Читать книгу Große Füße - Lara Johnson - Страница 5

Kapitel 1 Zum Wunderland geht's hier entlang

Оглавление

Scheidung! Noch vor nicht allzu langer Zeit war dieser Begriff für mich ein Fremdwort. Immer belä­chelte ich junge Pärchen, die diesen kostspieligen Service schon nach so kurzer Zeit in Anspruch nah­men. “Wird mir nie passieren!”, sagte ich immer. Bis ich auf einmal selbst in der Situation war, wo meine Ehe ein recht schnelles Ende fand. Von da an dürfte ich mir, vermutlich zwecks Lektion des lie­ben Herrgott, genau dieselben dämlichen Sprüche von anderen reinpfeifen, welche ich früher auch im­mer gerne vom Stapel fallen ließ. Tja, dumm gelau­fen. “Die jungen Leute geben heutzutage viel zu schnell auf!” “Bei den meisten Trennungsgründen handelt es sich doch nur um Kleinigkeiten!” “Es gibt immer Höhen und Tiefen in einer Ehe und ge­meinsam muss man diese durchleben!”, hieß es aus sämtlichen Besserwisser Mündern. Ja, ja, bla, bla. Verdammt es läuft nun mal nicht überall gleich.

Mag sein, dass ich im Nachhinein durch die ständige mich selbst Fragerei nach dem Warum, Wieso und Weshalb, zu der Erkenntnis gekommen bin, dass ich geheiratet hatte, weil ich dachte ich würde niemand Besseren bekommen oder verdienen, dass ich noch gar nicht gewusst hatte, wie sich Liebe wirklich an­fühlt, so wie viele dies nicht wissen, dass ich mög­licherweise unterbewusst Angst vor dem Alleinsein empfand und damals noch gar nicht erkannte, was für mich wichtig und was unwichtig war. Doch das alles hatte ich vor der Hochzeit nicht gewusst und definitiv über solche Eheschließungsgründe falsch gedacht.

Schlussendlich wurde mir zumindest schon mal zwei Jahre danach klar, was ich nicht wollte und zwar so weiter leben wie bisher und ich wusste zumindest schon mal in der Theorie, wie ich mir meinen Traummann vorstellte:

Einen Mann nicht zu lieb, nicht zu böse, nicht zu asozial, nicht zu spießig, abenteuerlustig, humorvoll, ehrlich, interessant, aufregend, treu, geheimnisvoll, wissbegierig, halbwegs intelligent, jedoch keinen Klugscheißer, tierlieb und auf mich unbedingt attraktiv wirkend. Ach ja und wichtig wäre dann noch sein gutes Stück in angemessener Größe, bitte. Bevor ich so jemanden nicht begegnen würde, bliebe ich lieber für den Rest meines Lebens alleine, so schwor ich es mir. “Ja nee ist klar, Lara, sonst noch Wünsche? Na dann viel Glück”, dachte ich mir, aber besser anspruchsvoll, als anspruchsleer.

Gründe, diese Ehe zu beenden, besaß ich reichlich. Es waren keine Prinzipienkloppereien oder lächerliche Kleinigkeiten, es waren ausschlaggebende, wichtige Gründe. Immerhin habe ich mir, wie manch anderer, keine zehn Jahre damit Zeit gelassen und diese somit vergeudet, sondern gab dieser Beziehung etwa ein Jahr, um sich zu regenerieren. Dennoch, sie scheiterte und zu guter Letzt verschwand auch noch das Gefühl von Liebe in mir. Da half nichts mehr. Aus, vorbei, einmal gestoppt, nie mehr gepoppt. War der Schalter in meinem Kopf diesbezüglich einmal umgelegt, sprang er nicht mehr zurück, egal ob ich es wollte oder nicht. So ist das Leben.

Aufgeben musste ich das gewohnte Umfeld und die Sicherheit, denn finanziell ging es mir gut in dieser Ehe, jedoch nur das allein machte mich nicht glücklich und hielt mich nicht bei meinem Mann. Er hieß Mirko, 33 Jahre alt, zukünftig geschieden und plötzlich alleinstehend, genau wie ich.

“Und jetzt soll alles anders werden”, dachte ich.

Auf der einen Seite wollte ich dieses zwar langwei­lige, dennoch sichere Leben, nur nicht mit ihm und auf der anderen sehnte ich mich auch nach Span­nung und Abenteuer.

