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Was den Heiligen und den Papst miteinander verbindet

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Da der Bischof von Rom – und damit der Papst – nach seiner Wahl den Namen Franziskus angenommen hat, legt es sich zwangsläufig nahe, dass man Franz von Assisi und Franziskus aus Rom miteinander vergleicht. Der Papst hat sich überdies ausdrücklich auf Franz von Assisi bezogen. Es geht selbstverständlich nicht darum, die beiden einfach zu vergleichen, sondern herauszufinden, welche Inspirationen sie verbinden, die der Kirche ein neues Antlitz im Geist des einfachen, demütigen und armen heiligen Franziskus geben können.

Eine Gemeinsamkeit ist nicht von der Hand zu weisen: die Krise der Institution Kirche. Der junge Franziskus sagt, er habe eine Stimme vernommen, die vom Gekreuzigten in der Kirche San Damiano herkam und ihm sagte: „Franziskus, baue meine Kirche wieder auf, denn sie liegt in Trümmern.“ Giotto hat dies gut dargestellt: Er zeigt Franziskus, wie er das schwere Gebäude der Kirche, das einzustürzen droht, mit seinen Schultern stützt.

Auch wir machen gerade aufgrund interner Skandale der Institution Kirche eine schwere Krise durch. Man vernimmt den allgemeinen Schrei (und die Stimme des Volkes ist schließlich die Stimme Gottes): „Richtet die Kirche wieder auf, denn ihre Moral und Glaubwürdigkeit liegen darnieder.“ Und so vertraute sich diese Kirche einem Kardinal an, der „vom Ende der Welt herkommt“, wie er selbst sagte, Jorge Mario Bergoglio aus Buenos Aires, dessen Auftrag als Papst darin besteht, inspiriert vom heiligen Franziskus die Kirche wiederaufzubauen.

Zur Zeit des heiligen Franziskus war Innozenz III. (1198 – 1216) an der Macht, der sich selbst als „Stellvertreter Christi“ bezeichnete. Mit ihm erreichte die Verweltlichung der Kirche ihren Höhepunkt. Ausdrücklich wurde das Streben nach der Weltherrschaft, nach dem dominium mundi, formuliert. Tatsächlich war eine Zeitlang praktisch ganz Europa bis nach Russland dem Papst unterworfen. Man lebte in größtem Prunk und größter Pracht. Im Jahr 1209 hat Innozenz III. nach vielen Zweifeln den Weg der Armut des Franziskus von Assisi bestätigt. Die Krise war theologischer Natur: Eine Kirche, die mit weltlicher und sakraler Herrschaftsgewalt ausgestattet ist, liegt nicht auf der Linie dessen, was Jesus wollte, nämlich Macht als Dienst, und dass die Letzten die Ersten seien.

Franziskus bildete den lebendigen Gegensatz zur imperialen Kirche. Dem Evangelium der Macht hielt er die Macht des Evangeliums entgegen, das er ganz wörtlich las und auffasste. Angesichts des Reichtums der Päpste, Bischöfe und Äbte zeigte er die Alternative der totalen Entäußerung in radikaler Armut und äußerster Schlichtheit auf. Von denen, die befehlen und sich über die anderen erheben, forderte er die Demut der Machtlosen, die sich ganz unten, am Erdboden des Lebens befinden. Er fügte sich nicht in den Kleriker- oder Mönchsstand ein, sondern als Laie, der nur über drei Jahre Schulbildung mit Unterbrechungen verfügte und schlecht Latein schrieb, orientierte er sich am lebendigen Evangelium ohne ausgeklügelte Deutungskünste und begab sich an den Rand der Städte, wo die Armen und Leprakranken waren, und in die Natur, wo er eine kosmische Geschwisterlichkeit mit allen Lebewesen verwirklichte.

Vom Rand aus sprach er zum Zentrum und forderte Bekehrung. Anstatt ausdrücklich Kritik zu üben, setzte er eine Reform von unten in Gang, ohne dabei jedoch mit Rom zu brechen. Wir haben es mit einem Genie des Christentums von verführerischer Menschlichkeit, faszinierender Zärtlichkeit und Achtsamkeit zu tun, an dem wir das Beste unseres Menschseins entdecken können.

Ich vermute, dass diese Vorgehensweise Papst Franziskus inspiriert hat. Es geht darum, die Kurie und das klerikale Gehabe insgesamt in der Kirche zu reformieren. Doch hierfür muss man keinen Bruch herbeiführen, der den Leib der Christenheit zerreißen würde.

