Читать книгу Puppenrache - Manuela Martini - Страница 9

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Verfluchte Scheiße! Er gab der Autotür einen Fußtritt, dass sie zufiel. Das mit dieser Tessie-Schlampe hätte nicht passieren dürfen!

Mann, Mann, Troy-Boy, da hast du dir echt was geleistet! Hast sie unterschätzt! Warum hast du sie auch nicht gefesselt, wie die anderen sonst immer? Dann hätte sie nicht ihr verfluchtes kleines Springmesser aus ihren knallengen Pants ziehen können.

Die Stichwunde am Oberschenkel war zwar nicht groß, sie blutete auch kaum noch, aber darum ging es jetzt gar nicht. Sie war ihm entkommen! Und es war seine eigene Schuld, denn er hatte die kleine Schlampe in dem Moment losgelassen, als sie ihre Klinge zurückzog, und sie hatte es tatsächlich geschafft, aus dem Auto zu kommen und abzuhauen!

Er hatte sich aber auch zu blöd angestellt! Die Kindersicherung funktionierte ja nur hinten. Auf dem Beifahrersitz konnte man die Tür natürlich von innen öffnen. Er hatte es vergessen. Das letzte Auto, das ihm gehörte, hatte keine Zentralverriegelung, da hätte sie erst mal den Knopf hochziehen müssen.

Und dann war sie auch noch schnell gewesen. Mann, die hatte rennen können. Bis er aus dem Auto war, war sie um die Ecke und auf die Straße gelaufen.

Da hatte er schleunigst die Biege gemacht. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass sie nicht zu den Bullen gegangen war. Oder dass sie ihn wenigstens nicht beschreiben konnte.

Allerdings suchten sie ihn ja schon ...

Er warf einen Blick auf den alten dunkelroten Holden. Zwischen den anderen Autos auf dem Parkplatz würde der erst mal nicht auffallen. Okay. Passiert ist passiert. Abgehakt. Vorwärtsdenken. Immerhin war er so geistesgegenwärtig gewesen und war nach der Sache mit dieser Tess noch zum Haus der Puppe gefahren. Dort parkte er jetzt.

Halb acht zeigte seine schicke Armbanduhr, die er mit einem zufriedenen Grinsen musterte. Der Typ in der Bar war schon so besoffen gewesen, der hätte es wahrscheinlich noch nicht mal geschnallt, wenn Troy ihm seinen Spießeranzug ausgezogen hätte.

Er überquerte den noch ruhigen Parkplatz und blieb dann an der Einfahrt stehen. Das Apartmenthaus, in dem sie angeblich wohnte, lag direkt gegenüber.

Ihr Freund war ein langhaariger Surfertyp, hatte er sich erzählen lassen – und gestern hatte er ihn ja auch gesehen. Die glauben, sie hätten die Coolness für sich gepachtet, dachte er abfällig. Dabei sind es Feiglinge, wenn’s drauf ankommt. Springen aufs Brett und verschwinden. Er würde so ein Weichei in null Komma nix fertigmachen. Keine Frage.

Scheiß Morgenkälte. Er konnte Kälte nicht ausstehen! Und Hunger hatte er auch noch. Irgendwo musste er etwas zu essen und einen heißen Kaffee herkriegen. Dass die Heizung in dieser Scheißkarre nicht funktionierte, hatte er zu spät bemerkt. Das würde er dem alten Sack um die Ohren hauen. Zigarettenanzünder und Zentralverriegelung, aber keine Heizung, Mann! Wütend trat er gegen den Reifen eines geparkten Autos.

Er kam einfach nicht drüber weg, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hätte diese Tess nicht entkommen lassen dürfen. Sonst hatte sein Plan doch auch immer funktioniert. Gut, jedenfalls meistens ...

Wenn man sich drauf verlassen könnte, dass diese Schlampen ihr Maul hielten, wär doch allen gedient ...

So, gleich acht. Um acht ging ihr Freund aus dem Haus, hatte er gehört. Danach sie. Er rieb sich die kalten Hände und spürte, wie das Adrenalin in seine Adern schoss.

Drei Jahre lang hatte er es sich in seiner Knastzelle immer wieder vorgestellt, wie er sie jagt, ihr hinterherschleicht, sie vor Angst wahnsinnig macht, dass sie an nichts anderes mehr denken kann als an ihn. In der Nacht soll sie von ihm träumen. Sie soll morgens mit dem Gedanken an ihn aufwachen und abends damit einschlafen.