Ich versuchte in derselben Gegend, auf dem Berg, wo meine Freunde wohnten, etwas abseits von der Stadt in der ich leb­te, eine günstige Behausung zu finden. Vergeblich! Mir fehlte einfach das nötige Kleingeld für dieses betuchtere Umfeld und ebenso das Glück eine aus­nahmsweise weniger kostenintensive Wohnung zu ergattern. Was zu zweit zuvor finanziell kein Thema war, ging nun alleine eben nicht mehr. So zog es mich zwangsweise wieder in Richtung Stadt, in die Nähe meines früheren Aufwuchsghettos.

Die erste Wohnung in dieser Gegend, welche ich mir ansah, sollte es schon sein. Schicksal oder Zufall, man weiß es nicht. Pünktlich zehn Minuten zu früh stand ich vor der Tür und wartete in der Straße, durch die ich als Kind von der Grundschule aus jeden Tag zu meiner Oma ging. Sofort überkam mich ein Wohlfühlgefühl, noch bevor ich die Wohnung überhaupt gesehen hatte. Schon kurze Zeit später bekam ich den Schlüssel und konnte einziehen in mein neues Reich.

Hilfe hatte ich, Gott sei Dank von einigen Freunden, beim Umzug, beim Pinseln, in Sachen Beratung und beim Organisieren günstig gebrauchter Möbel. In solchen Zeiten merkt man definitiv, wem man wirklich wichtig ist.

Wer mir unglaublich viel zur Hand ging war mein Ex- und bis dahin bester Freund Boris. Er verstand sich auch recht gut mit Mirko. Vor circa neun Jahren waren wir mal für eine Weile ein Paar. Mehr als nur gute Freundschaft empfand ich für ihn schon lange nicht mehr und auch bei ihm schien dies der Fall zu sein. Wir waren schon irgendwie richtig stolz auf dieses gute Verhältnis und der lebende Beweis dafür, dass Freundschaft zwischen Ex und Ex auch möglich ist. Ich konnte ihm alles erzählen, mit ihm über alles reden. Er regte sich immer über all die Männer auf, die nur das “Eine” wollten, aber nicht in der Lage waren mir zum Beispiel beim Umzug zu helfen. Boris war jeden Tag da, half mir streichen und Sachen schleppen, besorgte mir alles was ich benötigte und war immer zur Stelle, wenn ich ihn brauchte. Ohne ihn hätte ich es sicherlich wesentlich schwieriger gehabt. Auch meine längsten Freundinnen Maria, Anita und Bettina standen mir viel zur Seite. Selbst auf meine Kollegen und sogar auf meinen Chef konnte ich zählen.

Die erste Nacht in der neuen Wohnung war das komplette Gegenteil von dem, was andere sagten und ich vorher dachte. Immer hatte ich das Problem allein zu schlafen. Tja, diesmal nicht. Ich war erleichtert und hatte Ruhe. So friedlich schlief ich lange nicht mehr. Wirklich allein war ich sowieso nicht, denn mein halber Zoo war schließlich bei mir. Meine drei Miezen, mein Streifenhörnchen und eine Maus schenkten mir reichlich Zuneigung, sorgten für Abwechslung und nicht aufkommende Langeweile, durch genügend von ihnen verursachten Schabernack, welcher mich automatisch zur Zwangsarbeit wie Putzen, Reparieren und Füttern verdonnerte.

Zusätzlich, als Mittel gegen die möglich aufkommende Langeweile gab es ja auch noch das Internet. Das liebe www, wo sich die bekloppte Lara bisher immer gegen gewehrt hatte. “Habe ich bisher nicht gebraucht, brauche ich auch in Zukunft nicht”, sagte ich immer. Ja, sicher und heute, bin ich fast schon süchtig danach.

In erster Linie legte ich mir den Draht in diese neue Welt, weil es dort so tolle Portale gab, wo viele meiner Freunde angemeldet waren. Unter anderem meinVZ. Das ist eine Seite, wo man von sich ein Profil erstellt, Fotos hochladen kann, mit anderen chatten und spielen und von Freunden, alten Klassenkameraden gefunden werden kann. Von da an musste ich jeden Tag ins meinVZ oder in den gängigen Chat bei ICQ. Mit Hilfe des Internets, bekam ich wieder viel mehr mit, lernte neue Leute kennen und traf alte Freunde wieder. So saß ich also die meiste Zeit nur vor meinem Laptop. Das erste was ich tat, als ich nach Hause kam, ping - Internet an.

