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Wenn Kriminalkommissar Michael Bergfeld an sein erstes Leben als Unterleutnant der Kriminalpolizei zurückdachte, dann erinnerte er sich immer an einen bestimmten Tag. Innerhalb von zwölf Stunden erhielt er damals diesen anonymen Anruf einer Frau, die sieben Minuten vor neun Uhr mitteilte, wo der tote Mann lag. Und zum anderen war es der Brief vom Gericht.

An jenem trüben Oktobertag hatte sich der Sommer noch nicht entschieden, ob er Widerstand gegen die nassen, grauen Luftmassen aus Island leisten oder die von Russland wehenden kalten Winde abblocken sollte. Heraus gekommen war ein Mischmasch aus kühler, durch die Kleidung dringende Feuchtigkeit mit Erkältungsgefahr. Auf jeden Fall hielt die Winterdunkelheit schon alles fest im Griff, als er morgens kurz vor sieben Uhr aus Klosterwalde abfuhr. Damit schien das Wetter der ungewissen politischen Situation zu ähneln, bei der Menschen jetzt im Herbst schon so taten, als sei der gesellschaftliche Frühling bereits angebrochen.

So richtig hatte er sich noch nicht daran gewöhnt, dass seine einundzwanzigjährige Tochter Sylvia zu ihrem Freund nach Berlin gezogen war, denn seitdem musste er sich allein um den neunjährigen und etwas träge gewordenen Rottweiler Bully kümmern. Das hieß, er nahm ihn oft zum Dienst mit, damit er nicht den ganzen Tag allein in der Wohnung hockte. Seine Frau dagegen hatte aus ihrer Erleichterung keinen Hehl gemacht; sie hatte sich oft mit Sylvia gestritten wegen ihres etwas lockeren Lebenswandels, der vor allem darin bestand, dass sie es in ihrem Zimmer und auch in der Küche mit der Ordnung nicht so genau nahm. Und viel mehr noch wegen ihrer gegensätzlichen politischen Ansichten.

Aus diesen Gedanken wurde er an der Ausfahrt des Walddörfchen gerissen, als ihn einer der als Verkehrspolizisten verkleideten Staatssicherheitsleute stoppte. Zwei dunkle Volvos schossen aus dem schmalen Weg und entfernten sich in Richtung Berliner Autobahn. Bergfeld hätte gern gewusst, wer in ihnen saß, denn Honecker und seine treuesten Gefolgsleute um Joachim Herrmann und Mittag waren seit einigen Tagen entmachtet. Sollte der verbitterte Generalsekretär trotzdem noch ins Politbüro am Werderschen Markt fahren?

Zwei Tage zuvor hatte Major Neuburger die Kriminalisten des Kreisamtes zusammen gerufen und plötzlich ganz moderat erklärt, selbstverständlich werde die Deutsche Volkspolizei weiter ihre Aufgaben zum Schutz des Lebens und Eigentums der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik mit ganzem Einsatz erfüllen und getreu der Verfassung der DDR ihre Pflicht tun. Dies treffe auch auf eventuelle kriminelle Machenschaften hoher Partei- und Staatsfunktionäre zu. In den Zeitungen waren Berichte über Korruption und Machtmissbrauch höchster SED-Kader aus dem Keller der ersten Seiten immer höher geklettert und dabei umfangreicher geworden. Die neue Führung unter Krenz hatte versprochen, für Offenheit und Aufdeckung aller Vergehen zu sorgen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Leutnant Wagner aus Rüdnitz hatte gefragt: „Und warum erst jetzt?“

