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»Arbeit macht frei!«

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deutsche Volksweisheit

Über ein paar Monate nach meinem Schulabschluss, lebte ich in meiner eigenen Zeitrechnung. Ich hatte den ganzen Sommer für mich allein, und jeder Tag schien ein Samstag zu sein. Im Gegensatz zu den meisten meiner Schulkameraden, mit denen ich mich herumtrieb, hatte ich keinen Ausbildungsplatz gefunden… Die Widrigkeiten des Regelprozesses… Nachdem ich bei dem Aufnahmetest an einer Fachoberschule, bei der ich mich halbherzig beworben hatte, durch das Raster gefallen war, erschien das Vorantreiben meiner schulischen Laufbahn auch nicht weiter sinnvoll… Ich hatte kein Geld, keinen Job und keinen Plan was ich aus mir machen sollte, nur viele, kostspielige, und darum unerfüllbare Interessen und schrecklich viel Zeit, die bis zum nächsten Treffen mit meinen Freunden totgeschlagen werden musste… Waren die unter der Woche eingespannt, so blieb mir der Müßiggang… Das Warten darauf, dass etwas geschehen würde. Häufig ging ich abends auf ausgedehnte Spaziergänge, raus ins Feld oder in die Nachbarschaft, besorgte mir im Vorneherein billige Zigaretten oder stahl gelegentlich eine Schachtel aus den Läden. So fing ich aus purer Langeweile mit dem Rauchen an. Meine ersten paar Joints hatte ich mit einem Slacker aus der Schule getestet… In der schier ewig zurückliegenden Vorsommerzeit, an deren Zenit die Prüfungen wie langsam aufbauende Kumuluswolken aufkreuzten… Konnte mich dabei aber kaum für die Wirkung des krautigen Zeugs begeistern… Doch ich kam darauf zurück, gab der Sache eine zweite Chance… Es half gegen die Langeweile an den Wochenenden, mit Freunden ein bisschen Gras zu rauchen… Und im selben Zug, noch die gängigsten Klischees zu erfüllen… Ich fand Gefallen an dem mich Treibenlassen. Zugleich sah meine Erziehung aber vor, dass dieser Zustand nur vorübergehend sein könne… Ich habe den Übergang verschnarcht und müsse baldigst aufholen… Da stellten sich unterschwellige Gewissensbisse ein und trieben dazu an, mich ohne jeglichen Erfolg auf einen Ausbildungsplatz, durch verschiedene Praktika zu schwindeln… Ich versuchte es zunächst als Steinmetz, aber bekam sehr schnell zu spüren, wie tot die Branche in meiner Umgebung war und welche hochgestochenen, mehr als befremdlichen Ansprüche an die potenziellen Azubis gestellt wurden… Und was sich mir dagegen an Erfolgen in Aussicht stellte, war höchstens kläglich und schien nicht der Mühen wert zu sein… Vielleicht nistete sich bereits in dieser Zeit zaghaft der Gedanke bei mir ein, dass jedes Streben nach etwas auch nur geringfügig Größerem oder vermeintlich Höherem Anstrengungen kostete, die ich vielleicht zwar in der Lage sein würde zu bewältigen, letztendlich aber doch nie die ersehnte Freiheit daraus erwuchs, und ließ sich dort, über die ganze Zeit des Erwachsenwerdens hinweg, ausbrüten. Vielleicht erwartete ich auch einfach zu viel vom Leben… Das war es was ich mir später häufig einredete… Ich legte noch bescheidene Hoffnungen in die Welt und die Menschen, die sie bevölkerten… Möglicherweise hatte ich eine vage Vorstellung von der Bedeutung des Leistungsprinzips… Wusste aber nicht wie ich ich damit umgehen sollte. So wie ein junger Bursche beim ersten Mal, insgeheim hoffend, dass ich es schon gut machen würde.

Die Umstände machten eine Korrespondenz mit dem Arbeitsamt nötig. Einhergehend kam es zu meiner Teilnahme an einer dieser sogenannten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, in die sie alle Drückeberger, die Idioten, die Verlotterten und die hoffnungslosen Fälle steckten, um sie vom Müßiggang abzuhalten. Sinn und Zweck dabei war es, einen Ausbildungsplatz zu finden, um hoffentlich möglichst schnell ein wertvoller, sinnvoll integrierter und Steuern zahlender Teil der Gesellschaft zu werden. Die ersten Wochen waren kaum eine Vorbereitung für das, was noch kommen sollte.

Die Lokalitäten des verantwortlichen Bildungsträgers, wie sich die Truppe staatlich angeheuerter Sozialpädagogen zu beschreiben versuchte, befand sich in einem ausgedienten Büro- und Verwaltungshaus auf dem ehemaligen Gelände eines in Kühlung und Hochspannungselektrik spezialisierten Unternehmens. Faulig olivgrau angestrichen kauerte es in den aufragenden Schatten leerstehender und umgenutzer Industriebauten… Irgendwo gab es noch eine Kantine, die ganz zusammengeschrumpft überlebt hatte und unmöglichen Fraß unter das Volk brachte… Drinnen ging es weiter… Die Räume ließen es sich von den Wänden ablesen, dass man sie notgedrungen bezogen hatte und das Provisorische wurde nur von einer einsamen, aber zumindest fest montierten Kreidetafel kontrastiert… Der Unterricht… Die reinsten Esoteriknummern spielten die mit uns durch… Neben simulierenden Trainingseinheiten für Vorstellungsgespräche, Bewerbungen schreiben in Theorie und Praxis, der Teilnahme an berufsvorbereitendem Unterricht, der aus unzähligen, scheinbar auf Förderung der Sozialkompetenz ausgelegten Aufgaben und Dialogen bestand und hunderten ähnlichen, von Soziopathen erdachten Psychospielchen, die uns allesamt wohl dazu bewegen sollten, uns mit der unbarmherzigen Berufswelt anzufreunden, war es eine der Aufgaben bei der Berufsvorbereitung, sich einen Praktikumsplatz zu besorgen… Es gab ein richtiges Rennen darum, wer zuerst einen ergatterte… Ich hatte den vagen Entschluss gefasst, Automechaniker werden zu wollen und fuhr zunächst ein gutes Dutzend über die Vororte und die Randbereiche der Stadt verteilten Werkstätten ab, viele weitere erbat ich schriftlich um eine Anstellung… Und wurde hier wie da abgewiesen… Endlich wurde ich pragmatisch und lief nach all den Rückschlägen die beiden Werkstätten in der näheren Umgebung meines Elternhauses an.

