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Viertes Kapitel.
Fernere Betrachtungen über angeborne theoretische und praktische Grundsätze

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Inhaltsverzeichnis

§ 1. (Grundsätze sind nicht angeboren, wenn ihre Begriffe es nicht auch sind.) Wenn Die, welche uns der angeborenen Grundsätze überführen wollen, sie nicht in Pausch und Bogen genommen, sondern deren Theile einzeln betrachtet hätten, so würden sie vielleicht nicht so schnell sie für angeboren geheilten haben; denn wenn die Begriffe, aus denen diese Wahrheiten bestehen, nicht angeboren sind, so können auch die daraus gebildeten Sätze es nicht sein, und ihre Kenntniss kann uns nicht angeboren sein. Sind diese Begriffe nicht angeboren, so musste es eine Zeit geben, wo die Seele diese Grundsätze noch nicht hatte, und sie sind dann nicht angeboren, sondern aus einer andern Quelle geflossen; denn wo die Begriffe fehlen, da kann es keine Kenntniss, keine Zustimmung, keine Sätze, weder in Gedanken noch in Worten, von ihnen geben.

§ 2. (Die Begriffe, insbesondere die zu den Grundsätzen gehörenden, sind den Kindern nicht angeboren.) Betrachtet man neugeborene Kinder aufmerksam, so ist wenig Grund vorhanden, dass sie viele Begriffe mit sich auf die Welt brächten. Mit Ausnahme einiger schwachen Vorstellungen von Hunger und Durst, Wärme und etwas Schmerzen, die sie im Mutterleibe empfunden haben mögen, zeigen sie nicht die leiseste Spur von bestimmten Vorstellungen, insbesondere von Begriffen, die den Ausdrücken entsprechen, aus denen die allgemeinen Sätze gebildet sind, welche für angeborene Grundsätze gelten sollen; vielmehr kann man bemerken, wie erst später und allmählich Vorstellungen in ihrer Seele entstehen, und wie sie deren nicht mehr gewinnen, als die Erfahrung und Beobachtung der Gegenstände, welche ihnen in den Weg kommen, sie damit versehen. Schon dies zeigt, dass sie keine ursprünglich der Seele eingeprägte Schrift-Zeichen sind.

§ 3. Der Satz: Dieselbe Sache kann unmöglich sein und nicht sein, ist sicherlich (wenn es deren giebt) ein. angeborener Grundsatz. Kann aber Jemand behaupten, dass die Unmöglichkeit und die Dieselbigkeit zwei angeborene Begriffe seien? Gehören sie zu denen, die alle Menschen haben und mit auf die Welt bringen? Und sind sie die ersten bei den Kindern, die allen erworbenen Begriffen vorausgehen? Dennoch müsste dies sein, wenn sie angeboren wären. Hat ein Kind die Vorstellung der Unmöglichkeit und Dieselbigkeit vor der Vorstellung von weiss und schwarz, süss und bitter? Und schliesst es vermöge dieses Grundsatzes, dass die Brust, wenn sie mit Wermuth bestrichen, nicht so, wie gewöhnlich, schmeckt? Ist es die wirkliche Kenntniss von der Unmöglichkeit des Seins und Nicht-Seins von Etwas, wodurch das Kind seine Mutter von einer Fremden unterscheidet? weshalb es die eine liebt und die andere flieht? Und bestimmt die Seele sich und ihre Zustimmung nach Vorstellungen, die sie noch nicht gehabt hat? Oder zieht der Verstand Folgerungen aus Grundsätzen, die er noch niemals gekannt und verstanden hat? Die Worte: Unmöglichkeit und Dieselbigkeit bezeichnen zwei Vorstellungen, die so wenig uns angeboren oder bei der Geburt eingeflösst sind, dass es vielmehr grosser Sorgfalt und Aufmerksamkeit bedürfen möchte, um sie überhaupt in unserm Wissen richtig zu bilden. Wir haben sie so wenig mit auf die Welt gebracht, sie liegen dem Denken des Kindes und Knaben so fern, dass sogar mancher Erwachsene, wenn er geprüft wird, sie nicht kennen wird.

§ 4. (Der Begriff der Dieselbigkeit ist nicht angeboren.) Wäre der Begriff der Dieselbigkeit (um bei diesem Beispiel zu bleiben) von Natur uns eingeprägt, mithin so klar und fassbar, dass man ihn schon in der Wiege kennen müsste, so würde ich ebenso von einem siebenjährigen wie einem siebzigjährigen Menschen die Antwort erhalten, ob ein Mensch, der aus Leib und Seele besteht, derselbe bleibt, wenn sein Körper wechselt, und ob Euphorbus und Pythagoras, welche dieselbe Seele hatten, derselbe Mensch waren, obgleich sie in verschiedenen Zeitaltern lebten? ja, ob selbst der Hahn, welcher dieselbe Seele hatte, mit beiden derselbe gewesen sei? Vielleicht ergiebt sich dann, dass die Vorstellung der Dieselbigkeit nicht so bestimmt und klar ist, dass man sie für angeboren halten könnte. Denn wenn diese angeborenen Begriffe nicht klar und bestimmt sind und allgemein gekannt und angenommen sind, so können aus ihnen keine allgemeinen und unzweifelhaften Wahrheiten abgeleitet werden, vielmehr müssen sie dann den Anlass zu steter Ungewissheit geben. Ich nehme nämlich an, dass der Begriff der Dieselbigkeit nicht bei jedem mit dem des Pythagoras und seiner Anhänger übereinstimmt. Welcher ist nun hier der wahre und angeborene? Oder sind, bei zwei verschiedenen Begriffen der Dieselbigkeit, beide angeboren?

§ 5. Man halte auch die hier erhobenen Fragen über die Dieselbigkeit eines Menschen nicht für leere Spitzfindigkeiten; wäre dies der Fall, so bewiese dies schon, dass der menschlichen Seele die Vorstellung der Dieselbigkeit nicht angeboren ist. Wer etwas aufmerksam über die Auferstehung nachdenkt und erwägt, dass die göttliche Gerechtigkeit am jüngsten Tage entscheiden wird, ob dieselbe Person in jenem Leben glücklich oder elend werden soll, je nachdem sie hier gut oder böse gehandelt hat, der wird nicht leicht mit sich darüber in's Reine kommen, worin die Dieselbigkeit besteht, und was macht, dass der Mensch derselbe ist; er wird deshalb nicht voreilig glauben, dass er und Jedermann, selbst Kinder, von Natur einen klaren Begriff davon haben.

