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Unter Segeln um 1870 von Mecklenburg aus

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Hier ein Auszug aus Band 91 in der maritimen gelben Reihe

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Richard Wossidlo befragte Fahrensleute aus Mecklenburg


Heimatforscher Richard Wossidlo

Als schon viele Jahre hindurch Dampfschiffe die Weltmeere überquerten, erlebte die Segelschifffahrt der deutschen Ostseeküste eine Spätblüte.


Das bürgerliche Zeitalter hatte zu einem kräftigen Aufschwung von Handel, Gewerbe und Industrie geführt. Die Beförderung der Waren stand als Gewinn versprechende Aufgabe vor dem Transportgewerbe zu Wasser und zu Lande. Da sich die Dampfschifffahrt zunächst zögernd und ungleichmäßig entwickelte, hatten vorerst andere der Forderung des Tages zu genügen: das Segelschiff und sein Besatz. Es war dies das letzte Mal in einer langen und bewegten Schifffahrtsgeschichte, die in den Tagen der Hanse einen Höhepunkt erreicht hatte und auch während der folgenden Jahrhunderte immer ein Stolz der Küstenländer gewesen war. Die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts beschrieb das letzte Blatt des Logbuchs der Segler mit kräftigen Zügen.

Fünfzig Jahre später – die alte Herrlichkeit war längst dahin – mochte es dem einstigen Segelschiffer so scheinen, als habe der Seemannsberuf nicht für alle Zeit gleiche Bedeutung: De Seemann hadd ’n groten Wiert früher. Tatsächlich musste einem Rückblick aus der Zeit um 1930 die Blütezeit des Seehandels der 1850er bis 1870er Jahre als schlechtweg unvergleichlich erscheinen. Da schwärmten alte mecklenburgische Kapitäne von ihren Fahrten ins Schwarze Meer, wo man aus Odessa, Rostow, Tanganrog Weizen nach England brachte: Kort vör un ’n bäten na den französischen Krieg hebben de lütten Briggschäpen swores Geld verdeent mit de Swartsee-Fohrt. Doormals hett ’n’ Schipp, wat in de Fohrt wäst is, oft so väl verdeent, dat dat halwe Schipp betahlt wäst is.


Augenfällig war besonders der Aufschwung, den die Rostocker Handelsflotte nahm. Noch lange lebte die Erinnerung daran: Früher legen hier in Warnmünd in’n Frühjohr dree Schäpen een an ’n anner langssiet – so vull wier de Strom. Wenn all de Schäp frühjohrs in Warnmünd liggen deden, dat sehg grad so ut, als wenn ’n in ’n Ellerbrook kiekt. Rostock wier gor nich to sehn vör luter Masten. – Rostock hadd vierhunnert Schäpen, meist grote Barken un Briggen. – Rostock hett in de höchste Tiet vierhunnertachtuntwintig Schäpen hatt. Und schließlich: Rostock hadd fiefhunnert Schäpen.

So spricht die Erinnerung, und sie hat nur wenig übertrieben, denn Rostock hat als Höchstzahl tatsächlich dreihundertachtundsiebzig Schiffe mit 105.554 Netto-Register-Tons gehabt; es kam der Schiffszahl nach unter den deutschen Seestädten gleich nach Hamburg.


Hansestadt Rostock

Nicht ganz so bedeutend wie Rostock war Wismar. Immerhin herrschte auch hier ein lebhaftes Treiben im Hafen: In mien jungen Johren hadd Wismar dreeunföfftig Schäpen, meist mit Kahlen, de Holtfohrt wier weniger. – So ’ne Fohrt wier früher up Wismar.

Hoch bedeutend war die Seefahrt auf dem Fischland, wo doch erst im 18. Jahrhundert der Drang zur See eingesetzt hatte.


Zuvor waren Landwirtschaft und etwas Fischfang auf dem Bodden die einzigen Erwerbszweige gewesen.

Schon 1832 aber meldete das „Freimüthige Abendblatt“: sechsundneunzig Schiffe besitze das Fischland jetzt, vor siebzig Jahren sei noch kein einziges dort gewesen. Und was sagt der Seemann? Hunnertfief Schäpen hett Wustrow hatt in de beste Tiet.

In de 1870er Johren hebben Wustrower Schippers Schääp in England köfft.

Nicht anders war es im benachbarten Dierhagen. Hier in Dierhagen sünd achtuntwintig Schippers wäst, berichtet der eine, und ein anderer stellt sogar fest: 1857 wieren in Dierhagen soebenunviertig Schäpen, dee in Fohrt wieren.

Aus Dändorf liegen folgende Berichte vor: In Dändorf waren in meiner Jugend zweiundfünfzig Häuser, davon besaßen sechs Bauern, ein Müller, ein Schmied, drei Arbeiter je ein Haus, alle übrigen gehörten Seeleuten. – Dändörp wier de riekste Uurt up ’n Fischland, so bi viertigdusend Mark rüm hadd jeder Schipper, oft ok mihr.