Major Wolfram Neuburger hatte die kleinen, grauen Augen in seinem hageren Gesicht wie immer zusammen zugekniffen, wenn jemand eine vom Klassenstandpunkt abweichende Bemerkung machte, verwunderlicher Weise aber nicht weiter darauf reagiert. Rund fünf Wochen zuvor, als Wagner in Vorbereitung der Sicherungsmaßnahmen zum 40. Republikgeburtstag ärgerlich gemurmelt hatte, er könne die Bürger verstehen, die Gorbi feiern wollten, war darauf noch eine lautstarke Zurechtweisung erfolgt. Offensichtlich vertraute Neuburger plötzlich nicht mehr den eigenen Kampfsignalen, die er ihnen jahrzehntelang mit oft sehr schrillen Trompetenstößen in die Ohren geblasen hatte. Er hatte wohl neue Töne gehört, die nun auch die vorderen Seiten der DDR-Zeitungen beherrschten.

Heimlich bewunderte Bergfeld Leutnant Wagner für seine politische Offenheit, die manchmal fast an Tollkühnheit grenzte und im ganzen Polizei-Kreisamt bekannt war. Man hatte ihn mehrmals zusammengebrüllt, vor sieben Jahren sogar zum Unterleutnant degradiert und erst vor einem halben Jahr wieder zum Leutnant befördert. Natürlich gab es mehrere Kollegen, die ihm außerhalb der offiziellen Sitzungen und Besprechungen die Hand drückten oder die seiner Meinung nach Dienstschluss beim Bier zustimmten. Doch vor härteren Strafen hatten ihn zweifellos nur seine moralische Integrität und die Fachkompetenz als Kriminaltechniker gerettet.

An diesem Tag nun war der anonyme Anruf gekommen: im Wald neben der Chaussee nach Wandlitz liege eine männliche Leiche. Hauptmann Koppelt hatte Nachtdienst gehabt und fuhr nach Hause, Hauptmann Braatz war zum Weiterbildungslehrgang auf der Kriminalschule Arnsdorf, so dass Bergfeld als Einsatzleiter mit Kriminalhauptmeister Windisch losgefahren war. Als sie den Mann endlich gefunden hatten, ahnte Bergfeld, warum die Anruferin ihren Namen verschwiegen hatte: Es war mit großer Wahrscheinlichkeit ein junger Soldat aus den großen russischen Kasernen, in denen ein Panzerregiment stationiert war. Nicht nur der deutlich zu spürende Machorkageruch und der kahl rasierte Kopf, auch die abgetragenen Stiefel und die erdbraune Soldatenhose deuteten darauf hin. Der Mann war nur mit einem Unterhemd bekleidet, trug weder eine Armbanduhr noch einen Ring, die Hosentaschen waren leer und in seinem Rücken steckten drei, in seinem Kopf eine Kugel.

„Rufen wir gleich die Freunde?“ fragte Bergfeld den Kriminaltechniker, als der eintraf.

Wagner schüttelte entschlossen den Kopf. „Erst mal untersuche ich alles, dann können wir immer noch entscheiden.“

Er und der Arzt fanden heraus, dass Fundort und Tatort nicht übereinstimmten, der junge Mann etwa sechs bis acht Stunden zuvor erschossen worden, zwischen neunzehn und dreiundzwanzig Jahre alt war und in der Innenseite seines rechten Hosenbeines einen mit Nadelstichen befestigten Autoschlüssel trug. „Wir lassen eine Autopsie machen“, sagte Wagner. Er zog dem jungen Mann Hose und Stiefel aus und packte sie in einen sterilen Plastebeutel. Er hatte sie kaum im Wagen verstaut, als Major Neuburger erschien.