§ 6. (Das Ganze und die Theile sind keine angeborenen Begriffe.) Wir wollen den Satz der Mathematiker prüfen, dass das Ganze grösser ist wie der Theil. Man wird ihn wohl zu den angeborenen Grundsätzen rechnen; und ich meine, dass er so gut ein Recht dazu hat, wie irgend einer; dennoch kann dies Niemand annehmen, wenn er bedenkt, dass die darin befassten Begriffe von Ganzen und Theilen nur Beziehungen sind. Die bejahenden (positiven) Begriffe, zu denen sie eigentlich und unmittelbar gehören, sind die Ausdehnung und die Zahl, von denen das Ganze und die Theile nur Verhältnisse sind. Wenn daher letztere angeboren sind, so müssen es auch die Ausdehnung und die Zahl sein, da man sich kein Verhältniss vorstellen kann, ohne die Dinge, auf die es sich bezieht und gründet. Ob aber der menschlichen Seele die Vorstellungen von Ausdehnung und Zahl von Natur eingeprägt sind, mögen die Schutzherren der angeborenen Vorstellungen entscheiden.

§ 7. (Der Begriff der Gottesverehrung ist nicht angeboren.) Dass Gott verehrt werden müsse, ist unzweifelhaft eine so grosse Wahrheit, als irgend eine in der Seele; sie verdient den ersten Platz unter den praktischen Grundsätzen. Dennoch kann sie nur für angeboren gelten, wenn auch die Begriffe von Gott und von Verehrung angeboren sind. Nun wird wohl Jeder leicht einräumen, dass die Vorstellung, die das Wort: Verehrung bezeichnet, nicht in dein Verstande der Kinder ist, und der Seele nicht bei ihrem Entstehen eingeprägt worden ist, wenn er bedenkt, dass ja selbst unter den Erwachsenen nur Wenige einen klaren und deutlichen Begriff davon haben. Es gäbe wohl nichts Lächerlicheres, als zu sagen, dass den Kindern der praktische Grundsatz angeboren sei, Gott müsse verehrt werden, und dass sie dabei doch nicht wissen, was Verehrung ist, die ihnen zur Pflicht gemacht ist. Doch genug davon.

§ 8. (Die Vorstellung Gottes ist nicht angeboren.) Wenn irgend eine Vorstellung für angeboren gelten könnte, so müsste es aus vielen Gründen die Vorstellung Gottes sein, weil man sieh schwer angeborene moralische Grundsätze vorstellen könnte ohne eine angeborene Vorstellung Gottes; denn ohne den Begriff eines Gesetzgebers kann man sich kein Gesetz vorstellen und keine Verbindlichkeit, es zu befolgen. Nun sind aber ausser den Gottesleugnern, von denen die Alten berichten, und deren Gedächtniss von der Geschichte gebrandmarkt ist, neuerlich durch Seefahrer ganze Völker in dem Meerbusen von Soldania, in Brasilien, in Boronday und auf den Caraibischen Inseln entdeckt worden, bei denen weder von Gott noch von der Religion eine Vorstellung angetroffen worden ist. Nicolo de Techo sagt in seinen Briefen aus Paraguay über die Bekehrung der Caaiguaven: »Ich fand bei diesem Volke kein Wort für Gott und die menschliche Seele; sie haben weder Heiligthümer, noch Götzenbilder.« Dies sind Beispiele von Völkern, wo die rohe Natur sich selbst überlassen geblieben ist und der Hülfe der Schrift und Zucht, so wie der aus Kunst und Wissenschaften hervorgehenden Verbesserungen entbehrt hat. Aber andere Völker haben sich dieser Vortheile in grossem Maasse erfreut, und haben dennoch, weil sie ihr Denken nicht in dieser Richtung anstrengten, die Vorstellung und Kenntniss Gottes entbehrt. Es wird Andere ebenso wie mich überraschen, zu erfahren, dass die Siamiten dazu gehören. Man kann über diesen Punkt den letzten dortigen französischen Gesandten zu Rathe ziehen, welcher auch von den Chinesen dasselbe berichtet. Und selbst wenn man dem La Loubere nicht glauben will, so stimmen doch die Missionare in China und selbst die Jesuiten, trotzdem dass sie die grössten Lobredner China's sind, alle ohne Ausnahme unter Beibringung von Beweisen darin überein, dass die Klasse der Gelehrten und Gebildeten, welche der alten Religion China's zugethan sind, so wie die herrschende Klasse, sämmtlich an keinen Gott glauben, wie man aus »Navarette, Band I. seiner gesammelten Reisen« und aus der »Geschichte über den Siamesi'schen Gottesdienst« ersehen kann. Selbst in civilisirten Ländern dürften nur zu Viele keine festen und klaren Einprägungen über Gott in ihrer Seele haben, wenn man sich des Lebens und der Aussprüche eines nicht sehr entfernten Volkes sorgfältig erinnert; die von der Kanzel ertönenden Klagen über den Atheismus erscheinen dann begründet. Allerdings wird dergleichen Gottesleugnung jetzt nur von völlig gesunkenen Nichtswürdigen offen und ins Gesicht behauptet; allein man würde auch von Andern dergleichen zu hören bekommen, wenn nicht die Furcht vor dem Schwerte der Obrigkeit oder dem Tadel der Nachbaren die Zunge dieser Leute gebunden hielte. Nähme man die Furcht vor Strafe und Schande hinweg, so würden auch Andere ihren Atheismus so offen mit dem Munde bekennen, wie es jetzt durch ihre Thaten geschieht.

§ 9. Allein selbst wenn die ganze Menschheit überall den Begriff Gottes besässe (obgleich die Geschichte das Gegentheil lehrt), so würde dies doch nicht beweisen, dass dieser Begriff angeboren sei. Wenn auch kein Volk ohne den Namen und einige dunkle Begriffe von Gott angetroffen würde, so spräche dies nicht mehr für deren Angeborensein, als die Worte: Feuer, Sonne, Hitze, Zahl beweisen, dass diese Begriffe ihnen angeboren sind, obgleich auch die Worte für diese Dinge und deren Vorstellungen bei den Menschen allgemein bekannt und im Gebrauche sind. Umgekehrt ist der Mangel eines solchen Wortes und das Fehlen seines Begriffes in der menschlichen Seele noch kein Beweis gegen das Dasein Gottes; so wenig, wie es ein Beweis ist, dass es keinen Magneten in der Welt giebt, weil vielen Leuten sowohl der Begriff wie der Name für solche Sache fehlt. Ebenso kann man keinen auch nur scheinbaren Beweis führen, dass es keine verschiedenen Arten von Engeln oder einsichtigen Wesen giebt, weil man von solchen Arten weder die Vorstellungen noch die Worte hat. Die Menschen erhalten ihre Worte durch die allgemeine Sprache ihres Landes, und damit auch nothwendig eine Art von Vorstellungen der Dinge, deren Worte sie von ihrer Umgebung oft hören. Verbindet sich damit die Vorstellung von Vorzüglichkeit, Grösse oder etwas Ausserordentlichem; sind sie von Furcht oder Interesse begleitet; treibt die Furcht vor einer unbeschränkten und unwiderstehlichen Macht diese Vorstellung in die Seele, so prägt sie sich um so tiefer ein und breitet sich um so weiter aus; namentlich wenn sie dem natürlichen Verstande genehm ist und leicht aus jeder unserer Kenntnisse abgeleitet werden kann, wie dies mit der Vorstellung Gottes der Fall ist. Die Zeichen einer ausserordentlichen Weisheit und Macht finden sich überall so deutlich und klar in allen Werken der Schöpfung, dass ein vernünftiges Wesen bei ernstem Nachdenken die Gottheit entdecken muss. Der Einfluss von der Entdeckung eines solchen Wesens muss auf die Seele Aller, die nur einmal davon gehört haben, so gross sein und eine solche Menge von Gedanken oder einen so häufigen Verkehr mit ihm erwecken, dass ich es sonderbarer finden würde, wenn ein ganzes Volk so vernunftlos wäre und der Begriff Gottes ihm ganz fehlte, als wenn es die Begriffe von Zahlen oder von Feuer nicht besässe.

