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Singen an Bord – Shanties

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Das Singen. war untrennbarer Bestandteil der Arbeit des Seemanns. Sogar bei Sturm ließ die Sangeslust nicht nach.

Un wenn wi bet an ’n Arm in ’t Water stünnen, sungen würd likers! Wenn ’n teihn Meter von af wier, wier nicks to hüren vör den Storm. Und gern erinnert man sich: Wat wier dat ’n Singsang früher up de Schäpen!

Hermann Strobach schreibt in dem von ihm 1968 bei Hinstorff in Rostock herausgegebenen Buch „Shanties“:

Um das Jahr 1880 hatte die Anzahl der Segelschiffe auf den Weltmeeren ihren Höhepunkt erreicht. Von da an ging es abwärts; das schnellere und sicherere, vor allem auch größere Dampfschiff trat zunehmend an die Stelle der Klipper.


In der Erinnerung der alten Seeleute und Segelschiffskapitäne verdichtete sich nun die große Zeit der Segelschifffahrt zu einem Bilde stolzer und kühner Taten; doch gehörte zu diesem Bilde auch das Wissen um die Nöte und Entbehrungen des Dienstes auf den schönen, schnellen, aber gefährdeten Klippern. Denn Leben und Arbeit auf den Segelschiffen waren unvorstellbar hart und schwer. Die Schiffe waren sehr lange unterwegs und lagen bei ungünstigem Wind viele Tage fest, besonders bei den schwierigen Kap-Umsegelungen. Disziplin und Ordnung unter den zumeist bunt zusammengewürfelten, nicht selten auch mit Zwang oder Erpressung zusammengebrachten Mannschaften wurden von den Kapitänen oft mit brutaler Gewalt durchgesetzt, und besonders die amerikanischen Paketschiffs-Linien waren dafür berüchtigt. Die gewaltig vergrößerte Fläche des Segeltuchs auf den schnellen Seglern des Klipper-Typs machte jedes Manöver zu einer ungeheuren körperlichen Anstrengung. Aber auch alle anderen, sämtlich mit den Händen auszuführenden Arbeiten, an den Pumpen, beim Ankerhieven usw., erforderten großen Krafteinsatz der gesamten Mannschaft in einem gleichmäßigen, sich wiederholenden Rhythmus. Und um diesen gleichen Arbeitsrhythmus zu gewährleisten, doch auch die gleichförmige Arbeit sich etwas zu erleichtern, sangen die Seeleute Lieder, die sie Shanties nannten.

Der Name Shanty kommt wahrscheinlich von dem englischen chant: singen, das oft zur Bezeichnung von Negerliedern diente, oder auch von dem französischen Wort für singen, chanter, beziehungsweise chantez, wie es die französisch sprechenden Neger unter den Schauerleuten von New Orleans gebrauchten. Denn aus dem Arbeitsgesang der Neger, besonders der Baumwollstauer in den Südhäfen der Vereinigten Staaten, stammt so manches Lied, das schließlich als Shanty auf den Segelschiffen heimisch wurde. Es gibt noch andere Erklärungen für die Herkunft des Wortes, doch scheinen sie weniger überzeugend.

Stets aber wurde als Shanty nur jenes Lied bezeichnet, das die Seeleute bei der Arbeit sangen. Diese unmittelbare Verbindung zur Arbeit bestimmt auch die charakteristische Form des Shanty. Seine Strophen bilden zumeist einen Wechselgesang zwischen einem Vorsänger, dem Shantyman, und der Mannschaft. Dabei ist der Vorsänger der führende Teil. Ihm fällt der eigentliche, von Strophe zu Strophe veränderliche Text zu, der erzählend, oft auch anfeuernd, aufmunternd oder belustigend ist und den der Vorsänger nach Belieben und vor allem nach Phantasie und Können improvisierend erweitern oder verändern kann. Es gab für diese Lieder keine feste, gleichbleibende, verbindliche Form. Jeder Shantyman sang sie etwas anders, und ein geübter und herausragender Vorsänger konnte hier immer neue Varianten schaffen, die dann von anderen übernommen wurden und so – wieder variiert – in die Seemannstradition eingingen. Die Mannschaft antwortet im Chor auf den Gesang des Shantyman mit dem meistens gleichbleibenden Refrain, der den Takt für die Arbeit angibt.

