des Pferches unter den strohgedeckten Unterstand. Vor vierzig Jahren hatte sich Ronald Colman in dem Filmklassiker „Lost Horizon“ zu derselben Klippe an einem ähnlich nebligen Abend geschleppt und auf sein mystisches Shangri-La hinuntergeblickt. Es war mir klar, warum das Filmteam ausgerechnet dieses Tal für bestimmte Szenen ausgesucht hatte. Vom ersten Augenblick an war ich in diesen Blick verliebt, als ich nach einem Zuhause für meine zwei Pferde suchte.

Metchen scharrte mit ihrem Huf den Boden und wieherte laut ihren Artgenossen hinten in der Koppel zu. Sie wollte nicht in den Stall, sondern immer nur nach Hause, aber ich focht diesen Streit schon zehn Jahre lang mit ihr aus und schließlich gehörte sie zur Familie.

Es war schon zehn Jahre her, dass Jac Holzman, der Präsident von Elektra Records, sie mir zu dem außerordentlichen Erfolg von „Light My Fire“ geschenkt hatte.

Jim durfte sich ein Auto aussuchen und wählte einen Mustang Cobra. Ray und Robby wünschten sich Tonbandmaschinen und ich wählte mir dieses Pferd. Wir machten damals Witze darüber und der Überfluss hatte gerade erst begonnen.

*

Es war Juli 1965. Ray erinnerte sich, dass ihm sein Freund Dick Bock noch drei Stunden Studiozeit schuldete. Dick war der Besitzer der World Pacific Recording Studios in Hollywood. Schließlich entschied sich Ray, die paar Stunden für uns zu nutzen und einige Songs auf ein Acetat aufzunehmen, damit wir hören konnten, wie wir klangen.

Ich traf eine halbe Stunde vor dem Termin ein, um mein dreiteiliges Gretch­Schlagzeug aufzubauen. Meine Nervosität befand sich schon auf einem hohen Level, aber als ich Ravi Shankars Band ihre Instrumente in dem großen Aufnahmestudio zusammenpacken sah, klopfte mein Puls noch schneller. Mir wurde in diesem Moment eigenartig schwindlig zumute. Hier stand ich, in demselben Raum mit Musikern, die ich bisher nur von weitem bewundern konnte. Ich beobachtete Alla Rakha, Ravis Drummer, wie er seine kleinen indischen Trommeln einpackte. Im Vergleich zu den Mikrofonen sahen sie viel einfacher aus als meine eigenen Trommeln, aber ich wusste, dass sie wesentlich schwieriger zu spielen waren.

Dick Bock verabschiedete sich von den indischen Musikern in ihren farbenprächtigen Saris. Er fragte mich, ob er helfen könnte.

„Ich möchte nahe beim Klavier sein“, erwiderte ich schüchtern. Das hier war meine erste Aufnahmesession. Wer war ich, um dem Produzenten vorzuschreiben, wo ich platziert werden wollte?

Er zuckte mit den Achseln. „Kein Problem“, meinte er und zeigte auf eine Ecke in der Nähe des Konzertflügels. Ich war erleichtert. Auf diese Weise war ich nahe bei Ray. Wir beide bewunderten ungefähr die gleichen Jazzmusiker und er war derjenige in der Band, dem ich mich verbunden fühlte.

Beim Aufbauen meines Schlagzeugsets schaute ich mich in dem Raum um. Akustikdämmplatten mit Millionen kleiner Löcher absorbierten den Sound. Ich wusste lediglich, dass bei einer Aufnahme ein Echo unerwünscht war. Man konnte das später hinzumischen.

Ray und Dorothy kamen kurz darauf mit Jim herein, ihnen folgten Rick und Jim Manczarek. Wir nahmen binnen weniger Stunden in nur ein oder zwei Takes sechs Songs auf: „Moonlight Drive“, „End of the Night“, „Summer’s Almost Gone“, „Hello, I Love You“, „Go Insane“ und „My Eyes Have Seen You“.

Alles ging sehr schnell. Alles war live. Bock war ein unaufdringlicher Mensch, der früher West Coast-Jazz produziert hatte und da man Jazzmusikern keine Vorschriften macht, wie sie zu spielen haben, sagte er kaum etwas. Bevor wir es merkten, war die Session auch schon vorbei und wir waren wieder draußen.

Nun besaßen wir unser eigenes Acetat mit sechs Songs. Ray nahm es an sich und kletterte mit Dorothy und Jim in seinen gelben Käfer. Ray beugte sich zum Fenster hinaus und rief, dass er während der nächsten Tage die Platte einigen Plattenfirmen vorspielen würde. Jim, der zum ersten Mal seine Stimme von einem Tonband gehört hatte, strahlte vor Freude auf dem Rücksitz.

Die Reaktionen der Plattenfirmen waren amüsant. Ray erinnerte sich später: „Es war recht witzig – wir latschten quer durch Los Angeles mit diesen Demos herum, stellten uns bei den Firmen vor und sagten: ‚Hier sind sechs Songs drauf, wir haben aber noch viel mehr; hören Sie sich die Platte mal an.‘ Und alle, aber auch alle meinten: ‚Nein, so was kann man doch nicht spielen – furchtbar – ich hasse diesen Sound – nein, nein!‘ Besonders dieser Typ bei Liberty fällt mir ein. Er hörte sich die Songs an und sagte dann: ‚So ein Zeug kann man sich nicht anhören!‘ Er warf uns aus seinem Büro raus!“

Als ich diese Geschichten später hörte, war ich enttäuscht. Es überraschte mich allerdings auch ein wenig, dass Ray den Leuten sogar das bizarre „Go Insane“ vorgespielt hatte, nachdem man schon die harmloseren Songs abgelehnt hatte.

Once I had a little game

I liked to crawl back in my brain

I think you know

The game I mean

I mean the game

Called ‚Go Insane‘.

(Früher hatte ich mal ein Spiel

Ich kroch gerne zurück in mein Hirn

Ich glaube du kennst

Das Spiel, das ich meine

Ich meine das Spiel

Mit dem Namen ‚Verrücktwerden‘.)

Eine von Rays Anekdoten fand ich gut. Angeblich setzte Lou Adler, der Produzent der Mamas and Papas, die Plattennadel immer nur auf die ersten paar Noten der einzelnen Stücke und brummte: „Nichts drauf, nichts drauf, was von Nutzen ist!“

Unglaublich, dachte ich. Die verstehen einfach unsere Vision nicht. Sie kapieren es einfach nicht!

*

Nach all den Ablehnungen gingen wir halbherzig wieder an unsere Übungssessions. An einem Tag machte Jim eine Pause und verschwand für eine Stunde. Jim und Rick Manczarek ergriffen die Gelegenheit und nahmen Ray und mich beiseite, um uns mitzuteilen, dass sie mit der Band aufhören und wieder zur Schule gehen wollten.