Es war ein kalter, aber sonniger Tag im November. Zur moralischen Unterstützung hatte ich einen Kumpel mitgenommen und wir liefen zuerst bei der nächstgelegenen Tankstelle vorbei. Dort gab es seit nicht allzu langer Zeit eine kleine Werkstatt mit nur einer Hebebühne, in einer vollgestopften Halle neben der Waschstraße. Ich hielt nicht viel von dem Laden. Es war einfach nur ein dunkler, muffiger Schuppen, in dem an alten Rostlauben herumgepfuscht wurde. Ich fragte dort auf Empfehlung von meinem Freund nach einem Praktikumsplatz… Etwas zurückhaltend, da er dort zuvor selbst als Praktikant diente, aber kein allzu versprechendes Talent aufzuweisen hatte und somit wenig Hoffnung darauf legte, einen Ausbildungsplatz zu bekommen… Man sagte mir zu… Ich fühlte mich schon fast als Gewinner, also ließ ich meinen Entschluss offen, die Stelle anzutreten und… Nur nicht voreilig entscheiden… Ging, gefolgt von meinem Beistand, ein paar Meter weiter zu einer alteingesessenen Werkstatt, die in dem Ort, wo ich wohnte, schon seit Ende der 1980er Jahre existierte. Mein alter Herr hatte mich schon ein paar Tage vorher gründlich, aber mehr oder weniger wirksam, über den Schuppen aufgeklärt. Er war dort selbst einmal Kunde gewesen und hatte mir seine Erfahrung mitgeteilt, dass der Chef dort ein harter Hund sei, bei dem sicher ein rauer Ton herrsche, nebenbei aber auch und ein Enthusiast für amerikanische Autos und überhaupt alles Amerikanische… Das weckte in mir wilde Hoffnungen, an wunderbaren, verführerisch aus acht Kesseln bollernden und mit Patina beseelten Amischlitten herumzuschrauben… Mein Alter Herr selbst ging zu dieser Zeit schon nicht mehr dort hin, da man ihn als Kunden schlecht behandelt hatte… Beiläufig erzählte er mir bei einem unserer Gespräche, wie es dazu gekommen war.

Ein Lkw hatte ihm die Seite seines Autos zu Klump gefahren. Nachdem er ihn zur Begutachtung abgegeben hatte stand der entstellte Wagen meines alten Herren eine Weile im Sicherstellungsbereich der Werkstatt… Solange bis das Gutachten gemacht wurde… Wirtschaftlicher Totalschaden. Der Chef der Firma wollte ihm das Auto abkaufen, doch mein alter Herr wusste, dass er mehr für den Wagen bekommen konnte, als ihm angeboten wurde. Also schlug er das Angebot aus, worauf der in seinem Geschäftsmannsstolz gekränkte Chef ihm unmissverständlich klarmachte, er solle den Schrott gefälligst vom Hof schaffen.

Also ging ich bei dieser Werkstatt vorbei. Eine der beiden Hallen war offen und man sah drei Mechaniker auf dem körnigen und von verschiedensten Farb- und Schmutzschichten geschecktem Boden vor einem Wagen knien. Ich betrat die Halle… Fragende Blicke wandten sich mir zu, und nachdem ich mich kurz vorgestellt hatte, erzählte ich von meinem Anliegen… Sie schickten mich ins Büro, welches im Wohnhaus neben der Werkstatt untergebracht war. Ein befremdlicher Eindruck bat sich mir dar. Der Chef befand sich gerade außer Haus… Zum Abschleppen ausgefahren sei er, hieß es… Seine Frau saß an dem vorderen, direkt der Tür gegenüberstehenden Schreibtisch, von denen sich zwei im Raum befanden und blies Zigarettenqualm von sich. Sie machte einen äußerst komischen Eindruck, wie sie da so in den bläulich in der Luft quirlenden Schwaden saß. Sie sah aus, als habe sie sich im Verlauf ihrer vielleicht fünfundvierzig Lebensjahre nicht recht entscheiden können, ob sie Mann oder Frau sein wollte. Ihr topfartiges Haupt krönte eine wasserstoffblonde Kurzhaarfrisur, umrahmte das maskuline und ausdruckslos schlaffe Bulldoggengesicht… Noch dazu… Besser… Wie ich noch feststellen würde, sah man sie immer mit den roten Werkstattklamotten bekleidet, mit formlosen und ausgewaschenen Oberteilen und Büstenhalter waren ihr wohl völlig fremd, so dass man unter dem Stoff auch ja sehen konnte wie ihre riesigen alten Titten bereits knapp über ihren Bauchnabel gesunken waren… Wobei es im Sommer noch scheußlicher wurde, wenn sie ihre langen Arbeitshosen gegen lederne Hotpants austauschte, die wohl schon vor zwanzig Jahren an ihr nichts Aufreizendes gehabt haben mochten.