Er wartete.

Acht. Fünfnach acht. Der Kerl hatte verschlafen! Scheiße, damit ging gerade sein ganzer Plan flöten. Und wenn sie beide zusammen aus dem Haus kämen? Und wenn sie beide heute nicht zur Arbeit gehen würden? Vielleicht hatten sie samstags frei? Oder sie hatten sich freigenommen. Oder sie hatten einen ordentlichen Kater – in dieser Bar gestern war zumindest ordentlich gesoffen worden.

Schließlich beugte er sich zu einem parkenden Auto und versuchte, durchs Fenster die Uhrzeit zu erkennen. Es war ein alter Wagen ohne Digitalanzeige. Viertel nach neun? Er hielt sich seine Armbanduhr ans Ohr, obwohl er wusste, dass sie ging. Dieser spießige Arsch in der Bar hatte ’ne falsche Uhrzeit! Bali-Zeit oder Neuseeland-Zeit oder ... jedenfalls nicht die richtige Zeit!

Wütend riss er sich die Uhr vom Handgelenk, schleuderte sie auf den Boden und trat darauf herum.

Er hatte seine Chance vertan! Sie war ihm entkommen!

Als er sich wieder ein bisschen beruhigt hatte, bückte er sich nach der Uhr. Außer ein paar Kratzern war sie intakt. Ha, der Bürotyp hatte wohl in echte Qualität investiert! Er zog die Uhr wieder an.

Na und, dann würde er eben am Abend vor Supercash warten. »Hi, schön, dich wiederzusehen, Puppe«, würde er sagen und sie angrinsen. Er freute sich schon, dabei ihr Gesicht zu sehen.

Endlich hatte sie es zum Busbahnhof geschafft. Ihre Schulter tat schon weh von der schweren Reisetasche. Und ihre Finger fühlten sich von der morgendlichen Kälte wie abgestorben an. Sie reihte sich in die Schlange ein. Fünf Leute zählte sie vor sich. Zwei Männer, drei Frauen, wenn keiner von ihnen komplizierte Fragen hatte, dürfte sie bald dran sein. Aber sicher würde sie sich erst wieder im Bus fühlen – zumindest so sicher, wie es für sie überhaupt möglich war. Hier draußen jedenfalls wurde sie ganz unruhig und nervös. Sie war so schutzlos. Jedes Geräusch, jedes Telefonklingeln, jeder Schatten erschreckte sie. Beruhig dich, sagte sie sich. Es ist alles okay.

Sie stellte die Reisetasche ab und suchte auf der Abfahrtstafel mit der Digitalanzeige nach dem nächsten Bus. Brisbane. Nein auf keinen Fall. Melbourne, Adelaide, Perth, in einer Stunde. Ja, den würde sie nehmen. Sie könnte auch den nach Broome oder den nach Alice Springs und Darwin nehmen. Hauptsache weg. Weit weg. Und Hauptsache gleich.

In keiner der Städte war sie jemals gewesen. Das, was sie über sie wusste, wusste sie aus der Schule. Perth lag ganz im Westen. In der Nähe gab es viel Weinanbau und dahinter dehnte sich die Wüste aus, wo Bodenschätze abgebaut wurden.

Und Broome ganz oben im Norden? Züchtete man da nicht Perlen? Und warm war es dort. Sehr, sehr warm. Sie fröstelte noch immer.

Was war mit Alice Springs? Mitten im Kontinent, in der roten Erde. Am Uluru, dem heiligen Berg der Aborigines ...

Ein neuer Schalter machte auf, die Leute vor ihr verteilten sich und plötzlich war sie schon dran.

»Wohin?«, fragte die Frau durch die Sprechluke, ohne dabei von ihrer Tastatur aufzusehen. Sie trug eine dreieckige rote Brille.

Ja, wohin wollte sie eigentlich? Der Bus nach Perth fuhr als erster ab.

»Nach Perth.«

Die Angestellte hämmerte auf die Tastatur. »Perth, das macht ...«

»Nein, warten Sie ...« , unterbrach Sara sie. Die Frau hob den Blick und sah sie durch ihre komische Brille an.

