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Prolog: Kadavertanz

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Einzig aufgrund des Umstandes, dass in meinem Blutkreislauf vier unterschiedliche Drogen zirkulierten, fühlte ich mich mit der Welt, die mich umgab, halbwegs im Reinen, einhergehend im reizlos gewordenen Halbdunkel… Ich trank Wasser, das ich aus der Leitung in meine Flasche zapfte… Bin gerade wieder knapp bei Kasse und auf diese Weise spart man Geld für stärkere, interessantere Substanzen als Bier… Es geht hier aber nicht so sehr ums Geld, als ums Prinzip… Oder das, was davon übrig ist, was noch als Prinzip durchgeht… Und überhaupt… Verhärtete Prinzipien sind doch einfallslos, bar jeder Spontanität… Man hat es nicht einfach als Polytoxikomane… Körpereigene Drogen machen das Leben erst möglich. Man braucht Dopamin, Oxytocin, Melatonin, Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol, Glycin, Acetylcholin, Gamma-Aminobuttersäure, vor allem aber Serotonin und die guten alten Endorphine… Ohne die geht nichts… Und… Habe ich was vergessen?… Man braucht diesen Cocktail, diese multiple Schizophrenie, deren wechselhaftes Spiel der Anfang aller wie auch immer gearteten Lebenskunst, allen fühlenden Seins und der Phantasie ist… Der nächste Drink sollte also wieder an der Theke geholt werden und Prozente haben.

Noch wand ich mich suchend, wartend voran… Bald spürbar erigiert und aufgewühlt im Inneren, achtlos und gegen alles Äußere umgetrieben, aufschnellend zugleich… Die Wechselwirkungen der Substanzen… Ein einziges Saugen und Strömen… Ich wollte so lange wie möglich… So lange wie nötig?… Ich wollte dabei sein… Irgendwie… Harte Griffe zarter Hände, wächsernes Zerrinnen und die eiligen Todesküsse gesalbter Lippen waren die auserwählten Reize, nach denen ich suchte… Was für ein großer Unsinn… Aber… Doch stieg ich darauf ein… Etwa so war es wohl ganz zu Beginn gewesen… Bei den frühen Kontakten… Und zu meiner großen Überraschung, stellte es sich dieses Mal recht ähnlich dar… Wie seit langem nicht mehr… Musste überdurchschnittlich gutem Stoff aufgesessen haben… Bei etwaiger Toleranz raten wir Ihnen zur Erhöhung der Dosis. Selbstverständlich, Herr Doktor, ihr guter Rat in Ehren… Sonst will ich lieber Steine umarmen, als diese amorphe Masse bewegten Fleisches hier drinnen… Nach Mitternacht im Schlachthaus, im Narrenhaus, auf dem Narrenschiff, da beginnen die ausgetrockneten Kadaver ihren Tanz… Und noch viel später, Wasserleichen, überflutet von Schweiß und Reizen, umspült und davongetragen… Und trotzdem gehe ich immer wieder her… Mein ganz persönlicher Zwiespalt… Entaktogener Schwindel… Man gibt dem Sympathikus die Sporen, um sich und andere erträglicher zu machen… Und alles wurde mir wie… Wie… Ich hab’s gleich.

