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Kai Aline Hula Betreten verboten!

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Auf dem Zaun vor dem verlassenen Haus am Hügel saß ein Bub.

Bruno sah ihn vom Fenster aus.

Es war der dritte Tag der Ferien und bis jetzt hatte Bruno weit und breit kein Kind getroffen. Hier gab es nur Kühe, Ziegen und jede Menge langweiliger Erwachsener.

Und das verlassene Haus am Hügel, aber dorthin durfte Bruno nicht. Es konnte jederzeit einstürzen, hatte Papa gesagt.

Seitdem hatte Bruno also allein gespielt und sich gelangweilt. Bis heute.

Heute stand er am Fenster und sah plötzlich diesen Buben auf dem Zaun sitzen.

Kein Wunder, dass Bruno sofort aus dem Haus und den Hügel hinaufrannte!

Der Bub auf dem Zaun baumelte mit den Beinen. Er war dünn und blass und hatte abstehende Ohren.

„Hallo“, sagte Bruno. „Wie heißt du?“

„Rasko“, sagte der Bub. „Und du heißt Bruno, stimmt’s?“

Rasko, dachte Bruno, was für ein eigenartiger Name. Und wieso kannte er Brunos Namen?

Aber Bruno fragte nicht nach, sondern zeigte stattdessen hinunter zu den Ferienhäusern. „Ich wohne da unten.“

„Ich weiß“, sagte Rasko und sprang vom Zaun. „Und es ist gut, dass du kommst. Ich brauche eine Hose.“

Bruno runzelte die Stirn. „Du hast doch eine Hose an“, sagte er.

Das stimmte, Rasko trug eine graue Hose, die ihm ein bisschen zu kurz war, außerdem ein kariertes Hemd und braune Sandalen. Allerdings waren die Sachen tropfnass, das fiel Bruno erst jetzt auf.

„Ich brauche eine andere“, sagte Rasko und schüttelte den Kopf. „Siehst du nicht, dass ich ganz nass bin? Und ein anderes Hemd und neue Schuhe brauche ich auch. Kannst du mir das besorgen?“

„Kannst du das nicht selbst von zu Hause holen?“, fragte Bruno. Mama mochte es nicht gern, wenn er Dinge verborgte. Und Rasko kannte er ja erst seit fünf Minuten!

„Das geht nicht“, sagte Rasko. „Wenn du mir nicht helfen kannst, muss ich jemand anderen fragen.“

„Na gut“, sagte Bruno schnell. Er hatte keine Lust, schon wieder allein zu spielen. „Wohnst du auch in einem Ferienhaus?“

„Nein, ich wohne hier.“ Rasko deutete auf das verlassene Haus hinter dem Zaun.

Bruno war überrascht. „Ich dachte, hier wohnt niemand mehr. Mein Papa hat gesagt, das Haus kann jederzeit einstürzen!“

„Natürlich wohnt hier jemand!“ Rasko runzelte die Stirn. „Und zwar ich.“

„Du, ganz allein?“

„Natürlich nicht ganz allein!“ Jetzt klang Rasko ärgerlich. „Welches Kind wohnt denn schon ganz allein? Ich wohne hier mit meinen Eltern. Und heute ist Sonntag, stimmt’s?“

„Ja“, sagte Bruno.

„Dann habe ich einen dringenden Termin. Und dafür brauche ich eine neue Hose, ein Hemd und Schuhe.“


Bruno nickte. „Ich kann dir etwas von meinen Sachen borgen.“

Mama musste ja nichts davon wissen.

Rasko sah Bruno streng an. „Sie müssen aber schwarz sein. Und eine Krawatte brauche ich auch.“

„Eine Krawatte auch? Und wieso unbedingt schwarz?“

„Ich gehe auf eine Beerdigung“, sagte Rasko feierlich. „Dort trägt man nun einmal schwarz. Kannst du mir jetzt helfen oder nicht?“

„Ich schaue mal, was ich tun kann“, sagte Bruno und dann lief er den Hügel wieder hinunter zum Ferienhaus.

Mama lag vor dem Haus in der Sonne und las ein Buch. Papa lag hinter dem Haus im Schatten und las eine Zeitschrift.

Beide schauten nicht einmal auf, als Bruno vorbeikam.

In seinem Kasten lag eine schwarze Trainingshose, aber all seine T-Shirts waren bunt. Bruno schlich ins Schlafzimmer von Papa und Mama. In Papas Koffer fand er ein schwarzes Hemd, das Rasko zu groß sein würde. Aber immerhin war es schwarz.

Im Vorzimmer standen Mamas schwarze Laufschuhe, die würden Rasko vielleicht sogar passen.

Jetzt brauchte Bruno noch eine Krawatte.

Leider trug Brunos Papa keine Krawatten, weder schwarze noch bunte.

Deshalb nahm Bruno schließlich ein schwarzes Seidentuch von Mama. Überhaupt machte Rasko ja sicherlich nur Spaß. Wenn er wirklich auf eine Beerdigung ginge, hätten seine Eltern ihm ja schwarze Sachen gekauft!

Mit seiner Ausbeute lief Bruno den Hügel wieder hinauf. Der Zaun war leer.

Von Rasko war weit und breit nichts zu sehen. Bruno öffnete das Tor, aber auf halbem Weg zum Haus stand ein Schild:


Also doch!

Rasko hatte ihn angelogen. Und versteckt hatte er sich auch noch. Bruno war enttäuscht.

Er wollte gerade wieder umdrehen, da hörte er eine Stimme hinter sich. „Was tust du denn da, Junge?“

Ein bärtiger Mann mit grünem Hut stand am Zaun.

„Hier darfst du nicht rein, das steht doch hier auf dem Schild!“

Bruno nickte. „Ich wollte nur meinem Freund etwas bringen. Er wohnt hier.“

„Deinem Freund?“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Hier wohnt seit fünfzig Jahren niemand mehr. Die Hausbesitzer sind nach dem Unfall weggezogen und nie wiedergekommen.“

„Unfall?“ Bruno spürte sein Herz klopfen. „Welchem Unfall?“

Das Gesicht des Mannes verfinsterte sich. „Ihr einziger Sohn ist im See ertrunken, mitten in der Nacht. Niemand weiß, was er da draußen gemacht hat.“

In Brunos Nacken kribbelte es. Raskos Gewand war ganz nass gewesen, das fiel ihm jetzt ein. Als wäre er schwimmen gewesen …

Bruno bekam eine Gänsehaut. Er nahm all seinen Mut zusammen und fragte:

„Und wissen Sie, wie der Sohn geheißen hat?“

Der Mann nickte. „Oskar hat er geheißen, der arme Junge.“

Vor lauter Erleichterung fielen Bruno fast die schwarzen Sachen aus der Hand.

Der Mann sprach von einem ganz anderen Buben!

Er verabschiedete sich und suchte noch eine Weile nach Rasko, aber der blieb spurlos verschwunden. Das schwarze

Hemd und das Seidentuch räumte Bruno heimlich zurück.

Erst in der Nacht, als Bruno im Bett lag, fiel ihm etwas auf. Er knipste das Licht noch einmal an und holte Papier und Stift. Dann schrieb er in großen Buchstaben auf das Papier:

RASKO

Und darunter dieselben Buchstaben in vertauschter Reihenfolge. Jetzt stand da:

OSKAR

Bruno wurde ganz kalt.

Er knüllte das Papier zusammen und warf es aus dem offenen Fenster. Dann verriegelte er das Fenster doppelt und zog sich die Decke über den Kopf.

Zum Haus auf dem Hügel ging er die ganzen Ferien nicht mehr.

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