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III. Der Junglehrer in Thagaste

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Drei bis vier Jahre dauerte ein volles Rhetorikstudium. Augustinus schloss nach drei Jahren ab. Was tun? Um der Mutter nicht länger auf der Tasche zu liegen und die Konkubine und den Sohn ernähren zu können, musste er Geld verdienen. Sich in der Heimat als Grammatiklehrer niederzulassen war der einfachste und schnellste Weg. Ende 373 kehrte Augustinus zu Monnica zurück.1 Die Mutter störte sich weniger an seinem Anhang, den er aus Karthago mitbrachte, zumal die junge Mutter Christin war.2 Doch entsetzt war sie, als ihr Augustinus eröffnete, er sei zu den Manichäern abgefallen. Mit einem Häretiker unter einem Dach? Monnica wies ihrem Sohn die Tür.3 Der Obdachlose wandte sich an den hilfsbereiten Romanianus, der ihm Unterschlupf bot. Augustinus lohnte ihm die Gastfreundschaft auf seine Weise: Dem Drang zu missionieren konnte er auch jetzt nicht widerstehen und überzeugte schließlich den Älteren von der Wahrheit seiner Religion.4 Romanianus war nicht der einzige, der ihm in Thagaste ins Netz ging.5 Wie bei Honoratus wollte Augustinus bei seinem Gönner nach dreizehn Jahren wieder gutmachen, was er an ihm gesündigt hatte: Er widmete ihm die drei Bücher „Gegen die Akademiker“. Einleitend flehte er ihn an: „Wach auf, wach auf, ich bitte dich; glaub mir, du wirst dir sehr dankbar sein!“ Vielleicht schmunzelte der Adressat bei diesen Worten. Denn mit ähnlicher Inbrunst hatte ihn der geschulte Rhetor einst in die Gegenrichtung gelockt.6

In Thagaste hatte man den klugen Sohn des Patricius nicht vergessen, und es dauerte nicht lange, bis sich beim heimgekehrten Grammatiklehrer die ersten Schüler einfanden. Romanianus schickte ihm seinen aufgeweckten Verwandten Alypius, Sohn aus der reichen Oberschicht der Stadt. Er war mehrere Jahre jünger als Augustinus, aber bald verband Lehrer und Schüler eine innige Freundschaft. Sie bestimmte Alypius’ weiteren Lebensweg und führte ihn schließlich auf den Bischofsstuhl von Thagaste.7

Monnicas „Hinaus mit dir!“, unter Tränen gesprochen, war nicht ihr letztes Wort. Ihr Sohn, der Häretiker, ging ihr beständig durch den Kopf. Tagsüber betete sie für seine Bekehrung, und nachts träumte ihr, er habe sich bekehrt. Sie bat kluge Christen in ihrer Umgebung, mit ihm zu reden, darunter auch einen gelehrten Bischof, der in seiner Jugend selbst Manichäer gewesen war. Der Bischof lehnte ein Gespräch mit der einsichtigen Begründung ab, der Reiz des Neuen sei bei Augustinus im Augenblick noch zu stark. Sobald der sich verflüchtigt habe, würden ihm die Irrtümer des Manichäismus aufgehen. Und nach Monnicas wiederholtem Drängen versicherte er ihr: „Ein Sohn solcher Tränen kann nicht verlorengehen“.8


Der Traum der Heiligen Monnica; sie wird von einem Bischof getröstet.

Ob hinter dem schönen und oft zitierten Satz nicht auch die Furcht des Bischofs stand, im Streitgespräch mit dem gewieften jungen Redner den Kürzeren zu ziehen?

Monnica wollte nicht mehr so lang warten und machte den ersten Schritt zur Versöhnung. Aufatmend kehrte Augustinus in sein Vaterhaus zurück. Aber der Zwanzigjährige dachte nicht daran, die Tränen seiner Mutter zu trocknen. Im Gegenteil: Als sie ihm von einem Traum erzählte, in dem ihr ein junger Mann prophezeite, wo sie sei, sei auch ihr Sohn, wollte er darunter ihre künftige Konversion zum Manichäismus verstehen. Schlagfertig verbesserte sie ihn: Er werde dort sein, wo sie sei.9

