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Aalborg

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Seit dem Auftauchen von Hiob war Willem komplett von der Rolle, und Marit, die ihn so gut kannte, hörte nicht auf nachzubohren. In der Nacht von Freitag auf Samstag hatte er einen seiner Albträume bekommen, er war davon wach geworden, dass Marit neben ihm saß und ihn rüttelte. Sie sagte ihm, er habe gestöhnt und geschrien. Sein Körper war überzogen mit kaltem Schweiß und die Zähne klapperten.

Willem wusste, dass er mit ihr reden musste, er war Marit eine Erklärung schuldig, jedenfalls wenn er es nicht schaffte, sich zu kontrollieren und seine Angst wieder in den Griff zu bekommen. Kurz hatte er in Erwägung gezogen, mit der Psychologin zu sprechen, aber die Furcht, dass sie sein Geheimnis einem Vorgesetzten offenbarte, war zu groß. Natürlich unterlag sie der Schweigepflicht, aber Willem traute niemandem. Das hatte Hiob geschafft, Willems Vertrauen in die Welt war und blieb erschüttert.

Heute hatte er eigentlich keinen Dienst gehabt, deshalb hatte er sich auch nicht um Hiobs Ansinnen kümmern können. Stattdessen war er nach dem Frühstück mit den Kindern in den Wald gegangen. Sie hatten Moos gesammelt und schöne Äste und nach Tierspuren gesucht, und es war so wundervoll gewesen, mit seinen beiden Engeln, die glücklich und so unschuldig waren, dass er Tränen in die Augen bekam, wenn er an seine eigene verkorkste Kindheit dachte. Aber dann schlich sich immer wieder die Angst zwischen ihn und seine Kinder, er dachte daran, dass sie Marit allein zu Hause zurückgelassen hatten, und er bekam Angst um sie.

Leise Paranoia schlich sich in seinen Kopf, er wollte mit seinen Kindern nicht Verstecken spielen, weil er fürchtete, eines von ihnen plötzlich nicht mehr zu finden.

Auf dem Bohlenweg durch das Moor blickte er ständig über die Schulter, vor Angst, es könnte jemand auftauchen und ihnen folgen.

Nicht jemand. Er. Einmal war er aus dem Nichts aufgetaucht, er konnte es jederzeit wieder tun.

Schließlich hatte Willem es nicht mehr ausgehalten, scheuchte die Kinder ins Auto und fuhr mit ihnen wieder nach Hause.

Sagte Marit, dass er noch einmal zur Arbeit müsse. Etwas tun. Sie solle alle Türen verriegeln. Die Kinder nicht alleine in den Garten lassen. Auf ihre Fragen gab er keine Antworten.

War einfach gefahren.

Willem wollte es hinter sich bringen, den Jungen finden und seine Ruhe haben. Das Königreich zurück in die Tiefen seiner Erinnerung drängen, Hiob aus dem Gedächtnis tilgen und so tun, als wäre er, Willem, ein normaler Mann mit einer normalen Familie.

Abschließen mit seiner Vergangenheit. So war er ins Büro gefahren.

Jetzt saß er hier und scrollte sich durch die Register, anstatt bei seiner Familie zu sein, mit den Kindern zu spielen und sie dann ins Bett zu bringen.

Die Pkw-Überprüfung hatte ihn nicht weitergebracht. Das Kennzeichen hatte zu einem Wagen gehört, der bereits vor Jahren abgemeldet worden war, und wo dieser sich jetzt befand – Schrottplatz oder Garage oder ob er in einem Graben vor sich hin rostete –, ließ sich nicht feststellen. Das Kennzeichen war ungültig und führte nirgendwohin.

Warum aber hatte es jemand auf die Rückseite des Fotos gekritzelt? Oder handelte es sich bei den Buchstaben und Zahlen gar nicht um ein Kennzeichen? War es ein Code? Welchen Hinweis wollte Hiob ihm damit geben? Oder hatte nicht Hiob die Zeichen auf das Foto gemalt, sondern jemand anderes? Aber Hiob wäre das nicht entgangen, ihm entging niemals irgendetwas, er war die Flamme, der Prophet.

Willem beschloss, diese Frage zunächst nicht zu beantworten, sondern sich um den Jungen Gedanken zu machen.

Es gab ein paar Dinge, die seine Arbeitshypothese waren. Der Junge war Hiob bekannt, sonst würde er ihn nicht suchen lassen.

Er war bei ihm im Königreich gewesen, das sagte ihm der Ausdruck des Jungen auf dem Foto und die frische Wunde auf seiner Wange, die mit Sicherheit von den Bestrafungen herrührte. Er kannte diese Wunden – heilige Zeichen, wie Hiob sie nannte.

Nun war der Junge aber nicht mehr in Hiobs Gewalt, er war entkommen, und wahrscheinlich erst vor kurzem.

Wenn es nur ein einfacher Flüchtiger wäre, dann wiederum würde Hiob nicht so einen Aufwand betreiben, ihn zu finden.

Willem vermutete, dass der Junge etwas mitgenommen haben musste. Etwas, das Hiob gehörte. Etwas, das ihm gefährlich werden konnte.

Etwas, das auch für Willem interessant sein könnte.

Was war es? Aufzeichnungen? Briefe? Ein Laptop? Willem war sicher, dass Hiob so etwas besaß. Er war verlogen, predigte Wasser und trank Wein. Seine Anhänger durften nichts besitzen, alles war Gemeingut dort im Königreich, sie besaßen ja nicht einmal Privatsphäre oder durften einen Partner für sich beanspruchen. Alles wurde geteilt, sogar die Kinder hatten kein Recht auf Eltern, die sich nur um sie kümmerten. Alles gehört allen – nur Hiob gehörte immer schon etwas ganz allein.

Und der Junge hatte einen Schatz.

Das machte ihn wertvoll.

Hiob nahm in Kauf, dass Willem das herausfand, das wiederum irritierte ihn. Er war Mittel zum Zweck – sobald Hiob hatte, was er wollte, würde er sich seiner entledigen, das erkannte Willem glasklar. Es genügte ein anonymer Brief. Er würde jede Menge Probleme bekommen.

Willems Finger auf der Tastatur begannen zu zittern. Es war ein Spiel. Ein gemeines, perverses Spiel.

Fand er den Jungen und lieferte ihn Hiob aus, war sein Schicksal – und wahrscheinlich auch das des Jungen – besiegelt.

Fand er ihn nicht, würde Hiob ihn mit seinem heiligen Zorn bestrafen, was auf das gleiche Ergebnis hinauskam.

Mit Sicherheit ließ Hiob ihn beobachten, und sobald er glaubte, dass Willem sein Ziel erreicht hatte, würde er zuschlagen.

Willem dachte an den Jungen und die Narbe.

Er dachte an sich und die Züchtigungen.

Willem musste schneller sein. Er würde den Jungen retten und Hiob vernichten müssen.

Es war ein Spiel um Leben und Tod. Es war Hiobs späte Rache an seinem Entkommen. Es war ein Fehdehandschuh, den der Prophet ihm hingeworfen hatte.

Auge um Auge. Oder die Flamme würde ihn bei lebendigem Leib verbrennen.

Helle und der falsche Prophet

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