Читать книгу Damian - Falsche Hoffnung - Madlen Schaffhauser - Страница 5

1.

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Ich sehe dem kleinen, runden Licht zu, wie es im Sekundentakt von einem Stockwerk zum nächsten wandert, nach oben auf die oberste Etage zurast und mich an mein Ziel bringt, während ich nervös meine Hände abwechselnd ineinander verschränke, um sie dann gleich wieder an meinem dunklen Kleid abzuwischen.

Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass ich in diesem Lift stehe, aber damals fuhr ich nicht in den sechsundvierzigsten Stock, wo sich das Heiligtum von Mr. Meyer befindet und der mich in wenigen Minuten in seinem Büro erwartet.

Es ist noch nicht einmal eine Stunde her, seit mich seine Assistentin auf meinem Smartphone angerufen und mich hierher gebeten hat. Obwohl sie kein Wort darüber verloren hat, was ihr Boss mit mir besprechen möchte, habe ich einen ziemlich genauen Gedanken darüber, was dieses Treffen bedeuten soll. Schliesslich hatte ich schon vor wenigen Tagen in diesem Gebäude, einer der höchsten Wolkenkratzer Londons, ein Vorstellungsgespräch. Nur dass es dieses Mal ein Stockwerk weiter oben stattfindet, mit dem Gründer der Firma, der unter anderem Eigentümer dieses Hochhauses ist und der noch weitere Geschäfte und Immobilien besitzt. Was mich etwas beunruhigt. Warum möchte einer der namhaftesten Männer von ganz London seine Zeit für mich opfern?

Weiter komme ich in meiner Grübelei nicht, denn schon gleiten die Türen lautlos auseinander und ich trete in einen halbrunden, hellen Flur hinaus. Verunsichert sehe ich mich in diesem grossen Empfangssaal um, in dem es so sauber zu sein scheint, wie in einem Krankenhaus, aber keineswegs so kalt und kahl wirkt. Die Möbel aus wertvollem, rotbraunem Holz und die cremefarbigen Wände bilden einen wunderbaren Kontrast zueinander.

Eine Handvoll hohe, dunkle Türen gehen von diesem Raum ab, doch nur eine davon ist verschlossen. Jene, die sich am äussersten Rand des Halbkreises befindet und hinter der ich Mr. Meyer vermute.

Ausser einer älteren Dame, die hinter einer gebogenen Theke sitzt, sehe ich niemanden. Es herrscht eine angenehme Stille, die nur durch das Tippen auf eine Tastatur unterbrochen wird. Erst als sie ihren Kopf hebt und mich mit einem warmen Lächeln empfängt, fällt etwas von meiner Unsicherheit ab und gehe auf leisen Sohlen auf sie zu, um ja nicht diese angenehme Atmosphäre zu unterbrechen.

Die Frau am Empfang erhebt sich aus ihrem Stuhl und kommt hinter der Theke hervor. Sie ist makellos gekleidet und jedes einzelne ihrer Haare scheint an seinem rechtmässigen Ort zu sein. Ich fühle mich sofort wie eine kleine, graue Maus. Hätte ich mir vielleicht ein anschmiegsameres Kleid überziehen und meine wilden Haare zu einem Zopf flechten sollen? Vielleicht etwas Lidschatten und Kajal?

Als würde die Frau meinen skeptischen Blick richtig deuten, lächelt sie mich beruhigend an. „Sie müssen Miss Weber sein?“ Ihre Stimme klingt sanft, ja fast mütterlich. Ihr Englisch ist makellos. Anscheinend stammt sie aus dieser Gegend, wie mir ihr Akzent verrät.

„Ja genau.“ und strecke ihr zur Begrüssung meine Hand hin.

Sie lächelt mich höflich an. „Ich bin Rose Morgan. Mr. Meyers persönliche Assistentin.“ erwidert sie, als sie bemerkt, wie ich mit einem Seitenblick ihr Namensschild versuche zu entziffern.

„Dann haben wir vorhin miteinander gesprochen?“ frage ich sie unnötigerweise. Aber mir fällt im Moment keine passendere Konversation ein.

„Sie brauchen nicht nervös zu sein.“ Wieder ihr beruhigendes Lächeln.