§ 10. Wenn der Name Gottes einmal irgendwo auf der Erde genannt worden, um damit ein höheres, mächtiges, weises, unsichtbares Wesen zu bezeichnen, so entspricht dieser Begriff so sehr den Gesetzen des gesunden Verstandes, und das Interesse, diesen Namen oft zu nennen, wird so gross, dass er sich weit und breit verbreiten und zu spätem Geschlechtern fortpflanzen muss, obgleich diese allgemeine Annahme des Namens und einiger unvollkommnen und schwankenden Begriffe, welche der gedankenlosen Menge damit zugeführt werden, nicht beweist, dass er angeboren ist; sondern nur, dass Die, welche ihn fanden, ihre Vernunft recht gebraucht, reichlich über die Ursachen der Dinge nachgedacht und sie von ihrem Ursprünge abgeleitet haben. Andere, weniger nachdenkende Völker haben diesen Begriff dann von Jenen empfangen und konnten ihn bei seiner Wichtigkeit nicht wieder verlieren.

§ 11. Nur so viel könnte man über dem Gottesbegriff folgern, wenn er bei allen Stämmen der Menschen allgemein angetroffen und von den Erwachsenen, in allen Ländern allgemein anerkannt würde. Das Anerkenntniss von Gottes Dasein geht nun in dieser Allgemeinheit wohl nicht weiter und genügte dies für den Beweis, dass diese Vorstellung angeboren sei, so müsste dies auch von der des Feuers gelten; denn sicherlich wird Jedermann, der die Vorstellung Gottes hat, auch die des Feuers haben. Wenn eine Kolonie kleiner Kinder auf eine Insel gebracht würde, wo kein Feuer wäre, so würden sie unzweifelhaft weder die Vorstellung eines solchen Dinges, noch das Wort dafür haben, so bekannt und gebräuchlich auch Beides in der übrigen Welt wäre, und möglicherweise könnte ihrem Vorstellen der Name und Begriff Gottes so lange fern bleiben, bis eines von ihnen sein Nachdenken auf die Beschaffenheit und die Ursachen der Dinge richtete, und es damit zu dem Begriffe Gottes gelangte. Wäre dann dieser Begriff den Andern einmal mitgetheilt, so würde die Vernunft und die natürliche Richtung ihres Denkens ihn dann weiter ausbreiten und unter ihnen erhalten.

§ 12. (Der Einwurf, dass es Gottes Güte entspreche, dass alle Menschen eine Vorstellung von ihm haben, und dass sie deshalb von Natur eingeprägt sei.) Man hat Gewicht darauf gelegt, dass es der Güte Gottes entspreche, der menschlichen Seele Zeichen und Begriffe von ihm einzuprägen und sie in einem so wichtigen Punkte nicht in Zweifel und Dunkelheit zu belassen; auch habe er sich damit der Ehrfurcht und Anbetung versichert, welche so vernünftige Wesen, wie die Menschen ihm schuldeten, und deshalb habe Gott es auch so ausgeführt.

Sollte dieser Grund gelten, so bewiese er viel mehr, als Die, welche sich seiner hier bedienen, von ihm erwarten. Kann man folgern, dass Gott für die Menschen alles gethan habe, was diese für zuträglich halten, weil dies seiner Güte entspreche, so muss Gott nicht blos einen Begriff von sich selbst den menschlichen Seelen eingeprägt haben, sondern er muss auch in leserlichen Zügen ihnen Alles das eingeprägt haben, was die Menschen von ihm wissen oder glauben sollen, und Alles, was sie in Befolgung seines Willens zu thun haben; er müsste ihnen dann auch die dem entsprechenden Neigungen und Entschlüsse zugetheilt haben. Dies wäre sicherlich viel besser für die Menschen, als dass sie im Dunkeln nach der Erkenntniss umhertappen, wie nach dem heiligen Paulus, Apostelgeschichte Kap. XVII, v. 27 »alle Völker nach Gott suchen und ihr Wille mit ihrem Verstände nicht passt, und ihre Neigungen ihre Pflichten durchkreuzen.« Auch die Romanisten sagen, es ist am besten für die Menschen und deshalb der Güte Gottes angemessen, dass ein untrüglicher Richter über ihre Streitigkeiten auf Erden bestehe, und deshalb ist ein solcher da; und ich sage aus demselben Grunde, es ist besser, dass Jedermann für sich untrüglich sei. Deshalb mögen Jene bedenken, ob dies nicht aus ihrem Grunde folgt. Es ist ein vortrefflicher Beweisgrund zu sagen, der unendlich weise Gott habe es so gemacht, und deshalb sei es das Beste; allein wir vertrauen wohl etwas zu viel auf unsere Weisheit, wenn wir sagen: Wir halten es für das Beste, und deshalb hat Gott es so gemacht. Für die gegenwärtige Frage wird man vergeblich durch dieses logische Hülfsmittel beweisen können, Gott habe es so gemacht, wenn die Erfahrung uns sicher das Gegentheil lehrt. Trotzdem hat indess die Güte Gottes den Menschen nicht gemangelt, wenn er ihnen auch keine ursprüngliche Kenntnisse und Begriffe in die Seele geprägt hat; denn er hat sie mit den genügenden Fähigkeiten ausgerüstet, um Alles das zu entdecken, was der Endzweck solcher Wesen erfordert. Ich glaube sicher zeigen zu können, dass der Mensch bei dem rechten Gebrauch seiner natürlichen Fähigkeiten auch ohne angeborne Grundsätze Gott und andere ihn betreffende Dinge erkennen kann. Nachdem Gott den Menschen mit dieser Fähigkeit zur Erkenntniss ausgestattet hatte, war er durch seine Güte so wenig verpflichtet, noch jene angebornen Begriffe in seine Seele zu pflanzen, als nachdem er ihnen Vernunft, Hände und die nöthigen Stoffe gegeben, er verpflichtet war, auch die Brücken und Häuser ihnen zu bauen, welche manchen Völkern der Erde trotz guter Anlagen ganz oder in guter Beschaffenheit fehlen; ähnlich wie ändere entweder ganz ohne den Begriff Gottes und die Grundsätze der Moral leben, oder nur schlecht damit versehen sind. In beiden Fällen liegt es nur daran, dass die Menschen niemals ihre Anlagen, Vermögen und Kräfte verständig entwickelten, vielmehr sich mit den herrschenden Ansichten und Meinungen und mit den Erzeugnissen ihres Landes so begnügten, wie sie sie vorfanden, ohne weiter zu blicken. Wäre der Leser oder ich am Meerbusen von Soldania geboren, so möchten leicht unsere Gedanken und Begriffe nicht jene thierischen Begriffe der dortigen Hottentotten übersteigen, und wäre der König von Virginien Apochancana in England erzogen worden, so hätte er vielleicht in der Theologie und Mathematik ebenso viel gelernt als irgend ein Engländer. Der Unterschied zwischen ihm und dem gebildeten Engländer kommt blos daher, dass seine Fähigkeiten sich nur in den Wegen, Weisen und Begriffen seines eigenen Landes üben konnten und nie zu andern und weitem Untersuchungen angeleitet worden sind, und wenn er keinen Begriff von Gott haben sollte, so käme es nur davon, dass er die Gedanken nicht aufsuchte, die ihn zu Gott geführt haben würden.