Scheußlich schöne, abgerissene Gestalten im Tanzdunkel… Widerhall klickender Zähne, zerkaute Lippen und Gelächter. Die Nacht schien bevölkert mit unruhigen Gesichtern, die sich mit dem Vorbeiziehen der Stunden in süßlich aus den Hälsen und aus allen Poren qualmende, elektrisch brummende Bassmarionetten verwandelten… Mit ihren großklaffenden Augen, und schweißperlengeschmückt, bewegten sie sich wie aufgezogen durch den Raum. All diese seltsamen Figuren hielten Einzug in die Hitze meiner unheimlichen Stunden… Am Ende bleiben immer diejenigen, die zehntausend Mal über aufgebrochene Haine unzähliger Dancefloors gekrochen, gesprungen, geschmiert und getanzt waren, die Technoschall mit ihren Krallen, klebrig vom Staub zerkratzter Theken und nikotingefärbt, aus der Luft fingen… Und die Schritte… Rechts und links, immer wieder. Und man beobachtete, wie sich irgendwann, während all der Stunden mehrheitlich das Tempo anglich… Erlernte Gesten… Gesichter, die sich immer wieder zerbrachen, bei ihren nächtlichen Vorstellungen wilder Mundakrobatik und verkrampfter Mimik… Wie faserige, entstellte Heiligenbilder kamen sie von allen Seiten zuckend durch den Nebel gefahren… Ich sah Menschen, die Stoßfluten von Tequilas runterkippten und selbst schon so salzig und sauer waren, dass sie weder Salzsteuer noch Zitronen nötig hatten, sondern einander nur die bloße Haut lecken mussten, um den öligen Trunk genießbar zu machen. Manche von ihnen hatten es mit vierzehn oder fünfzehn irgendwie ins Stammheim geschafft, kurz bevor der Laden dichtmachte, und sich dort die ersten vergänglich glitzernden Ornamente in die Seele brennen lassen, deren matte Spuren sie wohl noch für ewig wie Trophäen mit sich herumtragen… Das zumindest für meine Generation. Wir waren zu jung für den Scheiß, als er so richtig losbrach… Ein Teil dieser Generation, war ich immer und war ich nie. Für andere gab es anderes zu tun. An etwas teilnehmen oder nicht. Und weiter hatte man keine bedeutenden Sorgen… Und dann… Später… Sah ich Leute, deren Schicksal es war, nach bis zur Unkenntlichkeit verquirlten Perioden von Hell und Dunkel, erledigt nach Hause zu kommen und ihre leeren Schubladen nach Tabak und Grasresten ausklopfen zu müssen, in dem Glauben, sich damit keuchend runterrauchen zu können… Typen die, wenn sie sich dann doch heimwärts begeben wollten, übermüdeten und dumpfen Taxifahrern alle Facetten der Welt zu erläutern versuchten, während der weißglühende Mittelstreifen unheimliche Tänze vor ihren Augen vollführte… Einsame Menschen, die in durchgeschwitzter Kleidung durch die erbärmlichste Kälte ungeliebter Außenwelten krochen und keinen Weg nach Hause fanden, da sie sich stundenlang verpeilt in die falsche Richtung schleppten, vom Dampf ihrer auskühlenden, versäuerten Muskeln umhüllt… Nur eine weitere Allegorie auf den Kampf um das Nichts, den Kampf mit der Allegorie auf das Nichts. Ein weiteres Abbild dessen, was ohne Abbild war… Selbst war ich nach und nach eine dieser abgelenkten und ungelenkten Seelen geworden, die gelegentlich in unbekannten Hinterhofkneipen fremder Städte abschmierten und wie toter Staub in schlaffen Sofas versanken, weil sie seit einigen Tagen wach waren und der Stoff dann endlich alle war… Und… So manches Klischee wurde schon erfüllt von denen, die sehr verstört irgendwo auf einer Parkbank aufwachten… Blöd, vertrocknet und umgeben von kichernden Mädchen, die sie mit kleinen Steinchen bewarfen… Solche, die ihre Stoßgebete ins märkische Mekka der Szene trugen… Und Geschlagene wurden, zwischen Kreuzberg und Friedrichshain, wo sie auf der Holzmarktstraße auf und ab gingen… Die Zwischen den Betonsäulen des Berghains von gebräunten Männern in grünen Sporthosen und Schuhen und weiter nichts auf der Haut um Feuer und vielleicht mehr angehauen wurden… Und kühne Phantasten, die sich in der Fleischeshölle eines Darkrooms austoben wollten, aber bald resigniert flüchten mussten, aus dem völligen Dunkel und die Stahltreppe zu ihrem verwachsenen Himmel zuerst hinab-, dann hinauf- und dann hinab- und weiter hinabstiegen, da sie ihren amphetamingeplagten Schwanz nicht mehr hoch bekamen und einsehen mussten, dass das nichts für sie war… Und so tanzten sie weiter, weil das ihre einzige Profession sein musste… Das einzige, was sie kannten, was sie wirklich wollten… Die Momente, da im Fingerzeig eine Welt auseinanderbrach und verging, wenn man einander ansah, getrennt und dann… Anständig nur durch die Härte der Intoxikation… Für zwei halbseidene, halbwirkliche und horrende Augenblicke, in Angst und Geringschätzung, glichen mir die Halberwachsenen und Nieerwachsenen, aus den Wohnsiedlungen, die nach der Befriedigung eines innigen Bedürfnisses suchten, meinten sie zumindest gegen Geld zu erhalten und die sich furchtbar verarscht vorkamen, in baufälligen Hurenhäusern, weil sie nicht mehr wussten wie kurz eine halbe Stunde sein konnte und mit schwindelnder Wut im Bauch unbefriedigt davonzogen… Streifte man durch die offiziellen Raucherräume, so konnte man in den finsteren Ecken, eilig sprechende Gruppen sehen, die mehr Lines wegrissen, als ihre abgebrühten Taxifahrer Kilometer schrubbten, solange, bis ihr hölzerner Mund mit Zähnen um sich warf, so dass sie sich, nach einem Blick in den Spiegel, mit Klingen, Pulver und Plastikröhrchen bewaffneten und sich nicht mehr aus dem Haus trauten… Hoffnungslose Phantasten, die in ihrem Leben bereits unzählige Male die Kontrolle verloren hatten, nur um des Kontrollverlustes willen… Staubige Epiphanien, hervorgerufen durch Mästungen des Egos… Und sich hinterher, wie gebrauchte Taschentücher, in den schmutzigen Ecken eines Zimmers zusammenknüllten… Wie gebrauchte Pariser, wie ein zerfallendes Wunschdenken, wie ertränkt von der letzten Flut… Mittendrin immer noch ich, der sich vom Schallwellensturm unverschämt großer Lautsprecher die ölige Haut föhnen ließ, angefüllt und ein weiteres Mal mobil gemacht von fast vergessenen, unheilsamen Kontakten mit rothaarigen oder schwarzhaarigen, notfalls auch noch brünetten Mädchen oder gar blonden… Wie ich sie mir wünschte und wie ich sie sah… Himmel, nein! Wer war ich, wer bin ich, zu wählen?… Und deren vergessene Gesichter, vielleicht noch Augen, schwebend in der Amnesieleere, während sie sich mit klammernden Zigarettenspitzen die unküssbaren Lippen aus dem Gesicht rissen… Und dann… Hätte man tausend religiöse Regentage mit Fremden in nackten, staubigen Wohnungen verbringen können, bleich und weich wie ertrunkene Würmer, aneinander vorbei schielend, solange bis der Himmel des Weinens darüber müde wurde… Und warum das alles?… Einzig, um jene tausend bohrenden Fragen zu verdrängen, auf die es keine logischen Antworten gibt… Und man stand in einem leeren Raum, schwindelnd und lichtscheu und ertappte sich, wie man Gesichter abschätzte, die keinen Inhalt zu haben schienen, außer einen des von der eigenen Paranoia hineinprojizierten Wissens um die Paranoia… Die Überlegenen… Die Überlegenden… Die Überlebenden… Die Überlebten… Und die anderen, die nicht stillstanden, immer nur im Vorbeihuschen wahrgenommen werden konnten, da sie sich selbst in einem Zustand des überreizten Fliehens befanden… Wieder andere, denen es geradezu auf den Leib geschrieben stand, dass sie einmal unverbrauchte, begeisterte Partygänger gewesen waren, aufbrausend und entzückt von den Eindrücken der ersten wilden Stunden im repetiven Stammestanz, mitten im Altbaudschungel der Großstadt und die darum ihr ganzes Leben in diesem mütterlichen Zwielichtstrudel verbringen würden, sich von Wasser und spröden, bunten Diamanten und der Musik ernähren wollten, während sie im beengten Raum dazwischen nach ein bisschen Liebe suchten… Ein solcher, der sich bald auf einem zerfahrenen Sofa in einer Überdosis Extasyschweiß und Liquid und Ende aufzulösen drohte, dabei umgeben von entsetzten Freunden… Und er schimpfte seinen Vater einen blöden Arschficker, weil dieser ihn ins Krankenhaus bringen wollte… Geschichten aus dem Mittendrin… Mittendrin immer noch ich…. Und wie wunderbar schienen einst die, die für schwirrende Unruhe sorgten, wenn sie um mich herum tobten… Wie unausstehlich wurden sie zugleich… Die Jungs und Mädels, welche vor lauter Freude ihre Uhren zerschlugen, während sie die Erweiterung dieser einen gewaltigen Anomalie, dieser unaussprechlichen Geschwulst im gnadenlosen Gewebe der Zeit spürten, sich jedoch hinterher immer wiederfanden, Auge in Auge mit ihren ungenießbaren Pflichten… Die so manches Mal auf die zerfurchten Knie gefallen waren, vor dem ergreifenden Tiefsinn ihrer Erkenntnisse und Ideen… Das alles, obwohl sich unterdessen schon dunkle Stunden bereitmachten, ihnen das Herz zu zerreißen und ihnen ins Gesicht zu bellen, dass alles nur ein großer Haufen Scheiße gewesen war… Welcher… Welcher den Fliegen den Weg zu den Windungen ihrer Hirne wies… Ohne Umwege und… Einige von ihnen waren Künstler und Künstlerinnen, die sich rühmten und sich abmühten mit großer Kunst, die pathetischen Abklatsch wie diesen zusammensponnen… Zeug, das sie in eselsohrige Notizbücher kritzelten und ihren Verbundenen bei Gelegenheit zur Verschwörung vorlasen… Oder die malten und musizierten und vielleicht irgendwann erkennen mussten, dass ihr größtes Leid und pathetischstes Kunstwerk ihr eigenes und einziges Leben war, dass sie von nicht genug anderen als geschätzt wahrgenommen haben konnten, und darum nicht aufhörten zu glauben, dass das Leben die Kunst weitaus mehr nachahmte, als die Kunst das Leben… Frei nach Oscar Wilde… Die ebenso stundenlang bei Musik in ihren Zimmern lagen und an die Decke starrten, bis Staub aus dem sich wölbenden Putz rieselte, sodass sie hustend und mit tränenden Augen zum Wasserhahn rennen mussten… Die sich auf Trip von der Polizeiwache abholen lassen mussten… Und die sich den Arsch aufrissen und aufreißen lassen mussten, um wie all die verlorenen Generationen vor ihnen, für ihr gemietetes Dasein aufkommen zu können und froh waren, wenn noch etwas Zerstreuung für sie übrig blieb… Und zum Schluss ein abgemagertes Wesen, das Fleisch der knochigen Oberarme gerippt von zahllosen Einschnitten… Das Hirn zermartert von Asphaltinjektionen… Verstoßene, monochrome Augen, die irr in einer Totenmaske rotierten… Immer schon produzierte die Gesellschaft Existenzen, die nicht lebensfähig waren, innerhalb ihrer eingezäunten Auen und ummauerten Gärten… Und giftiges Fallobst und Scheinwelten… Leere Versprechungen… Drei Schritte. Zwei Schritte. Ein Schritt.