„Schon etwas Relevantes gefunden?“

Wagner zählte auf: „Keine Papiere, keine besonderen körperlichen Merkmale, einwandfreies Gebiss. Wir werden erst nach der Autopsie beginnen können, seine Identität zu ermitteln. Wenn nicht vorher eine Vermisstenmeldung eintrifft.“

Neuburger blickte sinnend in den Wald und dann Richtung russischer Kasernen, die etwa einen Kilometer entfernt lagen. Es war ihm anzusehen, was er dachte. Die Polizei hatte es in den knapp fünfzig Jahren sowjetischer Besatzung mit drei toten Rotarmisten zu tun gehabt; einem Offizier, der 1951 während einer Schlägerei mit seinen Kameraden in einem verrufenen Lokal verstorben und nach dem Verschwinden der anderen Offiziere vom Wirt in einer Nebenstraße abgelegt wurde. Als man ihn fand, wurde der Wirt in die Kaserne geholt, als Mörder beschuldigt und verschwand Richtung Sibirien. Ein Soldat war in einer Nacht des Jahres 1955 betrunken in ein Auto gelaufen und getötet worden, den flüchtigen Fahrer fand man nie. Und einen weiteren Soldaten hatte man 1962 in der Nähe des von Mauern umschlossenen Kasernengeländes erschossen aufgefunden. Dort hatte es nachts öfter geknallt, und die deutschen Bewohner hatten sich gehütet, nachzufragen. So hatte man den Mann erst gefunden, als der sowjetische Kommandeur die deutsche Polizei über einen vermissten Soldaten informierte. Der Soldat war von Tieren angefressen, denn er hatte mindestens ein Vierteljahr tot im Wald gelegen. Bestimmt war er vorher entdeckt worden, doch nach den Erfahrungen mit den bisherigen sowjetischen Aufklärungsmethoden hatte natürlich niemand den Fund gemeldet. „Hm“, sagte Neuburger und nickte. „Nichts Verwertbares. Schusswaffengebrauch und junger Mann ... Wir könnten ja mal bei den Freunden nachfragen. Oder?“

Auch das kannte man von Neuburger nicht. Er hatte sich an Wagner gewandt und überließ ihm die Entscheidung. „Bei allem Glasnost -- die würde ich zu allerletzt informieren. Erst wenn wir sicher sind, dass der unglückliche Bursche kein Deutscher ist“, sagte Wagner. Der Major schluckte, nickte dann wieder und fuhr davon. Bergfeld war zufrieden, dass ihm die Entscheidung praktisch abgenommen war.

Als er abends nach Hause kam, war seine Frau noch nicht da. Er ging zum Postkasten, fand die Zeitung und zwei Briefe. Der große im DIN-A-5-Format sah amtlich aus. Er kam vom Gericht in Bernau, zwei Querstraßen von seiner Dienststelle entfernt. Es ging um die Eröffnung des Testaments. Man bestätigte, dass er Alleinerbe des Grundstücks und Hauses Kreuzbrucher Straße 24 sowie von vier Hektar Land und elf Hektar Wald -- es folgten die Flurbezeichnungen – in der Gemeinde Klosterwalde sei.

Vor vier Monaten war seine Tante Edelgard verstorben und hatte ihm alles hinterlassen. Als einziger Verwandter hatte er sich um sie gekümmert, besonders aufopferungsvoll, so lange er noch Abschnittsbevollmächtigter in Klosterwalde war. Seine Frau wollte das Erbe nicht. Ihre Argumente hatten Bergfeld wütend gemacht: „Damit haben wir nur Ärger! Vermache es der LPG! Landeigentum ist sowieso kapitalistisch und überholt.“ Was sollte er zu solchem Schwachsinn sagen. Und als Rechtsanwalt Beuster ihn vor der Testamentseröffnung fragte, ob er das Erbe annehme, folgte unter dem Tisch ein heftiger Tritt auf seinen Fuß. Nach diesem letzten Versuch seiner Frau, ihn davon abzuhalten, hatte er umso nachdrücklicher „Ja“ gesagt.und mit einer noch nie gespürten Schadenfreude seiner Frau in das wütend verzogene Gesicht gestarrt.

Ab diesem Tag war er also Hausbesitzer. Und fast gleichzeitig musste er nun ein Tötungsverbrechen an einem erschossenen, wahrscheinlich jungen russischen Soldaten aufklären.

