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Meine Mutter hatte mir früh beigebracht, dass kein Mann jemals die Kuh kaufen wird, deren Milch er auch so bekommt. Manchmal dachte ich sogar, dass meine Brüste vielleicht auch deswegen so wunderbar üppig herangewachsen waren, weil ich diesen Sinnspruch mit der Zeit verinnerlicht hatte. Jedenfalls hatte ich mich stets danach gerichtet und meinen Marktwert nach Kräften gesteigert, indem ich an den richtigen Stellen ‚nein!’ gesagt hatte. Natürlich nicht, ohne ein vielsagendes Lächeln hinterherzuschicken, das den jeweiligen Anwärter ermunterte, sich nicht gleich entmutigen zu lassen, sondern lieber sein Angebot kräftig zu verbessern. Das Lächeln gab es natürlich nur, wenn ich tatsächlich Interesse hatte.

Diesmal hatte ich Interesse. Großes sogar.

Arnold war bei aller Kultiviertheit so urwüchsig, dass er mit seinem wuscheligen braunen Haarschopf leicht als kraftstrotzender Steinzeitliebhaber durchgegangen wäre. Ich hätte nur noch das passende Fell finden müssen.

Überhaupt, dass mir Mutters Worte wieder in den Sinn gekommen waren! Auch wenn ich mich stets daran gehalten hatte, so hatte ich doch ihre Wortwahl oft harsch kritisiert. Schließlich war ich keine Milchkuh, also war auch ihr Vergleich mit der Milch, um deren Preis es ging, absolut daneben.

Arnolds unbeabsichtigte Anspielung auf das Euter hatte doch nicht etwa Spuren hinterlassen?

Vielleicht doch. Denn als er sich jetzt formvollendet verabschiedete und ich plötzlich die Aussicht hatte, ihn nach diesem traumhaften halben Tag vielleicht niemals wieder zu sehen, hatte ich plötzlich große Lust, zum ersten Mal überhaupt ein erstes Date nicht an der Haustür zu verabschieden. Sondern unter einem möglichst billigen Vorwand mit reinzunehmen.

Zum Glück für meine momentane Unbescholtenheit siegte meine antrainierte Selbstdisziplin.

Doch sobald er fort und die Haustür ins Schloss gefallen war, warf ich mich im dunklen Hausflur mit dem Rücken an die Wand, trommelte mit den Fäusten dagegen und legte den Kopf weit in den Nacken:

„Duuuuu – völlig verblödete – Halbidiotin“, beschimpfte ich mich selbst, „worauf willst du eigentlich noch warten?“

*

Die Nacht wurde ein einziges unzufriedenes Herumwälzen. Ich wälzte mich von der einen Seite auf die andere, von der anderen auf die eine, und die ganze Zeit über hieß ich mich selbst schonungslos alles mögliche Unfeine, weil ich in so einer Nacht allein war, statt mich schön langsam nach und nach von ihm freilegen zu lassen und dann wohlwollend aber kritisch auszutesten, was der attraktive Herr einer Frau mit Ansprüchen wohl so alles zu bieten hatte.

Der Abend hatte ziemlich genau dem klassischen Schnittmuster eines romantischen Abends entsprochen. Arnold hatte mich mit dem Wagen abgeholt und zu einem exklusiven Restaurant im Taunus chauffiert, das Menü hatte sich auf den überdimensionalen Platten zwar übersichtlich präsentiert, aber doch ganz passabel geschmeckt und beim anschließenden Spaziergang durch die laue Nacht hatte er mir sogar noch zwei oder drei Sternbilder am alles überwölbenden Sternenhimmel erklärt.

Der Spaziergang muss fast schon unglaubliche zwei Stunden gedauert haben, und danach hatte ich ihm fast alles über mich erzählt, was ich selbst wusste. Über ihn erfuhr ich nicht ganz so viel, aber das war nicht wichtig, denn er war ja bei mir. Dass ich kaum herauskam aus dem Erzählen über mich selbst, lag an einer Eigenschaft, die ihn vor den meisten anderen Männern auszeichnete: Er konnte zuhören!