Ich merkte, wie das löchrige Rettungsboot, in dem ich bisher mehr oder weniger nur vage daher geschaukelt wurde, sich langsam aber bis zum völligen Unvorhandensein auflöste… Von Bord gegangen… Vom Bord eines sinkenden Narrenschiffes, jedoch noch immer in den Fluten treibend… Es war an der Zeit, den hereinflutenden Taumel zu genießen, ohne den ich mir zumeist viel zu verloren dort drinnen vorkam… Entaktogener Schwindel… Schwindel… Schon bald befand ich mich auf dem Kamm einer Welle… Und ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, die vor meinen umherirrenden Blicken langsamer und schwerer wurde… Spürte, dass es nur noch einen geringen Moment brauchen würde, bis ich mich von den Fluten ins Ungewisse tragen ließe… Solange, bis die Welle brechen und langsam abebben, bis das Wasser versickern würde… Oder mich hinaustreiben und verschlucken.

Solange die Zeit, solange der Raum, die Körper, der Schwindel, vor meinem geistigen Auge zappelten, wie der Leib eines gepfählten Schweins im Kampf mit dem Tod, vergaß ich mich wie ich es mir schon seit langer Zeit nicht mehr für möglich vorgestellt hatte und machte meine Schritte, so ruhig und befangen, wie es mir zu eigen geworden ist, inmitten des Getümmels… Links, Rechts und dann irgendwie so weiter… Für einige Augenblicke konnte ich mir vorstellen, ich würde sterben. Aber nicht am Tod, denn am Tod stirbt man bekanntlich nicht. Man stirbt an Langeweile und Gleichgültigkeit… An einem Risus Sardonicus der Seele… Diesen Ungefühlen, die mich so oft direkt zum Zynismus führten.