Soweit die Blütezeit der Segelschifffahrt in der Erinnerung. Dem großen Geschäft (Soebenteihn bet twintig Prozent hebben de Schäpen bröcht) folgte die Krise. Und dies sind erinnernde Berichte über den beginnenden Verfall: Utgangs von de achtziger Johren güng de Sägelschippfohrt daal. Bi 1890 rüm sünd de Schäpen all verköfft na Sweden un Nuurwägen. Wat wi in Düütschland nich mihr bruken künnen, dat kreegde Skantehuw (so säden wi to den Sweden); dat wier so von 1885 bet 95. De Memeler un Danziger köfften ok Mäkelbörger Schäpen up, oewer am meisten de Sweden. –

De Schippshändler Paul Gramp in Rostock up ’n Borgwall hett donntomal väl Schäpen köfft un verköfft. He köffte de ollen Schäpen un verköffte se an de Sweden. Se würden ’n bäten upfient, alle Löcker tostoppt un oewersmeert.

Manchmal erkannten in späteren Jahren die ausgedienten Seeleute, die ihr täglicher Gang in den Hafen führte, ihr altes Schiff voller Stolz und Trauer wieder: Den Haifischswanz heff ik noch sülben an ’t Boogspriet annagelt. Und die Geschäftsleute klagten: Wat is de Welt retour gahn, wat bröcht so ’n Schipper Nohrung in de Stadt!

Die alten Seeleute empfanden auch schmerzlich den Rückgang der alten Bräuche auf den Schiffen. Früher wier dat all in den Gang mit den ollen Seemannsbruuk, nu hett sik de Welt dreiht. – De ollen Seemannsbrüke hadden sik oewerläwt – dat wier vör dissen. Vielen Jüngeren standen die Bräuche so fern, dass auf meine Frage ein Seemann meinte: Dee Moden sünd woll vör Christi Geburt wäst. Andere sagten: To mien Tiet – so bi 1900 rüm – wier dat all mihr utstorben. Dat wier all in ’n Vergäten, as ik jung wier.


Als erster Raddampfer überquerte SIRIUS den Atlantik

Mit Geringschätzung schaut so ein alter Segelschiffer auf den Dampferbetrieb herab: Nu kann jo jeder Buerknecht to See fohren. Nu is dat jo bloot noch Winnschendriben un Farwwaschen un an ’t Roder stahn. Hüüt up ’n Damper lihrt so ’n Jung jo wider nicks as ’n Bessen anfaten un mit ’n Pinsel ümgahn.

So ’n Madrosen as früher gifft dat jo nich mihr. Hüüt kann ’n oll Wiew ’n Schipp roewerbringen. Und krass ausgedrückt: Früher geew dat höltern Schäpen un isern Madrosen, nu gifft dat isern Schäpen und höltern Madrosen. – Bi ’n Damper heit dat: Vullkraft voraus! Oewer ik müsst dat Schipp – nach dem Tod des Kapitäns – mit Sägel roewerbringen, erzählte stolz ein früherer Steuermann.

Klingt aus solchen Worten die Hochschätzung der gewiss schweren, aber doch vielseitigen Arbeit auf den Segelschiffen, so tadelte man an der Dampfschifffahrt auch die Eintönigkeit und Hetze bei der Arbeit. Man wier mihr Minsch up ’n Sägelschipp. Nu heit dat: Rin in ’n Haben un wedder rut. Bi de Sägelschippfohrt künn man sik doch mal verpusten, nu geiht dat jo all mit de Klabatsch.

Der wirtschaftliche Rückgang am Jahrhundertende wird aus der Sicht von 1930 auf die Maschine zurückgeführt. Früher wier Handel un Wandel un Arbeit, de Maschinenkraft verdarwt uns. Dor hett sik dat sammelt mit de Fracht, dat se wat to doon hadden. Hüüt ward Winter un Sommer fohrt – dat is jo grad de Verdarw. Ob hier nicht ein früherer Segelschiffreeder seine qualmende Konkurrenz doch ein wenig verkannt hat? Überlassen wir die Entscheidung über Wert und Schönheit der Segelschifffahrt dem Urteil der Fahrensleute!


Segel bergen


Die Verringerung der Mannschaftszahl wurde zum Teil durch eine technische Neuerung ermöglicht. Früher hadden de Schäpen enzelt Mastsägel, naher kemen de duwwelten up, dee laten sik jo leichter räwen. Oft .kam es vor, dass unterwegs Besatzungsmitglieder wegen Krankheit ausfielen. Dann wurde das Manövrieren sehr schwer.


Der Mensch auf dem Wasser - Kulturgeschichte der Schiffe

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