Ein einfaches Beispiel für diese charakteristische Form ist unser Lied Down Below. Der Shantyman singt jeweils zwei Zeilen, die er hauptsächlich dadurch variiert, dass er immer einen anderen Ort des Schiffes nennt, an dem das Feuer sein soll:


Fire in the galley, fire in the house,

fire in the beefkid, scorching the souse.

Und dann: fire in the fore-top, in the fore-peak, in the lifeboat und so fort.

Die Variationsmöglichkeit ist fast unbegrenzt. Die Mannschaft fällt als Chor mit dem immer gleichen Refrain ein, zu dessen Rhythmus sie ihre Arbeit Verrichtet, hier die Bedienung der Pumpen, mit denen das eingedrungene Wasser aus dem Schiffsrumpf herausgepumpt werden musste:

Fire! Fire!

Fire down below!

Fetch a bucket of water, boys,

fire down below!

Die verschiedenartigen Arbeitsvorgänge verlangten aber auch verschiedene Formen des Arbeitsgesanges, und so unterscheidet man mehrere Gruppen von Shanties. Da sind zunächst die Short-Haul-Shanties, die gesungen wurden, wenn es galt, das Tau in einem kurzen, kräftigen Zug zu straffen. Auf das zumeist einzeilige Solo des Vorsängers folgt hier der kurze, ebenfalls einzeilige Refrain des Chors, oft nur aus dem wiederholten Arbeitsruf Haue away bestehend, auf dessen letztes, herausgepresstes Wort der Zug (pull) ausgeführt wird.

Zum Beispiel: Hey, den ’t you see that black cloud arising? singt der Vorsänger. Darauf der Chor: ’way, haul away, we’ll haul away, Joe! Auf Joe erfolgt der Zug.

Eine zweite Gruppe bilden die Halyard-Shanties, auch Fall-Shanties genannt, die das länger ausholende Ziehen beim Segelsetzen begleiten. Sie sind meist aus vierzeiligen Strophen gebildet, in denen Solo- und Chorzeilen abwechseln. Auf jede Chorzeile können ein oder auch zwei Ruck erfolgen. Zu den beliebtesten Halyard-Shanties gehört das Lied Roll the cotton down:

Vorsänger: Away down south

where I was born,

Chor: oh, roll the cotton down,

Vorsänger: that’s where the niggers

blow their horn,

Chor: oh, roll the cotton down.


Auf roll und down wird die Leine durchgezogen.

Wenn alle Mann das Tau mit den Händen festhielten und, statt am selben Platz immer neu durchzuziehen, damit über das Deck marschierten, um es anzuspannen, z. B. beim Heißen der höheren Rahen, dann sangen die Seeleute eine besondere Art des Halyard-Shanty, die man dieser Arbeitsweise entsprechend Walkaway-Shanty nennt, manchmal auch Stamp-and-go-Shanty, weil die Matrosen oft an bestimmten Stellen laut aufstampften. Verhältnismäßig lange Chorpartien für dieses „Gehen“ über Deck und marschmäßiger Rhythmus sind hier typisch; manche dieser Lieder bestehen nur aus Chorstrophen.

Kaum untereinander zu unterscheiden ist eine dritte Gruppe von Liedern, die zur Bedienung des Gangspills (capstan), des Bratspills (windlass) oder der Pumpen, oft aber auch an allen diesen Geräten gesungen wurden: Capstan- (oder Gangspill), Pump- und Windlass-Shanties.