Leider merkt man immer erst, dass man besser allein sein sollte, wenn es bereits zu spät ist… Es ließ sich auch nicht zurückverfolgen, wie ich hineingeraten war… Eine Erinnerung auszuheben, wenn man nichts und niemanden hat, kann eine große Anstrengung bedeuten… Was taugt eine solche Ausgrabung, täte man sie allein?… Waren wir acht oder zehn Leute in der weitläufigen, aber nach oben hin gedrungenen Dachwohnung?… Es war nicht genau auszumachen, denn immer wieder gingen welche zum Ficken oder Stoff holen raus. Einige verschwanden ganz und andere kamen hinzu. Die Gespräche verliefen nicht viel anders, als ich es auf derartigen Veranstaltungen schon oft genug erlebt hatte… Vielleicht etwas prätentiöser und besser geordnet… Musste da irgendwie hereingerutscht sein, mit zwei Leuten, die ich flüchtig kannte, die aber nach Augenblicken schon wieder verschwunden waren. Kaum angekommen, wurde es offensichtlich… Die hatten vor einer Weile erst angefangen, daher gelang es ihnen, halbwegs zusammenhängende Sätze über die Lippen zu bringen. Gleichwohl blieb es süffisantes, groß tönendes Geschwätz von Leuten, die sich für zwei oder drei Wochenenden miteinander arrangiert hatten. Stammtischgelaber und Halbwissen… Zuerst angeregt, dann beinah feindlich, zum Schluss nur noch nervtötend. Und dabei so bemüht… Und jeder hatte Recht und keiner hatte Recht, nichts konnte bewiesen werden, alles drehte sich schwindelnd im Kreis… Vorsichtshalber nahm ich mit meiner inneren Stimme vorlieb. Die hatte ihre Ordnung behalten. Die Zähne beschäftigt, malträtierten ein bisschen das Kaugummi… Und ich folgte deren Reden, und wie sie sich antörnten. Irgendjemand fing dann vom Zustand der Menschheit an… Hatte sich wohl umgesehen und gedacht, es wäre an der Zeit für eine Bestandsaufnahme. Dann beugte sich ein anderer vor und damit ging es ungefähr so weiter… Die erste Revolution wäre die Domestizierung des Feuers gewesen. Dieses gebändigte Feuer habe die Nacht verbannt… Sie ausgetrieben… Die Menschheit habe aus kleinen, verschworenen Gemeinschaften bestanden, an der Schwelle zu dem, was man später einmal Zivilisation nennen würde… Beim blutenden Arschloch, dachte ich… Ist das dein Ernst? Willst du jetzt etwa einen Vortrag beginnen? Auf diese Weise? Gleich mit der Menschheit in der Wiege beginnen?… Ich war kaum gespannt wohin die Reise gehen mochte… »Wir waren so wenige«, fuhr er fort… »Dass wir versuchen mussten, zwecks des Erhalts unserer Art, so etwas wie Helden zu sein…«

Mehrere Unterhaltungen fanden gleichzeitig statt und während ich mir von dem bröseligen Tabak, der auf dem Tisch auslag, eine Zigarette drehte, dachte ich, dass wenn man überhaupt von Helden sprechen konnte, es sich nur um lächerliche, angstgeplagte Helden handeln konnte, deren offen ausgelebte Hässlichkeit und Selbstsucht immer wieder zum Vorschein kam… Unvermeidlich, unwiderlegbar… Angst als natürliche Eigenschaft und Triebwerk aller sogenannten Heldentaten… Die Angst ein Nichts zu sein… Und daneben ein paar Helden für die Schublade… Fast schon eine Verbeugung wert… Ich hielt meinen Mund und zündete mir die Zigarette an… Ich war geduldet… Ich war geduldig… Vielleicht nicht mehr für lange.

Die Gefahr wäre der Menschheit ständiger Begleiter auf dem langen Weg in eine andere Welt gewesen. Eine Welt, die man über die Jahrtausende hinweg geformt und verändert habe. Zuerst langsam, dann immer schneller und schneller, habe der Mensch versucht, diese Welt zu seinem Wohl zu formen. Doch viele seien dabei auf der Strecke geblieben. Nach dem Feuer, der Erde und dem Stein folgten Bronze, Stahl und andere anorganische Heilsbringer… Ständig begleitete uns der Tod und von Anfang an trieben wir abwärts in dem Strudel, den wir selbst losgetreten hätten, immer schneller und tiefer hinab. Und man sehe nur wo wir jetzt angekommen wären… Aus dem Stahl seien Maschinen entstanden, erdacht vom menschlichen Verstand, der, wohl doch ganz ähnlich den Maschinen, nicht immer sauber funktioniere. Es wären widernatürliche Mechanismen entstanden und ein gewaltiges System sei errichtet worden, so riesig und verzweigt, dunkel und unverständlich, dass es nun niemand mehr gänzlich begreifen könne. Man sei nur noch in der Lage dazu, einen kleinen Teil des gesamten Gebildes zu sehen und vielleicht zu verstehen… Die Welt, die die Menschheit geprägt habe, sei ein grausamer Ort geworden… »Ein elektrisch schwelendes Ungetüm«, nannte er es und fügte etwas von Artensterben, Klimawandel und Rohstoffkriegen hinzu… Wir hätten angefangen, mit dem Feuer zu spielen, hätten jedoch bald die Regeln des Spiels vergessen. Und so sei es gekommen, dass aus dem Spiel tödlicher Ernst wurde und wir anfingen, uns Gegenseitig und uns selbst zu bekämpfen.