Mehr als jeder Mann vor ihm gab er mir das Gefühl, dass er jedes Wort interessant fand, das über meine Lippen kam. So ganz stimmte das vermutlich nicht, aber vielleicht galt sein Interesse ja auch weniger meinen Worten, als den zart geschwungenen Lippen, die sie formten.

Und wenn?

Allerdings hatte ich mir vorgenommen gehabt, es an diesem Abend zu nicht mehr als ein paar harmlosen Küssen kommen zu lassen. Wenigstens zu den Küssen war es auch gekommen, nicht zuletzt weil ich mich an passender Stelle an einen Satz erinnert hatte, der sich mir – wie es schien – auf ewig ins Gedächtnis gebrannt hatte:

„Möchten Sie mich küssen, Herr Kreutzer?“

Er hatte gewollt – natürlich! –, und ich hatte an seiner ebenso natürlich wie unwiderstehlich wirkenden Technik rasch Gefallen gefunden.

Bei ihm war das Küssen kein Versuch, den Schlund des anderen mit der Zunge zu erkunden. Eher war es ein Vorwand, eine Frau wirkungsvoll zum Schweigen zu bringen und dann ihren Körper von außen mit der ganzen akribischen Sorgfalt abzutasten, die man wohl in wissenschaftlichen Seminaren und Forschungslaboren erlernt. Zwar hatte ich den Eindruck, dass immer mindestens eine Hand zärtlich mein Haupt unter Kontrolle hielt und dafür sorgte, dass mein Mund seinen leidenschaftlich fordernden Lippen nicht entrinnen konnte. Doch die jeweils andere Hand begab sich um so ungenierter auf Wanderschaft und erkundete Berge und Täler meines Körperbaus, so als müsse er noch in dieser Nacht ein maßstabsgetreues Modell meiner makellosen Figur anfertigen.

Ich hatte bei allem brav stillgehalten, oder besser: gerade nicht stillgehalten, sondern engagiert und hungrig nach mehr mitgemacht bei den kleinen Neckereien und Kosereien, mit denen er meinen nach Berührung lechzenden Körper verwöhnte. Schade nur, dass seine Hände sich auffallend oft ausgerechnet dann zurückzogen, wenn die gerade bearbeitete Partie meines Körpers so weit gewesen wäre, dass sie sich sehr gerne für weiteres und noch zudringlicheres Begrapschen zur Verfügung gestellt hätte. Das war eigentlich das einzige, was ich Arnold an diesem Abend vorwerfen konnte: Wenn ein Mann solch goldene Hände hat, dann kann er die höfliche Zurückhaltung in einer romantischen Situation wirklich auch übertreiben.

Nach keinem Mann aus meiner dunklen Vergangenheit hatte sich mein Körper so innig und so schrankenlos gesehnt wie nach diesem, der sich gar nicht alles nahm, was er unter dem Einfluss des Sternenzelts hätte kriegen können. Was ich empfand, erinnerte mich sehr an die überbordenden, mitreißenden Empfindungen, die ich als Teenager erlebt hatte, als ich Schritt für Schritt meine ersten Erfahrungen mit den interessanteren Begleiterscheinungen des Erwachsenwerdens gemacht hatte.

Das hier war nicht bloß ein weiterer Mann, der vielleicht irgendwann ein bisschen Spaß im Bett bringen konnte – das war eine Herausforderung. Vielleicht sogar meine Bestimmung.

Je länger der Abend gedauert hatte – und er hatte ziemlich lange gedauert –, desto weniger cool hatte ich es von mir gefunden, es nicht zu mehr kommen lassen zu wollen. Das war nicht cool, sondern etwas ganz anderes.

Es war echt blöd!

Vermutlich hätte ich alle guten Vorsätze schon dann sausen lassen, als wir mit ziemlich teurem Champagner auf die vielversprechende Verbindung zwischen angewandter Grundlagenforschung und fortschreitender Anwendung der Grünanlagenverordnung angestoßen hatten. Doch ich hatte nicht vergessen, dass mein Start in diese Sache etwas holprig gewesen war und es gewiss nichts schaden konnte, wenn ich den netten Herrn mir gegenüber noch eine Weile im eigenen Saft köcheln ließ.