Nun wurde ihm klar, wie viel Arbeit im Dienst und gleichzeitig nicht weniger Mühen bei der Renovierung des ziemlich verwohnten Hauses auf ihn zukamen. Und da erschien ihm die Meinung seiner Frau plötzlich gar nicht mehr so falsch. Doch ehe sich da leise Zweifel in seine Überlegungen schlichen, griff er zur Hundeleine und folgte Bully, der schon erwartungsvoll vor der Flurtür saß.

Zur gleichen Zeit brannte in einigen Bungalows am Rottschesee ebenfalls Licht. Die Wochenendsiedlungen um Klosterwalde hatten zu Bergfelds Bereich gehört, in dem er als Abschnittsbevollmächtigter oft auch Anzeigen von Einbrüchen in Bungalows aufgenommen hatte. Wenn er darüber nachdachte, waren diese sogenannten Datschen und die dortigen Einbrüche entscheidende Voraussetzungen für seine Versetzung zur Kriminalpolizei gewesen. Selbstverständlich hatte er sich besondere Mühe gegeben, hatte nächtelang auf der Lauer gelegen, kombiniert, Spuren verfolgt und zusammen mit seinem kräftigen Rottweiler sogar einige Täter auf frischer Tat geschnappt. Sein Abschnitt war kriminalstatistisch der sauberste im ganzen Bezirk Frankfurt/Oder. Und so hatte man schließlich einen schon halb invaliden, zweiundsechzigjährigen Oberleutnant auf seine Planstelle abschieben und dafür endlich den Versetzungsgesuchen Bergfelds zur Kriminalpolizei stattgeben können. Dass sein Eintritt in die Partei als Voraussetzung für den Offizierslehrgang und Beförderung zum Unterleutnant nun belohnt worden waren, gehörte dabei zum System.

Als Bergfeld auf die Straße trat, kam auch aus einem der Wochenendhäuser ein Mann. Er überprüfte seine Taschenlampe, rief einen Boxerhund zurück, der bereits in den dunklen Garten gestürmt war und beruhigte seine Frau: „Das sind doch keine Verbrecher, und außerdem haben sie einen Brief an die Redaktion geschrieben. Es ist also ein offizielles Gespräch.“

„Die wollen sich vielleicht rächen – jetzt weiß doch keiner so genau, wie alles weiter geht“, sagte seine Frau, die ihm auf die Terrasse folgte. „Ich komme in einer Stunde nach.“

„Quatsch. Wie sieht das aus.“

„Ist mir egal. Lass’ den Hund hier, den bringe ich dann mit.“

Auf dem Weg zu einem wenige hundert Meter entfernten Urlaubsbungalow des Meliorationsbetriebs erfasste den Mann eine eigenartige Stimmung. Zwischen großen Lücken in den hochfliegenden Wolkenfeldern glitzerten kalte Sterne. Vom Feld krochen bleiche Nebelschwaden heran. Er kannte jede Rille des Weges, der an dem kleinen, im Moor ausgebaggerten See vorbei zum fast zwei Kilometer entfernten Dorf führte. Doch jetzt in der Dunkelheit, links die unbeweglich stehenden Kiefern, rechts das wabernde Weiß und die Worte seiner Frau im Ohr, kroch ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Es war eine Stimmung, die manche Filmregisseure durch Szenen erzeugten, in denen sie ihren Hauptdarsteller allein in regengepeitschter Dunkelheit zwischen einsamen, abrissreifen Fabrikgebäuden zum Treff mit Verbrechern gehen ließen. Warum muss der allein gehen, fragte sich dann der Zuschauer, sieht der Kerl nicht, dass er in eine Falle läuft?

Dieser Kerl nun war vierundfünfzig, freischaffender Journalist bei einer großen Berliner Tageszeitung und kein Held, der Verbrechen aufdeckte. Oder doch? Er blieb stehen und überlegte, ob er vielleicht doch in eine Falle lief.

