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Geoinformatik im Alltag

Die meisten Menschen sind bereits mit Geoinformatikanwendungen und -entwicklungen in Kontakt gekommen, allerdings zumeist ohne diesen Bezug zu kennen. Sei es, dass sie einen Ort unter Google Maps gesucht haben, sei es, dass sie ein Navigationssystem im Auto benutzten oder von der Tagesschau durch aktuelle Satellitenbilder über eine Naturkatastrophe informiert wurden. Grundlage aller dieser Anwendungen sind Geoinformationen, d.h. Informationen, die sich auf unsere Erde beziehen. Geoinformationen gab es natürlich schon in den Vor-Computerzeiten: Karten, Pläne und Luftbilder stellen ebenfalls Geoinformationen dar, die wir aus Atlanten, Reisekarten oder Luftbildplänen kennen. Heute werden diese Geoinformationen allerdings zum überwiegenden Teil digital erzeugt, im Computer verarbeitet und per Internet verbreitet. Zur Bearbeitung von digitalen Geoinformationen werden spezielle Algorithmen und Softwaresysteme eingesetzt. Die Disziplin, die die Software für die Verarbeitung von Geoinformationen entwickelt, nennen wir Geoinformatik.

Interdisziplinäre Anwendungen

Die Geoinformatik besitzt viele interdisziplinäre Wurzeln. Unterschiedliche Disziplinen benötigen für ihr Fachgebiet Geoinformationen, um eine bestimmte Fragestellung bearbeiten zu können. In der Anfangsphase der Entwicklung zur Geoinformatik standen konkrete technische Anwendungen im Vordergrund. So suchten beispielsweise kanadische Forstwissenschaftler Methoden, ihre Riesensammlung analoger Forstkarten in Rechnern zu verwalten und ließen dabei das erste funktionierende Geographische Informationssystem (GIS) entwickeln. Kartographen entwickelten Algorithmen, um analoge Kartenprinzipien zur Generalisierung in digitale Formate umzusetzen, Geographen versuchten analoge Überlagerungen von thematischen Inhalten digital zu modellieren, Landvermesser ersetzten ihre hochentwickelten mechanischen Geräte durch geodätische Software. Dieses sind nur einige ausgewählte Beispiele, die zeigen, wie wissenschaftliche Disziplinen sich einerseits neue Werkzeuge zu Nutze machen und andererseits dadurch gezwungen sind, ihr traditionelles Konzept weiterzuentwickeln. Allen Disziplinen war gemein, dass sie sich auf Entwicklungen stützten, die aus dem Gebiet der Informatik stammen.

Historische Entwicklung

Zunächst wurden diese Informatikwerkzeuge bei der Entwicklung von Systemen zum Umgang mit Geoinformationen als reine Hilfswerkzeuge benutzt. Das erste Geographische Informationssystem, welches in den 1960-er Jahren in Kanada zum Umgang und zur Speicherung von Forstkarten entwickelt wurde (s.o.), lief an einem Großrechner, besaß viele Kinderkrankheiten und konnte nur von Experten bedient werden. Dennoch erhielt die Entwicklung der Geoinformatik viele Anstöße aus den Erfahrungen beim Aufbau und im Umgang mit dem Canadian GIS. Aus den Forschungslaboren der Universitäten, insbesondere in den USA (z. B. Harvard Graphics Lab), wurden Entwicklungen angestoßen, die nicht nur die Grundlage für die wissenschaftliche Disziplin Geoinformatik legten, sondern auch für die kommerziell erfolgreiche Entwicklung Geographischer Informationssysteme, deren Siegeszug zunächst nur durch die teure Hardware und extreme Entwicklungskosten in der Software aufgehalten wurde. Grundlage für die Entstehung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin legte insbesondere das US-amerikanische National Center for Geographic Information and Analysis (NCGIA), welches Ende der 1980-er Jahre von der National Science Fundation (NSF) als Forschungsverbund der University of California at Santa Barbara (UCSB), der State University of New York (SUNY) in Buffalo und der University of Maine geformt wurde. Mit zahlreichen Forschungsinitiativen leitete das NCGIA erstmals eine wissenschaftliche Behandlung des Umgangs mit Geoinformationen ein.