Nach dem ganzen Tohuwabohu mit Mirko und dem Umzug in meine neue Wohnung, folgte erst einmal mein verdienter Urlaub. Ich hatte ein wenig Ruhe und Entspannung wirklich nötig. Abschalten und das Geschehene verarbeiten. Ach wie gern wäre ich weggefahren. Was hätte ich alles dafür getan, mein Meer wiederzusehen. Sonst bin ich jedes Jahr im Urlaub gewesen. Immer an die Ost­see. Meine absolute Lieblingswohlfühlgegend. Doch was sollte ich machen. Mein ganzes Erspartes ging für den Wohnungswechsel drauf und das Auto musste bald auch noch zum TÜV.

Was mir zu dem noch bevorstand, war die Organisation des Junggese­linnenabschieds von meiner Freundin Maria. Ich hatte die Ehre ihre Trauzeugin sein zu dürfen. So sehr ich mich auch über diesen Freundschaftsbeweis freute, so sehr war ich betrübt über diesen extrem unpassenden Zeitpunkt. Natürlich war dieser von ihr schon lange geplant und selbst wenn auch nicht, es war schließlich mein Leben was zerbrach und nicht ihres. Maria konnte ja nichts dafür, keiner konnte etwas dafür. Sie hatte einfach in dem Punkt mehr Glück. In dieser Sache hatte ich sie schon immer etwas beneidet, allerdings war es absolut positiver Neid. Sie hatte ihren Erfolg in Sachen Liebe in jedem Fall verdient. Besaß sie doch ein gutes Herz, welches eine Rarität ist heutzutage.

Schon als ich noch mit Mirko zusammen war, sah man die Unterschiede zwischen uns Pärchen deut­lich. Michael, Marias Freund zeigte ihr ständig, wie sehr er sie liebte. Nahm sie häufig in den Arm, auch in aller Öffentlichkeit, sodass es jeder sah. Er strei­chelte sie, machte ihr schöne Komplimente und bereitete ihr des Öfteren die ein oder andere nette Überraschung. Sicherlich knallte es auch mal ab und an hef­tig zwischen den beiden, allerdings recht selten und das ist schließlich normal. Auch häufige “Bettgymnastik” gehörte zu ihrem erfüllten Leben, wor­über wir oft sprachen und unsere kleinen ferkeligen Witze drüber rissen. Doch in diesen Momenten dachte ich nur: “Na toll, ich muss bei Mirko im­mer danach betteln”, und mein innerliches Ich, stöhnte auf in meinem Kopf.

Maria und ich sahen uns fast täglich. Uns verband ein gemeinsames Hobby: Das Pferd. Wir hatten uns schon oft unsere Zukunft ausgemalt, planten in zwei Jahren unsere Mutterschaft ein, doch jetzt kam alles anders. Ihre Hochzeit stand ins Haus und meine Scheidung war nur noch eine Frage der Zeit. Diese Konstellation passte mal so gar nicht zusammen. Sie voller Freude und ich voller innerlicher Traurigkeit. “Ach, Arsch lecken”, dachte ich mir, “Da musste jetzt durch, Lara.” Ich war doch immer der Experte im “alles wird wieder gut” Gerede und eigentlich beschränkte sich mein damals täglicher Anfall an Depressionen auf circa fünf Minuten heulen und danach konnte ich wieder darüber lachen. “Jammern hilft dir eh nicht weiter”, sprach die freundliche Stimme in meinem Kopf. “Es hätte auch alles noch viel schlimmer kommen können. Guck dir nur andere an, alleinerziehende Mütter zum Beispiel” “Ja, ja, ist ja gut”, toll, solch eine Diskussion mit einem selbst. “Ich reiß mich ja schon zusammen. Ab sofort wird nach vorne geblickt”, nahm ich mir fest vor.

Meine Entjungferung als Trauzeugin begann also. Ich hatte keinen Plan, verdammter Mist. Es ging um meine beste Freundin und ich hatte keine Ahnung von dieser für mich fremden Materie. Es sollte alles perfekt sein. In der Regel heiratet man ja schließlich nur einmal. “Haaaa, haaa”, würde Nelson von den Simpsons jetzt sagen und mit dem Finger auf mich zeigen, doch das letzte was ich wollte war eine enttäuschte Maria.