Sobald der Eine kurz verstummte, meldete sich der Nächste zu Wort und platzte endlich mit seinem hochheiligen Gedankengut heraus, welches der ununterbrochene Redefluss des Anderen bis dahin noch zurückgedrängt hatte. Die Person wagte den Versuch, eine alternative Weltsicht anzubieten… »Ihr seit alle so negativ«, begann sie… Der Mensch habe doch atemberaubende Dinge vollbracht… Und wurde sofort vom nächsten Redner unterbrochen, der geschickt konterte… »In der Tat! Atemberaubend, so atemberaubend, dass man glatt ersticken möchte…« Er winkte ab und bemühte sich um den Ausdruck seiner eigenen Weltveranschaulichung, sprach immer aufgeregter und sah dabei aus wie einer der zu schnell und zu verbissen wichste… So wie es debattierende oder in leeren Phrasen eruierende Leute häufig zu tun pflegen… Oder was auch immer sie zu tun glaubten, mit ihren Lippen… Wie lange konnte ich es noch erdulden… Das Gelaber von wegen… Vielleicht sei die Ursache dafür in den Strukturen der Gesellschaft zu suchen. Vielleicht seien einige von uns blind geworden, weil sie zu lange nur in den trügerischen Schein des flackernden Lichts ihrer Fernseher geschaut hätten. Vielleicht liege es daran, dass viele von uns Taub geworden seien, weil sie zu lange knisternden Versprechungen gelauscht hätten. Vielleicht liege es daran, dass viele von uns stumm geworden seien, weil sie zu lange den giftigen Rauch geatmet haben müssen. Vielleicht liege es daran, dass vielen von uns schlecht geworden sei, von dem verkohlten Fleisch, dass sie gefüttert bekämen… Und sicher hätten zu viele von uns vergessen, was es heiße, teilen zu müssen… Auf dem Sofa wurde gerade ein Rest Amphetamin auf einem Spiegel ausgebreitet und jemand rief dem Redenden in seine aufdringliche Akkumulation hinein… »Red keinen Scheiß! Hier bei uns wird noch brüderlich geteilt!« Einen Augenblick lang fragte ich mich, für wie lange diese brüderliche Nächstenliebe noch vorhalten würde… Sie zerfallen zu sehen… Dem galt meine letzte und beschränkte Hoffnung.

Wir wären doch auch Teil dieser Welt, gemahnte einer… Teil was für einer Welt, fragte ich mich… Einer ständig repetierenden und sich im Kreis drehenden Welt… »Einer Welt, in der wir scheinbar alles im Überfluss haben«, fuhr der Unbekannte fort… Deren Schein ist nur so lange noch schön wäre, wie er trügerisch sei. Überall würde Zusammenarbeit und Teamgeist propagiert. Doch alle Entscheidungen würden von einer Elite getroffen und alle anderen hätten darunter zu leiden… Er sprach wie mit der empörten Stimme eines eingebildeten Prekariats in seinen sauberen und neuen Klamotten und in dieser großen Wohnung… Wie man noch wagen könne, sich aus diesem System zu befreien, fragte er. Man möge die Welt und sich selbst von allem frei machen, was zu viel sei. Der Mensch wäre schon von Anbeginn Jäger und Sammler. Doch was solle man noch sammeln, wenn die Auswahl zu groß und nichts etwas wert sei? Wonach solle man jagen, wenn einem das Jagen verwehrt, und die Urteilskraft genommen sei? Ohne jeglichen Sinn versuche man trotz alldem, immer weiter heranzuschaffen, zu Bunkern und zu besitzen… Jetzt fand er sogar noch eine uninspirierte Überleitung zur Konsumkritik… Ich staunte nicht sehr darüber, hörte aber weiter zu, ließ es über mich ergehen… »Wir sind die größten Raffkes geworden, wollen immer mehr und mehr, mehr als der andere, besser sein, besser aussehen, mehr besitzen, mehr ficken, mehr fressen, mehr scheißen, mehr saufen, mehr pissen, mehr kotzen, mehr sterben, mehr bluten, mehr Macht haben, mehr Ansehen, mehr Bequemlichkeit, mehr Freunde, die gar nicht unsere Freunde sind, mehr Luxus, aber mehr günstig, mehr Unterhaltung, mehr Dinge, die keiner braucht, mehr Ressourcen, mehr Arbeit, mehr Geld, mehr und größere Häuser, größeren Grundbesitz, mehr, mehr, mehr…« Die Person sprach ohne Luft zu holen… Ich schielte herüber und erwartete ein sich blau verfärbendes Gesicht, doch stattdessen hielt es seine Blässe und die Lippen machten weiter… »Mehr, bis es nichts mehr gibt, bis auf den Tod, dabei haben wir gar nicht gemerkt, dass wir uns selbst in Ketten gelegt haben, uns eingemauert haben, so dass wir nicht mehr fliehen können, wenn alles über uns zusammenbricht, die ganze Gesellschaft ist auf Kapital und Konsum gestützt…« Wow, ein richtiger Blitzmerker, diese Person… »Wir kaufen ständig neue Sachen, weil die, die wir schon besitzen im Handumdrehen entweder veraltet oder defekt sind, der Markt will es so, es entstehen Müllberge, Ausschuss, Gifte die hätten vermieden werden können, würden wir nicht glauben, oder viel mehr dazu gezwungen werden, ständig wegzuwerfen und wieder neu zu kaufen, es ist nichts anderes als Scheiße fressen, wir fressen Scheiße, weil wir nichts anderes kennen und wir werden so lange weiter diese Scheiße fressen, wie wir es noch können.«