Ich wusste, dass Rick und Jim Manczarek, genauso wie Ray, schon eine stattliche Anzahl Clubauftritte hinter sich hatten und ungern mit unprofessionellen Leuten wie Morrison zusammenarbeiteten. Außerdem ahnte ich, dass sie einen großen Fehler begingen.

Morrison kam in die Garage zurück, ein Bild purer Unschuld. Die anderen wechselten notgedrungenerweise das Thema und ich schlug vor, ein paar Songs zu spielen. Es war sinnlos. Wir spielten lustlos und ich wusste, dass Rays Brüder praktisch schon weg waren. Ray machte ein langes Gesicht und ich versuchte, ihn mit einigen gelegentlichen Blicken zu beruhigen, die ihm sagen sollten, dass es so vielleicht besser war. Ich hoffte, dass wir die beiden durch einen Gitarristen ersetzen könnten, der auch Solo spielt.

*

Eine romantische Seite meines Lebens existierte in jenen Tagen nicht. Ich hatte Heidi jetzt acht Monate lang nicht gesehen und besuchte sie in dem Haus ihrer Eltern in Beverly Hills. Nach meinem Interesse an der Meditation und der Gegenkultur erschien sie mir reichlich naiv. Augenscheinlich hielt sie nach einem Ehemann, zwei Kindern und einem Haus Ausschau. Ich verschwand sofort wieder nach Hause und legte einen meiner Lieblingssongs von Dylan auf.

Go away from my window

Leave at your own chosen speed

I’m not the one you want, babe

I’m not the one you need

You say you’re looking for someone

Who’s never weak but always strong

To protect you and defend you

Whether you are right or wrong

Someone to open each and every door…

But it ain’t me, babe

No, no, no, it ain’t me, babe

It ain’t me you’re lookin’ for, babe.

(Geh weg von meinem Fenster

Verschwinde so schnell du kannst

Ich bin nicht der, den du willst, Babe

Ich bin nicht der, den du brauchst

Du sagst, du schaust nach einem

Der nie Schwäche zeigt, nur immer stark ist

Und dich beschützt und verteidigt

Ob du nun recht hast oder nicht

Jemanden, der dir Tor und Tür öffnet…

Aber ich bin’s nicht, Babe

Nein, nein, nein, ich bin’s nicht, Babe

Ich bin’s nicht, nach dem du suchst.)

Heidi war nun Vergangenheit, Fantasien von geilen Groupies die Zukunft und meine Linke im Bett die Gegenwart. Ich verliebte mich mehrmals täglich beim Herumkurven in der Stadt. Oder ich fühlte wenigstens eine gewisse Hitze in mir hochsteigen. Tatsächlich hatte ich solche Angst vor Frauen, dass ich mich nur selten traute, eine Unterhaltung anzufangen. Ich wusste, dass man mich als „nett“ bezeichnen konnte und ich würde auch zärtlich zu einem Mädchen sein können, aber ich wagte es nicht, eine Ablehnung zu riskieren. So blieb mir nur die Fantasie. Wenn die Gruppe erstmal berühmt ist, dachte ich, werden die Mädchen schon auf uns einstürmen.

Doch in der Zwischenzeit war die Hoffnung, dass unsere Songs gut genug geraten, es schon wert, am Leben zu sein.

*

Ich lehnte mich im Esszimmer meiner Eltern zurück und wippte auf den hinteren Stuhlbeinen. Ich hatte das schon als Kind oft gemacht und mit dreizehn sogar mal einen Stuhl zerbrochen. Jetzt tat ich es wieder. Aber ich war nervös und das Balancieren beruhigte mich etwas. Es war eine Erlösung, dass das Spaghetti-Essen, das meine Mutter für die Band gekocht hatte, in Ruhe verlief. Ich war wegen Jim beunruhigt gewesen, aber er benahm sich wie ein Gentleman aus dem Süden und war in dieser familiären Situation ziemlich friedlich. Ich nahm an, dass sein Magen sich freute. Alle schienen Hunger auf Mutters Kochkunst zu haben, essen wie Zuhause in Chicago für Ray und wie in Florida für Jim.

Dorothy, Rays Freundin, war wie gewöhnlich die Stille in Person, während Ray unablässig auf meine Mutter einredete. Der ewige Optimist. Mein jüngerer Bruder Jim war vollauf damit beschäftigt, die Spaghetti auf seine Gabel zu rollen und in den Mund zu kriegen. Dad war anscheinend in seinen eigenen Gedanken versunken. Deswegen versuchte ich, das Eis zu brechen.

„Ich glaube, wenn wir erst eine Platte in der Hitparade haben und für ein Album und eine Single eine Goldene bekommen, dann haben wir es geschafft. Wenn man eine Million Singles verkauft, rollt das Geld von ganz alleine, aber die Plattenfirma kassiert einen großen Prozentsatz für’s Herstellen und für ihren Profit. Der Künstler kriegt vielleicht fünf Prozent, drum muss man ein Hitalbum zustande bringen, dann erst hat man’s geschafft.“

„Klingt logisch“, meinte Dad. „Habt ihr schon einen Namen?“

„Noch nicht.'.

„Noch mehr Spaghetti?“ warf Mom ein. „Es ist noch reichlich da.“

„Ich nehme noch welche“, antwortete Ray. Er schaute Dorothy an und sie gab ihm ihren Teller, den er ebenfalls Mom hinüberreichte.

Ein netter Abend. Alle gingen mit einem vollen Magen nach Hause, gesättigt für ein paar Tage.

Nach dem Ausscheiden von Rick und Jim Manczarek brachte ich Bill Wolf zum Üben mit. Er war ein guter Sologitarrist, aber Ray war der Ansicht, dass er nicht zur Gruppe passte, musikalisch oder optisch. Jim sagte nicht viel zu dem Thema, er überließ die musikalischen Entscheidungen Ray und mir.

Ray kannte keine anderen Gitarristen, also überließ er es mir, ein weiteres ehemaliges Mitglied der Psychedelic Rangers anzurufen. Robby Krieger kam vorbei. Ray hatte einige Vorbehalte wegen Robbys Schüchternheit, da er nicht wie ein typischer Rock’n’Roller tierisch laut spielte. Das Ungewöhnliche an Robbys Gitarrenstil bestand darin, dass er wie bei einer Folk- oder Flamencogitarre kein Plektrum benutzte, sondern mit seinen langen Fingernägeln die Saiten zupfte.

