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Wer rettet das Kaiserreich?

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Viel zu spät realisierte die politische Führungsriege im Kaiserreich den Autoritätszerfall der gekrönten Häupter, die in Deutschland selbst 1918 noch nahezu eigenmächtig herrschen durften. Immerhin waren sie sich aber darüber im Klaren, dass das politische Schicksal der monarchischen Ordnung in erster Linie abhing von Stehvermögen und Erscheinungsbild ihrer Leitfigur: des Reichsmonarchen Wilhelm II., zugleich König von Preußen und Oberhaupt der Hohenzollern. Ihn ganz persönlich politisch zu bearbeiten, lag in der Logik des deutschen Herrschaftssystems. An dessen Spitze existierte mit dem sakrosankten Kaiser nämlich eine im weitesten Sinn des Wortes unverantwortliche »allerhöchste« Machtinstanz, der die letzte Entscheidung in allen Fragen des politischen Willens oblag. Formell bestimmte Seine Majestät, was im Interesse des deutschen Reiches lag und was nicht, und die Geschäftsführer des Politikbetriebs hatten ihn stets in dem Glauben gelassen, dass er tatsächlich Deutschlands Alleinherrscher wäre. Das erwies sich nun, im Herbst des fünften Kriegsjahres, als schwere Hypothek – wo die Aussichten auf einen militärischen Sieg der Mittelmächte so rasant schwanden, das Volk sich enttäuscht von den hohlen Versprechungen der Kriegspropaganda abwandte und soziale Unruhe und politische Opposition sich regten. Ein außergewöhnlich hoher Handlungsdruck hatte sich aufgebaut, mit dem die Berliner Staatsspitze umgehen musste, möglichst nutzbringend, aber eben auch gezwungenermaßen im direkten Einvernehmen mit dem ›regierenden‹ Kaiser.

Als die Krise akut wurde, litt der Reichsmonarch jedoch schon länger an jenem Bedeutungsverlust, mit dem er schließlich das ganze System anstecken sollte; eine politische Ordnung, die ohnedies schon schwächelte. Auch bei den maßgeblichen Männern der Reichsregierung waren politisch virulente Krankheitssymptome auszumachen: Passivität, Obedienz, billigende Inkaufnahme von als falsch Erkanntem, Fatalismus, ganz zu schweigen von heftigen Aversionen gegen die Demokratie. In ihrem praktischen Handeln blieben sie auf die monarchische Staatsautorität fixiert und entsprechend befangen. So befand sich da, wo eigentlich die Entscheidungsmitte der deutschen Politik sein sollte, eine nur im bürokratischen Sinn funktionstüchtige Zentrale.

Die Wahrnehmungsverzerrung und die ganz persönliche Bewertung der Dinge durch den Reichsmonarchen korrespondierten mit der Horizontverengung und der Kleinmütigkeit der ihm unmittelbar nachgeordneten Funktionsträger in der zivilen Reichsleitung. Die Hauptwurzel dieses Übels blieb aber die Konzentration der staatlichen Machtfülle in der Hand einer gesalbten Person von Gottes Gnaden.

Um das ganze Ausmaß dieser deutschen Misere im Herbst 1918 zu erfassen, fällt unser Blick jetzt auf die politischen Spielfelder, in denen dieser oberste Entscheidungsträger sich damals bewegte: auf den konkreten Erfahrungshorizont seines damaligen Selbstverständnisses, auf seine außerpolitischen Abhängigkeiten und Beschränkungen und natürlich auf sein eigenes Wollen in jenen dramatischen Wochen, als das Schicksal seines Reiches vielleicht nicht an einem seidenen Faden, aber doch bereits an ganz wenigen Fäden hing. In diesem Blickfeld zeichnen sich die Verwerfungen des Herrschaftssystems am schärfsten ab. Wollte sie diese Unstimmigkeiten wirksam bekämpfen, so musste die Politik vor allem anderen dieses leisten: das eigensinnige, eigenwillige und nicht zuletzt eigenmächtige Staatsoberhaupt von Gottes Gnaden politisch wirksam einzubinden in halbwegs aussichtsreiche Strategien zur Überwindung der akuten Kalamitäten. Und ihn in Mithaftung für das zu nehmen, was der nicht mehr zu gewinnende Krieg der ganzen deutschen Staatsführung an politisch-moralischem Tribut auferlegte. War das überhaupt möglich?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir unseren Betrachtungswinkel hin zu zwei anderen wichtigen Teilnehmern im Kampf um die Erhaltung der deutschen Monarchie erweitern. Denn das politische Schicksal des Reichs hielten damals neben dem preußischen Kaiser noch diese beiden Protagonisten in Händen: der süddeutsche Ausnahmepolitiker Prinz Max von Baden sowie sein badischer Landsmann Friedrich Ebert, sozialdemokratischer Parteiführer und wohl stärkster Volksvertreter des deutschen Reichstags. Es geht also nicht allein um die Figur des gekrönten Herrschers, sondern vielmehr um ein Triumvirat, das allerdings realhistorisch weniger ein Bündnis als vielmehr eine politische Schicksalsgemeinschaft war. Nimmt man jeden dieser drei ›Partner‹ genau in den Blick, so tritt auch die politisch-kulturelle Konstellation jenes deutschen Herbstes deutlich hervor. Ihre Porträts zeigen parallel verlaufende Leben, wechselseitige Abhängigkeiten, aber auch Blockaden und natürlich Abgrenzungen, Abneigungen, ja Feindseligkeiten. Eine bloße Analyse der politischen Interessen käme nur der Figur Friedrich Eberts zu, Kaiser und Prinz hingegen leiteten primär persönliche Motive in ihren Handlungen und Entscheidungen.

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