Ich überlegte kurz, ob ich vielleicht Beifall klatschen sollte, doch da fing schon wieder der nächste an… »Du hat völlig recht. Das System ist krank…« Im Kern schon verrottet sei es. Zu Milliarden wuchern Geschwüre über den Planeten. Ein Virus breite sich aus, so tödlich und verschlingend wie das HI-Virus… Ich hätte ihm beipflichten können… Die Menschheit ist ein Geschwür… Man hätte es simpel und getrost dabei belassen können, doch er hörte mit dem Sabbeln nicht auf… Es sei die Gier-Krankheit, die uns alle auffressen würde. Das sei sicher die größte Pandemie der Menschheitsgeschichte… Ganz sicher, Herr Doktor, dachte ich… Da rief einer dazwischen… »Wir sind auch krank! Nutzt die Krankheit als Waffe Leute!…« Große Verwunderung in der Runde… »Wie denn das?…« Unschlüssigkeit im Gesicht des Zwischenrufers… Kurzes Überlegen… »Infiziere die Starken, Mann. Du musst die Starken kaputt machen…« Na, klar… Mentale Kriegsführung… Was nur keiner von diesen Genies bedachte, war das Problem, dass die Starken wie Kakerlaken waren… Diese ewigen Pisser waren von jeher mit einer unerschöpflichen und aus purer Arroganz herrührenden Widerstandsfähigkeit gerüstet. Da konnte man sich noch so sehr anstrengen. Man kann sie nicht mit der eigenen Krankheit infizieren. Die husten einmal kurz aus und lachen darüber… Eben darum schaffen sie es nach oben. Beneidenswert… Hahaha!… Totes Gelächter klang in mich hinein.

Neben mir stellte jemand die Bong fort und unterdrückte seinen aufkommenden Husten… Der mit der Krankheit fuhr fort, hatte sich jedoch jemandem zugewendet, der besser darin war vorzugeben, dass er ihm zuhörte… Denn nebenher war man zu einem anderen, allseits beliebten Gesprächsthema übergegangen… Drogen… Zum Glück waren noch welche da… Ich zwang mich den empörten und verallgemeinernden Philosophen wieder zuzuhören… »Wir betreiben den Exzess als Ökonomie«, meinte der… Es sei eine Krankheit die sich durch alle Bevölkerungsschichten zöge und am häufigsten die Menschen betreffe, die in der Wohlstandsgesellschaft, den sich nun im Wandel befindlichen, einstigen Industrienationen leben… Eine Krankheit, die für Zerfall auf allen Ebenen verantwortlich sei. Die größten Lügner versklaven die Massen, damit es ihnen noch eine Weile gut gehe. Doch mit Gier und ökonomischem Exzess sei es noch nicht genug. Es komme noch der Neid hinzu, von dem man durchdrungen sei, zu dem man erzogen würde. Der Neid auf andere, der daraus resultiere, dass andere mehr hätten als man selbst, dass es diesen Leuten vermeintlich besser ergehe, als einem selbst und, dass es immer jemandem gebe, der mehr Scheiße fressen könne, als man selbst. Doch das sei ein wahrhaft dummer Irrglaube, denn wer viel habe, könne auch viel verlieren. Wenn man zu viel habe, könne man sich nicht schnell genug davon befreien und man würde von all dem Überfluss, von all dem angesammelten und gerafften Ballast in den Abgrund gezogen werden… Die Wohnung war reich und gut ausgestattet. Aber was wusste ich schon, der ich mich Zeit meines Lebens in immer anspruchslosere Verhältnisse zurückgezogen hatte… »So wie es unserer sicheren, modernen Gesellschaft passieren könnte«, fuhr er fort… »Sollten sich irgendwann einmal extreme Umstände einstellen…« Gott wie gerne würde ich diese von Menschenfleisch zehrende Scheinwelt doch manchmal verenden sehen, dachte ich… Doch worin bestünden dann die Alternativen?… Bald darauf nahm derjenige, der es auch begonnen hatte, das erleuchtende Gespräch wieder auf… Er knüpfte mit eigenen Worten an den Gedanken seines Vorredners an… Es hatte etwas von gegenseitiger Indoktrination… Ob sie es bemerkten?