Dem Ersten Eindruck zum Trotz kam die Erleichterung, nachdem ich auch ihr den Zweck meines Besuches vorgestammelt hatte, sie daraufhin endlich die Zigarette aus dem Mund nahm und ein paar überraschend freundliche Worte mit mir wechselte… Sie schien doch recht umgänglich zu sein, meinte ich und meine Zuversicht wuchs. Sie bat mich, mich einmal ganz ausführlich vorzustellen und ich betete die Sätze runter, die man mir in den vergangenen Wochen beigebracht hatte. Im weiteren Gespräch stellte sie mir die Firma ein wenig vor, wobei sie herausstellte, dass sie es war, die den Meistertitel und den Ausbilderschein ihr Eigen nannte, und somit dafür sorgte, dass dieser Betrieb den Titel Meisterwerkstatt tragen durfte… Ich nickte und kümmerte mich darum, möglichst interessiert, aber nicht aufdringlich zu wirken… Dann folgten die üblichen Sondierungen… Fragen ob ich mich für den Beruf interessiere, warum ich das tat, wie ich mit körperlicher Arbeit klarkäme und so weiter und so fort. Sie konnte wohl doch nicht so dumpf und geistlos sein wie es anfangs den Anschein erweckt hatte.

Noch auf dem Weg nach draußen ließ sie mich wissen, dass es bei ihnen im Betrieb auch mal ein wenig lauter zuginge und fragte mich, ob ich ein Problem damit hätte. Ich antwortete, dass mir das nichts ausmache, dass das ja ganz normal wäre und ich sicher damit klarkäme. Dann informierte ich darüber, wann ich anfangen könne, verabschiedete mich und ging mit einem Gefühl des Triumphs nach Hause. Noch sah ich nicht einmal die Ränder der vielen Abgründe, die bereits auf mich lauerten.

Drei Tage der Woche verbrachte ich von da an in der Werkstatt… Montag, Dienstag und Donnerstag… Jeden Mittwoch hatte ich Berufsschule und jeden Freitag saß ich meine Zeit beim Bildungsträger ab, bis um vier Uhr das Wochenende begann. Diese Einteilung hat mich über das erste halbe Jahr hinweggerettet, da ich ohne die rege Abwechslung der ganzen Sache wohl frühzeitig überdrüssig geworden wäre.

Meine ersten Tage an der Arbeit waren überschattet von nicht enden wollenden Wirrungen, die sich über meinem bescheidenen Verständnis für die Berufswelt aufbauten und mich zur Einnahme des untersten Platzes in der Nahrungskette zwangen… Wer hätte es gedacht?… Und die mich einiger, als solche anfänglich nur schwer zu erkennender, Willkür aussetzten… Ich hatte mich noch gar nicht richtig eingelebt und durfte bereits mitansehen, wie immer wieder, aus mir unverständlichen Gründen, Stress und Chaos ausbrachen, währenddessen ich durch die Werkstatt gehetzt wurde, um Werkzeug zu holen. Ich fand mich nur schwer zurecht und wusste am Anfang noch nicht einmal, was mit dem inflationär benutzten Ausspruch »Bring mir ma ne 17er Nuss!« gemeint war, geschweige denn, in welchen der unzähligen Schränke, Schubladen und Winkel sie das geforderte Werkzeug bunkerten… Um mich herum sprangen die Kollegen ein ziemlich verworrenes Himmel und Hölle, gedrillt von der Panikmache, die vom Chef ausging. Verzweifelt versuchten sie, noch mehr Stress zu vermeiden und schwitzten und rauchten Zigaretten und mühten sich mit zittrigen und verklebten Fingern ihre Handriffe ab. Es herrschte zu oft Ausnahmezustand. Irgendwie schaffte ich es, mich davon nicht völlig entmutigen zu lassen, indem ich mir einredete es könne nicht immer so schlimm sein… Und vielleicht war ich gerade in einer schwierigen, ungünstigen Phase hier gelandet… Viel Später erst bemerkte ich, dass sich der Wahnsinn auch in den vermeintlich ruhigeren Zeiten nur hinter den Fassaden versteckt hielt.

Mich mitgezählt, gab es von da an vier Mitarbeiter in der Firma… Ein Auszubildender, der damals am Ende des zweiten Lehrjahrs war und wie ich zuvor ein längeres Praktikum gemacht hatte… Er sollte noch für lange Zeit mein bemitleidenswerter Kollege bleiben… Und der auf den Namen Christoph hörte. Alles, was ich zu seiner Vorgeschichte in Erfahrung bringen konnte, war, dass er zuvor eine Ausbildung im Bereich der Industrie abgebrochen hatte, die er in jeder Hinsicht als abstumpfend, einseitig und schrecklich öde beschrieb, sobald man ihn danach fragte… Er rauchte stets sehr viel und stand nicht selten unter Strom, da man für meinen Eindruck recht hohe Erwartungen von ihm hatte… Da unsere Vorgesetzten diese Erwartungshaltung ihm gegenüber mit suggeriertem Vertrauen verstrickten, was sie ihm jedoch so gut wie nie offen, mit aufrichtigem Lobspruch gestanden hätten… Somit schufen sie eine moralische Verpflichtung zu ihren Gunsten, und es gelang ihnen tatsächlich, den guten Jungen dazu zu nötigen, dass er er sich erhebliche Mühe bei seinen Arbeiten gab und dass er sehr darauf eingeschossen war, seine Arbeiten allein zu erledigen, um sich und seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Auch deshalb hielt ich in der Regel ein gutes Stück Abstand von ihm. Zu Anfang kam er mir suspekt, auf sonderbare Weise reserviert, dienstbeflissen und vielleicht sogar eigenbrötlerisch vor… Als ob er sich auf einem Schlachtfeld befände und das seine Art war in diesem Krieg, der ihn ständig umgab, seine Haut zu retten… Es war außerdem sein zweiter Anlauf, es zu etwas zu bringen… Nun ja.