Technische Entwicklungen

Ohne den technischen Fortschritt wären alle Anstrengungen zur Entwicklung der Geoinformatik hin zu einer anerkannten Wissenschaft wahrscheinlich fruchtlos geblieben. Erst die extremen Steigerungen der Leistungsfähigkeit von Personalcomputern und die Fortschritte in der digitalen Speichertechnik führten dazu, dass heutzutage Computersysteme zum Umgang mit Geoinformationen von allen genutzt werden können. Den endgültigen Durchbruch bewerkstelligte die technische Entwicklung des Internets, die es ermöglicht, auf große Datenmengen zurückzugreifen und sie über das Internet herunterzuladen bzw. zu visualisieren. John E. Estes, einer der Pioniere in der Entwicklung von Geographischen Informationssystemen formulierte es so: „GIS is an overnight success that took 20 years“ (ESTES, 1991; persönliche Mitteilung).

Öffentlichkeit und Geoinformatik

Die vollständige Akzeptanz der Geoinformatik (allerdings ohne dass dieser Begriff in der Öffentlichkeit genannt wurde) kam mit der Entwicklung von Geobrowsern wie Google Earth. Die Erdkugel mit Echtfarben-Fernerkundungsbildern bot ein dermaßen attraktives und intuitives Interface, dass Google derzeit behaupten kann, die Nutzer von Google Earth seien die drittgrößte Bevölkerungsgruppe auf dem Planeten nach China und Indien. Dass Geobrowser und internetbasierte Mapping-Systeme etwas mit Geoinformationen oder Geodaten zu tun haben, drang allerdings erst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, als es zum Thema Google Street View einen von der deutschen Bundesregierung initiierten Gesprächsaustausch mit den Anbietern von Geodatendiensten gab (siehe Abschnitte 4.7 und 4.8). Das etwas sperrige Wort Geodatendienste steht für die Services, die dem Nutzer über das Internet Zugriff auf Geoinformationen ermöglichen. Wir sind es gewohnt, bei Kartenservices zur Routenplanung zwischen Karten- und Satellitenansicht wechseln zu können, als potenzielle Käufer wollen wir uns Bauplätze im Internet ansehen, für unsere touristische Planung betrachten wir interaktive digitale Stadtpläne und lassen uns Verkehrsverbindungen für den öffentlichen Nahverkehr ausgeben. Wollen wir ausgehen, hilft uns ein Kartenservice, der die Lage des ausgewählten Restaurants anzeigt und dazu passend das Tagesmenü und die Bewertungen von früheren Kunden präsentiert.

Neben den kommerziellen und freien Kartenservices existieren staatliche Geodateninfrastrukturen (siehe Abschnitt 4.8), die nach EU-Direktiven auch für die Bürger zur Verfügung stehen sollen und nicht nur für Regierungen und Verwaltungsapparate. Ein sehr großes Entwicklungspotenzial besitzen mobile Geoinformatik-Anwendungen, die so genannten location based services. Schätzungen besagen, dass über 50 % der Entwicklungen bei Apps für Smartphones einen Geobezug besitzen. Anwendern (und auch Programmierern) ist oftmals gar nicht bewusst, dass sie Geoinformatik-Techniken nutzen und entwickeln. Dadurch kommt es immer wieder vor, dass „das Rad neu erfunden“ wird. Ein konsequenter Erfahrungsaustausch innerhalb der Disziplin ist daher notwendig, um Doppelentwicklungen zu vermeiden und noch schnellere Fortschritte zu erzielen. Der rasante technologische Fortschritt hat unter anderem auch dazu geführt, dass die wissenschaftlichen Entwicklungen hinter der Technik zurücklagen. Erst seit dem Ende der 1990-er Jahre gibt es erfolgreiche Bestrebungen, Grundlagen für die neue wissenschaftliche Disziplin Geoinformatik zu entwickeln. Der Erfolg dieser Entwicklungen kann daran abgelesen werden, dass an deutschen Hochschulen die Geoinformatik zum Teil als eigenständiges Studienfach, zum Teil als eigenständiges Lehrgebiet innerhalb eines anderen Studienfaches Einzug gehalten hat. Diese Entwicklungen greift unser Textbuch auf, das den Studierenden und Lesern einerseits eine kompakte Vermittlung von Grundlagewissen über die Geoinformatik ermöglicht, andererseits auch ein Überblick über ihre Anwendungsmöglichkeiten bietet.

Ein abschließender Hinweis: Dieses Buch verfolgt das Ziel einer kompakten Vermittlung des Grundlagenwissens zur Geoinformatik und ihrer Anwendungsmöglichkeiten. Es enthält mit Absicht wenig technische Details zu Hard- und Software, sondern verfolgt einen konzeptionell-methodischen Ansatz. Zur Vertiefung werden immer wieder Hinweise auf weiterführende Literatur gegeben, diese sind in der Randspalte mit dem Symbol gekennzeichnet.

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