»Nach Darwin«, sagte Sara. Darwin war viel, viel weiter weg. Und der Bus fuhr bloß eine Viertelstunde später.

»Wohin jetzt? Perth oder Darwin?« Die Frau war genervt.

»Perth.« Sara nickte. Der Bus nach Perth ging zuerst los.

»Sicher?«

»Ja. Nach Perth, bitte«, sagte Sara bestimmt.

Die Frau atmete hörbar aus.

Die Busfahrkarte nach Perth war nicht so teuer, wie sie erwartet hatte. Obwohl es eine sehr weite Strecke war. Ihr blieben immer noch dreihundertfünfzig Dollar. Das reichte, um sich für eine Woche was Billiges zur Miete zu suchen. Ein Zimmer irgendwo. Und dann einen Job. Supermärkte gab es schließlich überall. Sie könnte ja auch was anderes arbeiten. Irgendwas, es war egal.

Sie steckte das Ticket ein, schulterte wieder die Reisetasche und ging Richtung Coffee Shop. Ihre Augen scannten die Umgebung. Nein, da war niemand, den sie kannte. Und er war auch nicht da.

Sie überlegte, ob sie sich einen heißen Kaffee leisten konnte, denn sie musste mit ihrem Geld haushalten. Wer weiß, wann sie wieder etwas verdienen würde. Die dreihundertfünfzig Dollar mussten bis dahin für Unterkunft und Essen reichen.

Schließlich gönnte sie sich doch einen Latte Caramel, setzte sich draußen vor der Abfahrtshalle an einen freien Tisch und wärmte ihr Hände an dem heißen Becher. Ihre Augen wanderten permanent von einer Seite zur anderen. Unruhig schweifte ihr Blick über die Menschen, die sich auf dem Vorplatz des Busbahnhofs tummelten.

Und wenn sie sich ihn in der Bar doch nur eingebildet hatte? Die Beleuchtung war schlecht gewesen und außerdem hatte sie ihn zuletzt vor drei Jahren gesehen. Eigentlich wusste sie doch gar nicht mehr, wie er jetzt aussah.

Sie schob den Kaffee weg. Auf einmal mochte sie den Geschmack nicht mehr. Zu süß, zu klebrig.

Wenn ich ihn mir nur eingebildet habe ... dann kann ich auch hierbleiben, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Dann ist meine Flucht doch unsinnig und völlig überflüssig. Dann kann ich bei Stephen bleiben. Und alles wird wieder so, wie es war ...

Nein. Denn egal, ob er es war oder nicht – sie konnte so nicht weiterleben. Mit all den Lügen. Und sie konnte Stephen nicht die Wahrheit sagen. Dafür war es zu spät. Dafür hatte sie ihm viel zu lange etwas vorgemacht. Punkt.

Sie konnte ihrem Albtraum nicht entfliehen. Er floh mit ihr. Wie ein lästiger Parasit, der so lang bei einem bleibt, bis er einen ausgesaugt – und getötet hat.

Sara lief ein Schauer über den Rücken. So weit durfte sie es einfach nicht kommen lassen! Und jetzt ruf endlich an, gab sie sich selbst einen Ruck. Ja, das sollte sie tun. Es war das Vernünftigste.

Aus der Seitentasche holte sie das geheime Handy und drückte auf die Kurzwahltaste.

»Ja bitte?« Diesmal meldete sich eine Männerstimme.

»Sara hier. Ich muss mit Nate sprechen.«

»Einen Moment bitte, ich verbinde.« Dave, Nate, zwei erfundene Namen, das hatten sie ihr gesagt. Damals. Dennoch taten alle so, als seien sie echt. Es rauschte ein, zwei Sekunden lang, dann meldete sich eine jugendliche Stimme. »Nate hier.« Ja, das war er.

Sie räusperte sich. »Hier ist Sara.«

»Sara! Ich hab damit gerechnet, dass du anrufst. Wir haben alles unter Kontrolle. Er kann dir nichts tun. Er weiß weder, wie du heißt, noch, wo du wohnst oder arbeitest!«

»Dann stimmt es also.« Einen Moment lang hatte sie gehofft, er wäre über ihren Anruf verwundert.

»Was? Was stimmt?«, fragte Nate.

»Er ist also tatsächlich ausgebrochen.« Ihre Stimme hörte sich tonlos an.