Außerdem war da noch ein Geselle, der noch nicht allzu lange in der Firma arbeitete… Alex, ein schlaksiger, Vollbart tragender Chaot, der Morgens mit seinem in die Jahre geratenen BMW Coupe zur Arbeit kam, aus dessen geöffneten Fenstern an wärmeren Tagen Rockmusik der härteren Gangart donnerte… Er war mir von Anfang an sympathisch. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten und dumme Späße machen. Er schien mir der Lockerste im Betrieb und ließ sich am wenigsten schikanieren, was mitunter daran gelegen haben mochte, dass er noch nicht lange der Verrohung durch diese Tretmühle ausgesetzt war und den Job jederzeit hätte hinschmeißen können, wenn ihm danach gewesen wäre… Bei den wenigen Gelegenheiten, die sich mir boten, arbeitete bevorzugt mit ihm zusammen. Er ließ mich mit anpacken, erklärte mir nebenher ein wenig, was zu tun war und warum und schickte sich ohne Krampf und Mühen dabei an, mich nicht wie einen Idioten daneben stehen zu lassen. In meinen Augen war er ein guter Mechaniker und konnte außerdem prächtig schweißen. Eine Eigenschaft, die er in der Firma allen voraus hatte… Auch wenn unser Chef sich immer wieder mit seien Schweißerkünsten zu profilieren versuchte, gegen den Gesellen schnitt er mit seinem verkniffenen Herumgebruzel auf rostigen Auspuffanlagen eher schlecht ab.

Treudoof und bucklig auf seinem schrottreifen Mofa daherschleichend und alle zum Morgenappell Einkehrenden mit knatterndem Lärm und durchdringendem Zweitaktgestank begrüßend, sah man um kurz vor acht den zweiten Azubi aufschlagen, wenn er nicht gerade Berufsschule hatte oder sich verspätete… Scheppernd machte die Maschine einen Satz über den Bordstein, nebelte den Hof ein und fuhr einem fast über die Füße. Sobald der Junge seinen Ofen endlich ausgestellt hatte, war man schon fast vorbereitet für einen Wutausbruch des großen Mackers… Mann, was war das eine Wohltat für die Ohren!… Schmörgel stellte alles andere als eine geistige Leuchte dar… Eher eine armselige Funzel in einem dunklen, nassen Keller. Sein Dasein in der Firma fiel ihm folglich nicht leicht und er konnte einem zuweilen schon ein wenig leidtun, wie er sich so abmühte, aber nichts auf die Reihe bekam… Im Gegensatz zu mir, hatte er schon ein geschlagenes Jahr damit verbracht sich einzuleben, funktionierte aber noch immer nicht so, wie man es von ihm erwartete. Sein Spitzname kam von den Kollegen. Sie erzählten mir die Anekdote, wie er diesen bekam, während einer Mittagspause… Man erteile ihm die Aufgabe, die Schubladen der Werkzeugschränke mit Angaben über ihren Inhalt zu beschriften. Eine der Schubladen enthielt Schleifpapier und er beschriftete sie mit dem Wort Schmörgelpapier… Als die Kollegen sein Werk entdeckten, hatten sie augenblicklich nicht nur was zu lachen, sondern gleich eine willkommene Vorlage, ihn aufzuziehen… Wenn er etwas verbockte oder eine dumme Frage stellte… »Du bist aber auch ein trotteliger Schmörgel! Menschenskinders!…« Oder sie beobachteten ihn bei seinem Murks… »Na Schmörgel, bereitest du die nächste Katastrophe vor?…« Bei einer Bremsenreparatur drückten sie ihm einen der Beläge in die Hand, zeigten darauf und erklärten ihm die Ähnlichkeit, die zwischen der Funktion des Bremsbelages und seiner Rolle im Betrieb bestand… Ich durfte mir noch die eine oder andere Anekdote über ihn anhören… Doch erst als ich wirklich mit ihm zusammenarbeitete, wurde es unwiderlegbar, dass er hier wirklich am falschen Ort war.

Die Werkstatt war in einem geduckten, an das Wohnhaus des Mackers und seines Mannsweibes geklebten Anbau untergebracht… Das Haus selbst, eine alte, schiefe Fachwerbude, im Zuge weiß-nicht-wie-vieler Renovierungen verputzt, verbaut, verklinkert und derart verschandelt, dass es von außen nichts mehr von seiner Grundsubstanz erkennen ließ. Von der Werkstatt aus gelangte man in den Keller des Hauses, der nun Lagerräume für den Werkstattbedarf und allerlei Unrat, eine Waschküche und einen Umkleideraum beherbergte. Im ersten Stock befanden sich Büro und Wohnhaus, ein Stockwerk darüber hatte das Schrauberehepaar noch eine Wohnung, die vermietet wurde. Darüber lag dann noch ein verwahrloster und verdreckter Dachstuhl, wo wahllos unbrauchbare alte Sachen und Baumaterial gelagert wurden und Staub ansetzten, wohin sich also die muffige Vergangenheit des Hauses zum Sterben geflüchtet hatte… Aber nie ganz damit fertig geworden war… Alles in allem der blanke Irrsinn auf vier Ebenen, mit Anbau.