§ 13. (Die Begriffe von Gott sind bei den Menschen sehr verschieden.) Gäbe es irgend eine der menschlichen Seele eingeprägte Vorstellung, so würde mit Recht dies von der Vorstellung ihres Schöpfers gelten müssen, indem Gott sie als ein Zeichen seinem Werke aufgedrückt hätte, damit es seiner Abhängigkeit und Pflicht eingedenk bleibe; es würde dann diese Vorstellung als das erste Zeichen menschlicher Kenntniss hervortreten. Allein wie spät erst zeigt sich bei Kindern diese Vorstellung? Und kommt sie hervor, gleicht sie da nicht vielmehr der Ansicht und den Vorstellungen des Lehrers als der wahren Vorstellung Gottes? Wenn man bei den Kindern die Wege beachtet, auf denen sie zu Kenntnissen gelangen, so wird man finden, das die Dinge, mit denen sie zunächst und am häufigsten verkehren, die ersten Eindrücke auf ihren Verstand machen; keine Spur von etwas Anderm wird sich finden. Man kann leicht beobachten, wie ihr Wissen sich nur in dem Maasse erweitert, als sie mit mehr sinnlichen Gegenständen bekannt werden, deren Vorstellungen sie in ihrem Gedächtniss behalten; sie lernen dann, dieselben zu vergleichen, auszubreiten und auf verschiedene Weise zu verbinden. Wie sie auf diese Weise dazu kommen, die Vorstellung der Gottheit zu bilden, welche die Menschen haben, werde ich später darlegen.

§ 14. Können wohl die Vorstellungen, welche die Menschen von Gott haben, als sein Zeichen und Bild angesehen werden, die er ihren Seelen mit seiner Hand eingeprägt habe, wenn Menschen desselben Landes mit demselben Worte verschiedene, ja widersprechende und unverträgliche Vorstellungen und Begriffe von ihm verbinden? Die blosse Uebereinstimmung in dem Namen oder Laute kann doch schwerlich als Beweis gelten, dass die Vorstellung Gottes angeboren sei.

§ 15. Wie konnten Die, welche hunderte von Göttern anerkannten und verehrten, eine wahre und erträgliche Vorstellung von ihm haben? Jeder über den Einen hinausgehende Gott zeigte ihre Unkenntniss seiner, und dass ihr Gottes-Begriff, dem die Einzelheit, Unendlichkeit und Ewigkeit fehlte, kein wahrer sei. Nimmt man die groben Vorstellungen der Körperlichkeit hinzu, in denen ihre Götter dargestellt und gemalt wurden, die Liebschaften, Heirathen, Verbindungen, Gelage, Streitigkeiten und anderen niedern Züge ihrer Götter, so kann man doch nicht annehmen, dass die heidnische Welt, d.h. der grösste Theil der Menschheit eine Vorstellung von Gott habe und gehabt habe, die Gott selbst, um sie vor jedem Fehlgriff zu schützen, ihnen eingeprägt. Wenn jene so viel benutzte allgemeine Uebereinstimmung irgend das Angeborensein einer Vorstellung bewiese, so wäre es nur die, dass Gott den Seelen aller Menschen, welche dieselbe Sprache sprechen, den Namen, aber nicht die Vorstellung von sich eingeprägt habe, da das Volk zwar in dem Namen übereinstimmt, aber die verschiedensten Vorstellungen damit verknüpft. Wenn man sagt, dass die vielen Götter, welche die Heiden verehrten, nur bildliche Formen seien, um die verschiedenen Eigenschaften oder die verschiedenen Richtungen der Vorsehung dieses unbegreiflichen Wesens zu bezeichnen, so will ich hier nicht untersuchen, was sie ursprünglich gewesen sein mögen; aber Niemand kann behaupten, dass diese Götter von der grossen Menge in diesem Sinne aufgefasst wurden. Wer in der Reise des Bischofs von Berytus Kap. 13 liest (ohne anderer Zeugnisse zu gedenken), wird finden, dass die Siamesischen Gottesgelehrten ausdrücklich eine Menge von Göttern anerkennen, oder dass, wie Abbé von Choisy in seinem Reisebericht über Siam S. 107-177 bemerkt, sie eigentlich gar keinen Gott anerkennen. Sagt man, dass die Weisen aller Völker zu dem wahren Begriffe von Gottes Einheit und Unendlichkeit gelangt seien, so gebe ich dies zu; aber dann bleibt von der allgemeinen Uebereinstimmung in der Sache nur die im Namen übrig; da dieser weisen Männer nur wenige, vielleicht nur einer auf Tausend kommen, so ist diese Allgemeinheit sehr klein; zweitens beweist dieser Umstand deutlich, dass die wahren und besten Begriffe über Gott den Menschen nicht eingeprägt werden, sondern durch Ueberlegung und Nachdenken, und durch den rechten Gebrauch ihrer Vermögen sowohl über Gott wie über andere Dinge gewonnen worden sind. Der träge und unbedachtsame Theil der Menschen, welcher die grösste Zahl ausmacht, nahm dann diese Begriffe durch Zufall oder durch die allgemeine Ueberlieferung und die Meinung der Menge an, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Wäre es ein Beweis für das Angeborensein des Gottes-Begriffs, dass alle weisen Menschen ihn haben, so muss auch die Tugend für angeboren gelten, da auch diese alle weisen Männer gehabt haben.