Was ich normalerweise spielend drauf hatte.

So ganz zufrieden konnte ich aber diesmal damit nicht sein. Denn gemessen an der unbekümmerten Art, in der er sich für den netten Abend bedankt und sich zwar höflich, aber kein bisschen zudringlich verabschiedet hatte, war ich durch meine Zurückhaltung offenbar mehr gestraft als er.

Das war um so bedenklicher, als bereits ein Telefonat mit diesem Mann gereicht hatte, mich außer Kontrolle zu bringen. Immerhin führte ich jede Woche ein paar Dutzend Telefongespräche, nicht wenige davon mit Männern. Aber normalerweise brachte mich keines davon auch nur in Versuchung, selbst Hand an mich zu legen.

Bei Arnold war das anders.

Es war diese Wildheit, die ich in ihm spürte. Er mochte die geschliffensten Umgangsformen haben, die man sich nur denken kann, für mich hatte er unter dieser Schale etwas Animalisches. Und das wiederum hatte etwas ebenso Animalisches in mir geweckt.

Schön, ich musste zugeben, dass ich vielleicht einen gewissen Nachholbedarf hatte. Es war eine Weile her, dass ich mich von Norbert getrennt hatte, mit dem ich eigentlich nie richtig zusammen gewesen war. Trotzdem war die kurze Zeit mit ihm die letzte Phase, in der ich so etwas wie regelmäßigen Sex gehabt hatte. Seither war Ebbe.

Und das bekam mir nicht. Kein bisschen.

Ich hätte mich selbst bestimmt nicht als leichtlebig bezeichnet, aber an Sex hatte ich schon immer viel Spaß gehabt. Je wilder, desto besser.

Sibylle, eine ältere Freundin, die eigentlich eine Freundin meiner Mutter war, hatte mich mal als ‚lebensfrohes Kind’ bezeichnet. Das hatte sich zu einem Zeitpunkt zugetragen, als ich längst volljährig gewesen war. Je öfter ich darüber nachgedacht hatte, desto klarer war mir geworden, dass die gute Sibylle ihre Bemerkung durchaus auch auf mein lebhaftes Interesse an Männern und an sexueller Betätigung bezogen hatte.

Ich hatte einfach gern Sex.

So war es nicht verwunderlich, wenn ich gewisse Entzugserscheinungen verspürte. Die wichtigste bestand darin, dass ich mich sehr danach sehnte, wenigstens einmal probeweise Arnolds heißen, nackten Körper an meinem zu spüren. Das ging so weit, dass ich in der Sache mit ihm anders als sonst noch nicht die Kontrolle übernommen hatte. Weder über die Situation, noch über ihn selbst.

Der Bursche war aber auch schwer zu kontrollieren!

Wenn ich in seine Augen sah, wusste ich, dass er die größte Lust hatte, über mich herzufallen. Aber warum tat er es dann nicht? Ich meine: Warum versuchte er es nicht? Denn ich hätte ihn natürlich trotz allem erst einmal eingebremst, wie so viele vor ihm.

Nicht dass ich ihn am Ende nicht rangelassen hätte. Natürlich hätte ich. Ich war ja selbst so gespannt darauf, wie er sich wohl machen würde, dass ich es kaum noch erwarten konnte.

Aber für jedes kleine Zugeständnis, für jedes bisschen nackte Haut würde er sich ein bisschen mehr auf meine Regeln einlassen müssen. Und wenn ich ihn erst einmal so weit hatte – nun, dann würden wir schon sehen.

*

Meine guten Vorsätze hielten nicht lange vor. Schon am nächsten Tag wusste ich, dass ich den Blödsinn nicht wiederholen würde. Ich würde mich ihm wohl nicht direkt an den Hals werfen, aber das Einnorden auf meine Regeln musste vorerst warten. Erst einmal musste ich rauskriegen, ob er im Bett auch nur halb so gut war, wie ich es mir mittlerweile ausmalte.