Insbesondere die Lagerräume, die sich im Keller befanden, waren nicht viel mehr als verdreckte Löcher. Alles war krumm, schief, uralt und verstaubte Spinnenweben hingen wie faules Segeltuch in den Ecken… Die Decken waren so niedrig, dass man als Mensch von normaler Statur ständig gebückt umherirren musste. Schon die architektonischen Gegebenheiten machten einem unterbewusst klar, dass man zu kriechen und sich den gegebenen Strukturen zu fügen hatte… Ebenso die Toilette, welche sich unter der zweiläufigen Treppe mit Zwischenpodest vor dem Wohnhaus befand. In der so eingeschachteten Bedürfniskammer waren die Bodenfliesen zersprungen und in den Rillen sammelte sich der Schmutz. Man stieß schon bei normaler Statur im Stehen mit dem Kopf an die Decke und konnte nie in Ruhe scheißen, denn ständig hörte man Schritte über sich, wenn jemand die Treppe rauf oder runter lief. Man sah körperhafte Schemen vor der Milchglasscheibe in der Tür vorbeihuschen und hörte derart oft Autotüren zuschlagen, dass man sich den Kopf des Schlagenden zwischen Tür und Einstieg wünschte… Irgendjemand keifte herum, der Lehrling rupfte Unkraut aus den Fugen des Pflasters oder schabte mit einem Messer darin… Irgendetwas war immer… In jeder Ecke der sogenannten Lagerräume flogen undefinierbare Gerätschaften, altes verklumptes Werkzeug und anderer Unrat herum, der mich allein schon durch seinen Anblick dazu brachte, mir auszumalen, wie man am besten all den Müll abfackeln könne. Mein Chef war aber beherrscht von krankhaften Trennungsängsten… Außer es ging um seine Mitarbeiter… Wie ein Hamster oder ein dickliches, gedrungenes Mauswiesel hortete er Dinge, deren Wert und Verwendung er selbst allerdings kaum bestimmen konnte… Vielleicht würde man sie ja nochmal brauchen, hieß es stets… Bei einer zukünftigen Gelegenheit. Sicher… Und solange verschwanden sie eben in den dunklen und verstopften Eingeweiden des Hauses… Trotzdem wurde benötigtes Material regelmäßig neu herangeschafft, da selten jemand den Überblick darüber behielt, was noch irgendwo in dem mit irrsinniger Effizienz errichteten Chaos lagerte.

Die Mietwohnung sollte, in den meiner Anstellung folgenden Wochen und Monaten, eine Großbaustelle werden, die die ganze Firma beanspruchte und für viel Stress sowie einen nicht endenden Schwall an Drecksarbeit sorgen würde. Man hatte sie nach langem wieder betreten und fand sie von der ehemaligen Mieterin in unfassbar verwahrlostem Zustand zurückgelassen. Ich selbst war nicht dabei gewesen, die Kollegen erzählten mir zur Veranschaulichung jedoch von dem, was sie vorgefunden hatten… Christoph habe sich beim Blick in die Küche und den Kühlschrank beinah übergeben müssen und sei sofort getürmt… Die gesamte Einrichtung, die Heizkörper und weitere Teile der Wohnung seien von der Mieterin in den verrücktesten Grüntönen gestrichen worden und eine Schaukel habe an den Holzbalken in einem der Zimmer gehangen… Es waren überall Nägel in die Balken des Fachwerkgerüstes geschlagen, die Tapeten waren völlig vergilbt und schälten sich bereits von den Wänden… Dahinter hockte fusseliger Schimmel… Auch das Badezimmer war von Schimmel und Dreck verwüstet, überall lag Müll herum und der Schmutz steckte sowieso in allen Poren der desolaten Wohnung… Meine Freude hielt sich in Grenzen, als sie mir sagten, das Wiesel habe vor, sobald etwas Zeit übrigbleibe, mit vereinten Kräften die Renovierung voranzutreiben.

Dazu kam es zum Leidwesen aller Bediensteten tatsächlich… Einzig das Wiesel lebte regelrecht auf, nun da es seine Mitarbeiter zu jeder Zeit, in der es möglich war und auch wenn es, bedingt durch die Auslastung der Werkstatt, eigentlich nicht möglich war, beschäftigen konnte… Das ging zu wie auf der Großbaustelle. Unter dem Dach hämmerte es noch ärger als aus der Werkstatt und, sobald sich dort für bloß eine Minute lang keine Schraube mehr drehte, sollte man in Windeseile in der Wohnung aushelfen oder wurde unter sonst einem Vorwand in die Renovierungsarbeiten hineingezogen.

Überhaupt war dieser Mann… Nein, dieses Wiesel… Von einer krankhaften Arbeitswut besessen, die es nie zur Ruhe kommen ließ. Ständig fing es neue Baustellen an und nie konnte ihm eine Arbeit schnell genug verrichtet werden. Aus Zeitmangel wurden Projekte eingestellt, nur damit wenig später, bei gleichzeitiger oder versetzter Wiederaufnahme der eingestellten Vorhaben, wieder neue begonnen werden konnten… Ich fing ernsthaft damit an, ein System dahinter zu suchen, es aufdecken und erkennen zu wollen, bis zu einem gewissen Grad, ab dem man ins Unerklärliche stieß, zumindest… Sollte es unserer Arbeit auf mir unersichtliche Weise zuträglich sein, dass man wegen zahlreichen, überstürzt begonnenen und nur halb zu ende gebrachten Projekten bald völlig den Überblick verlor?… Oder war der Kerl einfach nur ein Sadist?… Masochist?… Psychopath?… Ständig wurde während der Renovierung Werkzeug aus den Schränken in der Werkstatt geplündert und bald flog es überall in der Wohnung herum. Dauernd mussten die Kollegen hinauf in den zweiten Stock rennen, um sich das Zeug wiederzubeschaffen… Oder sie schickten mich… Eine Strategie, die sie jedoch aufgeben mussten, denn sobald ich mich vor den Augen des Wiesels blicken ließ, brüllte es mir schon Anweisungen entgegen und ließ mich nicht mehr gehen… Bald wusste keiner mehr, welches Werkzeug wo zu finden war. Das Wiesel pflegte darauf zu reagieren wie ein großes, zorniges und dummes Kind, wenn man ihm das angeforderte, aber unauffindbare Utensil nicht schnell genug brachte… Oder, wenn man aus eigenen Belangen um eines der Spielzeuge bat, das es selbst gerade in den Krallen hatte… Meine schlimmste Befürchtung war es, wieder davonschleichend, selbst in den Wahnsinn getrieben zu werden.