§ 16. So verhielt es sich offenbar mit allen heidnischen Völkern; aber auch bei den Juden, Christen und Mohamedanern die nur einen Gott anerkennen, hat diese Lehre und die Sorgfalt, mit der man bei diesen Völkern den wahren Begriff Gottes durch Lehre zu verbreiten gesucht hat, nicht vermocht, dass alle Menschen dieselben und wahren Begriffe von ihm haben. Selbst unter uns werden sich, wenn man sucht, Viele finden, welche sich Gott in der Gestalt eines im Himmel sitzenden Mannes vorstellen und manche andere verkehrte und unpassende Vorstellungen von ihm haben. Unter Christen wie unter Türken haben ganze Sekten gemeint und ernstlich behauptet, dass die Gottheit einen Körper von menschlicher Gestalt habe; und wenn auch unter uns Wenige diesen, der Menschengestalt entnommenen Begriffen anhängen (obgleich ich Manche der Art getroffen habe), so wird man doch, wenn man sich Mühe giebt, unter den unwissenden und ununterrichteten Christen viele finden, welche derselben Meinung sind. Man spreche nur mit Landleuten jeden Alters und mit den jungen Leuten aus allen Ständen; sie führen zwar den Namen Gottes viel im Munde, aber sie knüpfen an diesen Namen so sonderbare, seltsame und erbärmliche Vorstellungen, dass man kaum glauben kann, ein vernünftiger Mann habe sie unterrichtet; noch weniger kann man es für ein Zeichen nehmen, was Gottes Finger selbst ihnen eingeschrieben hat. Wenn es der Güte Gottes widerspräche, dass er uns eine Seele gegeben, die mit dieser Vorstellung von ihm nicht versehen sei, so würde es seiner Güte auch widersprechen, dass er uns nackt in die Welt gesetzt hat, und dass wir keine Kunst und Fertigkeit mit auf die Welt gebracht haben. Es genügt, dass wir mit dem Vermögen dazu ausgestattet sind, und wenn wir die Vorstellung von Gott nicht haben, so liegt es nicht an Gottes Güte, sondern an unserm fehlenden Fleisse und Nachdenken. Es ist so gewiss, dass Gott ist, als dass die gegenüberliegenden Winkel zweier sich schneidenden geraden Linien gleich sind. Kein vernünftiges Wesen, was sich die Mühe nimmt, die Wahrheit dieser Sätze aufrichtig zu prüfen, kann ihnen seine Beistimmung versagen, obgleich unzweifelhaft Viele beide Sätze oder einen von beiden nicht kennen, weil sie ihre Gedanken nicht in dieser Richtung angestrengt haben. Will dies Jemand allgemeine Uebereinstimmung nennen (eine dann sehr weit gehende Auslegung), so erkenne ich eine solche gern an, aber eine solche beweist dann ebenso wenig das Angeborensein der Vorstellung Gottes, wie das der Vorstellungen der Engel.

§ 17. (Ist die Gottes-Vorstellung nicht angeboren, so kann es auch keine andere sein.) Wenn sonach die Kenntniss Gottes, obgleich die menschliche Vernunft sie noch am natürlichsten gewinnen kann, doch nicht angeboren ist, wie aus dem Bisherigen sich klar ergeben haben dürfte, so wird kaum irgend eine andere Vorstellung einen Anspruch darauf machen können. Denn hätte Gott irgend einen Eindruck oder Schriftzug der menschlichen Seele mitgegeben, so würde es sicherlich die klare und einstimmige Vorstellung seiner selbst gewesen sein, soweit nämlich unsere schwachen Vermögen ein so unbegreifliches und unendliches Wesen erfassen können. Wenn aber die Seele dieser für sie wichtigsten Vorstellung ermangelt, so spricht dies stark gegen angeborne Vorstellungen überhaupt; ich wenigstens kann keine andere mehr dazu geeignete finden und würde mich freuen, wenn sie mir gezeigt werden könnte.

§ 18. (Die Vorstellung der Substanz ist nicht angeboren.) Es giebt noch eine andere Vorstellung, deren Besitz für die Menschen von allgemeinem Nutzen sein würde, da Alle davon reden, als besässen sie dieselbe. Es ist die Vorstellung der Substanz, die man weder durch Sinnes- noch innere Wahrnehmung erlangen kann. Wollte die Natur uns mit Vorstellungen versorgen, so hätten es wohl vor Allem solche sein müssen, die wir uns durch unsere eigenen Kräfte nicht verschaffen können; allein, wir sehen im Gegentheil, dass, weil wir diese Vorstellung nicht auf dem Wege gewinnen können, auf dem wir unsere Vorstellungen überhaupt erlangen, wir auch keine klare Vorstellung von jener haben. Das Wort Substanz bezeichnet deshalb Nichts, sondern ist nur die schwankende Annahme von etwas Unbekanntem, d.h. ein Etwas, das wir uns nicht klar und deutlich vorstellen können, und was wir nur als das Unterliegende oder als den Träger der bekannten Vorstellungen auffassen.

§ 19. (Kein Satz kann angeboren sein, weil kein Begriff angeboren ist.) Was man auch immer über angeborne theorethische und praktische Grundsätze sagen mag, so kann doch Jemand mit demselben Rechte behaupten, er habe 100 Pfund Sterling in seiner Tasche, und dabei bestreiten, dass er Pfennige, Schillinge, Kronen oder andere Geldsorten, aus denen jene Summe besteht, darin habe, wie Jene annehmen, dass gewisse Sätze angeboren seien, während doch die Vorstellungen, aus denen sie bestehen, keineswegs als angeborne gelten können. Die allgemeine Annahme und Zustimmung ist durchaus kein Beweis, dass die Vorstellungen solcher Sätze angeboren sind, denn in vielen Fällen wird, gleichviel wie die Vorstellungen dahin gelangt sind, die Zustimmung nothwendig Worten folgen, welche das Zusammenstimmen solcher Vorstellungen oder das Gegentheil ausdrücken. Jeder, der eine wahre Vorstellung von Gott und von Verehrung hat, wird dem Satze zustimmen, dass Gott zu verehren sei, sobald er in einer ihm verständlichen Sprache ausgesprochen wird. Jeder vernünftige Mann, der ihn heute noch nicht kennt, wird morgen ihm bereitwillig zustimmen, und doch kann man wohl annehmen, dass Millionen von Menschen die eine oder beide dieser Vorstellungen heute entbehren. Denn wenn ich selbst zugebe, dass die Wilden und die meisten Landleute die Vorstellung von Gott und Verehrung haben (obgleich die Unterhaltung mit ihnen dies eben nicht bestätigen wird), so können doch sicher nur selten Kinder diese Vorstellungen haben, sondern sie erst später erwerben. Ist dieses geschehen, so werden sie auch jenem Satze sogleich zustimmen und ihn schwerlich später in Zweifel ziehen. Solch eine Zustimmung bei dem ersten Hören beweist indess das Angeborensein der Vorstellungen so wenig, wie bei einem Blind-Gebornen (dem morgen der Staar gestochen werden soll), das Angeborensein der Vorstellung der Sonne, oder des Lichts, oder des Safran und des Gelben; daraus folgt, dass, wenn er das Gesicht erhalten, er sicherlich dem Satze zustimmt, die Sonne sei leuchtend, und der Safran sei gelb. Wenn deshalb eine solche Zustimmung bei dem Anhören eines Satzes nicht beweist, dass die darin enthaltenen Vorstellungen angeboren sind, so kann dies noch weniger von den Sätzen selbst gelten. Hat aber Jemand angeborne Begriffe, so wäre es mir lieb, er nennte mir sie und gäbe mir deren Anzahl an.