In meinem Kopf herrschte das reinste Chaos. Wild feierten vergangene Ereignisse, *Matumbos und Zukunftsträume in mei­ner Birne eine Party. Nein, Schluss jetzt. Ich ver­suchte meine Gedanken zu sortieren und biss mir in den Hintern. Auch googeln brachte mich nicht wirklich weiter. “Zu teuer, zu einfallslos, zu weit weg, zu pervers, obwohl, nein, besser nicht! Ach manno. Am bes­ten warte ich noch ein paar Tage ab und genieße erst mal meinen Urlaub, dann wird mir schon was ein­fallen”, dachte ich und versuchte auf andere Gedan­ken zu kommen.

Boris hatte zur selben Zeit Urlaub genommen, wie ich. Wir überlegten schon für ein paar Tage zusam­men weg zu fahren. Dagegen sprach aller­dings leider das liebe, nicht vorhandene Geld, mein TÜV-fälliges Auto, eine zu planende Hochzeit und ein komisches, mulmiges Gefühl in meiner Magen­gegend, wo sich die Ursache später noch für finden sollte.

Wir beschlossen unseren Urlaub mit anderen schönen Dingen zu gestalten und da das Wetter auch hier spitzenmäßig war, ging das auch vollkommen in Ordnung. Boris besaß ein Motorrad und Beifahrer sein war meine große Leidenschaft. Fast jeden zweiten Tag fuhren wir damit zum See um uns zu erholen und um 'ne Runde Fisch zu spielen. Wasser war absolut mein Element. Egal ob Meer, See oder Fluss. Hauptsache es war nass. Und wenn ich Lust hatte sprang ich hinein, ob mit Bikini oder wie Gott mich schuf, war mir egal. Nicht immer ist man schließlich vorbereitet.

Mit Boris war das kein Problem, Mirko fehlte dazu jede Form der Spontaneität. Auch mit ihm unternahm ich trotz Trennung solche Touren. Den Kontakt hatten wir bedingt wieder aufgenommen. Ich verbrachte also tagsüber die erste Zeit meines Urlaubs mit Mirko oder Boris oder beiden zusammen und abends beschäftigte ich mich mit dem Junggesellinnengedönse.

Gott sei Dank bekam ich in puncto Trauzeuginnenverpflichtung Hilfe von Marias Cousine. Sie war, im Gegensatz zu mir, ein Organisati­onstalent für solche Dinge und hatte schon x-mal etwaige Feiern geplant und gestaltet. Mit ihrer Unterstützung konnte nichts schief gehen. Was mir al­lerdings schon die ganze Zeit viel mehr Sorgen machte, war die Frage wer mich zur Hochzeit be­gleiten sollte. Alleine wollte ich nicht dahin. Das alles war für mich eh schon schwer genug. Boris als Partie lag nahe, doch da war dieses komische Bauchgefühl. Also blieb nur einer übrig: Mirko! “Vielleicht wäre diese Variante auch die vernünftigste”, überlegte ich seufzend. Die Frage war nur, ob er sich darauf überhaupt einlassen würde. Einige Tage später traf ich ihn.

“Mirkoooooooo, duuuuuuuuu, sag mal, hättest du vielleicht, eventuell, möglicherweise, ich meine, nur wenn du Lust hast, du musst ja auch nicht... ist jetzt nur 'ne Frage. Würdest du mit mir auf die Hochzeit von Maria und Michael gehen? Ich kann verstehen, wenn du nicht willst, aber ich dachte, wäre… vielleicht… ganz nett?”, druckste ich rum und blickte ihn an mit meinen kullerbraunen Augen, dabei ein unschuldiges Lächeln im Gesicht. “Ich weiß nicht, wäre schon komisch, keine Ahnung, überlege ich mir noch”, antwortete er. “Na toll, warum habe ich überhaupt gefragt, ich doofe Nuss. Nur weil Madame nicht genügend Arsch in der Hose hat, allein dort zu erscheinen”, ärgerte ich mich innerlich.

Wie ich es hasste auf andere ange­wiesen zu sein. Man hat immer das Gefühl, es ir­gendwie wieder gut machen zu müssen. Oder wie jetzt in diesem Fall, hatte Mirko sicherlich geglaubt, ich würde ihn brauchen. Und das wollte ich ganz si­cher nicht damit ausdrücken. Na ist halt so, fertig. Was blieb mir übrig.