Es ärgerte mich, dass ich es ausgerechnet in diesem Fall, der mir so am Herzen lag, noch nicht geschafft hatte, mir die gewohnt komfortable Ausgangsposition zu verschaffen. Die sich dadurch auszeichnete, dass ich dem Burschen für meine Einwilligung in ein bisschen Sex genau vorschreiben konnte, wie die Sache mit uns zu laufen hatte.

Es kostete mich keinerlei Überwindung, für einen Kerl das Röckchen zu lüften, sofern es der richtige war. Im Gegenteil! Aber so genau musste der das doch nicht wissen. Weshalb hätte ich wohl meine Position schwächen sollen, wenn ich mir so billig einen dauerhaften Vorteil verschaffen konnte?

Die Kerls sind nun mal schärfer auf uns Mädchen als wir umgekehrt auf sie. Jedenfalls denken sie das. Weil wir so viel besser aussehen.

Zu blöd aber auch, dass meine ganze schöne Theorie ausgerechnet in Arnolds Fall irgendwie nicht recht passen wollte!

Na schön, dann musste ich eben dafür sorgen, dass ich erst mal anständig auf meine Kosten kam. Später, wenn ich wieder ausgeglichener war, konnte ich immer noch mein Standardprogramm abziehen, an dessen Ende er es sich immer als großen Erfolg seiner Verführungskünste anrechnen würde, wenn ich ihn mal wieder nach Herzenslust ranließ.

*

Für den Donnerstagmittag dieser Woche war ich mit Webse verabredet. So nannten die meisten Kollegen unsere Amtsvorsteherin Melina Weber-Schnuckenreuth. Aus manchem Mund klang der Kurzname zwar ein bisschen geringschätzig, doch ich fand ihn wegen ihrer umtriebigen, eben ausgeprägt wepsigen Art trotzdem ziemlich passend.

Die Webse hatte mich entzückend formlos eingeladen, indem sie mir vormittags eine Notiz auf den Bildschirm geschickt hatte, mit nichts weiter als der Skizze eines Tellers mit einer dampfenden Speise und den Worten „Hunger? 12.30 bei Veggie’s!“.

Ich hatte das ganz in Rattan und Jute gehaltene Lokal bis dahin nur von außen gekannt und mit vegetarischer Kost gerechnet, die ich sicher recht gut verkraftet hätte. Stattdessen erwartete mich ein veganes Menü, das sie mir anhand der Karte auch noch wortreich schmackhaft zu machen versuchte. Erst später, als man uns bereits die ersten der angeblichen Köstlichkeiten auf den Tisch gestellt hatte, wechselte sie unvermittelt das Thema.

„Die Machtgier der Männerseilschaften ist unersättlich“, ereiferte sie sich zwischen Braunalgensalat und Tofu-Gehacktem an Karottentunke. „Vor zwei Jahren mussten wir eigens die Leiterin unseres Frauenförderungsdezernats in Gleichstellungsbeauftragte umbenennen.“

„Is’ nich’ wahr!“, erwiderte ich vorsichtig empört, weil ich noch nicht recht sah, worauf das hinauslaufen würde.

„Doch! Nur weil so ein ewiggestriger Dumpfmacho gerichtlich feststellen lassen wollte, dass auch Männer Rechte haben. Männer Rechte! Wenn ich das schon höre! Die haben die Welt lange genug unterjocht! Jetzt sind endlich wir am Drücker. Ist es nicht so, Kindchen?“

Ich zuckte zusammen, aber weniger ihrer Wortwahl wegen, sondern weil ich auf etwas Festes in der Süßmolke gestoßen war, das nicht so ganz mein Fall war. Was ihr wohl nicht entgangen war. Tadelnd sagte sie:

„Ihre Geschmacksnerven sind vom industriell gefertigten Fressmüll anscheinend schon so verbildet, dass Sie gehaltvolle Nahrung von Wert gar nicht mehr zu schätzen wissen!“

Da mochte was dran sein. Ich wusste tatsächlich noch nicht so recht, was ich daran schätzen sollte.