§ 20. (Es giebt keine angebornen Vorstellungen in dem Gedächtniss.) Ich füge dem noch hinzu: Sollte es angeborne Vorstellungen geben, an die die Seele nur nicht wirklich denke, so muss das Gedächtniss sie befassen, und von dort müssen sie bei dem Erinnern sichtbar werden; d.h. man muss, wenn man sich ihrer erinnert, erkennen, dass sie schon vorher in der Seele gewesen sind; wenn man nicht eine Erinnerung ohne Erinnerung annehmen will. Denn Erinnern ist ein Vorstellen von Etwas mit Gedächtniss oder mit dem Bewusstsein, dass man es schon vorher gekannt oder vorgestellt habe. Wo dies nicht Statt hat, da ist die in der Seele auftretende Vorstellung eine neue und keine erinnerte. Dieses Wissen, dass die Vorstellung schon früher in der Seele gewesen sei, macht den Unterschied des Erinnerns gegen alle andern Arten des Vorstellens aus. Eine Vorstellung, die die Seele nie erfasst hat, ist niemals in ihr gewesen. Jede Vorstellung in der Seele ist entweder in ihr gegenwärtig, oder sie war dies früher und ist jetzt so darin, dass das Gedächtniss sie wieder zu einer gegenwärtigen erheben kann. Ist eine gegenwärtige Vorstellung ohne dieses Erinnern, so erscheint sie dem Verstande als eine durchaus neue, die er vorher nicht gekannt hat. Tritt aus dem Gedächtniss eine Vorstellung in die Gegenwärtigkeit heraus, so geschieht es mit dem Wissen, dass die Seele sie schon früher gehabt hat, und dass sie ihr nicht ganz fremd ist. Ich berufe mich auf eines Jeden Erfahrung, ob dies sich nicht so verhält, und deshalb mag man nur eine angeborne Vorstellung anführen, die Jemand (ehe er irgend einen Eindruck von ihr auf den später zu nennenden Wegen empfangen hat) als eine schon früher gekannte Vorstellung in sich zurückrufen kann. Ohne dieses Wissen, dass man die Vorstellung früher gehabt habe, giebt es keine Erinnerung; jede in der Seele ohne dieses Wissen auftretende Vorstellung ist keine Erinnerung und kommt nicht aus dem Gedächtniss, und man kann von ihr nicht sagen, dass sie vor ihrem jetzigen Auftreten in der Seele gewesen sei; denn jede Vorstellung, die nicht gegenwärtig oder in dem Gedächtniss ist, ist überhaupt nicht in der Seele, sondern der Art, als wäre sie nie in der Seele gewesen. Man nehme an, Jemand habe als Kind das Gesicht gehabt, und die Farben gekannt und unterschieden; dann habe ihm der Staar dieses Fenster geschlossen, und er 40 bis 50 Jahre sich in dieser Finsterniss befunden und alle Erinnerung an die frühem Vorstellungen der Farben verloren. Dies war wirklich der Fall bei einem alten Manne, mit welchem ich zu sprechen kam; er hatte als Kind das Gesicht durch die Blattern verloren und wusste von den Farben nicht mehr als ein Blind-Geborner. Soll nun dieser Mann die Vorstellungen der Färben mehr in seiner Seele haben wie ein Blind-Geborner? Ich denke, Jedermann wird sagen, dass weder der Eine noch der Andere eine Vorstellung von Farben habe. Nun wird ihm der Staar gestochen, und dann empfängt er die Vorstellungen der Farben (deren er sich nicht entsinnt) von Neuem; sein wiederhergestelltes Gesicht führt sie seiner Seele zu, ohne dass er sich ihres frühem Besitzes bewusst ist; nur diese neuen Farben kann er sich jetzt wieder vergegenwärtigen und im Dunklen sich vorstellen. Dann sind alle diese Farben Vorstellungen in der Seele, die, ohne sie zu sehen, mit dem Bewusstsein wieder vergegenwärtigt werden können, dass er sie schon gehabt hat und sie so in dem Gedächtniss sind. Ich folgere hieraus, dass die in der Seele befindlichen, aber nicht gegenwärtigen Vorstellungen dies nur durch das Gedächtniss sind; sind sie nicht darin, so sind sie auch nicht in der Seele, und sind sie in dein Gedächtniss, so kann dies sie nur mit der Empfindung zu gegenwärtigen machen, dass sie aus dem Gedächtniss kommen, d.h. dass man sie schon vorher gehabt hat und sich ihrer jetzt erinnert. Giebt es also angeborne Vorstellungen, so müssen sie in dem Gedächtniss sein und können nicht sonst wo in der Seele sein; sind sie im Gedächtniss, so kann man sie ohne äussere Eindrücke erwecken, und wenn sie irgendwann in der Seele auftreten, so sind sie dann erinnerte, d.h. sie führen das Wissen mit sich, dass sie nicht ganz neue sind. Wenn dies der feste und scharfe Unterschied zwischen den Vorstellungen ist, die im Gedächtniss sind, und denen, die nicht darin oder nicht in der Seele sind, so ist Alles, was nicht in dem Gedächtniss ist und auftritt, neu und bisher unbekannt gewesen, und umgekehrt ist alles in dem Gedächtniss oder in der Seele Befindliche, wenn das Gedächtniss es herbeibringt, nicht neu, sondern die Seele findet es in sich selbst und weiss, dass es schon darin gewesen ist. Danach kann man prüfen, ob es angeborne, allen Eindrücken der Sinne oder der Selbstwahrnehmung vorangehende Vorstellungen in der Seele giebt. Ich möchte wohl den Menschen sehen, der, wenn er zum Gebrauch seiner Vernunft gekommen ist, oder zu irgend einer Zeit sich einer solchen angebornen Vorstellung erinnerte, und dem sie nach seiner Geburt nicht als neue Vorstellungen erschienen. Sagt man aber, dass es Vorstellungen in der Seele giebt, die nicht in dem Gedächtniss sind, so bitte ich um eine nähere Erklärung, was man damit meint, damit ich es verstehen könne.