„Das können Sie so einfach sagen. Schliesslich habe ich in wenigen Augenblicken einen Termin mit einem der mächtigsten Männer Londons.“

„Er ist auch nur ein Mensch. Nehmen Sie doch bitte einen Moment Platz.“ Mrs Morgan deutet auf eine Reihe dunkler Sessel an der gegenüberliegenden Wand. „Ich werde ihm mitteilen, dass Sie da sind.“ Ich wende mich den Sitzmöbeln zu und lasse mich in die weichen Polster fallen, während Mr. Meyers Assistentin an die verschlossene Tür klopft, um gleich darauf dahinter zu verschwinden.

Ich lege meine Handtasche und meine schwarze leichte Jacke, die ich soeben ausgezogen habe, auf die Beine und bearbeite mit fahrigen Fingern meine Nägel, um mich vor der nicht zu verstreichen wollenden Zeit abzulenken, die ich alleine in diesem Raum verbringe.

Schon nach wenigen Sekunden steht Mrs Morgan wieder hinter ihrer Theke und blickt mich auffordernd an. „Er empfängt Sie nun.“

Ich nehme meine Sachen und folge ihr durch die Tür, die nun nicht mehr verschlossen ist.

„Wollen Sie etwas zu trinken? Ein Kaffee? Wasser?“ fragt mich die Assistentin, bevor sie sich an den Mann hinter dem robusten Tisch wendet.

„Nein danke.“ flüstere ich beinahe.

„Damian, kann ich dir etwas bringen?“

Mir bleibt beinahe der Mund offen stehen, als sie ihn mit seinem Vornamen anspricht und dazu noch duzt.

„Ein Glas Wasser.“ erwidert er mit einer festen, tiefen und enormen sexy Stimme, die all meine Nackenhaare aufrichten lässt.

Unumwunden starrt er mich an, während er sich entspannt aus seinem Stuhl erhebt. Ich kann meinen Blick ebenfalls nicht von ihm abwenden, als er sich zu seiner ganzen Grösse erhebt. Er überragt mich um mindestens zwanzig Zentimeter. Ich werde gezwungen meinen Kopf in den Nacken zu legen, um weiterhin in seine Augen sehen zu können, die wie zwei kleine, braune Magnete sind, die einen fesseln wie ein unsichtbares Band.

„Miss Weber“ Er umrundet den grossen Tisch und streckt mir seine Hand zur Begrüssung entgegen. „Danke, dass Sie sich so kurzfristig Zeit für mich nehmen konnten.“

„Kein Problem.“ ist das Erste, was ich herausbringe, lege meine Hand in seine und hoffe, dass er das Zittern nicht bemerkt, das mein Körper erfasst hat.

Er strahlt eine natürliche Autorität aus und besitzt eine unglaubliche Selbstsicherheit, welche mir selbst in diesem Augenblick verloren gegangen zu sein scheint.

„Setzen Sie sich doch bitte.“ Er deutet auf den Stuhl neben mir, als er auf die andere Seite des Tisches zurückgeht.

Wie jemand der von etwas völlig in den Bann gezogen wurde, sehe ich ihm nach, wie er sich um das Möbelstück herumbewegt und wieder auf seinem Stuhl Platz nimmt.

Er sieht viel besser aus, als auf den Fotos, die ich von ihm gesehen habe. Sein olivgrünes Hemd und seine schwarze Flanellhose umschmeicheln seinen Körper wie eine zweite Haut, wodurch mir sein breiter, muskulöser Oberkörper und seine festen Beine nicht verborgen bleiben.

Ach du meine Güte, wo wandern nur meine Gedanken hin? Schockiert darüber sehe ich verlegen zu Boden und grabe meine Hände in die Jacke.

„Haben Sie gut hergefunden?“

„J...ja, ich....war ja schon mal hier.“ stottere ich herum. Hör auf, dich wie ein kleines Schulmädchen zu benehmen. Reiss dich zusammen. Herrgott nochmal! Tadle ich mich im Stillen.

„Natürlich. Bei Mr. Baker. Wie fanden Sie das Gespräch?“

„Ziemlich interessant und aufschlussreich.“

„Mein Buchhalter meinte, dass Sie zu qualifiziert seien für diesen Job. Was halten Sie von dieser Aussage?“

„Zu qualifiziert?“ frage ich zurück, statt ihm eine Antwort zu geben.