Aus Polen und Ungarn wurden Unruhen gemeldet, in der CSSR tat sich ebenfalls einiges, in mehreren Großbetrieben der Republik hatte es tätliche Auseinandersetzungen und Angriffe auf Parteisekretäre und SED-Genossen gegeben. Er war ja kein Genosse, aber ob das die Bereichsleiter des Meliorationsbaus wussten? Vielleicht hatte seine Frau Recht mit ihren Vermutungen, die wollten ihn wegen des Artikels verprügeln, vielleicht sogar ins Wasser werfen.

Er schüttelte den Kopf. Was hatte er denn aufgedeckt? Er hatte eine satirische Geschichte über einen namenlosen Meliorationsbetrieb geschrieben. Dessen mit ausgebaggertem Torf beladenen Lastwagen hatten aus einem drei Meter breiten Feldweg inzwischen eine fast fünf Meter breite Rollbahn auf Ackerland gemacht. Und dies, obwohl eine von der Zeitung „Junge Welt“ mit klassenkämpferischem Eifer betriebene Kampagne alle Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften anprangerte, die nicht jeden Quadratmeter Feldrain für den Anbau von Getreide und Kartoffeln nutzten.

Vor ihm schnaufte es in der Dunkelheit, Äste knackten. Er ließ den starken Strahl der Lampe aufblitzen und erfasste zwei graue, erstarrende Körper. Wildschweine. Sie richteten ihre Köpfe auf ihn, die Augen funkelten und dann jagten sie grunzend davon.

Journalist Lothar Engwart holte tief Luft. Mindestens zwei, drei Jahre hatte er keine Wildschweine mehr gesehen, jetzt mussten sie ihn so erschrecken. Er ging weiter und blieb vor dem Betriebs-Bungalow dicht am Moorsee stehen. Das große Fenster leuchtete in die Dunkelheit und er sah zwei Männer am Tisch sitzen. Vor ihnen stand eine Flasche, die Gläser waren leer und sie sprachen miteinander. Obwohl Engwart sich dicht ans Haus schlich, vernahm er nur ein undeutliches Murmeln. Einer der Männer schaute auf die Uhr und sagte etwas, auch der andere sah auf sein Handgelenk und schüttelte den Kopf. Beide richteten den Blick wie auf Kommando zum Fenster. Engwart klopfte gegen die Scheibe und deutete zur Tür.

Die beiden Männer waren Bereichsleiter Hanke aus Klosterwalde und der stellvertretende Vorsitzende der handwerklichen Kooperation, Müller. Vor dem umzäunten Grundstück stand ein Lada, was keinen vom Trinken abgehalten hatte; die Flasche Wodka war zu einem Drittel leer. Sie begrüßten ihn nicht unfreundlich, und während Müller einen Ordner aufklappte, deutete Hanke auf die Gläser. Engwart nickte, sie stießen an und tranken.

„Also ich will die Sache hier nicht hochspielen“, begann Müller, „denn mir persönlich geht sie ziemlich am Arsch vorbei. Jedenfalls denke ich mal, im Moment gibt es ganz andere Probleme.“ Er sah Engwart direkt an und grinste herausfordernd. Die Provokation war zu spüren und er überlegte, wie er reagieren sollte, falls Müller handgreiflich wurde. Der war etwa fünfzig, kleiner als er, doch stämmig und mit rundem Kopf, aus dem winzige Augenschlitze wässrig glitzerten. Hanke dagegen, um die sechzig, klein und hager, schwieg und goss wieder ein.

„Ja, das stimmt. Das mit den Problemen.“ Engwart nickte.

„Aber mir hat die Kreisleitung erst mal mächtigen Ärger gemacht, wir sollen für den Schaden aufkommen und so weiter...“

„Welche Kreisleitung?“ tat Engwart dumm.

„Na, die Parteikreisleitung.“

„Ach so. Und was hat die damit zu tun? Ich bin nämlich nicht in der Partei und weiß das nicht so genau.“ Das wäre erst mal geklärt.

