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1.2 Der Traum in antiken Kulturen

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Auch in der antiken Philosophie herrscht die Idee eines Austauschs mit einer transzendenten Ebene in Träumen vor. Dort ist demnach die Seele befreit vom Grab ihres Körpers und kann nun frei mit den höheren Mächten der göttlichen Sphäre kommunizieren. So benennt Platon (428/27–348/47 v. Chr.) im »Symposion« die Dämonen, zu denen auch Eros gehört, als die Urheber der Träume. Und Syrenus von Kyrene (geb. ca. 370–75 n. Chr.), einer der wichtigsten antiken Autoren zum Traum, formuliert noch viele Jahrhunderte später: »Der eine, heißt es, wird wachend, der andere im Schlaf belehrt. Aber beim Wachenden ist es ein Mensch, der belehrt, beim Schlafenden ein Gott.« (Meier, 1995, S. 103)

Bereits Heraklit (ca. 520–460 v. Chr.) beschreibt eine Auffassung vom Traumgeschehen, das dem heutigen Verständnis einer subjekt-stufigen Deutung von Trauminhalten schon sehr nahe kommt: »die Wachen haben eine einzige gemeinsame Welt; im Schlaf wendet sich jeder der eigenen zu.« (Heraklit, 1983, S. 29).

Aristoteles (384–322 v. Chr.) hingegen hebt hervor, dass sich in den Träumen die im Wach-Bewusstsein nicht wahrgenommenen feineren Sinneswahrnehmungen des eigenen Körpers durchsetzen können. Hier stammen die Träume schon nicht mehr explizit von den Göttern. Es deutet sich eher etwas an, das heute unter der Verarbeitung von Tagesresten in Träumen verstanden wird, oder aber als eine Art Reinigungsvorgang, in dem bisher unverarbeitete Informationen durchgespielt werden. Jedoch geht es hier kaum mehr um eine Bedeutung der Trauminhalte oder gar um das Verständnis von Botschaften einer anderen Ebene. Es zeigt sich vielmehr schon die Wurzel einer rationaleren Auffassung, die sich später weiterverfolgen lässt.

Die am weitesten verbreitete Kultur und zugleich Höhepunkt therapeutisch wirksamer Traumarbeit in der Antike, aber auch Vorgänger der Sanatorien der Neuzeit, war die Verbreitung der Inkubation, die Praxis des Heilschlafs. So gab es eine ganze Reihe von Gottheiten, die an spezifischen Orten kulthaft verehrt wurde, um Heilung zu erlangen. Meist handelte es sich dabei aufgrund der antiken Vorstellung einer engen Verbindung von Körper und Erde um chthonische Wesen. Unter ihnen sticht besonders die Figur des Heilgottes Asklepios hervor, dem 420 Heiligtümer, sogenannte Asklepieien, zugeordnet werden. Eine ausführliche Darstellung dieser Thematik findet sich bei C. A. Meier (Meier, 1995, S. 112ff.). Im Folgenden soll nur ein kurzer Überblick zum Kult der Inkubation gegeben werden, um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie eine therapeutisch motivierte Arbeit mit Träumen auf eine mehr als zweitausendjährige Tradition zurückreicht und wie diese sich darstellte.

In speziellen Tempelanlagen und Heiligtümern konnten sich Kranke einfinden und nach Heilung suchen. Jeder wurde zugelassen – mit Ausnahme von Sterbenden oder Gebärenden, da der heilige Bezirk von Geburt und Tod rein gehalten werden musste. Am Anfang standen Reinigungs- und Opferriten, die der Vorbereitung und auch der Vorausschau auf den zu erwartenden Heilungserfolg dienen sollten. Mitunter musste abgewartet werden, bis die Opfer den Kairos anzeigten, den geeigneten Augenblick. Verliefen die Opfer günstig, durfte der Heilungssuchende auf der Kline, dem Lager (davon abgeleitet der moderne Begriff der »Klinik«), im Abaton des Tempels schlafen (Abaton = »der nicht von Ungebetenen zu betretende Raum«). Dieses war der eigentliche Vorgang der Inkubation (incubare = »aufliegen«, »im Heiligtum schlafen«), bei der es darauf ankam, so lange dort zu verweilen, bis sich der richtige Traum einstellte, was durchaus lange sein konnte. Es gibt Berichte von den freiwilligen »Tempelgefangenen« oder den »Gefesselten der Göttin Isis«, die viele Jahre an diesen Orten verbrachten, z. B. von Apuleius, dem Autor von »Amor und Psyche«.

Gewünschte und günstige Inhalte waren Träume, in denen Asklepios oder eine andere mit ihm verwandte oder mit der Heilkunst in Verbindung stehende Figur erschien. Die Träume mussten sorgfältig aufgeschrieben werden. Teils wurden sie sogar als Beweis der Heilkräftigkeit eines Tempelbezirks auf Säulen schriftlich festgehalten und veröffentlicht.