Die vorgebliche Vergesslichkeit, welche aus der Selbstsucht resultierte, mit der das Wiesel uns für seine wertlosen Vorhaben einspannte, war brillant… Ohne je auch nur ein Wort des Dankes zu verlieren, hielt es uns im Trab. Ständig machten wir unbezahlte Überstunden und wurden dafür belohnt mit Wutausbrüchen und noch mehr Überstunden am Folgetag. Denke ich jetzt daran zurück, fällt mir ein, dass ich angesichts dieser Methoden nur selten richtig handelte… Ich sehe mich, zusammen mit ihm auf der Treppe stehend und den Werkzeuganreicher spielend. Es war schon dunkel geworden und das Wiesel installierte neue Türklingeln. Es kroch eine lähmende Wut in mir hoch, während ich, am Leben erhalten von dem dringenden Wunsch nach Hause zu gehen, wie ein Garderobenständer herumstand und mir das Zeug aus den Händen und Taschen reißen ließ… Und seine Arbeiten wollten kein Ende nehmen… Fast sah es so aus, als ob es sich mehr Zeit als gewöhnlich ließ, um mich bei sich zu behalten… Noch dazu hatte das alles nichts mit der Arbeit zu tun, die man erwartet, in einer Werkstatt tun zu müssen. Bis zum Bersten voll mit unterdrücktem Hass, platzte mir endlich nervös heraus, ich müsse nach Hause gehen… Dann legte ich von bösen Blicken verfolgt die Sachen ab und schleppte mich Heim. Von selbst wäre dem nie eingefallen, mich gehen zu lassen… Brillante Vergesslichkeit!

Nach und nach rissen wir die ganze verkommene Bude auseinander. Schweres Werkzeug wurde verwendet. Der gesamte Vorraum der Mietwohnung war mit splittrigem Holz getäfelt, das gute zwanzig bis dreißig Jahre zuvor von den Händen eines großartigen Stümpers an den alten Fachwerkbalken befestigt worden war… Wild zusammengepfuscht, mehrfach unterfüttert, mit Verstrebungen aus Kanthölzern und Wagenladungen rostiger Nägeln befestigt stand es uns wie das Bollwerk einer feindlichen Macht entgegen… Das Wiesel kauerte auf einer Leiter und wütete mit der Kettensäge auf dem schreienden und unnachgiebigen Material herum. Währenddessen eilte ich zwischen den geschossartig durch den Raum sausenden Holzsplittern umher, gab Unterstützung und erstickte in den Abgasen der Motorsäge und dem sich damit vermischenden Staub, als es obendrein das unterliegende Backsteingemäuer mit Hammer und Meißel bearbeitete… All das mit einer irrsinnigen Wut. Es schien seinen ganzen Frust und Jähzorn auf das Haus entladen zu wollen. Wie am Fließband schaffte ich haufenweise Schutt in Eimern die Treppe herunter und kehrte den Staub zusammen, während von oben neuer Dreck auf mich herabrieselte. Der ganze Eingangsbereich sollte neu verkleidet und die Elektrik neu verlegt werden.

Meine romantische Vorstellung vom Schrauben an Amischlitten, sank zusehends in sich zusammen… Stattdessen war ich zum Zimmermannsgehilfen geworden, strich die Wände, entfernte alte Tapeten, half beim Tapezieren, machte immer wieder sauber, schaffte ganze Mülldeponien füllende Berge von Schutt und Unrat weg, half beim Fliesenlegen, beim Makulieren der Balken, beim Verkleiden der Decken, schwang zwischen jedem Arbeitsgang den Staubsauger und atmete doch immer wieder Dreck ein… Schwitzte, fluchte und blutete, half beim Anbringen neuer Türrahmen und fuhr beinah jeden zweiten Tag mit in den Baumarkt, um neues Material zu beschaffen. Sehnlichst wünschte ich es mir, einen Führerschein zu haben, um wie die Kollegen, wenn sie zur Pannenhilfe fuhren, ab und an aus dieser Hölle herauszukommen.

Schmörgel war unterdessen die Entwicklung eines bescheidenen Verständnisses für die komplizierten Mechanismen des sich Drückens gelungen… Er verstand sich immer besser auf sein Versteckspiel in den Ecken, tauchte aber zumeist zum ungünstigsten Zeitpunkt wieder hervor oder wurde erwischt, wie er sich ungesehen glaubte und das aus Alibigründen mitgenommene Kehrblech in die Luft warf und wieder auffing. Damit ging er auch den Kollegen zusehends auf den Wecker und machte sich nicht viel beliebter. Sein Mangel an Intelligenz und seine Ungeschicklichkeit spielten da zusätzlich mit rein. Er wusste sich einfach nicht zu verhalten in dieser prekären Lage, konnte nicht die einfachsten Maßnahmen ergreifen, um Ärger zu vermeiden. Stattdessen verschlimmerte er die Wutausbrüche des Wiesels, indem er mehr im Weg stand, als dass er half. Die meisten der ihm aufgetragenen Arbeiten schaffte er nur mit Hilfe… Aber er bleib lange sorglos dabei… Man konnte sich kaum vorstellen, dass er sich seines Schicksals bewusst war.