Robby besaß auch eine große Sachkenntnis von Akkordstrukturen, die, wie ich hoffte, bei unseren Songs sicherlich dienlich sein würde. Hinzu kam, dass er auf seiner Gitarre auch Bottleneck spielte, eine Technik, die er sich von alten Bluesplatten abgehört hatte. Ein Bluesgitarrist benutzte dabei einen abgebrochenen Flaschenhals, in dessen Öffnung er den kleinen Finger steckte. Dann stimmte er die Gitarre auf einen Akkord und glitt mit dem Flaschenhals über das Griffbrett, was ein verhaltenes, schauriges Jaulen hervorbrachte. Etwas ähnliches, allerdings nicht auf einer elektrischen Gitarre, hatte ich auf den alten Bluesplatten gehört, die ich mir auf Robbys Rat hin gekauft hatte.

Ich war wie weggeblasen. Ich war sicher, dass Robbys gleitender, flüssiger Sound Ray und Jim umhauen würde.

„Ich glaube, du hast sie überzeugt“, lachte ich, während wir zum Haus seiner Eltern in den Palisades zurückfuhren. „Ich war mir nicht sicher, aber als du dann Bottleneck zu ‚Moonlight Drive‘ gespielt hast … Mann, als Ray dich hörte, hat er gegafft, als wäre ihm Gott erschienen!“

Robby hörte auf, nervös mit dem Finger in seinem krausen Haar herumzufahren und rückte seine Brille zurecht. „Äh, ich meine, das war schon ganz gut. Aber erinnere dich an den Robert Johnson-Song, den ich dir mal vorgespielt hatte:

Squeeze my lemons till the juice runs down my ­

beeerrrrwwwwwwwuuuuuuu.

(Quetsch meine Zitronen bis der Saft mir herunterläuft –

beeerrrrwwwwwwwuuuuuuuu.)

„Es gibt aber nicht viele, die das auf ’ner elektrischen Gitarre spielen“, bemerkte ich.

„Mike Bloomfield spielt das öfter mit Butterfield zusammen.“ Er lächelte einen Moment, starrte aus dem Fenster, als wir uns dem Haus näherten. „Wie habt ihr diesen Übungsraum gekriegt?“

„Ein Kollege von Jim und Ray von der Filmschule hat das Haus gemietet. Hank ist sein Name. Er war einverstanden, dass wir dort nachmittags übten. Ist komisch, nicht wahr, so’n kleines, verstecktes Haus hinter all den Läden in Santa Monica?“

„Yeah, ich find’s gut. Aber Jim … war ziemlich drauf. Wie er seinen Freund anbrüllte, der mit einem Haufen Dope sich da an den Küchentisch pflanzte und Joints rollte … Felix, hieß er so? Mann, eine eigenartige Bande.“

„Ja, und wegen dem ganzen Lärm könnte man uns auch leicht einbuchten. Ich bin vor ’nem Monat mal mit Jim durch die Gegend gezogen und er fing mit einem sturzbesoffenen Typ im Venice West Café Krach an. Schließlich zog er den Burschen hier in Rays Haus, um ihm ein paar Platten vorzuspielen. Kaum waren wir da, knipste Jim das Licht an und aus, an und aus. Das machte den Besoffenen total verrückt. Wir spielten eine Chet Baker-Platte – die, auf der er singt – und dieser Mensch steht einfach auf und haut ab. Morrison war mit sich zufrieden. Er sagte, er wollte den Kerl nur testen.“

„Überrascht mich nicht“, merkte Robby gleichgültig an.

Ihn testen, dachte ich. War das hier eine Schule? Was sollen wir lernen? Furcht?

„Yeah, also, Acid werde ich mit ihm zusammen sicherlich nicht nehmen“, murmelte ich. „Ich sag’s dir. Ist er vielleicht zu verrückt?“

„Yeah … er könnte mal ein großer Star werden. Passen die beiden Dinge nicht manchmal ausgezeichnet zusammen?“

„Ha, Ich glaub, du hast recht!“

Ich fuhr in die Einfahrt. Robby zögerte beim Aussteigen.

„Also magst du die Band?“ wollte ich wissen.

„Ja, ich mache bei euch mit. Ich muss da noch was mit meiner anderen Band klarstellen, doch, ja!“ Er öffnete die Tür, schlug sie dann zu und lehnte sich zum Fenster hinein. „Wart’ mal, ich bin noch in einer anderen Band und du bist noch in zweien.“ „Also?“ Beim Rückwärtssetzen schrie ich aus dem Fenster: „Du verlässt deine Band und ich meine beiden.“

Spät am Abend rief ich dann Ray von meinen Eltern aus an. „Hallo, ich bin’s, John. Was hältst Du von Robby?“

„Ich fand die Bottleneck gut. Vielleicht kann er sie bei jedem Song spielen“, war seine Antwort. Ray hatte Feuer gefangen.

„Nun mal nicht übertreiben!“

„Aber er ist nicht sehr aggressiv. Es macht mir Sorgen, wie er sich auf der Bühne verhalten wird. Er stellt nicht exakt dar, was er spielt. Ein Gitarrist sollte auch ein halber Showmann sein.“

„Nicht alle können so ’ne Show abziehen wie ich“, konterte ich.

„Nun gut, er soll nochmal mit uns proben.“

Er war so gut wie drin. Nun wusste ich, dass die Band sich zusammenfand.

*

Die Proben machten nun Spaß. Wie in einer offenen Demokratie hatten wir Respekt vor den Fertigkeiten des anderen. Wir alle spielten unsere Instrumente schon seit Jahren, Jim hatte gierig Unmengen von Büchern verschlungen und von jedem wurde erwartet, dass er seinen Beitrag zu aufkommenden neuen Ideen leistete.

Es stellte sich schwieriger heraus, einen Bassisten zu finden als einen neuen Gitarristen. Das Problem war, nicht nur einen guten zu finden, sondern auch einen, der zu uns passte. Irgendwann kam mal ein Mädchen vorbei (wäre eine weitere Besonderheit gewesen) und wir spielten „Unhappy Girl“, „Break On Through“ und weitere eigene Stücke. Wir versuchten es mit Bluessachen – unsere Coverversion von „Back Door Man“ von John Hammond inspiriert und eine erst kurz vorher erarbeitete Fassung von Howlin’ Wolfs „Little Red Rooster“. Doch immer noch klangen wir zu traditionell. Mit einem zusätzlichen Bass klangen wir wie jede andere Rock’n’Roll Band. Fast wie die Rolling Stones. Obwohl wir die Stones mochten und endlos ihre neue Platte „Aftermath“ diskutierten, waren wir entschlossen, alles zu unternehmen, um anders als die anderen zu klingen.

Mir machte es Spaß, nur mit zwei weiteren Instrumenten und Jims Stimme zu proben. Der Sound war so offen. Meine Hauptaufgabe war es, das Tempo zu halten, so dass keiner schneller oder langsamer wurde, aber es gab genug individuellen Freiraum, was insgesamt einen einzigartigen Gruppensound ergab. Mit meinem Jazz, Rays früherer klassischer Ausbildung und seinem Hang zum Blues, Robbys Folk und Flamenco und Jims Besessenheit von alten schwarzen Bluessängern formten wir langsam den Sound der Doors.