Stellten sich keine Träume ein, galten auch Visionen des Gottes in Wach- oder Halbwachzuständen als heilkräftig. So gibt es Berichte, dass die sorgfältig notierten Träume mit denen der Priester verglichen wurden. Dabei kam es darauf an, dass eine Koinzidenz zwischen den Träumen der Heilungssuchenden und denen der Priester der Gottheit erkennbar wurde, ein sogenanntes symptoma (= »etwas, das auf etwas anders schließen lässt«). Auch lässt sich die Vorstellung erkennen, dass mithilfe des Traums eine Verbindung hergestellt wird zwischen der Ebene des Menschen und der göttlichen Sphäre, in diesem Fall über die vermittelnde Gestalt des Priesters der jeweiligen Gottheit. Heilungsvorgänge wurden begriffen als die Herstellung eben dieser Verbindung. Noch heute basiert die Grundidee einer therapeutischen Arbeit mit Träumen in der Tiefenpsychologie darauf, dass eine Verbindung zwischen Ich-Bewusstsein und unbewussten Inhalten gefördert wird. Offenbar wurden damals schon Übertragungsphänomene wie Übereinstimmungen in den Trauminhalten zwischen Priestern und Heilungssuchenden als wichtiges Element des Prozesses wahrgenommen.

Außerdem waren diese Einrichtungen darauf angelegt, den Menschen ein sehr umfassendes, in heutigen Begriffen ganzheitliches Angebot zu unterbreiten. So befinden sich diese Tempelanlagen, wie noch heute in Epidauros nachzuvollziehen, in ausgesucht schönen Landschaften: Es gab prachtvolle Architektur, ein kulturell anregendes Angebot mit Theateraufführungen und Mysterienspielen, gesunde Ernährung und diätetische Angebote, durchaus vergleichbar mit den modernen Kurstädten und ihren Sanatorien.

Von großer Bedeutung war die Anwesenheit von Schlangen im heiligen Bezirk, die, wenn auch ungiftig, sicher wesentlich zu einer besonderen Atmosphäre beitrugen; eine Markierung, sich hier nicht im alltäglichen Raum zu befinden, sondern in der Nähe von etwas Fremdem, Unberechenbarem, Erdhaften, etwas, das zugleich Angst und Faszination, Furcht und Ehrfurcht erzeugen kann, ein tremendum et fascinosum – ein Begriff, der auf den Theologen und Religionswissenschaftler Rudolf Otto zurückgeht und den Jung als Charakteristikum in der Begegnung mit einer numinosen Sphäre übernimmt.

Lässt man sich innerlich auf die Atmosphäre eines solchen Ortes ein, wird nachfühlbar, dass Träume, die in diesem besonderen Raum geträumt werden, sehr eindrückliche Spuren hinterlassen können. Es ist naheliegend, dass Menschen, die sich diesem Prozess für einige Tage, Wochen oder gar längere Zeit aussetzten, verändert daraus hervorgingen und Entwicklungen für sie angestoßen wurden. Der Traum wurde so zu einem Orakel und einem wichtigen Instrument im Prozess von Krankheit und Heilung.

Eine Besonderheit in der antiken Literatur zum Traum stellt das Standardwerk »Das Traumbuch« des Artemidor von Daldis dar, der als der bekannteste Traumdeuter seiner Zeit gilt und mit dieser Tätigkeit seinen Lebensunterhalt verdiente. Für ihn besteht der wesentliche Sinn von Träumen darin, Voraussagen über die Zukunft zu erhalten. Jedoch vertritt er auch Grundauffassungen zum Traum, die heute noch Verwendung im therapeutischen Kontext finden. So unterscheidet er zwischen den beiden Kategorien des Traums (enhypnion) und des Traumgesichts (oneiros), wobei letzteres die eigentlich aussagekräftigen Informationen enthält. Das, was Artemidor als herkömmlichen Traum bezeichnet, entspricht am ehesten der Wiedergabe von Tagesresten, wobei diese bei Artemidor vor allem an körperliche Bedürfnisse geknüpft sind, die etwas missverständlich als »Affekte« übersetzt werden: »Es gibt gewisse Affekte, die so geartet sind, daß sie im Schlaf wieder emporsteigen, sich der Seele wieder darbieten und Träume hervorrufen.« (Artemidor, 1979, S. 9). Der Hungrige träume demnach vom Essen, der Durstige vom Trinken, der Liebhaber von seinem Lieblingsknaben. Der Inhalt solcher Träume wirke jedoch im Wachen nicht nach. Bei Traumgesichten hingegen wirke dieses weiter: »nach dem Schlaf aber erweckt und erregt es seiner Natur gemäß die Seele, indem es zu aktivem Handeln antreibt.« (Artemidor, 1979, S. 10). Artemidor stellt ganze Deutungskataloge von Traumsymbolen auf, die auf einem relativ konkretistischen Symbolverständnis gründen, das sehr an die Anfänge der Freudschen Symboldeutung in Träumen erinnert: »Allegorisch sind diejenigen Traumgesichte, die ein Ding durch ein anderes anzeigen, wobei die Seele auf natürliche Weise in ihnen mit verhüllten Anspielungen spricht.« (Artemidor, 1979, S. 11). Er geht aber noch weiter und entwirft eine Kategorisierung in mehrere Klassen von Träumen, in denen sich Konzepte der Analytischen Psychologie wie das der Subjekt- und Objekt-Stufe oder kollektive und archetypische Trauminhalte, die er als »kosmische Traumgesichte« bezeichnet, mühelos wiederfinden lassen.

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