§ 21. (Grundsätze sind nicht angeboren; denn sie wären von geringem Nutzen und geringer Gewissheit.) Ausser dem Bisherigen habe ich noch einen andern Grund dafür, dass weder diese noch andere Grundsätze angeboren sind. Ich habe die feste Ueberzeugung, dass der unendliche weise Gott Alles in vollkommner Weisheit gemacht habe, und kann deshalb nicht einsehen, weshalb er der Seele gewisse allgemeine Grundsätze sollte eingeprägt haben, da sie, soweit sie rein erkennender Natur sind, wenig nützen, und soweit sie für das Handeln gelten sollen, nicht selbst gewiss sind, und da beide von andern Wahrheiten, die zugestandner Maassen nicht angeboren sind, sich nicht unterscheiden lassen. Zu welchem Ende sollte Gottes Finger Schriftzüge in die Seele gezogen haben, die nicht klarer als die später eingeschriebenen sind, und von ihnen nicht unterschieden werden können? Meint Jemand, dergleichen angeborne Vorstellungen und Sätze unterschieden sich durch ihre Klarheit und Nützlichkeit von allen später in die Seele gelangten, so kann es ihm nicht schwer fallen, sie mitzutheilen, und dann kann Jeder darüber urtheilen, ob es sich so verhält oder nicht; denn wenn dergleichen angeborne Vorstellungen und Eindrücke von aller andern Kenntniss und Wissen ganz verschieden sind, so wird Jeder dies an sich erfahren. Nun habe ich aber über die Gewissheit dieser angeblichen angebornen Grundsätze schon früher gehandelt und auf ihre Nützlichkeit werde ich später kommen.

§ 22. (Ob die Menschen mehr oder weniger entdecken, hängt von dem verschiedenen Gebrauch ihrer Vermögen ab.) Ich schliesse und sage: Manche Vorstellungen bieten sich bereitwillig dem Verstande aller Menschen; gewisse Wahrheiten ergeben sich aus den Vorstellungen, sobald sie zu Sätzen verbunden werden; andere Wahrheiten verlangen eine Reihe geordneter Vorstellungen, die verglichen werden, und aus denen sie sorgfältig abgeleitet werden müssen, ehe sie entdeckt werden und Zustimmung finden. Von der ersten Art sind Einzelne wegen ihrer allgemeinen und leichten Erkenntniss fälschlich für angeboren gehalten werden; allein in Wahrheit werden Vorstellungen und Begriffe so wenig, wie Kräfte und Wissenschaften mit uns geboren, wenn auch einzelne sich dem Verstande leichter als andere darbieten und deshalb allgemeiner aufgefasst werden. Indess hängt auch dies von den körperlichen Organen und Seelen vermögen je nach deren Gebrauche ab; denn Gott hat die Menschen mit Fähigkeiten und Mitteln versehen, um je nach ihrer Anwendung Wahrheiten zu entdecken, zu empfangen und zu behalten. Der grösste Unterschied in den Begriffen der einzelnen Menschen kommt von dem Unterschied im Gebrauch ihrer Kräfte. Manche, und zwar ist dies der grössere Theil, nehmen die Dinge auf Treu und Glauben an, misbrauchen ihr Vermögen der Zustimmung, indem sie ihren Verstand den Geboten und der Herrschaft Anderer träge bei den Lehren unterordnen, welche sie vielmehr sorgfältig prüfen und nicht blind und mit rücksichtslosem Vertrauen hinunterschlucken sollten. Andere richten ihr Denken nur auf wenige Gegenstände; mit diesen werden sie genau bekannt und erreichen einen hohen Grad in der Erkenntniss derselben; aber sonst bleiben sie unwissend und lassen ihr Denken sich nie auf Untersuchung anderer Fragen richten. So ist der Satz, dass die drei Winkel eines Dreiecks zweien rechten gleich seien, eine Wahrheit so gewiss wie irgend eine und gewisser als viele Sätze, die für selbstverständlich gelten, und doch wissen Millionen Menschen, obgleich sie in Anderem erfahren sind, nichts davon, weil sie sich niemals mit Winkeln beschäftigt haben; selbst die, welche diese Lehrsätze kennen, können sehr wohl andere Wahrheiten, selbst in der Mathematik, nicht wissen, die ebenso klar und gewiss sind wie dieser, weil sie in der Aufsuchung der Wahrheiten der Mathematik abgebrochen haben und nicht weit genug gegangen sind. Dasselbe kann bei unseren Vorstellungen über Gottes Dasein Statt finden; keine Wahrheit wird der Mensch gewisser aus sich selbst entnehmen können als die von Gottes Dasein; allein wer sich mit den Dingen, die er in dieser Welt vorfindet, soweit begnügt, als sie seinen Vergnügen und Leidenschaften dienen, und nicht weiter ihre Ursachen, Zwecke und wunderbare Einrichtungen untersucht und diese Fragen nicht mit Fleiss und Aufmerksamkeit verfolgt, kann Fange ohne den Begriff eines solchen Wesens zubringen. Hat Jemand ihm diesen Begriff durch Worte beigebracht, so glaubt er vielleicht daran; allein ohne eigene Prüfung wird sein Wissen hiervon nicht vollkommener sein als das, wo er den Satz von der Gleichheit der drei Winkel eines Dreiecks mit zwei rechten auf Glauben und ohne Prüfling des Beweises annimmt; er wird dem Satze seine Zustimmung als einer wahrscheinlichen Annahme geben, aber er hat keine Erkenntniss seiner Wahrheit, obgleich seine Vermögen der Art sind, dass er bei deren sorgfältigem Gebrauche sich den Satz klar und gewiss machen könnte. Ich erwähne dies nur nebenbei, um zu zeigen, wie sehr unser Wissen von dem rechten Gebrauche unserer natürlichen Kräfte abhängt, und wie wenig von angeborenen Grundsätzen, die man vergeblich in Jedermanns Seele behufs deren Leitung annimmt. Alle Menschen müssten sie kennen, wenn sie solche hätten, sonst wären sie zwecklos; allein kein Mensch kennt sie, und keiner kann sie von erworbenen Wahrheiten unterscheiden; deshalb kann man mit Recht folgern, dass keine angeborenen Grundsätze bestehen.