Schließlich fand Ray einen Fender Rhodes Pianobass und wir hatten keinen Bassisten mehr nötig. Das Instrument vervollständigte den Sound. Weil Ray den Bass mit der Linken und die Orgel mit der Rechten spielte, musste er notgedrungen einfache Basslinien produzieren, während er sich voll auf die linke Hand für die Orgel konzentrierte. Der Rhodes klang ein wenig matschig, gab uns aber den Soundboden, den wir brauchten und machte uns noch mehr „anders“ als die anderen Gruppen.

Das Fehlen eines Bassisten ließ mir Raum zum Füllen des Sounds und ich begann, perkussive Kommentare zu Jims Gesang abzugeben. Aus bestimmten Gründen schlug ich in voller Lautstärke bei besonders leisen Passagen – so wie der laute Wirbel bei „The End“ – ein oder zwei Schläge hinein, um die Spannung zu brechen. Ich wusste, dass diese Stille ziemlich schaurig war und ich wollte die Leute damit noch mehr erschrecken. „Wir haben nie bezweifelt, dass wir es schaffen werden“, erinnert sich Robby heute. „Von Anfang an hatten wir besseres Material als andere Gruppen und wir hatten auch den bestaussehendsten Sänger von allen. Was konnte da noch schiefgehen?“ Wir fühlten uns komplett.

Was noch fehlte, war ein Name. Zu der Zeit gaben sich die meisten amerikanischen Gruppen lange, psychedelische Namen: The Strawberry Alarm Clock, Jefferson Airplane oder Velvet Underground.

Es war zur Zeit der Orangenblüte im Sommer 1965, T-Shirt-Wetter, und ich saß auf dem Rücksitz von Rays gelbem VW-Käfer. Wir fuhren in südlicher Richtung auf dem San Diego Freeway. Jim saß auf dem Beifahrersitz, hatte Jeans und T-Shirt an und war barfuß. Offenbar trug er nie Schuhe. Er zündete sich einen Joint an.

„Was haltet ihr von dem Namen ‚The Doors‘?“, fragte er und drehte sich zu mir, um den Joint herüberzureichen.

„Hmm … der ist kurz und einfach“, antwortete ich und nahm ihm die Tüte ab. „Hast du keine Paranoia, hier im Auto zu rauchen?“

Jim zuckte mit den Schultern. Ich nahm einen kurzen Zug und reichte ihn eilig zurück.

„Würdet ihr bitte die Kippe unten lassen?“, fiel Ray ein. „Und lasst mich auch mal.“ Morrison hielt den Joint an Rays Lippen und er sog einmal tief daran. „Jim hat dieAnregung zu diesem Namen von dem Huxley-Buch ‚The Doors of Perception‘.“

„The Doors“. Ich ließ mir das Wort durch den Kopf gehen. „Find’ ich gut. Ist irgendwie anders. Klingt kurios.“ Huxley habe ich schon mal gehört, dachte ich. Sollte mir besser mal das Buch besorgen.

Morrison fuhr fort, dass Huxley diese Phrase von William Blake übernommen habe. „Wenn die Pforten der Wahrnehmung gereinigt wären, würde alles den Menschen so erscheinen, wie es ist -unendlich.“ Als ich dies hörte, war ich überzeugt, dass wir einen wahren Poeten in der Band hatten.

The Doors. Ich mochte die Schlichtheit dieses Namens.

„Was sollen wir eigentlich auf der Bühne tragen?“, fragte Jim mit unbewegter Miene. „Wie wär’s mit Anzügen?“

„Ich weiß nicht so recht … mal sehen, wie’s sich entwickelt“, brummte ich und dachte, dass Jims Vorschlag mit der Garderobe das Blödste war, was er jemals gesagt hatte.

Manchmal war Jim ganz schön naiv, dachte ich. Manchmal schlug es eben durch, dass er aus Jacksonville in Florida kam. Nicht unbedingt hip. Eher provinziell.

*

Was uns noch als Letztes im Weg stand, war die Einberufung zur Armee. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, das Töten lernen zu müssen. Genauso beängstigend war die Gefahr, dass die Gruppe auseinanderbrechen würde, falls auch nur einer von uns gezogen werden würde. Vietnam beherrschte inzwischen die Schlagzeilen. Einige unserer Freunde hatten bereits einen Einberufungsbescheid. Ich begriff nicht, dass durch den Einmarsch von Kommunisten in ein fernöstliches Land am anderen Ende der Welt unsere Regierung die nationale Sicherheit bedroht sah.

Ray brauchte nicht mehr zu schwitzen, er hatte seinen Dienst schon abgeleistet. Seine Story zu diesem Thema hatte er ziemlich autobiografisch während seines Studiums zu einem Film mit dem Titel „Induction“ verarbeitet. Weil er wegen einer ehemaligen Freundin deprimiert war, hatte er sich freiwillig gemeldet (Er muss wohl ziemlich fertig gewesen sein. Was für ein Mädchen!). Doch Ray wollte nach einem Jahr wieder raus, nachdem er in Asien gelernt hatte, Marihuana und die sogenannten Thai-Sticks zu rauchen.

Ray schluckte also ein kleines Aluminiumkügelchen, das auf dem Röntgenschirm wie ein Geschwür aussah. Dann gab er vor, homosexuell zu sein und man schickte ihn nach Hause.

Im Sommer 1965 bekamen Jim, Robby und ich die Vorladung zur Musterung. Robbys eilfertige Eltern bestachen einen Psychiater, der ein Gutachten aufsetzte, dass Robby ungeeignet sei. Damit schickten sie ihn nach Tucson in Arizona zur Armeeverwaltung, die damals noch nicht gegen solche Ausflüchte von Kriegsgegnern immun war. Ich musste mich bei der Musterungsbehörde in Los Angeles vorstellen; Jim war eine Woche später vorgeladen.

Die ärztliche Untersuchung dort zählt zu den Tiefpunkten meines Lebens. Die Schlagzeilen der Los Angeles Times berichteten von dem ersten Kriegsdienstverweigerer, der ins Gefängnis gesteckt wurde. Es handelte sich um den Freund eines Freundes, den ich mal getroffen hatte. Mit solchen Dingen im Kopf nahm ich Methedrin, das Robby vorsorglich besorgt hatte, konnte tagelang nicht schlafen und las Kenneth Patchens „Journal of Albion Moonlight“ zur Inspiration. Mit pazifistischen Sprüchen im Rücken und Bob Dylans Mundharmonika im Kopf, die „God on Our Side“ spielte, versuchte ich mir einzureden. dass ich die Standhaftigkeit eines Quäkers hätte. Doch als mich meine Eltern schließlich bei der Musterungsbehörde in der Innenstadt absetzten, war ich ein nervöses Wrack. Mit meinem blau-lila gestreiften Hemd und braunen Cordhosen, die wochenlang nicht gewaschen worden waren, öffnete ich die Schwingtür der großen und lauten Armeezentrale und stellte mich meinem Schicksal. Meine Klamotten rochen so übel, dass ich selbst kaum den Gestank ertragen konnte.