Unsere verehrten Vorgesetzten befragten auch mich, was ich von der Sache hielte und schilderten mir ihre Sicht der Dinge. Erzählten mir es gäbe Probleme mit Stefan und er habe sich seit Ende seiner Probezeit sehr zum Schlechten geändert… Sei faul geworden und drücke sich vor der Arbeit. Bald darauf veranlassten sie ein Gespräch mit seinen Eltern. In der Zeit nach diesem Gespräch war der Junge auf einmal sehr verändert… Völlig panisch und verängstigt seinen Job zu verlieren. Er wand sich immer wieder an mich, da er offenbar bemerkt hatte, dass ich besser zurechtkam als er und sagte mir bei jeder Gelegenheit mit vor Demut wässriger Stimme, er müsse sich mehr Mühe geben. Aber was hatte ich denn damit zu schaffen? Ich war der neue Anwärter auf seine Stelle… Auch nur doof hereingefallen… Nach einer Weile ignorierte ich sein Gejammer. Schließlich musste ich ja irgendwie sehen, wie in diesem Irrenhaus zu überleben wäre… Sollten sie ihn doch rausschmeißen.

Hin und wieder überlegte ich zwar, die ganze Scheiße einfach hinzuschmeißen, fragte mich, ob es die Mühe überhaupt wert sei, sah aber auch keinen anderen Weg, aus meiner damaligen Misere herauszukommen… Hatte ganz plötzlich die meiste Zeit meines berufsvorbereitenden Jahres hinter mir… Verdammt noch mal, was war mir die Zeit weggelaufen!… Noch einmal von vorne anfangen kam nicht in Frage.

Es muss den Jungen sehr getroffen haben als er dann rausgeworfen wurde. Ich fragte mich wie sie seine Entlassung überhaupt erreicht hatten, denn seine Probezeit war ja schon vorüber. Sicher hatten sie Methoden. Man konnte alles erreichen, wenn man die verschlagensten Hinterfotzigkeiten im Petto hat, dachte ich mir… Jedenfalls stiegen so meine Chancen, den Ausbildungsplatz zu bekommen beträchtlich. Und ich sollte ihn auch bekommen.

Sascha befand sich damals bereits seit ein paar Monaten im ersten Jahr seiner Ausbildung. Er arbeitete im Lager einer Spedition und Lastwagenwerkstatt im Nachbarort. Ich hatte mich, genötigt von meinem Bildungsträger, während der ersten Wochen meines Praktikums selbst dort beworben, war nach Vorladung zum Einstellungstest gekommen und hatte die ganze Sache nach allen Regeln der Kunst und mit voller Absicht versiebt… Das war vielleicht was… Der Verein machte einen äußerst affektierten und selbstverherrlichenden Eindruck… Schlimm genug, einen Masseneinstellungstest zu veranstalten, mussten sie diesen in der schriftlichen Vorladung auch noch als »Assessement-Center« notdürftig zu verkleiden versuchen… Außerdem war das Schrauben an Lkws eine der dreckigsten und undankbarsten Arbeiten, die mir damals in den Sinn kamen… Alle Bewerber hatten in einem Nebengebäude der Firma eingefunden, sich in einem Stuhlkreis platziert und wurden daraufhin einzeln, jedoch so, dass jeder andere mithören konnte, von der versammelten Mannschaft aus Chefs, Juniorchefs und anderen Selbstdarstellern belauert und befragt. Wie Raubtiere auf Pirsch hatten die ihre potenzielle Arbeiterschaft eingekesselt und löcherten die nervösen Mägen mit Fragen… Warum man sich gerade bei diesem Betrieb beworben hätten, was einem an der Tätigkeit des Mechanikers anspreche, ob man bereit wäre, in Schichten zu arbeiten… Allein bei dem Gedanken stellten sich bei mir mit Schlafmangel verbundene Symptome ein… Sie wollten wissen was uns glauben ließe, wir brächten die nötigen Eigenschaften mit, für ihr prestigeträchtiges Unternehmen dienlich zu sein und all den anderen schwachsinnigen Mist, den man bei Vorstellungsgesprächen so zu hören bekommt… Als man mich fragte wie ich dazu käme, Mechaniker werden zu wollen, begründete ich damit, dass ich von Technik, Fahrzeugen und Motoren begeistert wäre… Standardantwort… Noch während ich mich fragte, ob das tatsächlich so wäre, forderte man mich urplötzlich auf, die Namen von ein paar Nutzfahrzeugherstellern aufzuzählen… Wer hätte mit einer derartigen Vorlage gerechnet? Man brauchte sich gar nicht anzustrengen, um sich zum Deppen zu machen… Also nutzte ich die Chance, indem ich nach einer kurzen Zeit des Grübelns antwortete, dass mir jetzt aus dem Stehgreif keine einfielen. Damit hatte ich die Sache auch schon hinter mich gebracht, war mit dieser Antwort sofort unten durch. Jedoch ließ ich guten Willens noch eineinhalb weitere Stunden von Tests und Gesprächen über mich ergehen. Als die Sache beendet war, fand ich mich draußen, in strömendem Regen, auf den Bus wartend und durfte zu guter Letzt eine Fahrt von zehn Minuten, über drei Haltestellen, für etwa drei Euro bezahlen… Na, dann Prost den zukünftigen Azubis der Firma.

Jedenfalls hörte ich nie wieder etwas von diesem unmöglichen Arbeitgeber. Allerdings bekam ich vieles über den Schuppen von Sascha zugetragen. Mit jeder seiner Geschichten wuchs meine Zufriedenheit, nicht dort angefangen zu haben, ein Stück mehr… Anscheinend wateten die Malocher anderswo annähernd genau so tief in der Scheiße wie an meinem Ausbildungsplatz.