Die meisten anderen Gäste freilich waren eher Fortgeschrittene. Sie zuckten nicht, ganz gleich, was sie auch zum Mund zu führen hatten. Andererseits genossen sie die Vorzüge der streng veganen Kost aber wohl noch nicht lange genug: Auf mich wirkten sie eher mitgenommen und verkniffen als urgesund und kraftstrotzend. Aber was verstand ich davon?

Für meine vom Fressmüll ruinierten Geschmacksnerven war ja selbst der nun servierte Dinkel-Seitan mit Sojakäse nicht wirklich der Bringer.

Webses lobende Worte, die sie für mich und mein Wirken fand, allerdings um so mehr. Vor allem die Art, wie sie mich als wichtige Verbündete in ihrem geheimen Netzwerk beschrieb, eröffnete mir einen ganz neuen Blick auf mich selbst und ließ mir die Zukunft rosarot erscheinen. Da war ich natürlich gerne bereit, den paar belanglosen Forderungen erst gar nicht zu widersprechen, die sie dafür mehr oder weniger zur Bedingung machte. Und die letztlich alle auf Ergebenheit ihr gegenüber hinausliefen.

Bald darauf waren wir bereits beim Espresso. Ganz in Gedanken an die rosige Zukunft versunken führte ich das Tässchen zum Mund. Und zuckte.

„Das ist Bio-Kaffee aus fairem Handel und ohne Zusatzstoffe“, sagte sie mahnend, weil ich wohl etwas zu auffällig das Gesicht verzogen hatte.

„So schmeckt er auch!“, hätte ich fast erwidert, besann mich aber rechtzeitig darauf, dass mir meine Karriere unter den aktuellen Umständen doch wichtiger war als irgendwelche Röstnuancen von Kaffeebohnen.

„Wenn Sie sich als loyal erweisen, können Sie hier sehr rasch vorankommen“, fuhr Webse fort. „Wissen Sie, was A14 bedeutet?“

„A14 gibt es doch nur für den höheren Dienst, dachte ich.“

„Oh, wir arbeiten gerade an einer Ausweitung für verdiente Frauen aller Dienstgruppen. Es ist nur eine Frage der Zeit, das durchzusetzen.“

„Für Männer nicht?“

„Männer werden sowieso maßlos überbewertet“, entgegnete sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, „meinen Sie nicht auch?“

„Oh, doch, natürlich! Maßlos überbewertet.“

Ich dachte kurz an Arnold und befand, dass selbst er seinen wirklichen Wert erst noch unter Beweis stellen musste. Und zwar möglichst bald!

„Mein Motto war von jeher: eine für alle, alle für eine!“, verkündete Webse salbungsvoll. „Wird es schon bald auch das Ihre sein?“

Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Was bestimmt nicht typisch ist für mich. Es war wie eine Aufforderung zum feierlichen Treueschwur, und entsprechend ergriffen war ich. Schade, dass der Kellner in den feierlichen Akt hineinplatzte, weil sie ihn zum Bezahlen herangewunken hatte:

„Getrennt!“, wies sie ihn scharf an. Und ergänzte zu mir gewandt, mit schmallippigem, auffallend kontrolliertem Lächeln:

„Wir wollen doch hier keinen Vorwand für Vorwürfe der Begünstigung schaffen, oder?“

Natürlich nicht! Also zahlte ich etwas verdutzt für mich selbst und durfte feststellen, dass das Mittagsmenü vielleicht nicht das schmackhafteste, dafür aber mit Abstand das exquisiteste des Monats gewesen war. Jedenfalls am Preis gemessen. Naja, gesunde Ernährung muss man sich eben etwas kosten lassen. Und die Mitgliedschaft in elitären Zirkeln erst recht.

Außerdem waren 17,80 Euro kein wirklich hoher Preis dafür, dass ich nach allem, was Webse gesagt hatte, jetzt endlich dazugehörte.

Wozu auch immer.

*

„Zeit für eine Wohnungsbesichtigung?“, las ich zum soundsovielten Mal vom Display ab.