„Schliesslich waren Sie die Chefin der Buchhaltung in einem grossen Schweizerkonzern. Wir bieten Ihnen nur eine einfache Anstellung in der Kreditabteilung. Lange nicht so anspruchsvoll, wie Ihr letzter Job es war. Was gedenken Sie hier zu erreichen? Sie haben eine angesehene Stelle aufgegeben, um nach London zu kommen. Warum?“

Ich weiss nicht, was er mit seinen Fragen beabsichtigt, aber sie werden mir allmählich etwas unangenehm und unter seinem durchdringenden Blick zu persönlich. „Ich brauche einen Tapetenwechsel.“ höre ich mich sagen, bevor ich noch lange über seine Neugierde nachdenken kann. Wenn es denn überhaupt Neugierde ist oder eben nur ein berechtigtes Interesse gegenüber seiner Firma. Er fixiert mich mit seinen braunen Augen. „Es ist eine private Angelegenheit.“ bringe ich knapp hervor. Mehr braucht er nicht zu wissen.

„So.“ entgegnet er gedehnt und streift mit dem Zeigefinger über sein Kinn, während er mich immer noch abwartend ansieht. „Und wenn Sie genau aus diesem Grund diese Stelle nicht erhalten werden, was machen Sie dann?“

Ich versuche ruhig zu bleiben, auch wenn mir das äusserst schwer fällt. Meine anfängliche Nervosität ist wie verflogen. Niemand braucht meine privaten Beweggründe zu kennen. Schliesslich hat das nichts mit meiner Arbeit zu tun. Gelassen sehe ich ihm in die Augen. Hoffe zumindest, dass es den Eindruck macht, als würde es mich kalt lassen, wenn ich diese Stelle nicht erhalten werde. „Dann muss es so sein und ich werde mich nach einem anderen Job umsehen.“

„Glauben Sie, dass Sie an einem anderen Ort bessere Chancen haben, wenn Sie nicht Ihre wahren Gründe nennen?“

„Warum sind Sie vor zehn Jahren nach London ausgewandert und haben alles hinter sich gelassen?“ Noch bevor ich meine Worte zurücknehmen und überlegen kann, was ich soeben gesagt habe, sind sie schon über meine Lippen. Verlegen senke ich meinen Blick. Meine Finger sind krampfhaft ineinander verschlungen, die auf meinem Schoss liegen und bringe ein kaum hörbares „Es tut mir leid.“ hervor.

„Sie haben Mut.“ Obwohl seine Augen einen gefährlichen und ja sogar einen schmerzhaften Ausdruck angenommen haben, zieht er seinen linken Mundwinkel leicht nach oben, das ein schwaches Lächeln andeuten soll.

„Oder ein vorschnelles Mundwerk. Das war nicht meine Absicht. Entschuldigung. Ihre Vergangenheit, sowie Ihr ganzes Leben geht mich nichts an. Das wollte ich Ihnen klarmachen. Ich habe ein Privatleben wie jeder andere auch und das soll so bleiben.“

„Nur das ein Teil von meinem Leben nicht so Privat ist, wie es sein sollte. Aber Sie haben Ihre Aufgabe gemacht.“

„Ich möchte wissen, für wen und was ich arbeite.“

„Das ist Ihr gutes Recht, wie es auch mein Recht ist, über meine Mitarbeiter Bescheid zu wissen.“ Er senkt seinen Blick auf die Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch liegen. „Ihre Adresse ist in der Schweiz.“ Er hebt seinen Kopf und sieht mich wieder an. „Haben Sie vor nach London zu ziehen oder wie stellen Sie sich das vor?“

„Ich wollte mich zuerst beruflich absichern, bevor ich meine Papiere umschreiben lasse und alles was sonst noch notwendig ist, um in ein anderes Land zu ziehen.“

Er bewegt leicht seinen Kopf auf und ab ohne seine Augen von mir zu wenden. „Ich habe mit Ihrem ehemaligen Chef telefoniert.“

Abwartend sehe ich ihn an.

„Er hat nur in den höchsten Tönen von Ihnen gesprochen. Ausserdem begreift er immer noch nicht, warum Sie Ihren Job an den Nagel gehängt haben.“

Ich nicke nur. Es stimmt mich traurig, wenn ich an meinen früheren Arbeitgeber denken muss. Philipp war ein fairer und toleranter Chef. Ich habe meine Arbeit geliebt. Mein Team war fast mehr wie eine grosse Familie für mich, als nur Arbeitskollegen und trotzdem konnte ich nicht so weitermachen, als wäre alles in Ordnung. Auch wenn ich mir mehrmals gewünscht habe, dass es eine andere Lösung für mein Problem geben würde, wusste ich, dass ich nur eine Möglichkeit hatte. Und genau aus diesem Grund bin ich nun hier und sitze vor einem Mann, der eines der erfolgreichsten Imperien von ganz London geschaffen hat und bewerbe mich um eine bescheidene Stelle, um mich endlich von meiner Vergangenheit zu lösen und neu zu beginnen.