Eine andere Sache, die Franziskus aus Rom mit Sicherheit inspirierte, ist der zentrale Stellenwert, den Franziskus den Armen eingeräumt hat. Er hat kein Werk für die Armen organisiert, sondern vielmehr mit ihnen und wie sie gelebt. Seit ich Franziskus aus Rom kenne, habe ich ihn immer wieder sagen hören: Das Problem der Armen kann nicht ohne die Teilnahme der Armen selbst gelöst werden, es wird nicht durch Menschenfreundlichkeit beseitigt, sondern durch soziale Gerechtigkeit. Die soziale Gerechtigkeit verringert die Ungleichheiten in Lateinamerika und insgesamt in der Welt.

Eine dritte Inspiration ist heute von überaus aktueller Bedeutung: Wie verhalten wir uns gegenüber Mutter Erde und gegenüber ihren knappen Gütern und ihrer begrenzten Tragfähigkeit? In seiner Ansprache zur Amtseinführung verwendete der Papst achtmal das Wort Achtsamkeit bzw. Fürsorge. Die Ethik der Achtsamkeit ist es, die das Leben der Menschen retten und die Lebensfähigkeit der Ökosysteme aufrechterhalten wird. Franz von Assisi, der Patron des Umweltschutzes, sollte zum Paradigma einer respektvollen und geschwisterlichen Beziehung zu allen Seinsformen werden, in der der Mensch nicht mehr über anderen Arten steht, sondern sich erniedrigt und zu ihnen herabbeugt – insbesondere zu denen, die am meisten von der Auslöschung bedroht sind.

Franz von Assisi pflegte zu Klara eine Beziehung, die von tiefer Freundschaft und wahrhaftiger Liebe geprägt war. Er schätzte die Frau sehr hoch, und die Tugenden pries er, indem er sie „Damen“ nannte. Hoffentlich weckt er in Franziskus aus Rom gegenüber den Frauen, die ja die Mehrheit der Kirche bilden, nicht nur eine Haltung des Respekts, sondern der Wertschätzung ihrer führenden Rolle, wenn es darum geht, Entscheidungen über den Weg des Glaubens und der Spiritualität im neuen Jahrtausend zu treffen. Viele sind der Meinung, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Frau sein wird. Das Leben selbst ist bedroht. Diejenigen, die das Leben zur Welt bringen, wissen am besten, wie man sich in Fürsorge und Achtsamkeit um alle Lebensformen und – wie Franz von Assisi sagte – die Schwester und Mutter Erde selbst kümmert. Diese Erde ist lebendig, sie ist die Pacha Mama und Gaia, sie ist die Große Mutter, die uns großzügig all das bereitstellt, was wir zum Leben brauchen. Papst Franziskus wird die Frauen und uns alle in dieser uns anvertrauten Aufgabe stärken müssen.

Schließlich ist Franziskus, glaubt man dem Philosophen Max Scheler, der Prototyp der Vernunft des Herzens, der emotionalen Vernunft, im Abendland. Er schreibt: „Nie wieder in der Geschichte des Abendlandes ist eine Gestalt der sympathetischen Gemütsmächte wieder erreicht worden, wie sie im hl. Franziskus bestand. Nie wieder auch die Einheit und Geschlossenheit ihrer gleichzeitigen Betätigung in Religion, Erotik, sozialem Wirken, Kunst, Erkenntnis.“ (Scheler 1973, 103) Diese Vernunft des Herzens ist es, die uns empfänglich und empfindsam werden lässt für die Leidenden und für den Schrei der Erde, der gequälten Tiere, der zerstörten Pflanzen und aller, die um Schutz flehen, damit sie überleben können.

Wenn Papst Benedikt XVI. als ein hervorragender Theologe die intellektuelle Vernunft betonte, dann steht Papst Franziskus für die Vernunft des Herzens, die dem Volk in Liebe zugewandt ist, die Menschen umarmt, die Kinder liebkost und liebevoll auf die Menschenmenge schaut.

Wenn sich die moderne Vernunft nicht von der Empfindsamkeit des Herzens durchdringen lässt, dann werden wir kaum dazu bewegt, uns um unser Gemeinsames Haus, den Planeten Erde, zu kümmern, den verlorenen Söhnen und Töchtern nachzugehen und die gut franziskanische Überzeugung in uns reifen zu lassen, dass alle Seinsformen und Lebewesen ein Band der Geschwisterlichkeit verknüpft. Wenn wir in zärtlicher Zuneigung die Welt in die Arme schließen, dann werden wir Gott umfangen.

Franziskus aus Rom und Franz von Assisi

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