„So, ihr Männer“, bellten uns die Rekrutieroffiziere an, als wären wir schon in der Armee. „Füllt dieses Formular aus und geht dann zur Untersuchung nach oben!“

Ich füllte die Testbögen so nachlässig wie möglich aus und befürchtete, dass ich durchdrehen würde, wenn man mich nicht zurückstellen würde. Mit Hilfe von LSD konnte ich Frieden in einer verrückten Welt finden. Doch hier bei derArmee war ich dem Verrücktwerden schon bedrohlich nahe. Meine musikalische Karriere sah ich vor meinen Augen bereits schwinden.

Als ich mit den Formularen fertig war, kam Ed Workman, ein alter Kumpel aus der Highschool, dreist quer durch den Raum auf mich zu. Er war dazu fähig, meine Maskerade zu entlarven. Ich wandte mein Gesicht ab.

„He, John. Weißt’e was? Werd dich wohl in ’Nam treffen, Mann!“ Von seinem Machohumor war ich absolut nicht begeistert. Ich zog eine Grimasse und vermied, ihn anzuschauen, da er wahrscheinlich merkte, dass ich normalerweise anders aussah. Glücklicherweise starrte er nur kurz auf meine schäbige Verkleidung, schüttelte den Kopf und zog wieder ab.

Nachdem er weg war, begab ich mich nach oben zu weiteren Tests. Leider fiel mir erst auf dem Weg zum Urintest ein. dass ich meine Probe mit etwas hätte würzen können – wenn ich vorher daran gedacht hätte, etwas mitzubringen.

Ich musste von einem Büro zum nächsten. Als ich mich in die Schlange der Leute einreihte, die auf die psychiatrische Untersuchung warteten, beschlich mich Verzweiflung. Jetzt wurde es ernst und so langsam verließen mich die Ideen. Wenn man jetzt meinen Puls gemessen hätte, wäre ich bei der medizinischen Untersuchung mit Sicherheit durchgerasselt.

Ein weiblich wirkender schwarzer Dandy tänzelte vor mir herum, während wir auf unsere Sitzung bei dem Seelenklempner warteten. Der Typ war laut und ungeduldig und äußerst affig. Ich hätte hundert Dollar wetten mögen, dass er zurückgestellt wird.

Doch er gab mir die Inspiration, auf die ich gewartet hatte.

Steif ging ich in das Büro des Psychiaters. Mit verworrenen Gedanken, meinem rasenden Herzen und meinen schwabbligen Knien trippelte ich zum Schreibtisch. Ohne ihm in die Augen zu schauen, zog ich den Stuhl vor dem Tisch an mich und zerrte ihn in die gegenüberliegende leere Ecke, wo Fotos von Präsident Johnson und einer B-52 hingen.

Ich setzte mich mit dem Gesicht zur Wand auf den Stuhl.

„KOMM HIERHIN, DU ARSCHLOCH!“ brüllte der Psychi­ater.

Zitternd vor Angst, aber entschlossen, mein improvisiertes Verhalten beizubehalten, rückte ich den Stuhl so geziert wie möglich wieder vor ihn. Dann lehnte ich mich quer über seinen peinlich aufgeräumten Schreibtisch bis ich nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Mein Atem hätte wahrscheinlich auch die Jets an der Wand zum Absturz gebracht. Eine Woche lang hatte ich nicht geduscht.

„Willst du in die Armee?“, fragte er und lehnte sich nach Luft ringend zurück.

„Nein, Sir, das könnte ich nicht ertragen“, antwortete ich gewissenhaft, vor Aufrichtigkeit triefend. In meinen Augen sammelten sich Krokodilstränen. Ich spielte zum ersten Male in meinem Leben Theater und wusste es noch nicht einmal.

„Das würde dir aber gut tun!“, sagte er und schüttelte vor Abscheu seinen Kopf. Er setzte seinen Stempel auf meine Papiere, mein Laurence Olivier-Theater nicht beachtend.

Er händigte mir die Blätter aus und dirigierte mich zum nächsten Büro. Auf wackligen Beinen verließ ich ohne Hoffnung den Raum.

Kurz darauf fand ich mich vor einem langen Tisch wieder, auf dem die kompletten Formulare gesammelt wurden. Eine schwarze freiwillige reckte die Hand, um meine Papiere in Empfang zu nehmen. Sie war etwa fünfzig Jahre alt und schien die Nähte ihrer Uniform zu sprengen, hatte aber das erste freundliche Gesicht, das ich an diesem Tag sah. Als ich ihr meine Formulare gab, schien sie meine Niedergeschlagenheit zu bemerken und zog mich zur Seite. Sie deutete vielsagend auf das Kästchen mit den „homosexuellen Tendenzen“ auf dem Formular und fragte: „Gibt es noch was, das du überprüfen willst?“ Ich schaute sie an, erst verblüfft, dann hoffnungsvoll und sie nickte in Richtung der Papiere, als wenn sie sagen wollte: „Überprüf’s doch noch mal!“ Ich weiß nicht, ob sie ernsthaft dachte, ich sei schwul oder nur zu zart für das Militär. Der Blick ihrer mütterlichen Augen sagte mir, dass ich nach der „Überprüfung“ dieses Kästchens verschont werden würde.

Ein paar Stunden später hatte ich meine Einstufung: 1Y! Der Sekretär teilte mir mit, dass ich in einem Jahr nochmals wiederkommen müsste, aber in der Zwischenzeit war ich FREI! Ein 4F wäre mir lieber gewesen, denn es hätte eine dauerhafte Untauglichkeit bedeutet, aber ich wollte möglichst schnell dort weg und nicht noch großartig mit den Typen diskutieren.

An der Ecke des MacArthur-Parks holte mich meine Mutter ab. Mein Gestank war mir peinlich, als ich ins Auto stieg, aber nachdem ich ihr schließlich den Grund erzählt hatte, war sie genauso über meinen Erfolg erleichtert wie ich.

Dad gab seine Gefühle darüber nicht kund.

Noch eine Zurückstellung von der Armee und die Doors würden von allen Hindernissen befreit sein.

*

Am 14. Juli, dem Tag der Bastille, fuhr ich Jim zu seiner Musterung. Diesmal stand eine lange Warteschlange vor dem Musterungsgebäude, darum meinte Jim lässig, ich solle einfach in ein paar Stunden wiederkommen. Er hätte dann alles überstanden. Ich sagte ihm, dass es mich einen ganzen Tag gekostet hätte, aber er zeigte mir nur grinsend seine Zähne. Ich willigte also ein und fuhr davon, um etwas zu essen und danach nochmal in der Gegend vorbeizuschauen. Irgendwie wollle ich auch nicht dort warten. Diese mit Militär prallvolle Ecke machte mich allein schon nervös.