Fahrig strich ich mir mit der Hand durchs Haar, von vorne unterm Pony bis ganz nach hinten, wo ich mit langen Fingern meinen Hinterkopf umfassen konnte. Der Hinterkopf brauchte eine Massage. Eine Massage des Hinterkopfs fördert das Denkvermögen.

Kann es sein, dass der Mensch eine Nachricht, auf die er sehr, sehr lange mit zunehmender Verbissenheit gewartet hat, irgendwann nicht mehr wahrzuhaben vermag?

Tage, Wochen, Monate hatte ich eine Nachricht ungefähr dieses Wortlauts herbeigesehnt. Und jetzt, wo sie dastand, gut lesbar auf dem Display meines schicken kleinen Galaxy, fiel mir nichts anderes ein, als dass daran etwas nicht stimmen konnte.

Denn die Nachricht stammte von Arnold.

Arnold war kein Immobilienmakler. Ich hatte ihn auch nicht gebeten, etwas für mich zu suchen. Möglicherweise hatte ich mein Problem bei unserem ersten Date nebenbei erwähnt, als ich ihn unterm Sternenhimmel in 500 knappen Sätzen über mich, mein Leben, meine Herkunft, meine Arbeit, meine Figur, meine Vorlieben und meine 23 Lieblingsträume informiert hatte. Oder vielleicht doch bei einem der kleineren Treffen, zu denen wir seither an mehreren neutralen Orten zusammengekommen waren?

Hatte ich da eventuell auch das Problemchen mit dem Geld erwähnt?

Schätze, dass mein ohnehin leichtgängiges Mundwerk in romantischen Situationen noch ein bisschen unaufhaltsamer sprudelt als ohnehin schon. Ich hatte mich einfach immer so wohl gefühlt in diesem mächtigen männlichen Arm, wenn er ihn ebenso selbstverständlich wie entschlossen um mich gelegt hatte. Am liebsten hätte ich den Schutz dieses Arms zwischendurch gar nicht mehr verlassen wollen, wenn das irgendwie möglich gewesen wäre. Überhaupt nie mehr.

Naja, und wenn wir uns sowieso niemals mehr trennen würden, dann war ja wohl auch nichts dabei, wenn ich ganz am Rande erwähnt hatte, dass mein spitzenmäßig gebauter, liebeshungriger Körper in Kürze kein Dach mehr über dem süßen Köpfchen haben würde.

Und nun das!

Mir war auf einmal völlig egal, ob es grade eine günstige Zeit war, ihn anzurufen, und ehe ich noch die Hand wieder richtig aus den Haaren hatte, tutete es schon aus dem Handy.

„Was? Wann? Wo?“, platzte ich heraus, ohne ihn auch nur zu Wort kommen zu lassen.

„Hallo, Maxine. Wären Sie denn interessiert?“

„Interessiert? Ich platze vor Neugier!“

Das war nicht gelogen. Und es bezog sich sogar nur zum kleineren Teil auf die Wohnung. Viel wichtiger war, dass seine Nachricht ganz sicher ein Zeichen war. Ein Zeichen dafür, dass es mit uns was werden würde!

„Aber Sie wissen doch noch gar nichts.“

„Was muss ich schon wissen?“

„Naja – Lage, Quadratmeter, Anzahl der Zimmer … Wäre sowas nicht ganz interessant?“

„Schauen Sie: Ich suche jetzt so lange, dass ich schon sicher war, Wohnungen dürften neuerdings überhaupt nicht mehr vermietet werden.“

„Was denn sonst?“

„Ich dachte eben, sobald irgendwo jemand auszieht, wird das Haus gleich abgerissen.“

„Da wären aber eine Menge Speditionen arbeitslos.“

„Die werden auch abgerissen!“

Er lachte. Sein Lachen war ansteckend. Es steckte bei mir schon wieder einen Brand an, der gar nicht direkt mit Lachen zu tun hatte.

„Na schön“, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, in der ich mir bereits ausmalte, wie gerade er diesen Brand löschen konnte, falls es mit der Wohnung etwas werden würde. „Dann sollte ich Ihnen vielleicht die Nummer des Maklers geben, oder?“

Frühstück für Tiffany

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