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Vorwort von Robert Harting

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Als mich die Horrormeldung von Kira Grünbergs Unfall erreichte, saß der Schock tief. Auch wenn ich sie zu diesem Zeitpunkt nicht persönlich kannte, ihr Name war mir ein Begriff. Stabhochspringerin, jung, aufstrebend, mit viel Potenzial. Eines der wenigen österreichischen Talente von internationalem Format.

Ich versuchte mir vorzustellen, was ein derartiger Schicksalsschlag für diese junge Athletin bedeutete. Was er für mich selbst bedeuten würde. Eingeschränkte Lebensqualität, völlig andere Prioritäten, ein Leben, das von Grund auf neu strukturiert und organisiert werden muss. Die gesamte Tragweite einer solchen Verlustsituation kann man trotzdem nur schwer erfassen, wenn man nicht direkt betroffen ist.

Ein wenig verunsichert war ich schon, als ich am 27. August 2015 im Rehazentrum Bad Häring vor der Tür von Zimmer 207 stand. Ich hatte keine Sekunde gezögert, Kiras Wunsch nach einem persönlichen Kennenlernen nachzukommen. Aber was würde mich erwarten, vier Wochen nach diesem Unfall? Ich kannte die Pressemeldungen, die kämpferischen Statements. Aber das konnte auch geschönt, für die Öffentlichkeit zurechtgebogen worden sein. Kiras Manager, der mich vom Flughafen abgeholt hatte, dürfte meine Nervosität gespürt haben. „Keine Sorge, Kira fängt dich auf.“

Kurz darauf saß ich ihr gegenüber. Sie lag in ihrem Bett, hübsch zurechtgemacht, gut gelaunt. Und fing mich tatsächlich von der ersten Sekunde an auf. Ohne viele Worte, einfach mit ihrer Ausgeglichenheit, ihrer Natürlichkeit. Meine anfängliche Unsicherheit wich schnell der Überzeugung, dass sich hier zwei getroffen hatten, die auf einer Wellenlänge waren. Wir brauchten keine Aufwärmphase, wussten, wovon der jeweils andere sprach, wenn wir über Hindernisse diskutierten, mit denen wir in unserer Karriere konfrontiert gewesen waren, über Sportinstitutionen und ihre Defizite, über Sportfunktionäre und ihre Selbstherrlichkeit. Und es dauerte nicht lange, um zu erkennen, dass zwischen Kira und ihre Außendarstellung kein Blatt Papier passte. Authentischer ging gar nicht.

Je länger ich mich mit ihr austauschte, desto bewusster wurde mir, dass Kira und ich offenbar sehr ähnlich tickten. Gerade was das Verarbeiten von Rückschlägen, was das Wegstecken von Verletzungen anbelangte. Nun lassen sich ihr Wirbelbruch samt Rückenmarksquetschung und mein im September 2014 erlittener Kreuzbandriss in ihrer medizinischen Dimension überhaupt nicht vergleichen. Das psychologische Momentum vielleicht schon eher. Wie viele andere bin auch ich damals auf dem Boden gelegen, hielt mir das Knie und schrie wie ein Irrer. Aber nach 30 Sekunden brachte ich die mentale Energie auf, zu sagen: „Es ist jetzt so, aber es wird nicht das Ende sein. Du kriegst das wieder hin.“ Ich denke, auch Kira gelang es zu einem sehr frühen Zeitpunkt, die Bedrohung in eine Herausforderung zu verwandeln. Davon bin ich überzeugt – so reflektiert, durchdacht und professionell, wie sie über ihr Schicksal spricht .

Schwere Verletzungen haben immer etwas mit Identitätsverlust zu tun. Wenn sich die Amplitude der Gefühle eingependelt hat, beginnt die Suche nach dem neuen Ich, während das alte darum kämpft, die frühere Identität aufrechtzuerhalten. Ich habe es so erlebt, als würde ich im Meer schwimmen, den Strand aber nie erreichen. Meine Entscheidungsfähigkeit war völlig abhandengekommen. Heute steht für mich außer Frage: Du kommst nach einer Verletzung nie als der Alte zurück, du bist immer jemand Neuer. Wer du sein wirst, bestimmst aber du selbst.

Kira hat diese Entscheidung längst getroffen. Sie ist nicht die „Querschnittsgelähmte“, nicht die „Sportlerin mit dem schlimmen Unfall“, mit der man Mitleid haben muss. Sie ist das Vorbild, das ihr Schicksal annimmt und aus den Fragmenten ihres früheren Daseins ein neues, tolles Leben bastelt. Das ist, wofür sie die Menschen zu Recht bewundern. Ich traue ihr zu, ein Role Model für all jene zu werden, die sich einer Bedrohung dieser Art ausgesetzt sehen. Weil sie in überzeugender Manier demonstriert, wie man sich dieser Bedrohung stellt und sie zu beherrschen lernt. Nach dem Motto: „Das ist mein Schicksal. Und jetzt passt mal auf, was ich daraus mache.“ Auch wenn das nach außen mühelos aussieht – es bleibt ein beeindruckender mentaler Kraftakt.

Ich empfand unser Treffen als außerordentlich inspirierend. Auch das Zusammentreffen mit ihrer Familie. Man spürte dieses perfekte Teamwork mit klar verteilten Rollen und Aufgaben, mit einem klar vorgegebenen Ziel: Kira ein selbstständiges, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Ich werde Kiras Weg immer im Auge behalten, mich bei jedem ihrer kleinen und größeren Siege mitfreuen und hoffe, dass viele, die gefährdet sind, sich ihrem Schicksal zu ergeben, ihrem leuchtenden Vorbild folgen. #staystrongkira


Robert Harting, geboren am 18.10.1984, ist Olympiasieger, dreifacher Welt- und zweifacher Europameister im Diskuswerfen. Seine Bestleistung liegt bei 70,66 Metern. Nach einem Kreuzbandriss feierte der deutsche „Sportler des Jahres“ 2012–2014 im Februar 2016 ein Comeback.

Mein Sprung in ein neues Leben

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