Am Mittag kehrte ich zurück und traute meinen Augen kaum, als ich ihn so cool wie immer vor dem Eingang stehen sah, lässig an die Mauer gelehnt, ein Bein nach hinten geknickt und dabei mit den Händen seine Haare zur Seite streichend.

Ich fuhr bis zur Absperrung und kletterte aus dem Wagen, während er gleichgültig herangeschlendert kam. „Nun, was ist passiert?“, rief ich durch den Straßenlärm. „Haste’s geschafft? Sag’ schon!“

Morrison zuckte mit den Schultern und meinte: „Keine Aufregung. Alles abgehakt. Man gab mir ein ‚Z‘ als Einstufung.“ Er glitt in das Auto.

Ich schüttelte verwirrt den Kopf und rutschte zurück auf den Fahrersitz. „Was zum Teufel bedeutet die Stufe ‚Z‘?“

„Weiß ich nicht“, sagte er, um mich zu quälen.

Ich startete die Gazelle, legte den ersten Gang ein und fuhr in Richtung Hollywood los. „Sag’s mir, Jim, was hast du da drin getrieben?“

Er reagierte mit einem boshaften Grinsen. Gottverdammt, dachte ich. Der Kerl ist mir über. Er übergeht kurzerhand ein Trauma, das mir beinahe eine Herzattacke eingebracht hätte. Ich versuchte, ihn während der Fahrt mehrmals zum Reden zu bringen, aber er hüllte sich in Schweigen. Mit welchem Bluff er wohl an dieser Sache vorbeigekommen ist, fragte ich mich.

Während wir auf dem Santa Monica Freeway nach Westen zum Allouette Coffee Shop in Venice fuhren, lief im Radio die Stones-Version von „King Bee“.

Jim wurde sofort wieder munter und schlug mit den Händen ziemlich ungleichmäßig den Takt dazu auf dem Armaturenbrett.

„Weißte, ich mag diesen Song, aber ich werde sauer, wenn Ray – der ‚alte Bluesmann‘ – ihn singt“, meinte er mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck.

„Warum?“ fragte ich. „Es ist eine Frage des Tempos und Robby sollte Bottleneck dazu spielen.“ Jim zuckte nur mit den Achseln und versuchte weiterhin, auf dem Armaturenbrett den Takt zu halten.

„Ich weiß nicht … aber es gefällt mir irgendwie, wenn Ray den Song bringt“, fügte ich hinzu.

Immer noch keine Antwort.

„Es klingt schmalzig“, sagte Jim schließlich.

Ich wechselte das Thema. „Du wirst es nicht glauben, aber als ich letzte Woche Acid nahm, hielt ich mich für Gott!“

„Tatsächlich?“ fragte Jim sarkastisch.

„]a, ich war in Malibu mit Bill Wolf und Georgie, dem Girl, das mal mit Robby ging, und meinem Piano-Freund Grant und wir wanderten in diesem ausgetrockneten Flussbett herum. Ich stieg auf einen Hügel, von dem aus man das Flussbett überblicken konnte, wo Grant und Bill sich herumtrieben. Georgie war zum Sierra Retreat-Kloster hinübergewandert und wir konnten aus der Entfernung beobachten, wie sie auf das große Holzkreuz kletterte und über den Ozean schaute!“

„Hahaha!“

„Anhand des trockenen Mooses konnte ich genau den Weg erkennen, den das Wasser bei einem Ungewitter nimmt und ich hatte das Gefühl, dass die Natur ewig ist, außer wir bomben uns selbst in die Luft. Ich rief zu Grant und Bill nach unten ins Strombett: ‚Macht weiter, macht weiter mit den Dingen, die nötig sind, alles an Ort und Stelle.‘ Sie lachten, weil es so aussah, als ob ich sie mit ihren Gefolgsleuten dirigieren würde. Ich fühlte mich wie Gott, wenn er das Universum lenkt.“

„Ziemlich stark. Hört sich wie ein dicker Egotrip an!“

„Ach komm! So habe ich mich nicht gefühlt. Eher wie ein Wohltäter!“

„Ray machte letzte Woche eine total entgegengesetzte Erfahrung.“

„Ihr habt Acid geschmissen?“

„Yeah, und Ray erwischte der Horror.“

„Wirklich? Was ist passiert?“

„Nichts, … außer dass er an allem herumnörgelte.“

„Warum denn?“

„Keine Ahnung, aber das war ein ziemlicher Mist, denn wir mussten uns darauf konzentrieren, ihm zu helfen, anstatt unseren eigenen Trip zu genießen.“

„Yeah, ich weiß, was du meinst.“

„Hey John, meinst du, wir könnten mal so groß sein wie die Stones?“ fragte Jim und wechselte das Thema von einer Sekunde auf die andere, was er gerne zu tun pflegte.

Ich zog die Augenbrauen hoch, was soviel wie „Natürlich!“ bedeuten sollte. Im richtigen Tempo nickte Jim mit dem Kopf zu „King Bee“, klopfte mit dem Fuß den Takt.

Als ich schließlich auf dem Durchgang hinter dem Pier von Venice anhielt, hatte ich das Gefühl, dass uns nun nichts mehr aufhalten kann – kein Militär saß uns mehr im Nacken, wir hatten ein Acetat unterm Arm und eine Gemeinschaft in der Band, die sich neben unserer Musik etablierte.

Jim hat mir niemals gesagt, was zum Teufel die Einstufung „Z“ bedeutete.

Während der Proben im folgenden Winter bekam Jims Stimme mehr Autorität. Jede Woche kam er mit einigen zerknitterten Zetteln oder kaffeebefleckten Servietten an, auf denen die unglaublichsten Texte standen; er erinnerte mich an Dylan Thomas mit seinen Gedichten auf Streichholzbriefchen.

Jim war ein Typ mit einem natürlichen Instinkt für Melodien, konnte sie aber notenmäßig nicht einordnen.

„Manchmal erfinde ich Wörter, nur um die Melodie nicht zu vergessen, die ich gerade höre.“ Er hatte die Begabung, eine Melodie in seinem Kopf zu hören und dann war es an uns, sie mit ihm zusammen auszuarbeiten und ihm zu sagen, welche Noten er tatsächlich sang.