Das Gangspill (capstan) war eine Winde, die von den Männern bewegt wurde, indem sie um das Spill herummarschierten und dabei die Spillspaken (schwere, in den Spillkopf gesteckte Stangen) vor sich her schoben, während das Bratspill in vertikaler Richtung gedreht werden musste.

Das Gangspill diente vor allem zum Hieven der Ankerkette, und so bilden eine besondere Untergruppe dieser Shanties die Homewardbound-Songs, die beim Ankerlichten zur Heimreise erklangen. Für die Form dieser Gruppe ist vielfach ein Wechsel von Solozeile, kurzer Chorzeile, neuer Solozeile, wiederholter Chorzeile und längerem Chorsatz kennzeichnend.


Eins der bekanntesten Capstan-Shanties ist der Sacramento-Song:

Vorsänger: The camptown ladies

sing this song,

Chor: and a hoodah

and a hoodah,

Vorsänger: the camptown race

track’s five miles long,

Chor: and a hoodah, hoodah day.

Voller Chor: Blow, boys, blow

for Californio,

there is plenty of gold

so I’ve been told,

on the banks of Sacramento.

Wie der Arbeitsrhythmus und Arbeitsvorgang die Struktur des Shanty bestimmen, so bildet der Arbeitsruf, wie zum Beispiel Way ay roll and go – haul away, boys, haulaway – away you heelow usw., seinen Kern, um den sich der übrige, immer wieder veränderte oder erweiterte Text rankt.


Wir kennen auch im Deutschen solche Rufe, die Verschiedenste Arbeiten, die in irgendeiner Form gemeinschaftlich verrichtet werden, begleiten; am gebräuchlichsten ist wohl das Hau-ruck!

Im Shanty gehört der Arbeitsruf zumeist zum charakteristischen Bestand des Chorsatzes. Wir finden ihn aber auch im Text des Vorsängers als Arbeitskommando: Oh! Haul away for the windy weather, boys, oder einfach: Haul the bowline, von der Mannschaft als Arbeitsruf, auf den sie ihre Tätigkeit ausführte, wiederholt: Haul the bowline, the bowline haul! Zum Liede wird dieser ständige Wechsel von gleichklingendem Arbeitskommando und Arbeitsruf durch eine sehr einfache Variation der zweiten Halbzeile des Vorsängers: for Kitty she’s my darling, Kitty lives in Liverpool, Liverpool’s a fine town usw. Wir haben hier die einfachste Form des seemännischen Arbeitsliedes vor uns. Sicher ist das Shanty als Liedgattung auch aus dem Arbeitsruf durch solche einfache Variation und Auffüllung entstanden.

Das Lied von der bowline gehört zu den ältesten der uns bekannten Shanties; es wird bis ins 16. Jahrhundert zurückdatiert. Aber nur noch einige wenige Lieder werden in so alte Tage der Seefahrt zurückreichen. Die weitaus meisten der uns überlieferten Shanties stammen aus dem 19. Jahrhundert, also der letzten großen Blütezeit friedlicher Segelschifffahrt auf den Weltmeeren. Und nicht nur aus dem seemännischen Bereich, wie uns der Arbeitsruf aus einem der beliebtesten Shanties zeigt: Roll the cotton down, rollt die Baumwolle hinunter. Denn hier handelt es sich ja um ein Lied aus dem Arbeitsgesang der nordamerikanischen Neger, die als Schauerleute in den Südhäfen der Vereinigten Staaten hauptsächlich Baumwolle verladen, also in den Laderaum der Schiffe hinunter rollen mussten. Vor allem den Winter über arbeiteten dort auch Seeleute, die sich dann im Frühjahr wieder anheuern ließen und dieses Lied wie viele andere aus dem Gesang der Neger mit auf die Segelschiffe nahmen.


Der Mensch auf dem Wasser - Kulturgeschichte der Schiffe

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