Jeden Mittwoch, im Anschluss an seinen Besuch der Berufsschule, besorgte Sascha etwas Gras von einem seiner Klassenkameraden und kam anschließend zu mir. Es wurde zum Ritual… Die Treffen und die paar miteinander gerauchten Joints, während der Abend in die Nacht überging… So zelebrierten wir allwöchentlich das Bergfest… Dazwischen saßen wir herum und hatten, wie das so ist, wenn man mit dem Kiffen anfängt, viel zu Lachen und massenhaft Erzählstoff. Die Vorzüge der rauschbefeuerten Kommunikation waren entdeckt… Unsere Ansichten glichen sich immer mehr an. Vom Stoff auf eine gemeinsame Bewusstseinsebene gehoben… Oder gesenkt… Geblendet… Oder irgendwas, scheißegal… Wir gewöhnten uns bald an, immer genug Trinkbares griffbereit zu haben, um dem lästigen Pappmaul entgegenzuwirken. Das einzige was meinem Kumpan manchmal zu schaffen machte waren seine Augen. Wenn er geraucht hatte, überkam ihn ein Gefühl, dass er mir als ein Eintrocknen seiner Augen beschrieb. Ich ignorierte es zuerst, versuchte davon abzulenken, verspottete ihn bald aber zusehends und meinte das könne gar nicht sein… Irgendwann später hörte ich jemand anderen über die selben Beschwerden klagen und schlussfolgern, dass es an einer Gewöhnung des Auges an Kontaktlinsen zu liegen habe… Und die Droge würde nicht positiv zu dem ungewohnten Gefühl beitragen… Sachen gabs.

Wir ließen nichts aus… Auch die typischen Fressanfälle waren zunächst ein fester Teil unseres Programms. Nachdem wir uns eine Weile selbst unterhalten hatten, gingen wir dazu über den Fernseher oder die Konsole einzuschalten… Die Gespräche hörten auf… Es ließ sich immer seltener ein Thema finden, was wir nicht schon durchgekaut hatten.

Sobald man an die Droge etwas gewöhnt ist und man anfängt das Erleben des Rausches zu durchschauen, verkommt das, was man vorher als neu empfunden hat, zu einer Gewohnheit… Man kann zwei oder mehr routinierte Kiffer in einem Zimmer auf die Couch setzen, den Fernseher oder auch nur Musik laufen lassen und so lange sie etwas zu trinken haben, sie sich in einer wohligen Lage befinden, die nicht gestört wird, so werden sie kaum miteinander reden. Vorausgesetzt sie sind gerade wirklich hackebreit, von den klebrigen, aber zumindest Wärme heuchelnden Pranken der Droge umschlossen… Diese Erfahrungen sollten sich nach Ablauf eines längeren Zeitraumes einstellen… Zu der Zeit als ich mit der Arbeit begann, erschien mir das Kiffen noch ein gelegentlicher Zeitvertreib… Ich redete mir ein, es habe keinen großen Stellenwert… Selbst wenn… Wen interessiert es, solange man nicht in Scherereien geriet? Später versuchten wir Wege zu finden, die den Rausch wieder reizvoll machen sollten, indem wir uns einen anrauchten und Blödsinn innerhalb der Außenwelt trieben.

Aber mal ehrlich… Wir zählten gerade etwas über sechzehn Lenze und Discos waren noch nicht von allzu großem Interesse… Vor allem nicht für meine Person. Das wäre so gar nicht mein Ding, sagte ich mir immer wieder, mich für einen ruhigen Trinker, einen Liebhaber geselliger Runden in der Stube, allerhöchstens noch in einer Kneipe haltend und verbrachte daher die Wochenenden lieber damit, Trinkspiele zu spielen und altklug mit den Kumpanen zu schwadronieren… Unter der Woche war das Trinken kein guter Zeitvertreib, wenn man am nächsten Tag aus dem Bett kriechen sollte, um sich hastig aufzupolieren und blitzblank und mit ehrenhaft gespieltem Tatendrang, an der Arbeit zu erscheinen. Also haben wir ein wenig gekifft und fühlten uns am nächsten Tag blendend. Gras war sowieso eine wesentlich mildere Droge als Alkohol. Jeder Mensch brauchte eine Art Ventil, um abends mal runter zu kommen… Dampf abzulassen, der über den Tag Druck aufgebaut hatte… Besonders, wenn man den ganzen Tag mit einem tollwütigen Affen arbeiten musste. Ich malte mir aus wie viele von den Leuten, denen man tagtäglich über den Weg lief, sich abends angenervt vor den Flimmerkasten setzten und ihre drei bis vier Bier vernichteten… Wir trafen uns stattdessen und qualmten Joints… Und tranken unsere drei bis vier Bier.

An manchen Wochenenden suchten meine Freunde gezielt die Discos auf, in die man mit etwas Glück und Erlaubnis der Eltern hereingelassen wurde, nachweislich eines vorgefertigten Formulars, welches man sich aus dem Netz, nämlich auf der Präsenz des erwählten Veranstalters, besorgen konnte… Tatsächlich wurden mit diesem Formular meist ältere Geschwister zur Urkundenfälschung angestiftet… Man musste es schließlich an der Tür vorzeigen und eine gemäß den Eintragungen bevollmächtigte Person, hatte halbwegs nüchtern als Vormund aufzutreten… In der Praxis meist selbige ältere Geschwister, die die elterliche Unterschrift beherrschten… Klang nach einer Menge Spaß und Freiheit, nach Legenden schreibenden Ausschweifungen und phänomenaler Ausgelassenheit in der großen, zügellosen Welt des Nachtlebens… Nein! Außerdem hatte mir jemand mal erzählt, dass es durchaus normal sei, an einem solchen Abend fünfzig Euro loszuwerden… Ich wunderte mich sehr darüber, hielt das Ganze für eine Farce und wies alle Einladungen ab, es selbst einmal zu probieren. Beim Vortrinken jedoch war ich immer dabei.

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