»Ja ... äh ... ja. Hast du es noch nicht in den Nachrichten gehört?« Nates Stimme klang verwundert.

Sara musste daran denken, wie sie es heute Morgen vermieden hatte, weder das Radio noch den Fernseher anzustellen. Und als sie eben am Zeitungsstand vorbeigelaufen war, hatte sie den Kopf zur anderen Seite gedreht. Sie wollte keine Gewissheit. Wollte sich in den Glauben flüchten, dass es einfach nicht möglich war. Doch nun konnte sie der Wahrheit nicht länger entfliehen. Sie fühlte sich, als würde ihr die Luft zum Atmen genommen, und sie zwang sich, sich wieder auf Nates Worte zu konzentrieren.

»... einen Wärter überwältigt. Er muss jemanden draußen haben, der ihm geholfen hat.« Nate räusperte sich hörbar. »Also, unser Plan ist, dass wir dich ...«

»Ich hab ihn gesehen«, unterbrach sie ihn.

»Was sagst du da? Du hast ihn gesehen?« Die Stille, die folgte, machte Sara nervös. Sie hatte das Gefühl, als würde sie in ein bodenloses Loch fallen. »Er kann es nicht gewesen sein, Sara!«, versuchte Nate, sie zu beruhigen, doch sie konnte hören, dass seine Stimme angespannt klang. »Das ist nahezu ... das ist gänzlich unmöglich!«

»Er war aber da! In der Bar! Gestern!«

»Sara, langsam. Solche Zufälle gibt es nicht.«

»Es war ja auch kein Zufall!«, schrie sie ins Telefon und spürte, wie die Panik ihren Körper zu überrollen drohte. »Er hat mich aufgespürt!« Sie bemerkte, dass die Leute an den Nebentischen zu ihr herübersahen. Sie erhob sich, nahm ihre Reisetasche mit und stellte sich ein wenig abseits an die Hausmauer.

Als keine Antwort kam, sagte sie: »Nate?«

»Ja, ich bin noch dran.«

»Er hat irgendwie herausgekriegt, wo er mich finden kann.« Saras Puls hatte sich wieder ein bisschen beruhigt. Trotzdem spürte sie, wie ihr Herz hart gegen ihren Brustkorb schlug.

»Das ist nicht möglich. Außerdem weißt du doch gar nicht, wie er aussieht. Er hat sich in den drei Jahren im Gefängnis ziemlich verändert – ich habe die Fahndungsfotos gesehen. Er ist jetzt fünfundzwanzig und du bist auch nicht mehr fünfzehn.«

»Ich würde ihn auch nach zehn Jahren Arbeitslager wiedererkennen«, sagte sie bitter. Dieses Gesicht würde niemals in ihrer Erinnerung gelöscht. Niemals. Es hatte sich eingegraben, ganz, ganz tief. »Warum arbeitet eigentlich Dave nicht mehr bei euch? Wo ist er?«

»Das kann ich nicht sagen.« Seine Stimme klang auf einmal sehr nüchtern.

»Warum?« Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke. War er gefeuert worden, weil er vielleicht nicht ehrlich gewesen war? Weil er Informationen verkauft hatte? Irgendjemand musste ihm schließlich gesagt haben, wo sie zu finden war ...

»Sara, ich kümmere mich jetzt um dich. Wo bist du gerade?«

»Ich fahre weg.«

»Wohin?«

Konnte sie Nate denn vertrauen?

»Wohin, Sara?«

Wenn sie ihm nicht vertrauen konnte – wem dann? Sie holte tief Luft. »Nach ... nach ... Perth«, sagte sie schließlich zögernd und schaute sich dabei wieder um, ob sie auch niemand belauschte.

»Perth? So weit? Bleib in Sydney, ich kann jemanden schicken.«

»Nein, ich ... ich will ... ich muss weg. Ich hab schon die Fahrkarte ...«

»Warte, dann steig wenigstens in Melbourne aus, bis dahin kann ich jemanden organisieren, der dich dort abholt.«

Ihr Finger schwebte über der roten Auflegetaste. Warum hatte sie ihn überhaupt angerufen?

»Sara?«, kam es aus dem Telefon, »alles in Ordnung? Hast du verstanden? Mit welchem Bus fährst du?«

»McCaffertys«, sagte sie mechanisch. Das war alles ganz anders geplant gewesen. »Er fährt gleich los«, fügte sie hinzu.