Als wir noch Jäger und Sammler gewesen wären, hätten wir im Fall einer Naturkatastrophe schnell alles hinter uns lassen können, weiterziehen und anderswo von vorne anfangen. Wir wären nicht so abhängig gewesen wie Heute… »Abhängig vom Strom, von Telefon und Mobilfunk, von Häusern und Straßen, Supermärkten, Internet, von der gesamten Infrastruktur und all den ganzen Dingen und Bequemlichkeiten, die der Fortschritt mit sich bringt…« Es gäbe aber genug kastrierte Philosophen, welche tatsächlich glauben würden, das Zeitalter des Menschen sei nicht mehr zu beenden. Es sei ein Zeitalter der vielen Möglichkeiten aber auch mit genau so vielen Einschränkungen, wo jeder alles sähe, wo sich jeder Schritt im Leben eines Menschen verfolgen ließe, wenn jemand das nur wolle, wo jede Aktion, jedes Vorhaben erst einmal von Behörden in mehrfacher Ausführung abgesegnet werden müsse, so dass es keine Möglichkeit mehr zum Ausbruch gebe… Wir sprächen immer davon, dass wir nur versuchen würden, uns alles leichter zu machen, machten aber alles komplizierter… Gier, Machtwille, Neid und Hass seien es, die die Menschen zu den größten und perversesten Verbrechen getrieben hätten… Bla, bla, dachte ich. Volkssport verbale Agitation. Man traut sich wieder was. Früher einmal, da hätte ich vielleicht sogar lautstark mitgemacht… In der richtigen Stimmung… Na, jeder ist mal jung und blöd vor Begeisterungsfähigkeit… Aber hey… Direkt neben mir, am Ende des Sofas stand eine Kiste Bier. Ich holte eine Hülse daraus hervor, öffnete sie und leerte sie zur Hälfte… Immerhin… Vor mir noch eine Nase Schnelles. Wusste nicht, ob von mir oder von denen… Schnupf… Ah, gut… Und die Technologisierung treibe alles mit exponentieller Geschwindigkeit voran. Und das solle der Motor unser wunderbaren, funktionierenden und brüderlichen Gesellschaft sein? Natürlich gäbe es da noch etwas anderes. Einen kleinen Funken soziale Gerechtigkeit, Bildung, Redefreiheit, das Recht auf freie Wahlen und politisches Engagement, das Recht, sich zu informieren… Die Qualität der meisten Medien an dieser Stelle mal außen vor… Und das Recht, überhaupt an so einem tollen, funktionierenden System teilhaben zu dürfen, eben nur gerade so groß, dass das eingelullte und im Dunkel gelassene Volk nicht vor Missmut und Verzweiflung auf die Straßen gehe und Ämter und Parlamente abfackele. Das habe die Führung immerhin mittlerweile gelernt… Jedenfalls, gerade groß genug sei dieser Funken, um uns bei Laune zu halten. Alles andere wäre ja ein Geschenk und ließe sich nicht mit der Habsucht der Herrschenden vereinbaren.

Mir versuchte sich die Zwischenfrage aufzudrängen, ob es nicht so wäre, dass man zuerst einmal am Zeitgeist teilhaben müsse, bevor man diesen verfluchen oder lobpreisen könne… Ob es nicht toll wäre, wenn man den vorherrschenden Zeitgeist und dessen Plagen plötzlich in sich selbst entdecken würde… Seltsam, dass Leute, die halbwegs bequem innerhalb eines Systems lebten, sich zum Gegenpol dieses Systems hochstilisierten… Doch das Gespräch rauschte nur so an mir vorbei und Einmischung wäre sicher nicht zielführend gewesen… Wenn alle eine Meinung hatten, war es wohl besser, selbst keine zu haben. Sie würden wohl noch eine ganze Weile so weiter machen… Jemand fing von der Korruption der Pharmaindustrie an, ein anderer klagte die nicht vorhandene Souveränität des deutschen Staates ein und wie man noch immer von den Amerikanern okkupiert sei, wie halb Europa unter deren neoimperialistischen Schirmherrschaft stünde. Themen wurden angeschnitten und starben ab… Ihre Stimmen würden mir eine Kreißsäge im Kopf bleiben… Irgendwer sprach von Eigennützigkeit.

»Aber ist dieser Eigennutz nicht ein menschlicher Wesenszug, der schon immer besteht? Haben wir nicht zuerst gelernt wie man die Hände aufhält und erst danach wie man danke oder bitte sagt? Ging es nicht schon immer ums nackte Überleben, koste es was es wolle? Und ist daraus unsere heutige Welt, ja unsere Gesamtsituation entstanden?…« Er aber möge glauben, dass der Mensch ein soziales Wesen sei, das Gefühle und Empathie empfinden könne, werde aber leider allzu oft vom Gegenteil überzeugt… »So wie der ewige Konkurrenzkampf, der Kampf um die bessere Stelle, mehr Geld oder überhaupt eine Stellung und ein bisschen Geld die Leute davon überzeugt, dass überall Feinde sind, dass jeder andere der Nagel im eigenen Sarg sein könnte. Wir leben in einer Leistungsorientierten Gesellschaft. Wir müssen alle unsere Leistungen bringen, haben aber bald selbst nur das nötigste Maß an Gegenleistungen zu erwarten. Wir müssen unsere Pflichten erfüllen und für unsere Rechte müssen wir erbittert und bis aufs Blut kämpfen. Für jedes einzelne… Jeder einzelne…«