“Sag mir aber bitte schnell Be­scheid, ansonsten frag ich jemanden anderes. Was ich ja eigentlich gar nicht will, aber das liegt bei dir”, war dann schließlich mein perfektes Schlussplädoy­er. Ganz ohne Hintergedanken natürlich. “Ja mach ich”, gab er als Antwort, “aber ich denke schon, dass ich mitkomme”. “Ha ätsch, gewonnen”, sprach die Stimme in meinem Kopf, doch sah er nur ein freundliches Lächeln und ein Nicken von mir. Gut, dass er meine Gedanken nicht lesen konnte.

Ich genoss erst mal weiter meinen Urlaub und versuchte meine Gedanken zu sortieren. Einfacher gesagt als getan, wären da nicht diese kleinen Steinchen, die mir irgendwer auf einmal immer schön brav in den Weg schmiss. Manchmal waren es nur ein paar Kiesel und manchmal ganze Felsen. Nur wer hätte gedacht, dass diese Felsen aus dem Freundeskreis kamen, welche vor meine Füße fielen.

Erst einmal gab es ein paar Steinchen des lieben Technischen Überwachungsvereins, welcher mein Auto als Schrottmöhre stempeln wollte. Ja gut bitte, es war ein altes Auto, mit einer extrem hässlichen Farbe in den Augen vieler Leute. Jedoch nicht für mich. Irgendwie hing ich an diesem Gefährt und von noch mehr Dingen wollte ich mich innerhalb von zwei Monaten eigentlich nicht unbedingt trennen. Außerdem war es mir immer treu und schließlich mein erstes Auto gewesen. Wenn mein Mann alt und grau und undicht ist, gebe ich ihn ja auch nicht einfach in die Presse und hol mir etwas Jüngeres, Schöneres.

Die Liste der zu reparierenden Dinge war nicht lang, aber da klaffte dieses Loch in meiner Geldbörse. “Das lohnt sich nicht mehr, tu die Karre weg”, waren die Worte des Mechanikers, den ich schon Jahre kannte. “Wie viel?”, fragte ich. “500-600 Euro”, erwiderte er. Bing, mir schossen die Tränen in die Augen. Ich musste raus aus der Halle, vor anderen weinen war mir immer schon unangenehm. Zum Glück hatte ich noch meinen Roller. Keine Schönheit, aber wenigstens ein vorübergehender, fahrbarer Unter­satz.

Auf diesen Schock brauchte ich dann erst mal einen Kaffee, den ich mir vor Ort in meiner Lieblingstankstelle genehmigte. Diese befand sich mit der dazugehörigen Werkstatt direkt neben dem Stall, wo mein Pferdchen untergebracht war.

Seit circa 14 Jahren ging ich dort fast täglich ein und aus, kannte jeden, den einen mehr, den anderen weniger. Unter anderem wurde diese besagte Tankstelle auch als Treffpunkt genutzt für die etwas jüngere, 70er/80er Jahre geborene Generation des Dorfes. Es hatte sich irgendwann so eingebürgert, dass ich es mir zum Ritual machte dort jeden Tag nach der Arbeit meinen Kaffee zu trinken. Ich glaube dieser Kaffeeautomat war die reinste Goldgrube, so viele Leute wie es gab die dort Geld einwarfen.

Als dann das heiß geliebte Koffein meine Blutbahn durchschoss, fing ich langsam an mich zu beruhigen. Sämtliches Grübeln und Heulen brachte sowieso nichts. “Also wozu aufregen, bezahle ich halt die Reparaturen”, dachte ich mir. “Klappt schon, hat immer irgendwie geklappt”, und relativ schnell war ich wieder gelöst und entspannt.

Noch vor ein paar Monaten hätte ich mich tagelang darüber aufgeregt und rumgejammert, doch jetzt half mir der Gedanke ab und an, dass alles noch viel schlimmer kommen könnte und es auch irgendwann wieder besser laufen wird. Was solche Dinge betraf, war ich nun schon viel ruhiger geworden. Meistens zumindest. Gott sei Dank. Es funktionierte ja, irgendwie. Und eigentlich konnte ich trotzdem noch zufrieden sein. Zwar war das Geld knapp, doch ins Minus kam ich so gut wie nie. Meine Beziehung war gescheitert, aber besser jetzt, als erst in zehn Jahren. “Ich bin gesund, habe tolle Freunde, eine bomben Familie, 'nen coolen Job und mein eigenes Pferd. Also was will man mehr?”, dachte ich so vor mich her, in der Hoffnung mich dadurch ein wenig selbst beruhigen zu können.