„Jim war nicht besonders musikalisch, aber er konnte auf dem Klavier ziemlich gut herumhämmern“, kommentierte Robby dieses Thema in einem lnterview. „Das war aber auch alles. Er war wirklich nicht musikalisch. Man konnte ihm nicht sagen: ‚Jim, sing mal in H-Moll.‘ Er war nicht wie Frank Sinatra, der Noten vom Blatt singen konnte. Zu den Arrangements trug er nicht viel bei.“

„Hört sich nach G an“, vermutete Ray, während Jim eine Strophe sang. Dann spielte Robby meistens ein paar Tone, dann einen Akkord auf der Gitarre. Danach fiel ich mit einem Kommentar zum möglichen Takt ein. „Das klingt nach einem 4/4 Takt. Wie ein Shuffle.“ Dann musste Jim einen weiteren Vers oder Refrain zu den drei Instrumenten singen.

Diese Sessions, bei denen wir unseren Stil schliffen, waren für mich sehr aufregend. Die Kombination von Robby, Ray und mir war perfekt, um Jims Worte zu orchestrieren.

She holds her head so high

Like a statue in the sky

Her arms are wicked and her legs are long

When she moves my brain screams out this song

Hello, I love you

Won’t you tell me your name

Hello, I love you

Let me jump in your game

Sidewalk crouches at her feet

Like a dog, that begs for something sweet

Do ya hope to make her, see you, fool

Do ya hope to pluck this dusky jewel

Hello, hello, hello.

(Sie hält ihren Kopf so erhoben

Wie eine Statue in den Himmel

Ihre Arme sind toll und ihre Beine lang

Wenn sie sich bewegt, schreit mein Gehirn diesen Song aus

Hallo, ich liebe dich

Willst du mir nicht deinen Namen sagen

Hallo, ich liebe dich

Lass mich bei deinem Spiel mitmachen

Der Gehweg duckt sich unter ihren Füßen

Wie ein Hund, der um Süßes bettelt

Hoffst du etwa, sie anmachen zu können, hau ab, du Narr

Hoffst du, dieses dunkle Juwel rupfen zu können

Hallo, hallo, hallo.)

„Könntest du mich zu Rosannas Appartement in Beverly Hills fahren? Ich muss hier mal für ein paar Tage raus“, bat mich Jim.

„Wer is denn Rosanna?“, fragte ich, als wir zum Wagen gingen.

„So’n Mädchen. Studiert Kunst auf der UCLA.“

„Oh-oh!“ stichelte ich.

Ich bog von Rays Bude aus nach links in die Ocean Avenue ab.

„Es liegt abseits von Charlieville, in einem dieser spanischen Doppelhäuser.“

„Gut.“

Jim schellte an der Tür.

„Oh, du bist’s. Komm rein.“ Die attraktive, langhaarige Blonde klang überrascht. Anscheinend hatte Jim vorher nicht angerufen. „Das ist John.“

„Hi.“

„Hi.“

Jim steuerte geradewegs auf den Küchentisch zu, entnahm ihm einen Beutel Grass und begann, Joints zu rollen. Er benahm sich, als wäre er dort Zuhause.

Rosanna quittierte dies mit spitzem Sarkasmus. „Bedien’ dich nur, Jim.“ Hatte Jim etwa seinen Meister gefunden? Anscheinend hatte sie Spaß an der verbalen Neckerei.

„Ich komm’·gleich wieder zurück“, sagte ich, weil ich mich von der sich aufbauenden Stimmung beengt fühlte.

Ich fuhr in dem Einkaufsbezirk herum und hielt an einem Getränkeladen, um Apfelsaft zu kaufen. Wollte Jim dort übernachten? Ich beschloss, das Ganze auf dem Nachhauseweg nochmals zu prüfen.

Die Tür ging bei meinem Klopfen von alleine auf, anscheinend hatte jemand sie nicht vollständig geschlossen. Ich stieß sie ganz auf und sah Jim im Wohnzimmer stehen, wie er mit einem langen Küchenmesser auf Rosannas Magengegend zielte. Einige Knöpfe sprangen von ihrer Bluse ab, als Jim ihr den Arm auf den Rücken drehte.

Mein Puls verdreifachte sich.

„Was ist denn hier los?“, rief ich, um die Situation zu entschärfen. „Eine ziemlich ungewöhnliche Art, jemanden zu verführen, Jim.“

Jim schaute mich überrascht an und ließ Rosanna los. „Wir hatten nur ’n bisschen Spaß.“

Rosannas Gesichtsausdruck wandelte sich von Furcht und Wut zu Erleichterung. Jim legte das Messer weg.

Ich bin in einer Band mit einem Psychopathen. ICH BIN IN EINER BAND MIT EINEM PSYCHOPATHEN!

Ich bin im selben Raum mit einem Psychopathen.

„Äh, ich muss jetzt weg … willste mit?“

„Nee.“

Ich verschwand wie ein Blitz. Ich sorgte mich um Rosanna, aber noch mehr sorgte ich mich um meine eigene Person. In dem Raum lag sowohl eine sexuelle Spannung als auch ein Geruch von Gewalt. Deswegen floh ich. Wie benommen kam ich bei meinem Elternhaus an. Warum musste in meiner Band ein Verrückter sein? Ich hätte mich gerne jemandem mitgeteilt, meinen Eltern, irgend jemandem, aber ich wusste, es war unmöglich. Die Doors waren mein einziges Sprungbrett aus der Familie heraus in eine eventuelle Karriere von etwas, das ich mochte. Hätte mir jemand, den ich über diesen Vorfall informiert hätte, gesagt, ich sollte lieber die Band verlassen – mir wäre keine Wahl geblieben. Die Schule bot keine Alternative und es gab nichts anderes, was mich interessiert hätte. Ich versuchte, den Vorfall mit dem Messer zu vergessen. Aber solche Dinge kommen immer dann zurück, wenn man nicht damit rechnet. Ein juckender Hautausschlag bildete sich auf meinen Beinen und wurde chronisch.

Something’s wrong, something’s not quite right

Touch me, babe, all through the night.

(Irgendwas stimmt nicht, irgendwas ist nicht ganz richtig

Berühre mich, Baby, die ganze Nacht lang.)

*

„Wir brauchen mehr Material“, sagte Jim während einer Session im Dezember ’65. „Heute abend soll jeder zu Hause einen Song schreiben. Nehmt allgemeine Metaphern anstelle von spezifischen. Erde, Luft, Feuer, Wasser.“

Nichts Großartiges passierte bei der Probe am nächsten Tag. Doch gleich nach dem Neujahrstag geschah etwas in Robbys Elternhaus in Pacific Palisades. Wir trafen nachmittags ein, weil wir an jenem Tag nicht Hanks Raum für die Probe benutzen konnten.

Robby begrüßte uns an der Tür mit einem für ihn ungewöhnlichen Enthusiasmus. „Ich hab’ einen neuen Song, meinen ersten Song und ich bin sicher, er wird ein Hit!“ sprudelte er, während er uns ins Wohnzimmer führte, wo wir proben sollten.

