Читать книгу Auf der Suche nach dem idealen Ort - Manfred J. Reichard - Страница 5

Die Vorstellung

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Christian war sichtlich genervt. Den ganzen Tag gaben sich die Typen im Stundentakt die Klinke in die Hand. Nun war es 20 Uhr. Der letzte Aspirant klopfte zögerlich an die Tür. Wie soll das jemand hören, wenn Alle auf ihren Zimmern sind. Die haben alle keine Ahnung. Er erhob sich schwerfällig und öffnete die Tür.

Vor ihm stand ein Typ, 501er Levis, schwarzer Rollkragenpullover, total verschlissene, alte Lederjacke, aber das schlimmste war der Kopf. Der Typ trug einen dünnen Schnurrbart und die Haare mit fürchterlich kleinen Locken. Da musste er ihn nachher mal drauf ansprechen. Außerdem trug er am linken Ohr einen Ohrring, eigentlich war es mehr ein Gehänge mit vielen kleinen bunten Glaskügelchen, die fast bis an die Schulter reichten, wahrscheinlich aus einem dieser billigen India-Läden. Das machte Christian immer schmerzlich bewusst, dass er seinen Ohrring, der eigentlich nur ein kleiner Silberknopf war, irrtümlicherweise am rechten Ohr trug, was gemeinhin als die schwule Seite galt. Aber er ertrug das mittlerweile mit stoischer Miene und stellte Gelassenheit zur Schau.

Was eines von Christians Lieblingsthemen war, sprach er ziemlich bald an. „Wir sind hier zwar ganz gut an die U-Bahn angeschlossen, aber hast du auch einen fahrbaren Untersatz?“ Das war genau das Thema, über das Tristan so richtig ins Schwärmen kommen konnte, und es turnte ihn so richtig an, weil er sofort spürte, dass sein Gegenüber gleich genau so begeistert sein würde. „ Ich fahre eine DS, eigentlich ist es ein ID19, aber die wenigsten wissen, dass das nur die abgespeckte Version der DS ist, ohne Halbautomatik und Bremsknopf“ Es war trotzdem seine Déesse, seine Göttin, und wenn er hinterm Steuer saß, fühlte er sich wie im 7. Himmel.

Christians Gesicht hellte sich auf. „Stimmt es, dass es für dieses Auto gar keinen Wagenheber gibt?“ „Richtig, Du fährst die Karosserie hydropneumatisch ganz nach oben, klemmst einen Stab unter die Karosse und fährst sie dann ganz nach unten. Da das jetzt aber nicht mehr geht, hebt sich das betreffende Rad nach oben, und du kannst es ganz bequem wechseln“ „Wahnsinn“ „Als der Wagen 1955 als Nachfolger des Traction Avant, der sogenannten Gangsterlimousine herauskam, sagten alle, dass dieses Auto viel zu futuristisch sei. Citroën antwortete, dass die DS von Heute ist. Alle anderen sind von Gestern!“ Diesen Spruch sagt Tristan besonders gern, denn er rief immer wieder zustimmendes Nicken hervor.

„Ich habe aber auch gerade den Einser gemacht, und im Hof steht schon meine XT. Die soll mit ihrem Stollenprofil gut wintertauglich sein. Werde versuchen, jetzt auch mit ihr zur Arbeit zu fahren.“ Das war der 2. Fisch am Haken. Die XT war eine Yamaha XT 500, ein neuartiger Motorradtyp, der sich Enduro nannte, im Grunde eine Moto Cross-Maschine, die durch ihre Leistungsstärke und Robustheit auch für längere Reisen mit Gepäck geeignet war. Unter Kennern nannte man dieses „Moped“ auch einen halben Liter Eintopf, weil der Motor aus einem einzigen Zylinder mit 500 ccm bestand. Außerdem hatte sie nur einen Kickstarter. Man musste mit Hilfe eines Ventilanhebers den Kolben in den oberen Totpunkt schieben, damit man mit einem einzigen Kick den Motor anwerfen konnte. Wer das nicht wusste, und das hat Tristan des öfteren auf gemeine Art geschehen lassen, wurde von dem Rückschlag des Kickstarters regelrecht in die Luft katapultiert.

Christian geriet fast aus dem Häuschen. „Da musst du mich unbedingt mal mitnehmen. Wir haben viele Motorradfahrer hier in der Fabrik. Da kann ich mir einen Helm ausleihen“

Die Sache war gelaufen. Christian nahm seinen Stift und setzte Tristans Namen ganz nach oben auf die Liste der Aspiranten. So kam es, dass Tristan eingeladen wurde, und dass Christian und Tristan im Herbst 1982 auf der XT zur documenta 7 nach Kassel fuhren und dort, erschöpft von den höllischen Vibrationen der XT, aber selig glücklich bei herrlichem Sonnenschein neben Joseph Beuys auf den Basaltstelen vor dem Fridericianum saßen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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