§ 23. (Der Mensch muss selbst denken und erkennen.) Diese Zweifel an angeborenen Grundsätzen werden vielleicht von Männern getadelt werden, die damit alle Grundlagen der Erkenntniss und Gewissheit für aufgehoben halten; allein ich bin überzeugt, dass der Weg, den ich gehe, der Wahrheit nützt und deren Grundlagen fester legt. Ich kann wenigstens versichern, dass ich bei meinen Untersuchungen die Autorität Anderer weder verleugne, noch ihr folge; vielmehr ist nur die Wahrheit mein Ziel, und wo ein Weg zu ihr sich zeigt, bin ich ihm ohne Voreingenommenheit mit meinem Denken gefolgt und habe mich nicht gekümmert, ob auch Andere diesen Weg gegangen sind oder nicht. Ich achte die Meinungen Anderer; aber ich achte die Wahrheit noch höher; es wird nicht anmassend klingen, wenn ich sage, dass man in der Entdeckung vernünftiger und betrachtender Erkenntnisse schnellere Fortschritte machen würde, wenn man sie in der Quelle selbst, d.h. in der Beobachtung der Dinge suchte und das eigene, nicht fremdes Denken zu deren Auffindung benutzte. Es ist ebenso verkehrt, mit Anderer Augen sehen, wie mittelst Anderer Verstände erkennen zu wollen. Kur so weit man selbst betrachtet und selbst die Wahrheit und Vernunft auffasst, besitzt man eine wahre und wirkliche Erkenntniss. Wenn Anderer Meinungen in unserm Gehirn umherziehen, so macht uns dies um kein Jota klüger, selbst, wenn sie wahr sind. Was bei Jenen Wissenschaft ist, ist dann bei uns nur ein Meinen; man giebt die Zustimmung dann nur berühmten Namen, aber gebraucht nicht, wie Jene, seine Vernunft, um diese Wahrheiten, welche Jene berühmt gemacht haben, zu verstehen. Aristoteles war sicherlich ein kenntnissreicher Mann; aber Niemand hielt ihn dafür, weil er etwa die Meinungen Anderer blind angenommen hatte und vertrauensvoll weiterverkaufte. Ist er durch Annahme der Grundsätze Anderer ohne eigene Prüfung kein Philosoph geworden, so wird es auch schwerlich ein Anderer auf diesem Wege werden. In den Wissenschaften besitzt Jeder nur so viel, als er wirklich weiss und versteht; was er nur glaubt und in Vertrauen annimmt, sind blos Schnitzel; wenn sie auch einzeln sich noch so gut ausnehmen, so vermehrt doch der, der sie sammelt, sein Vermögen damit nur wenig. Solch geborgter Reichthum wird, gleich der Zaubermünze, in der Hand, aus der man sie empfängt, für Gold gehalten, aber er wird zu Spreu und Dunst, wenn man ihn gebrauchen will.

§ 24. (Wie ist die Meinung von angeborenen Grundsätzen entstanden?) Wenn man allgemeine Sätze auffand, die sofort mit ihrem Verständniss auch einleuchteten, so war es leicht und einfach, sie für angeboren zu halten. Mit dieser Annahme wurde der Träge aller Mühe des Suchens enthoben, und der Zweifler liess von der Untersuchung Alles dessen, was als angeboren erklärt worden, ab. Für die, welche sich als Meister und Lehrer aufwarfen, war es kein kleiner Vortheil, dass sie zum Grundsatz aller Grundsätze den erhoben, dass Grundsätze nicht angezweifelt werden dürfen. Nachdem sie einmal den Satz aufgestellt hatten, dass es angeborene Grundsätze gebe, so waren ihre Anhänger genöthigt, gewisse Lehren als solche anzunehmen. Damit waren diese der Prüfung ihrer eigenen Vernunft und ihres Urtheils enthoben, und sie mussten sie auf Treu und Glauben ohne weitere Untersuchung annehmen. In diesem Zustande blinder Gläubigkeit wurden die Schüler dann leichter geführt und von jener Klasse Menschen ausgenutzt, die das Geschick und den Auftrag hatten, sie zu führen und zu belehren. Es ist keine kleine Macht über Andere, die man durch das Ansehen eines Diktators von Grundsätzen und eines Lehrers unangreifbarer Wahrheiten erlangt, wo die Schüler das als angeborene Grundsätze hinunterschlucken, was dem Vortheile des Lehrenden dient. Hätte man dagegen die Wege erkannt, auf denen der Mensch zu allgemeinen Wahrheiten gelangt, so würde man gefunden haben, dass sie in der Seele sich bilden, wenn diese die daseienden Dinge mit Aufmerksamkeit betrachtet, und dass jene Wahrheiten nur durch den Gebrauch jener Vermögen entdeckt worden sind, die von Natur zu deren Aufnahme und Prüfung geeignet waren, sobald man sie in rechter Weise gebrauchte.

§ 25. (Schluss.) Es ist der Zweck der folgenden Abhandlung, zu zeigen, wie der Verstand hierbei verfährt. Zu dem Ende musste ich vorweg den Weg frei machen, der zu den Grundlagen führt, auf denen allein nach meiner Ansicht die Begriffe über die Natur unseres Wissens gestützt werden können. Deshalb habe ich die Gründe aufzählen müssen, die mich an den angeborenen Grundsätzen zweifeln lassen. Manche meiner Gründe sind den allgemein geltenden Ansichten entnommen; deshalb habe ich manche Sätze für zugestanden ansehen müssen; es kann dies nicht wohl vermieden werden, wenn die Falschheit oder die Unwahrscheinlichkeit eines Satzes dargelegt werden soll. Es verhält sich mit solchen Streitfragen, wie mit dem Angriff auf Festungen; wenn nur der Grund und Boden, auf dem die Batterien errichtet sind, fest ist, so fragt man nicht, wer ihn geliehen hat, oder wem er angehört, sofern er nur einen passenden Angriff für den vorliegenden Zweck gestattet. In dem weitem Verlauf dieser Abhandlung will ich eben ein Gebäude errichten, was einfach mit sich selbst übereinstimmt, und ich werde es deshalb, so weit meine Erfahrung und Beobachtung reicht, auf einer Grundlage errichten, die keiner solchen Stützen und Pfeiler für sich bedarf, welche auf erborgtem oder bittweisem Grunde ruhen. Selbst wenn mein Werk mir ein Luftschloss werden sollte, soll es doch zusammenhängend und aus einem Gusse sein. Der Leser möge aber deshalb keine unbestreitbaren und zwingenden Beweisführungen erwarten; man müsste mir denn das Vorrecht, was Andere nicht selten sich anmassen, gestatten, dass ich meine Grundsätze für zugestanden ansehen dürfte; denn dann will auch ich strenge Beweise führen. Alles, was ich in Bezug auf die Grundsätze, von denen ich ausgehe, sagen kann, ist, dass ich mich lediglich auf eigene unbefangene Erfahrung und Beobachtung eines Jeden rücksichtlich ihrer Wahrheit berufe; dies genügt für einen Mann, der offen und frei nur seine eigenen Ansichten über einen Gegenstand darlegen will, der noch etwas im Dunklen liegt, und dessen Zweck nur auf die unparteiische Erforschung der Wahrheit gerichtet ist.

Die Philosophie des Geistes

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