„Ich weiss nicht, was genau Sie von mir erwarten Mr. Meyer. Wenn Sie hoffen, dass ich meine wahren Gründe offenlege, warum ich tatsächlich nach London gekommen bin, muss ich Sie enttäuschen. Aber eines können Sie sicher sein, es hat absolut nichts mit meiner ehemaligen Arbeit zu tun. Es betrifft einzig mein Privatleben und ich möchte nicht darüber sprechen. Wenn Sie mir deshalb die Stelle nicht geben, dann muss es wohl so sein und ich bedanke mich in aller Form bei Ihnen, dass Sie Ihre Zeit für mich geopfert haben.“ Meine Finger biegen sich um meine Jacke und Tasche und erhebe mich aus dem Stuhl. Ich habe mir mehr von diesem Gespräch erhofft. Tatsächlich glaubte ich, dass ich die Stelle bekommen würde, wenn der oberste Mann der Firma mich zu einem Treffen einlädt. „Darf ich Sie etwas fragen?“

„Nur zu.“ Er steht ebenfalls auf.

„Warum bin ich hier?“

„Jeder meiner Mitarbeiter ist von mir persönlich eingestellt worden. Ich möchte wissen, mit wem ich es zu tun habe, dem ich mein Geschäft anvertraue.“

„Sind Sie ein Kontrollfreak?“

„Wenn Sie es so nennen wollen.“

„Ich danke Ihnen, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben bei Ihnen vorzusprechen und werde Sie nun nicht mehr länger aufhalten, Mr. Meyer.“

Er ergreift meine Hand, die ich zur Verabschiedung ausstrecke. „Mrs Morgan wird sich bei Ihnen melden, wenn der Vertrag zum unterschreiben bereitliegt.“ Er hält noch immer meine Hand.

Vor Sprachlosigkeit starre ich ihn mit offenem Mund an und stottere dann in meiner Muttersprache herum. „S...sie... Sie wollen mir damit sagen, dass ich den Job habe?“

„Ich habe schon lange niemanden mehr auf Schweizerdeutsch reden gehört. Es klingt schön.“ Er lächelt mich doch tatsächlich an. Lässt aber zu meinem Bedauern meine Hand los. „Sind Sie bereit?“

„Wofür?“ frage ich ihn ahnungslos. Ich bin noch immer verwirrt darüber, dass mir seine Berührung ein angenehmes Kribbeln durch den Körper jagte.

„Für mich zu arbeiten?“

Ich würde nichts lieber tun, als ihm um den Hals zu fallen, kann mich aber gerade noch im letzten Moment beherrschen. „Soll das ein Witz sein?“

„Eigentlich nicht.“ Wieder zieht er einen Mundwinkel nach oben. Dieses Mal erreicht es sogar seine Augen.

Ich drehe mich von ihm weg und gehe zur Tür. Doch bevor ich sie öffne, blicke ich mich nochmals zu ihm um. „Ich habe es nicht gelesen.“

„Was haben Sie nicht gelesen?“ Verständnislos sieht er mich an.

„Das, was im Internet über Sie zu finden ist. Über Ihre Vergangenheit. Was Sie dazu geführt hat, nach England zu gehen.“

„Warum nicht.“ Ich sehe, wie er einen grossen Kloss versucht hinunterzuschlucken, der seine Kehle zuzuschnüren droht.

„Wie ich schon sagte, hat jeder ein Anrecht auf eine Privatsphäre. Auch Sie. Was immer vor all den Jahren geschehen ist, Sie können nichts Schlimmes getan haben. Aber ich denke, dass Sie etwas sehr Dramatisches erlebt haben, das Ihr ganzes bisheriges Leben verändert hat. Auf Wiedersehen Mr. Meyer.“ Ich drücke den Griff nach unten und betrete den halbrunden Flur ohne mich nochmals zu meinem zukünftigen Chef umzusehen.

Damian - Falsche Hoffnung

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