Jim sagte: „Ich habe auch einen.“ Ray und ich schwiegen.

Robby schnappte sich seine Gitarre, entlockte ihr einige ins Ohr gehende Akkorde und sang dazu die Anfangszeilen, die tatsächlich wie eine Hitsingle klangen. Der Song klebte in der Erinnerung, sobald man ihn einmal gehört hatte.

Alle nickten. „Yeah, yeah, toll, toll, Robby!“

Dann sang Jim seinen neuen Song a cappella.

This is the end, beautiful friend

This is the end, my only friend, the end

Of our elaborate plans, the end

Of everything that stands, the end

No safety or surprise, the end

I’ll never look into your eyes again.

(Dies ist das Ende, wunderschöne Freundin

Dies ist das Ende, meine einzige Freundin, das Ende

Von all unseren wohldurchdachten Plänen, das Ende

Von allem, was Bestand hat, das Ende

Keine Sicherheit und kein Staunen mehr, das Ende

Ich werde dir nie wieder in die Augen schauen.)

Ein Frösteln kroch mir das Rückgrad hoch. Das war nicht nur ein Text, das war ein Epitaph. Er mag ein Dichter sein, aber er klammerte sich an den Tod. Wundervolle Lyrik … aber sie macht mich traurig.

Robby hatte versucht, im Hintergrund einige Griffe dazu zu finden, schüttelte aber den Kopf. „Für den Song muss ich meine Gitarre anders stimmen“, meinte er. „Ich würde gerne dafür eine sitarähnliche Gitarrenstimmung finden.“

Lasst uns zuerst an deinem Song arbeiten“, schlug Ray vor und nickte Robby zu. „Du kannst danach deine Gitarre umstimmen.“

Sofort war die alte Energie wieder da. lch spielte einen Latinbeat auf meinen Drnms. „Wie wäre es mit einem Schuss Jazz?“ schlug ich vor.

Ray und Robby nickten einander zu. Ray beugte sich über seine Orgel und versuchte, ein Intro zustande zu kriegen.

„Da-dada-da-da – Scheiße. Da-dada-da-da-da – Scheiße. Da-dada-dada-da-da. Verdammt.“

Die nächsten zehn Minuten lang brütete Ray über dem Intro nach, während wir anderen eine Pause machten. Ich ging in die Küche, vergewisserte mich, dass niemand in der Nähe war und klaute eine Handvoll Pepperidge Farm’s Bordeaux-Kekse aus dem Schrank. Robbys Mutter wusste, dass ich danach süchtig war und zeigte deswegen immer große Nachsicht, wenn wieder Kekse fehlten.

„Mein Dad meint, dass ‚The Doors‘ der schlechteste Bandname sei, den er jemals gehört hätte“, posaunte ich, als ich mich wieder auf meinen Schemel setzte. „Ich sagte ihm daraufhin, dass mir seine Reaktion nur bedeute, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Ich hatte noch die Krümel im Mund, während wir wieder an dem neuen Song bastelten. Der Refrain schien einen härteren Rock zu verlangen, während es bei dem jazzigen Feeling für die Strophen blieb. Verdammt, dachte ich, der Refrain ist so eingängig, dass ich ihn den ganzen Tag spielen könnte.

Eine weitere Stunde übten wir noch an dem Stück und machten dann eine Pause.

Jim öffnete eine Dose Dos Equis und plumpste auf die dunkelgrüne Ledercouch. „Ich meine, wir sollten das ganze Geld gleichmäßig aufteilen, auch das für’s Songschreiben“, sagte er aus dem Nichts heraus. Wir waren verblüfft. Es war ein großzügiges, aber auch ein klug überlegtes Angebot, um Frieden innerhalb der Band bezüglich der Rangfolge zu halten. Es ergab sich, dass er und Robby die meisten Songs schrieben, aber wir alle wirkten beim Arrangement mit. Ich hatte immer gedacht, ich sei nur der Drummer, aber urplötzlich schien es, dass Jim tatsächlich mein und Rays Talent anerkannte. Von der Sekunde an, als Robby seine eigenen Songs einbrachte, war sein Talent offensichtlich. Ich war mir meines Talents nicht ganz so sicher.

„Yeah, in Ordnung“, stimmte Robby zu. Ray und ich machten es einstimmig. Mit diesem Geldangebot im Rücken fühlten wir uns mehr denn je wie eine Familie.

„Kennst du den Takt bei ‚Dis Here‘ von Cannonball?“ fragte ich Ray.

„Yeah, der ist ziemlich gestrafft, nicht?“

„Ist er nicht! Er ist in drei. Lasst uns mal was in drei spielen, 3/4 Takt. Ray und Robby nahmen ihn auf und wir jammten auf dem ‚All Blues‘ von Miles herum. Ray hatte Robby bei der letzten Probe den Wechsel beigebracht und er beherrschte ihn jetzt. Jim beteiligte sich mit einem einfachen Maracasbeat und ich stellte fest, dass sein Timing Fortschritte machte. Bei solch alten Jazzstücken lernten wir uns musikalisch kennen, was uns besonders zugute kam.

Wir kamen wieder auf den neuen Song zurück. Ich zählte ihn an und schlug einen lauten Crack direkt vor Rays Intro. Jim brummte die erste Strophe fast unhörbar:

You know that it would be untrue

You know that I would be a liar

If I was to say to you

Girl we couldn’t get much higher.

(Du weißt, dass es unwahr sein würde

Du weißt, dass ich ein Lügner wäre

Falls ich dir sagen sollte

Mädchen, wir können nicht mehr höher.)

Robby fand auf der Gitarre zu einem passenden Rhythmus, ich hatte das Tempo unter Kontrolle und Jim sang laut: …

The time to hesitate is through

(Zum Zögern bleibt keine Zeit mehr)

Plötzlich schaute er von dem Papier hoch, von dem er den Text absang. „Hey, Robby, wo ist der Rest?“

„Ich bin bei der zweiten Zeile stecken geblieben.“

Jim rollte mit seinen Augen, grübelte einen Augenblick nach, während Ray und ich weiterspielten, und sang dann:

No time to wallow in the mire …?

(Keine Zeit mehr, um im Sumpf zu schwelgen …?)

Jim schaute zu Robby, der ein „Ja, das geht!“ nickte und Jim fuhr mit dem Rest von Robbys Text fort.

Try now we could only lose

And our love become a funeral pyre …

(Versuch’s jetzt, mehr als verlieren können wir nicht

Und unsere Liebe wird zu einem Scheiterhaufen …)

Und dann kam alles im Refrain zusammen:

C’mon, baby, light my fire

C’mon, baby, light my fire

Try to set the night on –

FIRE!

(Mach schon, Baby, entzünde mein Feuer

Mach schon, Baby, entzünde mein Feuer

Versuch, die Nacht anzufachen mit –

FEUER!)

Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors

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