Monnicas Bohren ging dem Manichäer in der Folgezeit bei weitem nicht so nahe wie ein anderes Ereignis, das ihn bis ins Mark schütterte: In Thagaste hatte er einen Gleichaltrigen wiedergetroffen, mit dem er zusammen in die Schule gegangen war und gespielt hatte. Allzu eng war damals ihre Beziehung nicht gewesen. Jetzt gewann Augustinus ihn, der sich vom christlichen Glauben seiner Kindheit entfernt hatte, für den Manichäismus, und im Lauf seiner Bekehrung entwickelte sich aus der Glaubensgemeinschaft eine tiefe Freundschaft, „die mir süßer war als alle Süßigkeiten meines damaligen Lebens“.10 Doch plötzlich wurde der kraftstrotzende junge Mann von einem schweren Fieber befallen. Er fiel ins Koma, und die Angehörigen, die mit seinem Tod rechneten, ließen den Bewusstlosen taufen. Überraschend wurde er wieder gesund, und als Augustinus den Rekonvaleszenten sprechen konnte, begann er über die Taufe zu spotten, die der Freund über sich habe ergehen lassen müssen. Der Spötter erwartete den gleichen Spott bei seinem Gegenüber. Aber der andere wich entsetzt zurück und verbat sich bei ihrer Freundschaft die lästerliche Rede. Im Stillen verschob Augustinus die Auseinandersetzung auf eine spätere Zeit, wenn der Freund wieder völlig hergestellt sei. Dazu kam es nicht mehr. Wenige Tage nach ihrer Begegnung erfuhr Augustinus, der Freund habe einen Rückfall erlitten und sei gestorben.11

Die Nachricht war ein Schock: „Welch ein Schmerz verfinsterte mein Herz; wohin ich blickte, sah ich den Tod. Meine Vaterstadt war mir zur Qual geworden, mein Vaterhaus zu einem sonderbaren Unglücksort, und alles, was ich mit ihm geteilt hatte, hatte sich ohne ihn in eine unermessliche Folter verwandelt. Von überall her erwarteten ihn meine Augen, und doch tat sich nichts. Ich hasste alle Dinge, weil sie ihn nicht mehr hatten und sie mir nicht mehr sagen konnten: ‚Sieh, er wird kommen‘, so wie zu seinen Lebzeiten, wenn er nicht hier war.“12

Mit seiner Klage um den toten Freund versicherte sich der Trauernde, dass sie beide in idealer Weise das von Cicero und anderen immer wieder zitierte „alte Gesetz echter und wahrer Freundschaft“ verwirklicht hatten: „Dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen.“13 Für christliche Freunde gehörte dazu ausdrücklich der gemeinsame Glaube. Auch dafür konnten sie sich auf Cicero berufen: „Freundschaft ist nämlich nichts anderes als Übereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Dingen mit Wohlwollen und Liebe.“14 Er sei sich selbst ein Rätsel geworden, fuhr Augustinus fort, und in seiner Verwirrung habe er sich gesagt: „Hoffe auf Gott!“. Der Blick in die Zukunft war das Eingeständnis, dass er vorläufig am Manichäismus noch nicht irre wurde und der Tod des Freundes ihn nicht bewog, das Gesetz der Freundschaft wenigstens im nachhinein zu befolgen und zum Glauben des Neugetauften umzukehren. Stattdessen wurde der Verlust des Freundes, seines „zweiten Ichs“, für den Einundzwanzigjährigen Anlass, sich zum ersten Mal in seinem Leben Gedanken über das Sterben zu machen. Todesfurcht wechselte mit Lebensüberdruss. Im „Revidierten Werkverzeichnis“ war dies einer der Abschnitte, den er sich mit einem Selbstzitat noch einmal ins Gedächtnis rief: „Und deshalb, – sagte ich –, fürchtete ich möglicherweise zu sterben, damit jener (dann erst) völlig tot sei.“15 In diesem Zustand schien ihm eine Ortsveränderung das beste Heilmittel zu sein, um Abstand von dem Toten zu gewinnen. Er beschloss, wieder nach Karthago zu gehen. Denn dort „suchten ihn meine Augen weniger, wo sie ihn zu sehen nicht gewohnt waren.“16

Er gehe wegen einer besseren Stellung in die Hauptstadt zurück, verriet Augustinus seinem Gönner Romanianus. Der Mutter verschwieg er seine Absicht, um sich ihren neuerlichen Tränenstrom zu ersparen. Hatte er schon seine Fühler zu alten Freunden in Karthago ausgestreckt? Oder erreichte ihn von dort, wo man seine Fähigkeiten zu schätzen wusste, die Mitteilung, er habe gute Aussichten, eine Professur für Rhetorik zu übernehmen? Romanianus war zunächst enttäuscht. Augustinus’ Weggang würde für Thagastes Bildungswesen ein Verlust sein. Doch dann sah er ein, dass er dem Aufstieg seines Schützlings nicht im Weg stehen durfte. Großmütig versprach er, ihn weiter zu unterstützen, bis er ganz auf eigenen Füßen stehen könne.17

Augustinus

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