Ja, ja… Friede den Hütten, Krieg den Palästen und der ganze Scheiß… Und am Ende haben sie dich doch wieder bei den Eiern, spalten dir das Arschloch und lassen dich bluten… Dann eben Marsch durch die Institutionen. Moderner Ansatz. Schön zivilisiert und ganz ohne Guerilla. Noble Ziele und noch um ein Vielfaches noblere Herangehensweise. Zu dumm nur, dass die Institutionen die Fähigkeiten der Amöben besitzen, Fremdorganismen zu assimilieren… Phagocytose… Und weg sind die noblen Ideale… Also tat ich nichts anderes als dasitzen und zuhören… Aber dann wurde es ständig anstrengender… Vielleicht ansteckend…. Vorsicht! Keine Chance, dass diese Spinner endlich aufhören würden… Ich fühlte mich indigniert. Sie saßen herum und verpesteten die Luft mit angestrengtem Denken und zwanghaften Beurteilungen… Versuchten ganz offensichtlich den Instinkt mit Logik auszutreiben. Und ich mittendrin… Haha! Mein domestizierter Instinkt sagte… Das alles hat keinen Zweck!… Nie hätte man diesen Leuten klarmachen können, dass Selbstmord sich wesentlich einfacher gestaltet, als jede Revolution… Oder auch nur das Gerede davon und das unvermeidliche Gemecker drumherum… Wesentlich konsequenter wäre er ohnehin… Das Obszöne an der ganzen Szene war, dass ein Großteil dieser Leute, die hier zusammen saßen und untereinander zwar intime, aber auch drogenbefeuerte Gedanken und Überzeugungen preisgaben, sich, wenn sie sich irgendwann einmal wieder nüchtern über den Weg laufen würden, gegenseitig nicht mehr erkennen oder zumindest so verhalten würden, als kännten sie sich nicht… Aber bei einer Sache hatten sie hoffentlich recht… Die ganze gottverdammte Menschheit ist krank… Genauer… Suchtkrank! Mehr psychisch denn physisch, dennoch, eine erkrankte Spezies… Erkrankt am Zeitgeist. Zeitgeisteskrank!… Ein pfeifendes, bis über den Kopf im eigenen Hirnsaft kochendes Wrack, mitsamt hypochondrischen Wutanfällen, gewollten Manien, Spasmen und Lähmungen. Keiner kann sagen wie lange sie es noch machen wird oder, ob sie sich mit einem kolossalen Taschenspielertrick noch retten kann… Explosion! Rauch! Verschwinden! Sicherheit… Haha! Letzteres scheint mir mehr denn unwahrscheinlich… Wer braucht sich schon von den Qualen des Entzugs zermürben lassen, wenn noch genug Stoff in Reichweite ist… Was hätte ich wohl vor Freude geweint, wenn die Menschheit in jenem Moment einfach verpufft wäre… Verschwunden… Was würde ich für ein dankbares, einsames Leben führen, mich von Konserven ernähren und durch Ruinen streifen… Wie wunderbar… Wie naiv. Wahrscheinlich wäre ich innerhalb eines Monats verhungert oder erfroren. Haha!… Ich bin übrigens genauso krank… Und das ist beinahe auch zum Lachen… Ich leide am Risus Sardonicus der Seele. Ich lache über alles, aber es ist selten ein gerührtes Lachen, selten ein echtes… Vielleicht nie!… Wie so viele verordne ich mir selbst meine Medizin, die zugleich ein Symptom der Erkrankung ist, von der ich nicht mehr genau weiß, aufgrund welcher primären oder sekundären Einwirkungen sie hervorgerufen wurde… Und wann es begonnen hat… Meine Medikation fand ich in allen möglichen Formen dieser halbgaren Exzesse. Aber deren Wirkung berührt mich kaum mehr. Eine ausschreitende Toleranz habe ich entwickelt, die mich von allem abschneidet… Und die Fragen bleiben. Wie bin ich überhaupt so krank geworden? Warum habe ich mich angesteckt? Und wo sollte man anfangen?… Wo soll man anfangen? Scheiße! Diese dummen, selbstverlorenen Vorstellungen… Der erste Indikator für ein drohendes Runterkommen.

Dass ich damit anfangen sollte, endlich die Wohnung zu verlassen, dachte ich also… Denke ich noch immer… Ich bin einfach zu lange hier gewesen… Seit dem Besuch der eigentlichen Party ist wieder ein Tag verstrichen… Irgendwann dazwischen bin ich hier hereingeraten… Irgendwie läuft hier eine Endlosschleife… Irgendwo fehlt mir ein Stück… Und das ist schon lange nichts Neues mehr… Die Sonne wird bald aufgehen… Und das ist schon seit Äonen nichts Neues… Und ich bin viel zu kaputt, als dass ich in der Lage dazu wäre, mir einzureden, dass alles in Ordnung sei… Ich will keinem mehr in die trüben Augen sehen oder auf die, so als hätte all das Gerede sie verätzt, grindig und aufgesprungen gewordenen Lippen und muss mich verabschieden. Mein Herz beginnt fürchterlich zu klopfen, denn ich merke, dass die Gastgeberin aufsteht… Irritiert sieht sie über den verkrusteten Tisch und wischt nervös ihre schweißstehenden Hände an der Jeans ab und nervös brüstet sie sich, um mir eine zaghafte Umarmung zu geben… Ich komme mal wieder runter… Unvermeidlich, trotz des Konsums… Ebenso hastig wie sie, bringe ich es hinter mich und presse dabei den, in diesem Moment geradezu unmöglichen, Wunsch nach baldiger Wiederholung des Ganzen aus den spröden Lippen… Und bin einer, der in die Situation geraten ist, jemanden belügen zu müssen, der bereits um die Wahrheit weiß. Alle sehen es mir an. Es wird unheimlich still für den Moment, in dem die allgemeine Wahrnehmung allein mir gilt… Und eigentlich weiß ich schon, dass ich es nach einer kurzen Zeit der Ruhe doch wieder tun werde… Oder nicht?… Sicher nicht mit diesen Anfängern… Ich brauche viel kaputteres Spielzeug, um mich zu unterhalten… Vielleicht gibt es ein solches nur in mir selbst.

Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen habe, kümmert es keinen mehr. Endlich das Treppenhaus hinabgestiegen und vor die Tür getreten, erinnere ich mich nicht mehr, in welchem Teil der Stadt ich mich genau befinde… Alles was ich weiß ist, dass es Sommer ist… Mein Eindruck… Ein anderer… Unheimlich kalt… Und dass es im Leben von äußerster Wichtigkeit sein kann, sich zu erinnern… Sonst vergisst man ständig wer man ist… Wer man sein sollte… Und fängt an alles für voll zu nehmen, oder über alles herzuziehen. Muss die geordnete Stimme meiner Jugend wiederfinden… Auf einer kleinen Wanderung könnte sie mir doch über den Weg laufen… Erinnern ist eine verrücktere und gewagtere Aktivität als das Vergessen… Wie dem auch sei… Habe ich denn wirklich so viel falsch gemacht?

Lowlife

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