“Hhm, ja, da wäre schon noch eine Kleinigkeit zusätzlich zu der Misere mit dem Geld”, fuhr mir durch den Kopf, als ich mittlerweile schon auf dem Heimweg war. Ich vermisste Sex noch mehr als Zuneigung und zwar ganz enorm. “Ich bin doch echt total balla im Kopf. Anderen ging es viel schlechter, wissen heute nicht, ob sie morgen noch was zu essen haben und eine meiner größten Sorgen war, woher ich einen Matumbo bekomme”, schoss mir kopfschüttelnd durch die Birne.

Soviel wie Homer Simpson an Donuts, dachte ich an Sex. Vermutlich konnte ich noch nicht einmal etwas dafür, vielleicht lag es an meinen Genen oder an einem zu hohen Hormonhaushalt, keine Ahnung. Zu der Zeit dachte ich mindestens an die dreißigmal pro Tag an Ferkeleien.

Morgens beim Aufstehen, mein erster Gedanke: “Oh ja, Sex wäre jetzt nett.” Mein Zweiter: “Och nööö, aufstehen… gähn… erst mal Kaffee.” Und so weiter ging es: “Hhm, Sex. Guten Morgen Katzen. Waschen. Anziehen. Und jetzt ein lecker Kerlchen, das wäre schön”. So zog sich das im ständigen Wechsel mit alltäglichen Dingen über eine Dauer von 24 Stunden hinweg.

Es gab zwar reichliche Gelegenheiten, wenn ich gewollt hätte, nur auf irgendeinen dahergelaufenen Typen hatte ich keine Lust. Sowieso war das alles nicht mehr so einfach für mich wie früher. Irgendwie fiel es mir immer schwerer mit jemandem zu schlafen ohne Gefühle für denjenigen zu haben. So ein Mist.

Vor kurzem ergab sich noch ein, zweimal solch eine Testgelegenheit mit Mirko, wo ich merkte, dass so etwas bei mir nicht mehr ganz funktionierte. Nicht der Sex, sondern in meinem Kopf klappte es nicht mehr wirklich. Normalerweise konnte ich dabei sonst immer wunderbar abschalten und mich gehen lassen. Jetzt fiel mir immer mehr auf, dass ich währenddessen anfing zu denken und das war absolut fehl am Platz. Wäre ich ein Mann, würde ich sagen: “Da tat sich nichts in meiner Hose.” Nichts, nicht mal ein kleines Zucken. Gefühlsloser Sex war also keine wirkliche Befriedigung mehr für mich und so sollte es ja auch eigentlich sein. “Perfekt ist es nur dann, wenn Liebe im Spiel ist, nur dumm wenn gerade keine Gefühle da sind, wo kriege ich jetzt meinen so dringend benötigten Sex her, verflixt und zugenäht, verdammte Zwickmühle”, dachte ich ratlos. Tja, Pech, dann üben wir uns halt ein wenig in Selbstdisziplin. Blieb mir auch wohl nichts anderes übrig.

Zu Hause angekommen widmete ich mich wieder der Planung von Marias Abschied! Also klatschte ich mich aufs Sofa und wählte mir die Finger wund: “Ja hallo, hier ist... bla, bla, bla… die Trauzeugin von… bla, bla, bla… Hast du nicht Lust am… bla, bla, bla… mit auf den Junggesellinnenabschied zu kommen?” Telefonieren bis die Ohren bluteten.

So ging das dann die nächsten Tage. Kurz was essen, kurz zum Pferd, schlafen und wieder ran an den Speck. Na immerhin wusste ich ja, für wen ich es machte und das tat ich auch gern. Als ich allerdings meine Telefonrechnung bekam, fiel ich rückwärts vom Stuhl. Satte 200 Euro blinkten mir auf dem Blattpapier entgegen. “Ja, super, dass passt doch gerade echt gut, denn mit Geld wisch ich mir den Hintern ab, soviel habe ich davon. Ha, ha, ha, so ein Mist”, dachte ich leicht sarkastisch, etwas niedergeschlagen und akzeptierte letztendlich, was sich sowieso nicht mehr ändern ließ.

Große Füße

Подняться наверх