„Nanu – ich dachte ihr Zeitungsscheis... Zeitungsschreiber seid alles Genossen.“ Müllers Augenschlitze öffneten sich. „Die Partei kümmert sich doch um alles. Jedenfalls hat sie die Elpege im Dorf angeschrieben und damit schlafende Hunde geweckt.“

Hanke nickte eifrig. „Mit denen komm ich schon klar. Prost.“ Er hob sein Glas, Müller und Engwart folgten seinem Beispiel.

Nachdem Engwart zugesagt hatte, sich für einen korrigierenden Artikel in der Zeitung einzusetzen und über Ausgleichsmaßnahmen zu berichten, stießen sie wieder an. Die Ausgleichsmaßnahmen sollten darin bestehen, den ausgefahrenen Feldweg, der sich bei Regen in tiefe, morastige Pfützen verwandelte und deshalb die LKW gezwungen hatte, immer neue Spuren zu suchen, mit mehreren Ladungen Kohlenschlacke aufzufüllen. Sie stießen gerade wieder an, als es gegen die Scheibe klopfte.

„Ach, unser Abevau“, sagte Hanke und winkte. Engwart kannte ihn aufgrund der Einbrüche in seinen Bungalow. Sie begrüßten den Kriminalisten, der den Rottweiler draußen angebunden hatte und in die Runde nickte. „Ich hoffe doch, dass keiner von euch so angetrunken mit dem Wagen fährt.“

„Immer im Dienst, auch wenn er jetzt in Bernau bei den Kriminalen ist“, meinte Hanke grinsend. „Aber keine Angst, ich komme mit dir zu Fuß zurück ins Dorf, und Kurt bleibt über Nacht hier.“

„Sie sind jetzt noch auf dem Grundstück?“ wandte Bergfeld sich an den Journalisten.

„Die Tage im Herbst sind so schön, das bunte Laub, die Ruhe ...“

„Außerdem ist es der beste Schutz gegen Einbrüche“, sagte Bergfeld, „Ihre Anwesenheit, meine ich. Bisher wurde noch nie eingebrochen, wenn Leute im Haus waren.“

„Naja, in den letzten vier Jahren sind wir zum Glück verschont geblieben – das hatten wir auch Ihnen zu verdanken. Ich hoffe, es hat sich bei den Ganoven noch nicht herumgesprochen, dass Sie sich inzwischen nach Bernau verzogen haben.“

„O, von da aus habe ich noch ganz andere Möglichkeiten, die Stehldiebe zu fassen“, meinte Bergfeld.

In ihr Lachen klang lautes Hundegebell. Bergfeld ging hinaus, seine Frau stand mit der Hündin am Zaun, und die bellte mit dem Rottweiler um die Wette. Es war ein ärgerliches Bellen, wahrscheinlich weil man sie nicht zueinander ließ -- und es klang auch sehr erfreut. „Da ist ja deine Freundin -- und du kannst nicht zu ihr“, sagte Bergfeld begütigend. Sie ließen die Hunde frei und die beiden tobten in die Dunkelheit hinein. Bergfeld hatte damals bei seinen Streifengängen an Engwarts Grundstück immer eine längere Pause eingelegt, und dort hatte sich Bully, sein kräftiger Rüde, offensichtlich in die Boxerhündin verliebt. Oder wie man das bei Hunden nennen wollte. Da außerdem Christa Engwart mit ihren sechsundvierzig Jahren noch eine sehr attraktive Frau war, hatte er dort öfter als nötig vorbeigeschaut. Aus Sympathie, oder wie man es nennen wollte.

Die Flasche war leer, das Problem besprochen und sogar Müller gab sich freundlich, als sie sich verabschiedeten. Das letzte Lebenszeichen, das seine Gäste von ihm sahen, war das Schließen der Tür.

Der Brandkiller

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