»Lass das Handy an, Sara, ich melde mich.«

»Ja.«

Sie steckte das Telefon in ihre Jacke. Unsicher schaute sie sich auf dem Vorplatz um. Nur noch ein paar Minuten, dann war sie in Sicherheit, versuchte sie, sich zu beruhigen. Nate würde jemanden nach Melbourne schicken. Und der würde sie in eine sichere Wohnung bringen und sie würde so lange dortbleiben, bis sie ihn gefasst hätten. Danach würde sie irgendwo neu anfangen. Wieder einmal ...

Ein Gedanke schoss Sara durch den Kopf – vielleicht konnte sie ja sogar nach Sydney zurückgehen. Doch im gleichen Moment, als sie dies dachte, schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Sie konnte nicht zu Stephen zurück. Nie wieder.

Sie spürte diese Erkenntnis wie einen Messerstich.

Stephen ... Wie sollte sie ihm das alles erklären? Dann müsste sie ihm auch sagen, dass sie ihn seit über einem Jahr angelogen hatte. Dass sie nie die war, die er zu kennen geglaubt hatte. Nie im Leben würde er verstehen, weshalb sie sich ihm nicht anvertraut hatte.

Sie erinnerte sich an einen Samstagnachmittag mit ihm. Sie kannten sich fast einen Monat. Sie waren ein Stück aus der Stadt herausgefahren und hatten in den Blue Mountains mit einem wunderschönen Ausblick aufs Meer ein Picknick gemacht.

An diesem Tag hatte sie sich unglaublich glücklich gefühlt. Und einen kurzen Augenblick lang hatte sie daran gedacht, dass sie ihm die Wahrheit sagen könnte. Und wie sie so schweigend nebeneinander auf der Picknickdecke saßen, da hatte sie all ihren Mut gesammelt. Sie wusste, sie würde gleich diese Stimmung zwischen ihnen zerstören, aber er würde es verstehen und dann, dann könnte vielleicht alles, alles gut werden. Sie holte schon Atem – und in dem Augenblick sagte Stephen: »Als ich fünfzehn war, kam eines Tages eine fremde Frau mit einem achtjährigen Jungen zu uns. Sie sagte meiner Mom, dass das der Sohn von ihr und meinem Dad sei und er sich weigere, weiter Unterhalt zu zahlen. Und fragte, wie meine Mom das denn fände. Seit diesem Tag hab ich meinen Dad verachtet.«

»Warum?« In ihrem Hals war ein Kloß.

»Warum? Fragst du gerade ernsthaft, warum? Stell dir vor: Über acht Jahre lang hat er meine Mom und mich angelogen! Die ganze Zeit über hat er ein geheimes Leben geführt! Das Leben mit uns war eine Lüge! Ich hab das nie begreifen können! Meine Mom hat sich dann von ihm scheiden lassen.«

Ihr war plötzlich kalt geworden. Und als er gefragt hatte, ob alles okay sei, hatte sie nur gesagt, sie wolle jetzt nach Hause.

Sie war so sicher gewesen, dass, wenn sie ihm ihre Wahrheit offenbart hätte, alles aus gewesen wäre. In der Nacht hatte sie sich auf die Couch gelegt und stumm geweint.

Mit aller Macht zwang sie sich, nicht mehr an Stephen zu denken. Es war vorbei. Sie würde ihn nie wiedersehen. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Höchste Zeit, zur Abfahrbucht zu gehen, wo schon einige Fahrgäste warteten. Sie stellte sich ein wenig abseits. Nicht dass jemand auf die Idee kam, sie in ein Gespräch zu verwickeln.

Der Bus kam pünktlich, ihre Reisetasche war so handlich, dass sie sie nicht unten im Kofferraum verstauen musste. Sie suchte sich in einer freien Reihe einen Fensterplatz und verstaute ihre Tasche über sich im Gepäckfach. Hoffentlich setzt sich keiner neben mich, dachte sie, kauerte sich auf ihrem Sitz zusammen, machte sich klein und wünschte, sie könnte sich einfach auflösen und in einer anderen Zeit in einem anderen Land aufwachen. Ohne jede Erinnerung.

Puppenrache

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